Verfasst von: ah | Dezember 23, 2014

Berlin: Am Taufbecken der Gentrification – Kirche im Aufwertungsgebiet

Weihnachten ist ja für viele die Zeit der Besinnlichkeit. Da werden Kindheitserinnerung aufgerufen und Geschichten von früher erzählt und manch eine/n zieht es sogar in die Kirche. Während die letzten Trinker vom Helmholtzplatz verdrängt werden sollen, werden auch in diesem Jahr die Weihnachtsandachten in den Kirchen von Prenzlauer Berg und Mitte gut besucht sein. Das war nicht immer so und die Kirchgemeinden scheinen mir ein bisher unterschätzter Indikator der Sozialgeschichte von Stadtteilen zu sein.

Neben den Schulen und der Polizei dürften die Kirchen in den Aufwertungsgebieten von Prenzlauer Berg und Mitte eine der wenigen Instituitionen sein, die den Wandel der Nachbarschaft kontinuierlich begleitet haben und die veränderte Zusammensetzung der Bewohnerschaft spiegeln. So wie wir in den Schulen mehr Gymnasialempfehlungen erwarten können und bei der Polizei ein verändertes Anzeigeverhalten untersuchen könnten, geben uns auch die Kirchgemeinden einen tiefen Einblick in die Nachbarschaft.

Eine kürzlich bei Facebook gepostete Taufliste jedenfalls liest sich, als würden viele der Getauften aus besserem Hause kommen. Oder zumindest aus Elternhäusern, die großen Wert auf wohlklingende Namen legen.  Mit Blick auf die von ZeitOnline („Das geteilte Land„) ausgegrabene Ronny-Häufigkeit in Ostdeutschland lassen sich zwei Vermutungen formulieren: 1: Ostdeutschen lassen sich seltener taufen. 2. Prenzlauer Berg und Mitte sind nicht mehr Ostdeutschland.

Taufnamen_2014_Ronny_1

Die Taufliste der Evangelischen Gemeinde am Weinbergsweg (an der Schnittstelle von Mitte und Prenzlauer Berg) liest sich wie eine Mischung aus FDP-Wahlliste für das Europaparlament und dem Verzeichnis der höheren Beamten des Diplomatischen Dienstes.  Der Wortsinn der Gentrification – der ja auf die Wiederkehr des niederen Landadels (der Gentry) in den Städten anspielt – bekommt hier jedenfalls einen unerwarteten Realitätsgehalt.

Das war nicht immer so. Noch 2007 veröffentlichte ein GeTaufnamen_2007meindebrief der Evangelischen Kirchengemeinde Prenzlauer Berg Nord einem weitaus höheren Anteil an eher gewöhnlichen Taufnamen.

Gleichwohl wurde schon damals im „Zustrom westlich sozialisierter Christen (im) Gemeindebereich eine spürbare Belebung“ des Gemeindelebens gesehen (Gemeindebrief 2007, Seite 20). Auch verschiedenen Medien berichteten damals über die Neuentdeckung der Religion in den Kreisen der Zugezogenen. Zur Zionskirche etwa hieß es:

Während sich draußen allmählich die Cafés und Lokale rund um Kastanienallee und Kollwitzplatz zum Brunch und zum Latte Macchiato mit sonntäglichen Müßiggängern füllen, sind auch die Kirchenreihen dich gedrängt mit mit Jungvolk. Es sind meist zugezogene Akademiker aus dem Westen, aus dem Schwäbischen, dem Rheinland oder aus Bayern, die es samt Nachwuchs und Kinderwagen in die Kirchen zieht.

Gehen wir der Zeitreise noch ein paar Jahre zurück in den Beginn der 1990er Jahre, dann waren die Kirchgemeinden aktiver Teil der Mobilisierungen gegen Mietsteigerungen und  Verdrängung. So stellten die Gemeinde z.B. ihre Räume für die großen Kiezversammlungen der WBA (Wir Bleiben Alle) Proteste gegen die Mietsteigerungen zur Verfügung und die Gethsemanekirche wurde 1995 zum Ort einer legendären Protestveranstaltung gegen die verfehlte Mietenpolitik der Bundesregierung. Auch damals also haben steigende Mieten die Kirchen gefüllt.

Auch vor und während der Wende 1989 waren die Kirchen in Mitte und Prenzlauer Berg eine Heimstatt von Protest und Opposition. Die Kerzen vor der Gehtsemanekirche sind zu Ikonen des Wendeherbstes geworden und die Zionskirche mit Umweltbibliothek und Skinhead-Überfall war zu DDR-Zeiten ein Symbol der Widerständigkeit. Die von der Stasi damals festgenommenen Mitarbeiter der Umweltbibliothek hießen übrigens Andreas, Bert, Bodo, Till, Tim, Uta und Wolfgang. (Dass der damalige Hauptangeklagte des Überfalls Ronny (Busse) hieß, soll die Veränderungen in Prenzlauer Berg und Mitte keineswegs rechtfertigen.)

Flyer zum legendären Konzert 1987 in der Zionskirche, das von rechten Skinheads ohne Eingreifen der anwesenden Polizei überfallen wurde. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft (http://www.jugendopposition.de/index.php?id=4413)

Gut 25 Jahre Veränderung im Stadtteil haben die Kirchgemeinden in Mitte und Prenzlauer Berg ebenso stark verändert wie die Umgebung selbst. Von den Orten des Widerstandes und des Stadtteilprotestes ist nicht viel geblieben. Statt Punkkonzerte und Kiezversammlungen gibt es heute Babypsalmgesang und  Adventsbrunch. Und auch die Trinker vom Helmi, die noch an den alten Prenzlauer Berg erinnern, sollen nun endgültig aus der Gegend verschwinden. Der zuständige Stadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) jedenfalls begründete  – so ein Beitrag in den Prenzlauer Berg Nachrichten – seine Kündigung der Nutzungsverträge am Platzhaus mit der veränderten Bevölkerungszusammensetzung im Kiez.

„Wie Ihnen sicherlich nicht entgangen sein wird, haben sich der Helmholtzplatz und die schon immer existierenden Nutzungskonflikte im Laufe der vergangenen zehn Jahre verändert (…) Um dem Rechnung zu tragen, ist neben baulichen Veränderungen ein neues Nutzungskonzept für das Platzhaus angedacht.“

Na dann, allen ein besinnliches Fest!


Antworten

  1. […] Berlin: Am Taufbecken der Gentrification – Kirche im Aufwertungsgebiet | Gentrification Blog. […]

  2. Guter Artikel! Nur was ist gemeint mit:
    > Und auch die Trinker vom Helmi, die noch an den alten
    > Prenzlauer Berg erinnern, sollen nun endgültig aus der Gegend
    > verschwinden.
    Der ‚alte‘ Prenzlauer Berg ist sowieso nicht mehr vorhanden. Null. ‚Die Trinker vom Helmi‘ gibts erst seit der Wende. Zu DDR-Zeiten saßen die nicht draußen sondern *in* den Kneipen.

    • Hallo wins67,
      recht hast Du. Wie bei fast allen anderen auch ist ‚mein‘ alter Prenzlaue Berg so ungefähr die Zeit des eigenen Zuzugs bzw. Erinnerns. Vielleicht sollte ein nächste Beitrag die Geschichte der Nachbarschaft als eine Geschichte des Trinkens geschreiben werden… Das wäre sicher spannend zu lesen.

      ah

      • Das berühmte Buch von Daniela Dahn Prenzlauer Berg-Tour lesen von 1987 – lohnt sehr – Trinker-Platte gab es auch zu DDR-Zeiten. Und zwar nicht nur auf dem Helmi. Aber dort auch, und zwar mit Glücksspiel usw.

        Von wegen es saßen alle in den Kneipen. Mitnichten.
        Aber es saßen viel mehr in Restaurants, weil es sich fast jeder leisten konnte. Etliche waren immer überlaufen.

        (Es ist übrigens wie diese Gerüchte, der Prenzelberg hätte erst nach der Wende diesen Namen bekommen. Habe Fotos, wie Prenzlauer Berger diesen Anfang der 80er benutzten.
        Wenn etwas sicher ist, dann dass nichts so bleibt, wie es ist – Und Kirchner ist ein schlimmer Finger, der Ende der 90er als Vorsitzender des Kinder- und Jungendhilfeausschusses zusammen mit Lederer, dem jetztigen Landeschef der Linken, der damals einfacher Stadtverordneter war, die gegen Spramassnahmen prtestierende Elternschaft der Kitakinder zur Sau machte, unter dem richtigen Jubel der CDUler und SPDler, die im Senat an der Macht waren. Mit netzwerk-spiel-kultur groß gerworden, redet er nun Bauinvestoren nach dem Munde und will Grünflächen für Bauten weichen lassen. Kann man einfach nachlesen.)

    • Ich kann mich auch an einen Trinkertreff vor der Kaufhalle, dann extra, dann Rewe in der Pasteurstr. erinnern. Erst wurde auf der Freifläche daneben ein schickes Haus gebaut, jetzt ist der ganze Supermarkt weg. Falls er wirklich im edlen Neubau wiedereröffnet traut sich keiner mehr da rumzuhängen.

  3. wir haben dazu auch was geschrieben….“Platzhaus soll Platz machen“ http://teddyzweinullblog.wordpress.com/2014/12/12/platzhaus-soll-platz-machen/

  4. und zu den Alkis habe ich auch was gefunden. „Intolerante Gutmenschen und die Alkis vom Helmi“ https://wortwurm.wordpress.com/2014/03/18/intolerante-gutmenschen-und-die-alkis-vom-helmi/

  5. Der Artikel belegt sehr schön meine Vermutung, die ich gestern Abend (24.12.) hatte. Die Gegend zw. Kollwitz- und Helmholtzplatz war nämlich nahezu menschenleer. Einzig aus der Gethsemane Kirche strömten viele Leute. Ob darunter eine hohe Anzahl an Barbour Jacken Träger/innen war, konnte ich allerdings nicht prüfen.

  6. Wie armselig von dem Autor die Kinder nach ihrer Herkunft zu beurteilen!
    Ich glaube auch, wenn heutzutage eine Prunkband in der Kirche aufgetreten wäre und die Skinheads diese angegriffen hatte, dann wäre die Polizei sofort zur Hilfe da.

  7. […] Kirchengemeinden als Gentrifizierungsbeschleuniger berichtet Andrej Holm auf seinem Gentrification […]

  8. Kirchen waren ein Hort des Protestes ist dann ja auch konsequent. Es wurde protestiert, als es gegen das Soziale ging, ganz iSd prähistorischen Adels und der Industrie. Heute gibt es für die Kirchen freilich nichts mehr zu protestieren, die Finanzmarktliberalisierung und HartzIV sind in ihrem Sinne ja erfolgreich. Damit sie in den Gemeinden aber keine Langeweile bekommen, machen sie heute eben in Kindergarten. Bedeutende politisch-soziale Themen gibt es ja nun wirklich nicht.

  9. […] nicht reicht. Es braucht deren mindestens zwei, besser sogar (wie im Beispiel des ersten Eintrags in diesem Taufbuch) […]

  10. Interessante Beobachtungen.Warum aber garniert mit Mottenkisten-Klischees wie den vermeintlichen Überschneidungen der Taufliste mit dem „Verzeichnis der höheren Beamten des Diplomatischen Dienstes“? Die aktuellen Staatssekretäre und Abteilungsleiter/innen im Auswärtigen Amt jedenfalls hören auf Vornamen wie Stephan, Markus, Hans-Dieter, Antje, Patrizia, Andreas, Dieter, Clemens, Wolfgang und Martin. Vielleicht ein Anlass, Vorurteile über die Einstellungs- und Beförderungskriterien des diplomatischen Dienstes zu überprüfen? Z.B. bei einem Spaziergang vorbei an den Namensschildern an den Bürotüren des Auswärtigen Amtes, das ja in unmittelbarer Nachbarschaft zur Humboldt-Uni liegt?

    • Hallo Kattharina Ahrendts,
      vielen Dank für den Kommentar und den Hinweis, dass sich offenbar im Auswärtigen Amt ein Elitenwechsel vollzieht. Zumindest für die Liste der Boschafter/innen und Botschafter hat das „Mottenkisten-Klischee“ zumindest partiell noch Bestand: http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_deutschen_Botschafter
      Darunter so illustre Name wie: von Waldersee, Freiherr von Ungern-Sternberg, Freiherr von Werthern, Freiherr Marschall von Bieberstein,von Reibnitz, Freiherr von Fritsch-Seerhausen, Freiherr Freytag von Loringhoven, von Schoepff.
      ah

  11. Ich dachte immer, dass Botschafter im Ausland arbeiten,… nicht in Berlin. Die die vor 20 Jahren von Leipzig nach Berlin zogen, aergern sich ueber die die es heute nach Berlin zieht. Das ist normal.
    Don Quijote kaempft jetzt in Berlin Mitte weiter: Mach dir mal Gedanken was passiert wenn mal in Berlin alles „gut“ laeuft: Alle finden leicht gut bezahlte angenehme Arbeit, Kultur an jeder Ecke, das Bier wird weggeschuettet bevor man es auskotzt,… Dann kostet die Miete in Berlin etwa das gleiche wie in Paris, New York oder London.
    Da das sicher so kommt (oder jedenfalls das Risiko existiert), musst du versuchen den Leuten genug Kohle in die Tasche zu stecken, sodass sie sich das leisten koennen, oder Sozialwohnungen in grosser Zahl und billig bauen. Das eine geht aber nicht, da die Leute in Berlin mittelmaesig ausgebildet sind und sich dessen nicht bewusst sind. Fortbildungen kommen eher fuer gut ausgebildete in Frage (oder fuer schlecht ausgebildete die sich dessen bewusst sind). Das wird also nichts. Das gieng schon mit den Bauern schief die an der gleichen Stelle ihren Acker hatten an der jetzt die Soziologen wohnen. Die selben Soziologen welche in Zukunft von der technischen und Verwaltungselite aus der Hauptstadt der DDR nach Magdeburg vertrieben werden. Du kannst also nur neue Sozialwohnungen bauen, und zwar dort wo Platz ist.

    • Was verstehst du als „mittelmäßig ausgebildet“? Laut Berliner Senat sieht die Situation anders aus:

      „Berlin hat pro Kopf bundesweit die meisten Wissenschaftler und Akademiker. Mehr als 500.000 der 1,76 Mio. Berliner Erwerbstätigen haben einen Hoch- oder Fachhochschulabschluss. Über 1,25 Mio. haben einen Ausbildungsberuf erlernt. Rund 1,5 Millionen Menschen im arbeitsfähigen Alter zwischen 18 und 65 Jahren besitzen Kenntnisse in einer oder zwei Fremdsprachen.“

      Quelle: http://www.berlin.de/industriestadt/standort/

      Der Rest deines Kommentares ist leider auch schwer nachvollziehbar.

  12. Sie sollten Ihre Quellen erstmal prüfen:
    1. Selbstverständlich bildet eine regional organisierte Gemeinde auch die Gentrifizierung ab, es bleibt ihr gar nichts anderes übrig, da sie aus den aktuellen Bewohnern besteht.
    2. Die Kirche veröffentlicht Amtshandlungen, keine Geburtenregister. ein knapper Blick auf die andere Seite des Gemeindebriefs hätte aufgezeigt, dass eines der „Babys“ gerade geheiratet hat. Taufen lassen können sich auch Erwachsene!

  13. […] es aber auch schon, sich nur eine Statistik mal ganz genau durch den Kopf gehen zu lassen. Oder ein Taufregister zu lesen, das inzwischen wahrscheinlich schon jeder kennt, aber es passt so gut zu den nächsten […]

  14. […] Kirchengemeinden als Gentrifizierungsbeschleuniger berichtet Andrej Holm auf seinem Gentrification […]


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