Verfasst von: ah | Juni 27, 2010

Dresden: Sanfte Verdrängung in der Neustadt?

In der aktuellen Ausgabe der ZEIT gibt es einen längeren Beitrag zu den Aufwertungsdynamiken in Dresden Neustadt: „Sanfte Umwälzungen„. Im Artikel wird ein widersprüchliches Bild der Entwicklungen gezeichnet.

Auf der einen Seite die typischen Beschreibungen eines Gentrification-Prozesses (Erneuerung, Verdrängung und Wandel des Nachbarschaftscharakters): Die Protagonistin der Erzählung – eine 71 jährige Dame, die ihr Leben lang in der Neustadt wohnte – musste gerade wegen einer Mieterhöhung ausziehen. Eine Gewerbetreibende beklagt sich über die Verdoppelung der Ladenmiete. Bioläden, Cafes mit Kinderecken und Spielplätze haben die ehemalige ‚Bronx von Dresden‘ in ein Familieneldorado verwandelt. Der Sanierungsstand der einst zum Abriss vorgesehen Altbauten liegt bei über 90 Prozent.

Auf anderen Seite präsentiert der Artikel die angesichts der aufgegriffenen Beispiele überraschende Einschätzung eines sanften Umbruchs:

(Die Dresdner Neustadt) werde »sanft« gentrifiziert, sagt Jan Glatter von der TU Dresden, ein Geograf, der den Wandel des Viertels seit Jahren wissenschaftlich untersucht.

Die Einschätzung der ’sanften Gentrification‘ wird von zwei Argumenten gestützt. Zum einen sei es „auch heute immer noch laut, bunt, chaotisch“ (Zitat des in der Neustadt lebenden Schriftstellers Jens Wonneberger) – zum anderen würden die wirklich Reichen weiterhin in anderen Gegenden der Stadt leben. Ich bin mir in diesem Zusammenhang unsicher, ob das Kriterium für Gentrification tatsächlich in einer vollständigen Verdrängung von typischen Pioniernutzungen und der Umwandlung in ein Luxuswohnquartier bestehen. Eine stärker aufs Gebiet selbst bezogene Beurteilung würde zumindest im Vergleich zur Ausgangssituation alle Definitionselemente einer typischen Gentrification bestätigen: bauliche Erneuerung und ökonomische Inwertsetzung, weitgehender Austausch der Bevölkerung und gravierende Veränderung der Sozialstrukturen sowie ein fundamentaler Wandel des Nachbarschaftscharakters.

Auch wenn im ZEIT-Artikel die Entwicklung der Neustadt von den Aufwertungsdynamiken in Berlin Prenzlauer Berg abgehoben wird – die Veränderungen sind durchaus vergleichbar.

In Berlins Prenzlauer Berg wohnen heute kaum noch Einheimische, stattdessen Gutverdiener aus ganz Deutschland. Im einst alternativen Hamburger Schanzenviertel hat inzwischen McDonald’s eine Filiale eröffnet. Die Veränderung in der Dresdner Neustadt verläuft leiser, aber sie ist spürbar.

In den abschließenden Sozialstudien der Sanierungsgebiete in Berlin Mitte und Prenzlauer Berg wurden Anteile von Altmieter/innen (die schon vor Sanierungsbeginn in den Quartieren wohnten) von weniger als 20 Prozent als deutliches Indiz für den Bevölkerungsaustausch bewertet.

Der im Beitrag zitierte Jan Glatter hat in seinen Untersuchungen bereits für 2002 eine Verbleibequote von Altmieter/innen von lediglich 20 Prozent festgestellt (Glatter 2007: 95). Dieser Wert dürfte sich in den vergangen acht Jahren weiter reduziert haben, so dass für Dresden Neustadt selbst im Vergleich zu den Aufwertungs-Prototypen wie Prenzlauer Berg ein höheres Maß an Bevölkerungsaustausch festgestellt werden kann.

Auch die Veränderungen der Sozialstrukturen weisen erhebliche Ähnlichkeiten auf. In Prenzlauer Berg und Mitte stiegen die Anteile der erwachsenen Bevölkerung mit Abitur auf über zwei Drittel – der Wert für die Neustadt wir 2002 mit 76 Prozent angegeben (Glatter 2007: 98). Auch hinsichtlich der Alters- und Haushaltsstrukturen sind vergleichbare Verschiebungen zu konstatieren.

Die Einkommensdaten der Neustadt weisen auf eine schrittweise Annäherung an das städtische Durchschnittsniveau. Lagen die durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommen der Neustadt im Vergleich zu den Dresdner Gesamtwerten noch 1999 bei 83 Prozent, so konnten sie allein bis 2002 auf 90 Prozent aufholen. Ähnliche Entwicklungen konnten auch in Prenzlauer Berg beobachtet werden. Bis 2003 war die Einkommensentwicklung von einem schrittweisen Anpassungsprozess an den städtischen Durchschnitt gekennzeichnet und erst in den letzten Jahren konnte – getrieben von steigenden Mieten und Umwandlungszahlen – eine deutliche Abkopplung beobachtet werden.

Aktuelle Einkommenszahlen für die Neustadt liegen mir nicht vor – aber der Mythos der ’sanften Gentrification‘ könnte auch das Zerrbild einer Momentaufnahme sein. Die im ZEIT-Artikel beschriebene Beobachtungen jedenfalls lesen sich sich nicht anders als die vom Bionade-Biedermeier in Prenzlauer Berg.

Glatter, Jan 2007: Gentrification in Ostdeutschland – untersucht am Beispiel der Dresdner Äußeren Neustadt. Dresden. (=Dresdner Geographische Beiträge, Heft 11)


Antworten

  1. Ich habe Glatters Dissertation gelesen und mich hat damals schön gestört, dass lediglich die soziale Gentrifikation mit einem wertenden Adjektiv versehen wurde.
    Weder die bauliche, noch die kommerzielle oder die symbolische Gentrifikation sind darin als „sanft“ oder „rauh“ bezeichnet wurden. Was ich sagen will: Die Wortwahl der „sanften“ Gentrifikation kann man in dem Fall einfach ignorieren. Sie ist m.E. ein Zugeständnis an den Betreuer der Arbeit Prof. Dr. Winfried Killisch, der auch für die Erstellung des Mietspiegels der Stadt Dresden zuständig ist.

  2. […] über den topops „sanfte gentrification“ schreibt der gentrifizierungsblog°°° […]

  3. Für die Dresdner Neustadt wurde vor ca. 5 Jahren der Begriff Gentrification Light genannt. Der Versuch einer Begründung steht hier: http://spotoff.griselda-hackbarth.net/wandel.html

  4. Also ist jede Gentrifizierung „light“, solange es noch ein oder zwei Quotenpunks im Viertel gibt?

  5. Vielleicht gibts ja auch noch Gentrifizierung medium und heavvy .

  6. Wie man den Effekt nun nennen will, ist doch egal – es ist eigentlich normal, dass sich Stadtgebiete verändern. Wie sich speziell die Neustadt veränderte, habe ich Mitte der 90er dort erlebt, als ich dort arbeitete: Die Bewohner waren zwar noch dieselben, aber sie nahmen plötzlich andere Lebensstile an. Der Grund war ganz einfach. Viele der jungen Bewohner waren Studenten, die ihre Studien nun nach und nach abschlossen. Damals wurden junge Leute mit den richtigen Studienabschlüssen gesucht, also fanden diese soeben noch armen Studenten plötzlich recht gut bezahlte Jobs. In dieser Zeit füllte sich die ehemals auf Konsum- und Autoverweigerung ausgelegte Neustadt auch immer deutlicher mit Autos. Ein klarer Zusammenhang. Die Bewohner waren also immer noch dieselben, konnten sich aber einen anderen Lebensstil leisten. Ja, und die anderen, die das falsche Studienfach (Theaterwissenschaft, Kunsthistorik …) belegt hatten, blieben sozusagen unabsichtlich „authentisch“ arm und und sind nun Opfer der Gentrifizierung 😉

  7. Hallo Frank,
    vielen Dank für deinen Kommentar – ganz so einfach scheint mir die Erklärung für die Entwicklungen in der Neustadt nicht zu sein. Ich habe ja im Beitrag auf ein paar statistische Daten verwiesen, die u.a. Aussagen, dass 2002 nur 20 Prozent der Bewohner/innen bereits 1990 im Gebiet gewohnt haben.
    Deine Einschätzung („Die Bewohner waren also immer noch dieselben, konnten sich aber einen anderen Lebensstil leisten.“) kann für diese 20 Prozent durchaus zutreffen – was ist mit den anderen 80 Prozent?

  8. @ah:

    Ich denke die Sache mit den Studenten sollte man nicht unterschätzen: welche die von ausserhalb nach Dresden kommen bleiben meist nur ~5 Jahre … und die die alter werden denen ist die Neustadt vieleicht zu laut (und zu dreckig … verdammte Hunde)

  9. Als ich 2004-2007 in der Neustadt wohnte, hatte ich eigentlich das Gefühl, dass die Ortsansässigen keine großen Umschweife machen, wenn es darum geht, althergebrachte Regeln zu verteidigen. Man musste sich als Zugezogener (aus dem Westen) an den Rhythmus und die Regeln vor Ort anpassen, sonst hatte man verloren.

    Bei den kleinen Single-Wohnungen war darüber hinaus die Fluktuation extrem, mit der Folge, dass frisch sanierte Wohnungen und Häuser binnen kurzer Zeit wieder runtergewohnt waren. Wer da sein Geld investiert, ist nicht zu beneiden, das ist ein Fass ohne Boden.

    Was glaube ich ein Spezifikum der Äußeren Neustadt ist: Es gibt in Dresden keine richtige Innenstadt. Deshalb fallen Freitag und Samstag Abend tausende Feierwütige aus dem restlichen Dresden und dem Umland in die Neustadt ein, um in den zahlreichen Kneipen auszugehen. Folge: Statt individueller Kneipen wuchs Massen-Unterhaltungsprogramm aus dem Boden, und Besoffene, die überhaupt nicht in der Neustadt wohnen, randalieren und pinkeln an Eingangstüren und Fassaden. Verglichen damit waren Punks, Penner und Hundekacke an Harmlosigkeit kaum zu überbieten.

  10. Hallo,

    ich bin auf diesen Blog gestoßen nachdem ich mit Freunden darüber diskutiert haben, warum es in der Dresdner Neustadt keinen McDonalds gibt.
    Ich habe die Vermutung geäußert dass die Stadt Möglichkeiten besitzt so etwas zu unterbinden wenn es nicht ins Stadtbild passt.
    Weiß jemand über derartige Richtlinien bescheid?
    Oder gab es schon Versuche, McDonalds Filialen in der Neustadt zu eröffnen, die dann nicht angenommen wurde und wieder schließen.

    Danke und Grüße aus der Südvorstadt,
    Bene

  11. Die Dresdner Neustadt ist sehr spezifisch. Ich wohne im Preußischen Viertel seit sieben Jahren und bemerke die Veränderungen. Wichtig erscheint es den Bewohnern der Neustadt nicht mehr zu sein, ihren ganz eigenen Lebensstil, der eher alternativ geprägt war, auszuleben sondern sich der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung anzuschließen. Die Mieten steigen, Gebäude werden saniert, Zuzug solventer Mieter ist ebenfalls zu verzeichnen. Meines Erachtens ist diese Entwicklung jedoch nicht schlimm. Wie auch der Dresdner Stadtteil Pieschen sich weiter entwickelt und zu einem Hotspot der Stadt werden soll, entwickelt sich auch die Neustadt inkl. ihrer Bewohner. Andere Werte rücken in den Mittelpunkt und ersetzen das Bestreben, sich beispielsweise gegen den Staat aufzulehnen.


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