Verfasst von: ah | Juli 29, 2009

Berlin: Die Karawane zieht weiter – Stationen einer Aufwertung

Räumliche Verlagerung von Pionierphasen der Gentrification in Berlin (1987-2007)

Räumliche Verlagerung von Pionierphasen der Gentrification in Berlin (1987-2007)

Für einen im Herbst erscheinenden Istanbul-Berlin-Stadtreader anlässlich der 20jährigen Städtepartnerschaft Berlin Istanbul wurde ich eingeladen, die Berliner Aufwertungsdynamiken zu beschreiben. Ein ausführliche Version des für den Reader geschriebenen Textes  gibt es schon vorab hier auf dem Gentrificationblog zu lesen (siehe unten).

Eine wirklich empfehlenswerte Veranstaltung im Zusammenhang des Jahrestages der Städtepartnerschaft ist die vom August-Bebel-Institut und dem Forum Berlin Istanbul organisierte Konferenz »Zivilgesellschaft(en) in Berlin und Istanbul« (6.-9. Oktober 2009, Berlin). Thema dort ist explizit die „Stadt als Ort zivilgesellschaftlichen Engagements“.

Aber jetzt zum versprochenen Text zu den Stationen der Berliner Aufwertung:

In: Holm, Andrej 2010: Die Karawane zieht weiter – Stationen der Aufwertung in der Berliner Innenstadt. In: Bacik, Cicek; Ilk, Cagla; Pschera, Mario (Hrsg.): Intercity Istanbul Berlin. Berlin: Dagyeli Verlag, 89-101

Die Karawane zieht weiter – Stationen der Aufwertung in der Berliner Innenstadt

von Andrej Holm

Vor 20 Jahren, kurz nach dem Fall der Mauer wurden in Kreuzberg Flugblätter verteilt, die vor steigenden Mieten, Verdrängung aus der Nachbarschaft und dem Zuzug von Yuppies warnten. Demonstrationen, eingeworfenen Schaufensterscheiben in neu eröffneten Edel-Restaurants und angezündete Autos brachten den Unmut gegen die drohenden Veränderungen in der Nachbarschaft zum Ausdruck. Der Kampf gegen die Umstrukturierung war damals das große Schlagwort der Kiezinititativen. Wenig später, in meinen ersten Studienjahren, lernte ich den Begriff der Gentrification kennen.  Dieses Konzept beschrieb die Befürchtungen der Kreuzberger ziemlich genau: „Austausch von statusniederen durch statushöhere Bevölkerungsgruppen, die bauliche Aufwertung und ökonomische Inwertsetzung des Stadtteils sowie die umfassende Veränderung des Nachbarschaftscharakters“ (Kennedy/Leonhard 2001). Heute, knapp 20 Jahre später gibt es wieder Demonstrationen gegen steigende Mieten in Kreuzberg, zerschlagenen Scheiben in neueröffneten Restaurants und Luxuswohnprojekten und fast im Wochenrhythmus Brandstiftungen an teuren Autos. Statt gegen die Umstrukturierung geht es heute gegen die Gentrification in den Nachbarschaften – fast scheint es, als sei die Zeit in Kreuzberg stehen geblieben. Doch das Gegenteil trifft zu: die Dynamik der städtischen Aufwertung hat sich in den vergangen 20 Jahren einmal im Uhrzeigersinn durch die Berliner Innenstadt bewegt. Über die Stationen Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain ist die Bugwelle der Gentrification nun wieder in Kreuzberg und sogar Teilen von Neukölln angelangt. Die Stationen dieser Aufwertungskarawane seien hier kurz umrissen.

Berlin Mitte: Sanierung, Kommerzialisierung und Touristification

Die beiden Gründerzeitquartiere Spandauer Vorstadt und Rosenthaler Vorstadt galten trotz der zentralen Lage zu DDR-Zeiten vielen als unattraktive Wohngegend. Eine dichte Bebauung, ein schlechter Bauzustand und eine überwiegend defizitäre Ausstattung der Wohnungen prägten die Gebiete. Die verhaltene Vermietungspolitik der kommunalen Wohnungsverwaltung und Abrisspläne für ganze Straßenzüge sorgten zudem für hohe Leerstandszahlen. Zur Wende standen mehr als ein Viertel aller Wohnungen im Gebiet leer. Noch im Sommer 1990 wurden fast 30 Häuser in den beiden Viertel besetzt. Ein Großteil der Hausbesetzer/innen kam aus Westberlin. Steigende Mietpreise, ein Wohnungsmangel und nicht zuletzt die Kreuzberger Aufwertungsbefürchtungen motivierten viele junge Leute der Protest- und Alternativszenen nach Ostberlin zu ziehen. In den besetzten Häusern wurden erste Szenekneipen, Veranstaltungsräume und selbstorganisierte Buchläden eröffnet. Mit dem Zosch und der Comicladen Renate in der  Tucholskystr. 30/32 und dem Schokoladen in der Ackerstraße 169 sind auch heute noch einige Rudimente der Besetzerkultur zu besichtigen. Im Umfeld etablierte sich eine zu Beginn ebenfalls noch stark subkulturell geprägte Galerien- und Kunstszene. Insbesondere die Gegend um die Oranienburger Straße und die Auguststraße entwickelte sich schnell zu einem auch touristischen Anziehungspunkt. Die wilde Mischung von Straßenstich und Synagoge, Künstler- und Hausbesetzerszene, Ostproletariat und Weststudierenden,  verdichtete sich schnell zum Mythos des ‚Neuen Berlins‘ und eines lokalen ‚Laboratoriums der Einheit‘ (Hübner 1993). Solche Prozesse des Imagewandels von Stadtvierteln sind typisch für die Pionierphasen eines Gentrificationprozesses. Der Zuzug von meist jungen, gebildeten und oft künstlerisch aktiven Pionieren, die Eröffnung einer meist noch improvisierten Infrastrukturen für Kunst, Kultur und Amüsement und auch die symbolische Aufwertung der Viertel setzen regelmäßig eine Aufwertungsdynamik in Gang. Insbesondere die Verwandlung der Nachbarschaft in einen ‚besonderen Ort‘ weckt auch das Interesse des Immobilienmarktes (Bourdieu 1991, 1997). Insbesondere die Chance auf die Realisierung von Monopolrenten, verstanden als Extrakosten für die Lagevorteile der Nachbarschaft, haben in den Altbaugebieten von Mitte einen flächendeckenden Eigentümerwechsel ausgelöst und umfassende Modernisierungsarbeiten angeregt. Nach der Restitution der Grundstücke an die oft jüdischen Alteigentümer bzw. ihre Erben wurden die Häuser der Ostberliner Gründerzeitviertel zu etwa 90 Prozent meistbietend an professionelle Immobilienunternehmen verkauft (Dieser 1996). Der, durch die hohen Verkaufspreise ausgelöste Verwertungsdruck erzwang eine schnelle und umfassende Modernisierung der Häuser. Insbesondere die zweite Hälfte der 1990er Jahre kann als Hochzeit der Modernisierung gelten. Spezielle Steuerbegünstigungen setzten Anreize für hohe Baukosten und einen zügigen Abschluss der Bauarbeiten (Krajewski 2006). Rücksicht auf die Bedürfnisse der Bewohner/innen wurde dabei zweitrangig:  Mit Ausnahme der wenigen geförderten Sanierungsprojekte sind dabei die Mieten oder Kaufpreise der modernisierten Wohnungen für die meisten der früheren Bewohner/innen nicht mehr zu bezahlen. Trotz öffentlicher Mieterberatungen und vom Bezirk organisierten Umsatzwohnungen sind nur knapp 20 Prozent der ursprünglichen Bewohnerschaft im Gebiet geblieben (Koordinationsbüro 2009). Die gestiegenen Einkommen und veränderte Haushaltsstrukturen stehen dabei für einen auch strukturellen Wandel der Nachbarschaftszusammensetzung. Mit den Modernisierungsarbeiten kam auch das Ende der improvisierten Kneipen und Galerien. Steigende Gewerbemieten verstärkten den Kommerzialisierungsprozess der Kulturprojekte und bilden die immobilienwirtschaftliche Basis für die Etablierung eines Gastro-Unterhaltungs-Komplexes für ein internationales touristisches Publikum. Statt der Kreativität des Aufbruchs zu Beginn der 1990er Jahre beherrschen heute Stadtführungen etablierter Reiseunternehmen und organisierte Trinktouren durch Bars und Kneipen des Gebietes die Stimmung. Rund um die aufwendig sanierten Hackeschen Höfe haben entlang der Münz-, Alten Schönhauer- und Rosenthaler Str. inzwischen Flagsshipshops nahezu aller angesagten Kleidungs- und Schuhmarken eingerichtet und die Designerläden der Pionierphase verdrängt. Als die amerikanische Soziologin Sharon Zukin Gentrification als einen „neuen Prototyp der Konsumption“ beschrieb, konnte sie das Beispiel von Berlin Mitte noch nicht kennen (Zukin 1990). Trotzdem gibt kaum eine bessere Beschreibungen für die dortigen Entwicklungen der letzten 20 Jahre.

Prenzlauer Berg: Verdrängungsdynamik und Luxuswohnprojekte

Mit einer zeitlichen Verzögerung von ein paar Jahren zu den Entwicklungen in Berlin Mitte konnten auch in den Altbaugebieten von Prenzlauer Berg die typischen Pionierentwicklungen einer Gentrification beobachtet werden. Die nach dem Fall der Mauer besetzten Häuser behielten länger als in Mitte einen subkulturellen Status und viele der selbstorganisierten und kollektiv bewirtschafteten Kneipen und Veranstaltungsräume konnten sich bis Ende der 1990er Jahre eines Kommerzialisierungsdruckes erwehren. Heute erinnern nur noch wenige unsanierte Fassaden oder politisch Parolen an den Hauswänden wie in der Kastanienalle 77 oder 86 an die Zeit der Hausbesetzungen.

Trotz steigender Grundstückspreise blieben private Investoren zunächst sehr zurückhaltend und ein Großteil der Erneuerungsaktivitäten bis Mitte der 1990er Jahre wurde aus öffentlichen Mitteln finanziert. Festgelegte Mietpreisentwicklungen und umfangreiche Sozialpläne sicherten so eine sozial verträgliche Erneuerung – etwa 60 Prozent der Bewohner/innen konnten auch nach der Sanierung im Gebiet mit einer bezahlbaren Wohnung versorgt werden (Häußermann/Holm/Zunzer 2002). Nach der Klärung der Eigentumsverhältnisse und dem Verkauf der meisten Grundstücke an professionelle Sanierungsunternehmen und Immobilienfonds (Reimann 2000) verlagerte sich, angetrieben von Steuervergünstigungen, das Modernisierungsgeschehen in den Bereich privater Investoren. Eine zunächst geltende Mietobergrenze (Kappung der Miete nach der Modernisierung) ermöglichte es noch immerhin 40 Prozent der Bewohner/innen, nach der Modernisierung in ihre Wohnung zurückzukehren oder sich im Gebiet mit einer angemessenen Wohnung versorgen zu lassen. Nach der gerichtlichen Aufhebung der Mietobergrenzen und dem Auslaufen der Steuervergünstigungen setzten private Investoren zunehmend auf eine Strategie der Umwandlungsmodernisierung. Ziel der Sanierungsarbeiten war nun der möglichst schnelle Verkauf der Wohnungen an Einzeleigentümer/innen. Untersuchungen zeigen, dass nur noch etwa 25 Prozent der Bewohner/innen nach einer solchen Modernisierung wohnen bleiben können (ASUM 2003). Nicht nur entlang der Kollwitzstraße sind die pastellfarbenen Fassaden der aufwendig hergerichteten Häuser zu bestaunen.

Durch die gleichzeitige Kürzung der öffentlichen Fördermittel konnten diese Verdrängungseffekte nur noch ungenügend kompensiert werden. Mietsteigerungen, Umwandlungen in Eigentumswohnungen sowie überdurchschnittlich hohe Neuvermietungsmieten prägen seit der Jahrtausendwende die Entwicklung in Prenzlauer Berg. Bei einem Sanierungsstand von über 70 Prozent der Gebäude leben nur noch knapp 25 Prozent der früheren Bewohner/innen in den Sanierungsgebieten (PFE 2008). Neben der weitgehenden Ausschöpfung der Modernisierungspotentiale werden seit 2005 verstärkt Neubauprojekte auf Baulücken und Freiflächen realisiert. Zwischen Kastanienallee und Eberswalderstraße sind mit den Kastaniengärten (Schwedter Str. 41-43) und dem Marthashof (Schwedter Str. 37-40) gleich zwei spektakuläre Neubauprojekte zu finden. Diese Neubauten weisen in der Regel einen exklusiven Wohnstandard auf, werden überwiegend als Eigentumswohnungen verkauft und können als Enklaven des Luxuswohnens beschrieben werden. In Sozialuntersuchungen wurde deutlich, dass sich die durchschnittlichen Einkommen allein im Zeitraum von 2002 bis 2007 um etwa 40 Prozent gegenüber dem Berliner Vergleichswert erhöht haben – in den zehn vorangegangen Jahren der Stadterneuerung konnte die Ausgangseinkommen von etwa 75 Prozent des Berliner Durchschnittseinkommens an den Berliner Durchschnittswert herangeführt werden. 15 Jahre Sanierung haben eines der ärmsten Quartiere der Stadt in eines der wohlhabendsten verwandelt.

Friedrichshain: Subkultur und Aufwertung

Trotz ähnlicher Ausgangslage und vergleichbaren Baubeständen haben sich die Aufwertungstendenzen in Friedrichshain wesentlich langsamer durchsetzen können als in Prenzlauer Berg. Durch die Straßenschlachten 1990 bei der Räumung der besetzten Häuser in der Mainzer Straße und die sichtbare Etablierung einer Hausbesetzerszene strahlte Friedrichshain für Mittelklasse Haushalte eine nur geringe Ausstrahlungskraft aus (Arndt 1991). Vor allem in der Rigaer- und Liebigstraße sind bis heute etliche der ehemals besetzten Häuser im Stadtbild erkennbar. Mit dem X-B-Liebig (Liebigstraße 34), dem Fischladen (Rigaer Str. 83) oder der Kadterschmiede (Rigaer 94) haben sich Veranstaltungsräume und Kneipen der Besetzungsphasen bis heute gehalten. Doch auch die über 30 besetzten Häuser in Friedrichshain konnten die Aufwertungstendenzen in den Altbauquartieren des Bezirks nicht aufhalten. Die Veränderungen der Bevölkerungszusammensetzung wurden zunächst vor allem durch den Zuzug von Studierenden geprägt und auch private Modernisierungsaktivitäten verliefen zunächst zurückhaltender als in den anderen Ostberliner Innenstadtbezirken. Ende der 1990er Jahre, beschleunigt durch die Kommerzialisierung und Verdrängung subkultureller Einrichtungen in Mitte und Prenzlauer Berg, etablierte sich auch in Friedrichshain eine für Gentrificationprozesse typische Event- und Vergnügungsstruktur. Insbesondere die Simon-Dach-Straße und ihre Umgebung entwickelten sich zu einem regelrechten Ausgehviertel. Unzählige Bars, Kneipen und Clubs prägen bis heute das Bild der Nachbarschaft. Die Zahl der traditionellen Eckkneipen hingegen hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verringert. In Feuilletons und Stadtmagazinen wurde Friedrichshain Ende der 1990er Jahre als neues Szeneviertel gefeiert und den inzwischen als langweilig und etabliert beschriebenen Wohngebieten in Mitte und Prenzlauer Berg gegenübergestellt. Auch wenn es meines Wissens keine Beispiele für die direkten Umzüge einzelner Bars und Clubs nach Friedrichshain gibt, kann von einer Verlagerung einer Pionierszene gesprochen werden. Die zunehmende Kommerzialisierung der Kneipen und Bars in den letzten Jahren führte verstärkt auch zu Konflikten in Friedrichshain. So wurden in den vergangenen Monaten mehrfach Scheiben einer Cocktailbar eingeschlagen und Buttersäure in mehreren Restaurants geschüttet (Hasselmann 2009). Um vergleichbare Konflikte in Mitte oder Prenzlauer Berg zu finden, muss bis in 1990er Jahre zurückgegangen werden. Trotz der verzögerten Pionierphase hat auch in Friedrichshain eine umfassende Modernisierung der Altbauten stattgefunden. Obwohl die Mietpreise deutlich unter denen in Mitte oder Prenzlauer Berg liegen, sind sie für ärmere Haushalte nicht zu bezahlen. Untersuchungen von Mieterinitiativen haben schon 2007 festgestellt, dass modernisierte Wohnungen in den Sanierungsgebieten für Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften (ehemalige Sozialhilfe und Langzeitarbeitslose) die gesetzlich festgelegten Höchstgrenzen der Miethöhe übersteigen (Linde 2006).  So setzen sich auch in Friedrichshain Tendenzen der sozialen Schließung und Exklusion durch.

Nordneukölln: Gentrification in Lauerstellung

Die Altbauviertel von Nordneukölln gelten seit langem als soziale Problemgebiete und weisen in Berlin die höchsten Anteile von migrantischen und ärmeren Bevölkerungsgruppen auf. Die Rütli-Schule in der Nähe des Reuterplatzes wurde 2006 zum landesweiten Beispiel für eine verfehlte Intergrationspolitik an den Schulen und auch die Bausubstanz ist von vielen unsanierten Häusern geprägt (Walther/Ritterhof 2007: 23 ff). In Zusammenarbeit mit dem Quartiersmanagement versucht eine Zwischennutzungsagentur rund um den Reuterplatz seit einigen Jahren die vielen leerstehende Gewerberäume kostengünstig an Künstler/innen, Kulturprojekte, Designer/innen und experimentelle Planungsbüros zu vermitteln. Mit der Vermietung von inzwischen über 80 Gewerberäumen hat sich zumindest das Straßenbild rund um den Reuterplatz deutlich verändert. Hippe Läden wie der Laden Ahoi! (Pfügerstr. 78b) oder der Kunstfriseur Lucella Mannino (Hobrechttsr. 12) , Szenetreffpunkte wie die Friedel 54 (Friedelstr. 54) und eine reiheReihe neueröffneter Kneipen wie das Freies Neukölln (Panier/Weserstr.) stehen für den Imagewandel des Gebietes (Holm 2007). Im Stadtmagazin Zitty – seit jeher ein Trendsetter, wenn es darum geht „neue“ Stadtteile zu entdecken – titelte im März 2008 mit der Schlagzeile: „Neukölln rockt. Mit der zitty unterwegs in Berlins derzeit spannendstem Bezirk“ (Zitty 2008). Diese mediale Kreation eines ‚Geheimtips’ kann als symbolische Gentrification (Lang 1995) angesehen werden, die in ihren Beschreibungen den künftigen Aufwertungsprozessen vorausgeht. In den kleinräumigen Sozialstatistiken sind noch keine relevanten Verschiebungen der Bevölkerungszusammensetzung abzulesen – auffällig ist allenfalls ein deutlich positives Wanderungssaldo mit den Sanierungsgebieten in Friedrichshain (IBB 2008: 71f). Umfragen unter Studierenden die am Reuterplatz wohnen, bestätigen die hohe Attraktivität der Wohngegend insbesondere für ein Alternativmilieu. So beobachteten langjährige Bewohner/innen, dass sich die Leerstandszahlen deutlich reduziert haben und viele neue Wohngemeinschaften in die Häuser gezogen sind. Auch ein Blick in die Wohnungsannoncen bestätigt einen Anstieg der Mietpreise bei Neuvermietungen. Während noch vor wenigen Jahren die Vermieter/innen mit „Kreuzbergnähe“ warben um die Lage der Wohnung in Neukölln zu verbergen, wird in den aktuellen Immobilienanzeigen offensiv mit dem „Wohnen am Reuterplatz“ oder dem Kunstwort „Kreuzkölln“ geworben. Gegen einen beschleunigten Aufwertungsprozess spricht jedoch die immer noch von Einzeleigentümer/innen geprägte Eigentümerstruktur im Gebiet, die oft nicht über genügend Investitionsmittel für eine umfassende Modernisierung verfügen. Insbesondere bei älteren Hausbesitzer/innen jedoch besteht die Gefahr, dass im Erbschaftsfall die Grundstücke meistbietend verkauft werden. Mit solchen Eigentümerwechseln entstünde ein erhöhter Aufwertungsdruck für die Gegend (Holm 2007).

Kreuzberg: Steigende Mieten, soziale Polarisierung und Verdrängung aus dem Lebensstil

Auch in Kreuzberg, dem Ausgangspunkt der Aufwertungskarawane in Berlin, haben sich 20 Jahre nach der „Behutsamen Stadterneuerung“ Immobilienverwertungsinteressen formiert. In den ehemaligen Sanierungsgebieten Chamissoplatz, Luisenstadt und Wrangelkiez waren in den vergangenen fünf Jahren vielfache Eigentümerwechsel zu verzeichnen. Insbesondere internationale Investoren erwarben Grundstücke in den Kreuzberger Altbaugebieten und insbesondere die Neuvermietungsmieten zogen deutlich an. Sozialstudien zeigen, dass sich auch die Bestandsmieten erhöht haben und die durchschnittliche Mietbelastung deutlich gestiegen ist (Topos 2008). Die Aufwertung in Kreuzberg – so die Ergebnisse der Untersuchungen – führen bisher nicht zu einer Verdrängung der ärmeren Bevölkerungsgruppen. Deren Anteil an der Gesamtbevölkerung ist in den letzten Jahren sogar angestiegen, doch gleichzeitig hat sich auch der Anteil von höheren Einkommen deutlich vergrößert. Kreuzberg ist zunehmend von einer kleinteiligen sozialen Polarisierung geprägt. Der frühere Kreuzberger Mix von Alternativkultur, türkischer Community und städtischer Armut wird in den letzten Jahren durch Zuzug von Besserverdienenden ergänzt. Luxuswohnprojekte wie das umstrittenen Car-Loft in der Reichenberger Straße oder die Paul-Lincke-Höfe in der Ecke Reichenberger/Liegnitzer Straße stehen exemplarisch für diesen Trend und wurden in der jüngsten Vergangenheit auch immer wieder zum Ziel von Protestaktionen (Berliner Morgenpost 2008). Doch die bisher ausbleibende Verdrängung aus den Gebieten kann nicht als soziale Entwarnung missverstanden werden. Insbesondere die steigenden Mietbelastungsquoten auf durchschnittlich fast 40 Prozent der verfügbaren Haushaltseinkommen verweisen auf die hohen sozialen Kosten der steigenden Mietpreise. Insbesondere ärmere Haushalte sind so gezwungen, in anderen Lebensbereichen deutlich zu sparen und ihren Lebensstandard abzusenken. In der Gentrificationforschung wurden solche Effekte als ‚Verdrängung aus dem Lebensstil“ bezeichnet (Blasius 1994: 408).

Berliner Aufwertungszirkel

Die hier skizzierten Entwicklungen des Berliner Aufwertungsgeschehens der vergangen 20 Jahre verdeutlichen zweierlei. Zum einen verweisen sie auf eine zirkuläre Logik der Gentrification, die durch verschiedenen Wellen der Aufwertung in einem Gebiet gekennzeichnet ist. Die klassischen Abläufe von Pionierphasen, Modernisierungsphase mit Verdrängungseffekten und einer darauf aufbauenden dritten Welle der Gentrification (Butler/Lees 2006), in der sich Luxuswohnsegmente durchsetzen, können in Berlin vor allem in Mitte und Prenzlauer Berg beobachtet werden. Das Beispiel Kreuzberg zeigt, dass mit einer zeitlichen Verzögerung (die im Beispiel mit dem Ende der Fördebindungen zusammenfällt) auch bereits modernisierte Wohngebiete von einer erneuten Aufwertung erfasst werden können. Hintergrund dieser Aufwertungswellen sind in den Verwertungslogiken der Immobilienwirtschaft zu finden, die immer dann in eine Modernisierung investieren, wenn eine Ertragslücke (‚rent gap’) zwischen der Momentane und der potentiell möglichen Nutzung eines Gebietes besteht (Smith 1979).

Die zweite Erkenntnis der Berliner Entwicklung besteht in der räumlichen Verlagerung der Aufwertungsschwerpunkt. Insbesondere für die Pionierphasen der Gentrification kann eine regelrechte Wanderung durch die Stadt nachgezeichnet werden, die in Intervallen von etwa fünf Jahren ins nächste Viertel weiterzieht. Auch diese Aufwertungskarawanen haben einen wohnungswirtschaftlichen Hintergrund. Zum einen verändern sich durch die beginnenden Modernisierungsaktivitäten in Aufwertungsgebieten die Mietpreise auch für die Gewerbenutzungen, so das insbesondere subkulturelle und improvisierte Nutzungen, die auf preiswerte Räume angewiesen sind, in andere Gebiete ausweichen. Zum anderen ist mit der Etablierung solcher kultureller und subkultureller Nutzungen ein Imagewandel der Wohngebiete verbunden, die in der medialen und öffentlichen Wahrnehmung in „Künstlerviertel“, „Galerienquartiere“ oder „Szenebezirke“ verwandelt werden. Aus einer immobilienwirtschaftlichen Perspektive ist diese symbolisch Aufladung des Gebietes die Konstitution eines ‚besonderen Ortes’, der sich letztlich zu höheren Preisen vermarkten lässt. Das Mantra des Immobilienmarktes lautet seit jeher „Lage, Lage, Lage“ und eine exklusive (im Sinne von besonderer) Lage entsteht nicht nur durch Verkehrsanbindungen, Wohnumfeldgestaltungen oder Zentrumsnähe, sondern eben auch durch das Raumbild eines Wohngebiets. Dieser Logik „besonderer Orte“ folgend, erscheint es als rationale Strategie, immer wieder neue Szeneviertel zu entdecken oder zu schaffen. Der Kreislauf der Gentrification wird also Berlin auch die nächsten Jahre begleiten.

Literatur:

Arndt, Susan u.a. (Hg.) 1991: Berlin – Mainzer Straße. Wohnen ist wichtiger als das Gesetz. Berlin: BasisDruck.

ASUM – Arbeitsgruppe für Sozialplanung und Mieterberatung 2003: Sozialstudie zur Fortschreibung der sozialen Sanierungsziele und der Mietobergrenzen. Untersuchung im Auftrag der Mieterberatung Prenzlauer Berg. Berlin

Berliner Morgenpost 2008: Nachbarn protestieren gegen Lofts mit Auto-Aufzug. In: Berliner Morgenpost vom 11.07.2008 (http://www.morgenpost.de/bezirke/friedrichshain-kreuzberg/article685410/Nachbarn_protestieren_gegen_Lofts_mit_Auto_Aufzug.html, zuletzt aufgerufen am 07.06.2009)

Blasius, Jörg 1994: Verdrängungen in einem gentrifizierten Gebiet. In: Dangschat, Jens; Blasius, Jörg (Hrsg.): Lebenstile in den Städten. Konzepte und Methoden. Opladen: Leske + Budrich,  408-425

Bourdieu, Pierre 1991: Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum, in: Wentz, Martin (Hg.): Stadt-Räume., Frankfurt a.M.;  New York 1991, S. 25-34

Bourdieu, Pierre 1997: Ortseffekte, in: Pierre Bourdieu et. al. (Hrsg.): Das Elend der Welt. Konstanz: UVK, S. 159-168

Butler, Tim; Lees, Loretta 2006: Super-gentrification in Barnsbury, London: globalization and gentrifying global elites at the neighbourhood level. In: Transactions of the Institute of British. Geographers, Vol. 31,  467–487

Dieser, Hartwig 1996: Restitution. Wie funktioniert sie und was bewirkt sie? In: Häußermann, Hartmut; Neef, Rainer (Hrsg.): Stadtentwicklung in Ostdeutschland. Opladen: Leske + Budrich, 129-138

Hasselmann, Jörn 2009: Was ist los im Simon-Dach-Kiez?In: Der Tagesspiegel, 16.03.09 (http://www.tagesspiegel.de/berlin/Saeure-Friedrichshain-Leserdebatte;art270,2752388, zuletzt aufgerufen am 07.06.2009)

Häußermann, Hartmut; Holm, Andrej; Zunzer, Daniela 2002: Stadterneuerung in der Berliner Republik. Modernisierung in Berlin-Prenzlauer Berg. Opladen: Leske + Budrich

Holm, Andrej 2007: „Endstation Neukölln“ oder „neuer Trendkiez“? In: MieterEcho, Zeitschrift der Berliner MieterGemeinschaft,  324/2007, 6-9

Hübner, Regine; Hübner, Manfred 1993: Durst, Kultur und Demokratie – Berliner Kneipen in der Mitte der Stadt. In: Fischer, Silke (Hg.): Kultur aus der Mitte: Zwischen Alltag und Stadtpolitik im Berliner Bezirk Mitte. Berlin: Trescher

IBB (Investitionsbank Berlin) 2008: IBB-Wohnungsmarktbericht 2008. Berlin: IBB

Kennedy, Maureen; Leonard, Paul 2001: Dealing with Neighbourhood Change: A Primer on Gentrification and Policy Choices. The Brookings Institution Center on Urban and Metropolitan Policy, PolicyLink

Koordinationsbüro zur Unterstützung der Stadterneuerung in Berlin 2009: Die Sanierung der Rosenthaler Vorstadt 1994-2009 – Prozess und Ergebnisse. Berlin: Koordinationsbüro

Krajewski, Christian 2006: Urbane Transformationsprozesse in zentrumsnahen Stadtquartieren – Gentrifizierung und innere Differenzierung am Beispiel der Spandauer Vorstadt und der Rosenthaler Vorstadt in Berlin. Münster: Institut für Geographie

Linde, Christian 2006: Der Wohnungsmarkt in Friedrichshain ist für ALG-II-Beziehende leer gefegt. In: MieterEcho, Zeitschrift der Berliner MieterGemeinschaft,  319/2006, 6-7

PFE (Büro für Stadtplanung, -Forschung und-Erneuerung) 2008: Sanierungsgebiet Kollwitzplatz 2008, Studie im Auftrag des Bezirksamtes Pankow. Berlin

Reimann, Bettina 2000: Städtische Wohnquartiere. Opladen: Leske + Budrich

Topos Stadtplanung 2008: Sozialstruktur und Mietentwicklung in den Milieuschutzgebieten von Kreuzberg (Luisenstadt, Gräfestraße, Bergmannstraße-Nord. Untersuchung im Auftrag des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin, Amt für Stadtplanung und Vermessung

Walther, Uwe-Jens; Ritterhoff, Frank (Hrsg.) 2007: Knallhart? – Sozialstudie Neukölln. Bericht eines Hauptstudienprojektes am Institut für Soziologie am Institut für Stadt- und Regionalplanung an der TU Berlin. Berlin

Zitty 2008:. Neukölln rockt. Mit der zitty unterwegs in Berlins derzeit spannendstem Bezirk. Zitty, Das Hauptstadtmagazin, 2008/06, http://reuterkiez.net/2008/03/11/zitty-neukoelln-rockt/(zuletzt aufgerufen am 28.05.09)

Zukin, Sharon 1990: Socio-Spatial Prototypes of a New Organization of Consumption: The Role of Real Cultural Capital’, in: Sociology, vol.24 no.1, pp. 37―56


Antworten

  1. […] Gentrification Blog: Die Karawane zieht weiter – Stationen einer Aufwertung […]

  2. Und die Spirale dreht sich weiter…

    Vor ein wenig mehr als einem Jahr bin ich aus dem Friedrichshain (Rigaer Str.) nach Tempelhof gezogen, da ich mir die Mieten im Friedrichshain durch die Bank weg nicht mehr leisten konnte. Ich bin damals nach Friedrichshain aus den bekannten Gründen gezogen (alternativer/Szenekiez, viele Studis, gute Infrastruktur…), und schon damals waren die Mieten hoch, doch knapp anderthalb Jahre später waren die Mieten um ca. 12 % gestiegen. Da meine alte WG sich aufgelöst hatte, musste ich mir was Neues suchen und stellte nach ein paar Wochen der Suche in Friedrichshain fest, dass ich mir die Einzimmerwohnungen (sogar die wirklich miesen) nicht mehr leisten kann und das WGs völlig überlaufen waren. (Ich war bei einer Besichtigung in der Gabelsberger Str., die Wohung war für 28 qm mit knapp über 300 Euro warm schon ziemlich teuer, doch als ich auf die ca. 40 Interessenten traf wars auch schon aus. Die tollste Szene war, als ein Interessent in die Menge rief: „Ihr scheiß Münchner und Yuppies, sucht euch gefälligst was anderes“). Ich erweiterte meinen Suchradius und landete in Tempelhof, das nächste an der Mitte und am Leben, was ich mir leisten konnte (auf Lichtenberg, wie so viele in der Situation hatte ich dann doch keine Lust). Tempelhof ist ein netter Bezirk, grün, ruhig (das Berliner Rentnerdomizil, wenn man mal vom T-Damm absieht), aber trotzdem nahe an Kreuzberg und gut angebunden. Und nun lebe ich schon über ein Jahr hier und dachte es würde hier nicht so schnell gehen wie in Friedrichshain und Nordneukölln, doch nun sehe ich immer mehr Studenten und alternatives Volk, welches nach Tempelhof zieht (worüber ich mich eigentlich freuen sollte) und muss mir nun schin wieder Gedanken machen, dass ich vielleicht in ein paar Jahren mir nicht mal mehr Tempelhof leisten kann. Grade die schöne Abbildung zu beginn des Artikels verdeutlicht, wo die Spirale sich weiter hin bewegt: Tempelhof. Alter Bezirk, die Mieten waren bezahlbar, dann kamen die Menschen mit migrantem Hintergrund und brachten ein wenig Vielfalt, dann die Studis und Alternativen und als nächstes die Bars und Künstler…und der Wandel ist schon vorprogrammiert, mit dem ehemaligen Flughafengelände, um das nicht wenig diskutiert wird (hier auch schon öfter thematisiert). Und da kommt dann auch irgendwann Frust auf, wenn man von einem Bezirk zum nächsten flieht, um der Getrifizierung (und den damit verbundenen Mietpreisen) zu entkommen. Und wenn dann tausende auftauchen und einen Flughafen besetzen wollen, um den Raum für die Öffentlichkeit zu sichern und auch aufzuzeigen, dass etwas schief läuft, spätestens dann sollte der Senat mal darüber nachdenken und nicht diese Form der Demonstration niederschlagen und verdrängen…

  3. Was sollte der Senat deiner Meinung nach machen Die Karawane wandert dahin wo es (noch) bezahlbar ist. Eine Entwicklung die kaum mit Mitteln der Politik aufzuhalten ist, auch wenn das die Meinung und der Wunsch derjenigen ist, die wegziehen müssen, wenn die Wohnung nicht mehr bezahlbar ist. Nehmen wir mal an, das Flughafen-Gelände würde im Sinne der Besetzer umgestaltet – sinkt dann die Attraktivität des Bezirkes?

    • Hi Andre,
      hatte gar nicht mitbekommen, dass du eine Frage dazu hattest, sorry. Bin grade über mein Zitat in der Zitty und dein Bericht darüber darauf aufmerksam geworden. Muss nochmal schauen, wie die Zitty mich genau zitiert hat, sieht irgendwie so aus, als wäre ich der Rufer gewesen…

      Egal, zu deiner Frage:
      Du hast ja recht, die Sache ist ein kapitalistischer/moderner Selbstläufer. Aber der Senat könnte in solchen Situationen darauf verzichten, seine Wohnungen und Wohnungsbaugenossenschaften zu verschachern. Gut, trifft jetzt auch nicht in Tempelhof zu. Park macht das ganze auch nicht weniger attraktiv… Es wäre schön, wenn Pleite-Berlin, sich um Wohnungskäufe kümmern könnte, Wohnungsbaugenossenschaften gründen und faire Mietpreise anbieten würde. Ich weiß, ich lebe in einer Traumwelt, aber ich bin in einer feinen kleinen Wohnungsbaugenossenschaft (gemeinnütziger Verein) untergekommen, die von sowas wie Mietsteigerung nichts wissen, die passen sich höchstens mal den steigenden Betriebskosten an.

      Es ist immer einfacher auf die Politik zu zeigen, aber manchmal sind es auch diejenigen, die die Politik machen und Entscheidungen treffen, wie z.B. mit Tempelhof, Bebauungspläne absegnen, Lobbyisten empfangen und Situationen entschärfen oder auch verschärfen können.

      Wen würdest du als den „Schuldigen“ der Misere sehen (eine Pauschalisierung bzw. Fokussierung ist da wahrscheinlich schwer möglich)? Was kann man anders machen, generell, aber auch in Zusammenhang mit dem Flughafen?

  4. Hallo Andre, dass Problem sind ja nicht die Karawane der Pionierszenen, sondern die Verknüpfungen zwischen symbolischer/Kultureller Aufwertung und ökonomischer Verwertung in den Gebieten. Mietregulierungen, geförderte Wohnungen und kommunale Bestände könnten helfen, auch in Aufwertungsgebieten preiswerte Wohnungsbestände zu sichern und soziale Verdrängungssdynamiken zu vermindern.
    Mit den Beendigung von Förderprogrammen 2001, dem Verkauf öffentlicher Wohnungsunternehmen (ebenfalls v.a. ab 2001) und der Liberalisierung des Baurechts (Beschluss der neuen Berliner Bauordnung 2005) gibt es eine ganze Reihe von politischen Entscheidungen der vergangenen Jahre, die sich als Katalysatoren der Aufwertung erwiesen haben. Die Frage ist also nicht nur, „was soll den der Senat da machen“ – sondern eben auch: „welche Verantwortung trägt der Senat für die bisherigen Entwicklungen“.
    Ich würde mir wünschen, dass eine regelmäßige räumliche Neuformation städtischer Szenen möglich ist, ohne jedesmal eine eine breite Spur der steigenden Mieten, sozialen Ausschlüssen und Kommerzialisierungen nach sich zu ziehen. Eine landespolitische Rückkehr zu einer sozialorientierten Stadt- und Wohnungspolitik wäre ein erster Schritt dazu.

  5. Möglicherweise ist es einfach eine Generationenfrage. Studenten „entern“ einen Bezirk, machen ihn hip, danach werden die Studis berufstätig und gehören früher oder später zu einer arrivierten Gesellschaftsschicht, die über mehr Geld verfügt. Die nachwachsenden Studenten haben sich derweil einen anderen Bezirk zum entern ausgesucht. Irgendwann werden auch die älter und einkommensstärker. So gentrifiziert sich quasi jeder selbst.

    PS. Im einleitenden Text kaufe ich ein „den“ und einen weiteren Bindestrich für die Wörter „erscheinen“ und „Istanbul Berlin-Stadtreader“. 🙂

  6. Ich stehe der ganzen Thematik unschlüssig gegenüber. Einerseits sind da die geschilderten negativen Effekte, andererseits ergibt sich auch eine Aufwertung der Bezirke, eine Verbesserung der Gebäude, der Infrastruktur. Wäre es besser, die vielen Harlems sich selbst zu überlassen? Wer würde davon profitieren? Die Studenten, die Künstler, Leute im biographischen Interimszustand? Die meisten „Harlem“-Bewohner leben nämlich nicht unbedingt gerne in vernachlässigten Ecken und die Studenten und Künstler undsoweiter verlassen die wild-pittoreske Gegend auch gerne, wenn der eigene soziale Status im Aufstieg begriffen ist bzw. die eigenen Kinder ins schulpflichtige Alter kommen.

  7. […] mehr) — denn die Konflikte zwischen Dealern und Anwohnern häufen sich, auch durch den Zuzug solventer Mieter in den Wrangelkiez. Der nächste Polizeieinsatz wird nicht lange auf sich warten […]

  8. […] Berlin: Die Karawane zieht weiter – Stationen einer Aufwertung – Andrej Holm, Gentrifica… […]


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