Verfasst von: ah | Juni 20, 2020

Berlin: Mietendeckel, Scheinriese Wohneigentum und die Sehnsucht nach leistbaren Mieten

Während meiner Schulzeit hatte ich die Gelegenheit, 1986 oder 1987 an einem Jugendaustausch in Polen teilzunehmen. Da die Reisemöglichkeiten in der DDR begrenzt waren, nahm ich die Gelegenheit gerne an. Zum Programm gehörte auch die Teilnahme an der 1. Mai-Demonstration in Warschau. Nach dem wir die Tribüne mit der Partei- und Staatsführung passiert hatten, wurde die Straße gesperrt und wir wurden über einen Umweg ein zweites Mal an der Tribüne vorbeigeführt. Für die Ehrengäste wirkte die Demonstration so viel größer als sie eigentlich war. Obwohl sich die Zahl der Teilnehmenden durch die zusätzliche Schleife nicht verändert hatte, wurden wir und viele andere mehrfach gezählt …

Die Schwierigkeit, die richtige Perspektive zur Bestimmung einer Menge zu finden, gibt es auch in der Statistik. Aktuell hat ImmobilienScout24 Zahlen veröffentlicht, die belegen sollen, dass seit der Einführung des Mietendeckels in Berlin mehr Eigentumswohnungen und weniger Mietwohnungen angeboten werden. Als Bezugspunkt für die Aussagen hat das Immobilienportal die wöchentlichen Veränderungen der jeweiligen Angebotszahlen ausgewertet. Das klingt präzise, weil es sehr kleinteilige Aussagen verspricht. Doch wenn Eigentumswohnungsangebote länger annonciert werden müssen, weil z.B. Kaufabschlüsse mehr Zeit brauchen als die Unterzeichnung von Mietverträgen, kann es geschehen, dass dieselben Eigentumswohnungsangebote in mehreren Wochen gezählt werden, obwohl sich die Zahl der angebotenen Eigentumswohnungen gar nicht verändert hat …

In der Diskussion zum Mietendeckel werden gerne und oft alle möglichen Zahlen präsentiert, die das Scheitern des Instrumentes oder sogar den Zusammenbruch des Mietwohnungsmarktes belegen sollen. Besonders hoch im Trend stehen dabei Vergleiche von Angeboten für Miet- und Eigentumswohnungen, die auf Tages- oder Wochenbasis vorgestellt werden. Warum und wie die Auswahl der Zeiträume bei der Darstellung von wohnungsbezogenen Daten zur Verzerrung der tatsächlichen Verhältnisse beiträgt, wird im Folgenden beschrieben.

Verstärkt der Mietdeckel den Trend zum Wohneigentum?

In den aktuellen Debatten rund um den Beschluss zum Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) wurden vielfach Befürchtungen geäußert, dass damit der Mietwohnungsmarkt zusammenbrechen würde, weil vernünftig kalkulierende Eigentümer*innen nicht zu den Mietendeckel-Konditionen vermieten würden.

Immowelt (17.06.2020): „Unsere Befürchtungen haben sich leider bewahrheitet: Der Mietendeckel verschärft das Auseinanderdriften am Wohnungsmarkt weiter. Das zeigt das deutlich stärker steigende Mietpreisniveau bei nicht regulierten Neubauten“, sagt Prof. Dr. Cai-Nicolas Ziegler, CEO der immowelt AG. „Zusätzlich führt der Mietendeckel dazu, dass viele Mietobjekte aufgrund der zu geringen Rentabilität zum Verkauf angeboten werden und somit dem Mietmarkt entzogen werden.“

Berliner Morgenpost (24.02.2020): „Mietendeckel ist in Kraft getreten – und im Internet dominieren die Neubauwohnungen“

Gern genutzter Strichwortgeber in den Diskussionen ist das Internetportal ImmobilienScout24, das mit seinem Verbreitungsgrad über ein Datenmonopol für einen Großteil der privaten Vermietungs- und Verkaufsangebote in Berlin verfügt.

WirtschaftsWoche (23.02.2020): „Was passiert auf dem Berliner Immobilienmarkt, wenn der Mietendeckel in Kraft tritt? Ein Effekt ist wohl, dass Eigentümer zunehmend versuchen, ihre Wohnungen abzustoßen. Darauf deutet eine Analyse des Portals Immobilienscout24 hin.“

Auch eine aktuelle Presseinformation eines Immobilienportals bestätigt die Befürchtungen. In einer Mitteilung von Immobilienscout24 vom 17.06.2020 wird für Berlin mitgeteilt,

„… dass seit Anfang Juli 2019 verstärkt Eigentumswohnungen zum Kauf angeboten werden und das Angebot von Mietwohnungen gleichzeitig sinkt. Im Vergleich zu allen anderen Großstädten hat der Mietendeckel dazu geführt, dass die Mietpreise weitgehend stabil bleiben und in einigen Bezirken sogar leicht gesunken sind.“

Eine Grafik stellt dabei die Entwicklung der Wohnungsangebote im Miet- und Eigentumsbereich in den Beständen dar, die vor 2014 fertiggestellt wurden und somit unter die Regulierungen des Mietdeckels fallen.

 

ImmoScout24: Angebotsschere zwischen Eigentums- und Mietwohnungen geht weiter auseinander. Grafik zur Entwicklung der Angebote von Miet- und Eigentumswohnungen (Baujahr vor 2014) in Berlin. Quelle: ImmobilienScout24 (2020) (https://www.presseportal.de/pm/31321/4625790)

Die dabei dargestellten Daten zeigen (für die 25 KW im Jahr 2019) ein Verhältnis von 1:2,4 zugunsten der Eigentumswohnungsangebote. Für die aktuelle Woche (23 KW 2020) weisen die Daten von Immobilienscout24 ein Verhältnis von Miet- zu Eigentumswohnungen von 1:5,8 aus. Es gibt in dem dargestellten Segment also inzwischen fast sechs Mal mehr Eigentumswohnungsangebote als Mietangebote.

Der Pressemitteilung sind eine Reihe von weiteren Informationen zu den Entwicklungen in den letzten 12 Monaten zu entnehmen:

  • Rückgang der Mietangebote insgesamt -28%
  • Rückgang der Mietangebote (mit Baujahr vor 2014) -44%
  • Anstieg der Mietangebote (mit Baujahr nach 2014) +18%
  • Anstieg der Eigentumswohnungsangebote insgesamt +20%
  • Anstieg der Eigentumswohnungsangebote (mit Baujahr vor 2014) +37%

Rechnerisch kann aus diesen Angaben abgeleitet werden, dass sich der Anteil der Angebote der Baujahre vor 2014 von 74 Prozent (2019) auf 58 Prozent (2020) aller Mietwohnungsangebote verringert hat. Im Eigentumsbereich stellt sich die Verschiebung entgegengesetzt dar. Unter der Annahme, dass die Eigentumswohnungsangebote der Baujahre nach 2014 vom Mietendeckel nicht beeinflusst werden, ergibt sich für die Eigentumswohnungen in den vor 2014 fertiggestellten Beständen ein Anstieg von 54 Prozent (2019) auf 62 Prozent (2020) aller Eigentumswohnungen.

 

Die Grafik von ImmobilienScout24 für die Baujahre „vor 2014“ blendet etwa 40 Prozent aller angebotenen Wohnungen aus, bietet aber wegen der entgegengesetzten Entwicklungstendenzen in den ausgewählten Teilsegmenten ein besonders deutliches Bild. Wie würde das Gesamtbild unter Einbeziehung aller Miet- und aller Eigentumswohnungsangebote aussehen?

Das Verhältnis zwischen Miet- und Eigentumswohnungen wäre bereits im Jahr 2019 (also vor der Einführung des Mietendeckels) mit 1:3,3 deutlich höher als in der Grafik (1:2,4) dargestellt. Für das Jahr 2020 hingegen fällt das Verhältnis der Gesamtzahlen aller Angebote mit einem Verhältnis von 1:5,5 Miet- zu Eigentumswohnungen etwas geringer aus als in der Einzelbetrachtung der älteren Jahrgänge (1:5,8). Das mögen unbedeutende Unterschiede sein – zumal der Trend ja derselbe bleibt. Doch die Entscheidung für die Beschränkung der Grundgesamtheit hat Folgen für die Wahrnehmung der Daten. In der Teilbetrachtung lässt sich die Differenz zwischen den Miet- und Eigentumswohnungsangeboten deutlicher darstellen.

Ein grafischer Vergleich der Entwicklungen von Miet- und Eigentumswohnungen für die Teilgruppe (Baujahre bis 2014) und für alle Angebote zeigt auf der Basis vereinheitlichter Ausgangswerte wie sich die unterschiedlichen Veränderungsdynamiken auf die Darstellung der Differenz auswirken. Aus der Perspektive der Grafik von Immobilienscout24 vergrößert sich der Abstand zischen den Miet- und Eigentumswohnungen um fast 150%. Auch in der Simulation mit den Gesamtzahlen wächst die Differenz deutlich – bleibt mit einem Zuwachs von 84% deutlich unter den Steigerungsraten der Teilbetrachtung von ImmobilienScout24.

 

Ganz unabhängig von der Auswahl der Grundgesamtheit zeigen die Daten von ImmobilienScout24 jedoch deutlich, dass die Schere zwischen Miet- und Eigentumswohnungsangeboten wächst. Die erwarteten Reaktionen von Eigentümer*innen – eher auf den Verkauf, als auf die Vermietung zu setzen – scheinen sich zu bestätigen. Doch was bedeuten die Zahlen, die hier im Wochentakt dargestellt werden?

 

Wie die Zeitspanne der Beobachtung die Wahrnehmung manipuliert

Neben der Definition der Grundgesamtheit sind statistische Darstellungen auch von den gewählten Beobachtungszeiträumen abhängig. Dabei gibt es zum Teil deutliche Unterschiede zwischen Momentaufnahmen (z.B. Stichtagsregeln) und Datenerfassungen über festgelegte Zeitspannen. Am Beispiel der Daten zu Miet- und Eigentumsangeboten auf Immobilienportalen kann dies anschaulich gezeigt werden.

So bestätigt beispielsweise der Tagesabruf von Miet- und Eigentumswohnungsangeboten ohne sonstige Sucheinschränkungen zunächst das scheinbar klare Bild: Nur 2.515 Mietwohnungen stehen 7.290 Eigentumswohnungen gegenüber (Suchanfrage am 19.06.2020). Das Verhältnis Miet- zu Eigentumswohnungen fällt mit 1:2,9 eindeutig zu Gunsten der Eigentumswohnungen aus (und liegt in etwa auf dem Niveau der Daten von ImmobilienScout24 für die erste Juniwoche 2020 mit 1:3,3).

Doch was sagt es aus, wenn zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr Angebote für Eigentumswohnungen gezählt werden? Werden wirklich mehr Eigentumswohnungen angeboten, oder könnte es sein, dass Eigentumswohnungen länger im Portal angeboten werden müssen, bis sie erfolgreich verkauft werden?

Der 24-Stunden-Vergleich der Angebote zeigt dabei, dass die Veränderungen zwischen Miet- und Eigentumswohnungen auf dem Internetportal unterschiedlich ausfallen.

Die Zahl der Angebote für Eigentumswohnungen hat sich in 24 Stunden um 16 verringert, das entspricht einem Rückgang von 0,2%. Mit anderen Worten, wenn in diesem Zeitraum keine neuen Angebote eingestellt wurden, konnten an einem Tag 16 der angebotenen Wohnungen verkauft werden. Bei diesem Verkaufstempo würde es rechnerisch 456 Tage dauern, bis alle Angebote vom 19.06.2020 verkauft sind. Bei den Mietwohnungen beträgt der Umschlag pro Tag immerhin 1,5%. Wenn wir davon ausgehen, dass keine zusätzlichen Angebote eingestellt wurden, konnten innerhalb von 24 Stunden 37 Wohnungen vermietet werden. Eine vollständige Vermietung aller angebotenen Mietwohnungen vom Vortag würde dann nach 68 Tagen abgeschlossen sein.

Den Einwand, dass solche Zahlenspielereien keine Aussagekraft haben, lasse ich gerne gelten! Denn es ist einleuchtend, dass sich erst über einen längeren Beobachtungszeitraum valide Aussagen treffen lassen. Dennoch gibt die 24-Stunden-Analyse einen Hinweis, dass Angebote für Miet- und Eigentumswohnungen unterschiedlich lange auf den Seiten der Plattformen angeboten werden. Ein gefülltes Regal kann eben auch aus Ladenhütern bestehen und muss nicht nur auf eine Angebotserweiterung zurückzuführen sein, wie es die Interpretationen der ImmobilienScout24-Daten nahezulegen versuchen.

Ein Blick auf einen leicht veränderten Beobachtungszeitraum belegt den Ladenhüter-Effekt der Angebote von Eigentumswohnungen. Der Guthmann Marktreport „Immobilienmarkt Berlin“ wertet mehrere Internetportale aus und veröffentlicht die Zahlen im monatlichen Rhythmus.

Für den Monat Mai 2020 wird dort (trotz hoher Unterschiede der Wochenwerte in der ImmobilienScout24 Grafik) ein Angebot von 10.750 Eigentumswohnungen und 6.640 Mietwohnungen dargestellt. Es sind immer noch mehr Eigentumswohnungen, aber das Verhältnis liegt nur noch bei 1:1,6. Dieses Verhältnis liegt knapp über dem Schnitt der letzten 12 Monatswerte. Die Ausweitung des Beobachtungszeitraums fällt also zu Gunsten der Mietwohnungen aus.

Dass Momentaufnahmen wenig über die Mengenverhältnisse zwischen den Angeboten für Miet- und Eigentumswohnungen aussagen, wird noch deutlicher, wenn wir uns die Entwicklung über einen noch längeren Zeitraum anschauen. Obwohl die monatlich gezählten Angebote für Eigentumswohnungen fast durchgehend höher ausfallen als die Mietwohnungsangebote, zeigt sich in der Jahresbilanz (bei der jedes Angebot nur einmal gezählt wird) ein deutliches Übergewicht der Mietwohnungen. Das Verhältnis von Miet- zu Eigentumswohnungen hat sich in der 12-Monats-Perspektive auf 2,3:1 zugunsten der Mietwohnungen umgekehrt.

Wenn sich in einer erweiterten Zeitspanne die Verhältnisse zwischen zwei Indikatoren verändern, kann das auf unterschiedliche Umschlagzeiten zurückzuführen sein. Es ist naheliegend, davon auszugehen, dass Mietverträge schneller abgeschlossen werden können als Kaufverträge, so dass Mietwohnungsangebote auch schneller wieder von den Plattformen heruntergenommen werden. Die oben präsentierten Zahlen von ImmoScout24 belegen also nicht notwendigerweise, dass es mehr Eigentumswohnungen als Mietwohnungen im Angebot gibt. Die Daten könnten ebenso damit erklärt werden, dass weniger Eigentumswohnungen verkauft werden und deshalb mehr Angebote länger auf der Plattform sichtbar sind und die Wochenzahlen steigen lassen.

 

Die Daten zu den Wohnungsangeboten zeigen also, dass viele Eigentumswohnungsangebote länger als eine Woche oder einen Monat auf den Portalen angeboten werden mussten. Die Summe der 12 Monatsangaben liegt bei weit über 100.000 – tatsächlich im Portal waren in diesem gesamten Zeitraum jedoch nur knapp über 35.000 Eigentumswohnungsangebote. Darunter sind sogar einige unverkäufliche Ladenhüter, die entweder eine überjährige Anzeigendauer aufweisen oder ohne Verkaufserfolg wieder aus dem Angebot entfernt wurden. Die offiziellen Daten vom Gutachterausschuss für Grundstückswerte (GAA) gibt in der vorläufigen Marktanalyse für das Jahr 2019 lediglich 21.176 Transaktionsfälle für Wohnungs- und Teileigentum an.

Das heißt, von den gut 35.000 Eigentumswohnungsangeboten, die im gesamten Jahr 2019 auf den Internetportalen gezählt wurden, konnte maximal 60 Prozent tatsächlich verkauft werden. Der deutliche Überhang von Eigentumswohnungen, den uns Immobilienscout24 und andere vorführen, entpuppt sich letztendlich als Scheinriese und relativiert das scheinbare Missverhältnis zwischen Miet- und Eigentumswohnungsangeboten. Das Verhältnis von Mietwohnungsangeboten p.a. und den tatsächlich verkauften Eigentumswohnungen im Jahr 2019 liegt übrigens bei 3,7:1.

Auch wenn die Auswirkungen des Mietendeckels auf das Verkaufs- und Vermietungsgeschehen noch nicht abschließend beurteilt werden kann, die Argumentation auf der Basis von periodischen Werten im Wochen- oder Monatstakt sind für eine realistische Einschätzung denkbar ungeeignet. Sie dienen vor allem der Stimmungsmache gegen den Mietendeckel und werden als Bestätigung der vermuteten Auswirkungen herumgereicht und aufgegriffen. Eine sachgerechte Analyse von möglichen Mietendeckel-Effekten ist auf dieser Basis kaum möglich und wird – so meine Einschätzung – auch nicht gesucht, weil die Positionen immer schon feststehen.

Dass Eigentümer*innen und Wohnungsunternehmen in ihren Vermietungs- und Verkaufsstrategien auf die Mietendeckelregelungen reagieren werden, soll hier jedoch nicht bezweifelt werden. Doch das triumphale „Der Mietendeckel hat versagt und führt zu mehr Eigentumswohnungen“ ist völlig unangebracht. Zeigen doch die aktuellen Zahlen vor allem, was schon in der Vergangenheit die Realität bestimmte: Es gibt deutlich mehr Eigentümer*innen, die Wohnungen verkaufen wollen, als tatsächliche Kaufinteressenten für teure Eigentumswohnungen.

 

Wachsendes Interesse an günstigen Wohnungen

Eine zweite interessante Grafik wurde von ImmobilienScout24 veröffentlicht. Sie zeigt die durchschnittliche Häufigkeit von Kontaktanfragen je Angebot für verschiedene Segmente. Die drastisch gestiegenen Anfragen für Mietwohnungsangebote gelten als Beleg, dass der Mietendeckel die Wohnungssuche erschweren wird. Das klingt logisch, denn wenn weniger Mietwohnungen angeboten werden, dann steigt die Zahl der Interessent*innen und die Chance auf den Abschluss eines Mietvertrages sinkt. Die Daten von Immscout24 belegen für die Baualtergruppen vor 2014 (die unter die Regelungen des Mietendeckels fallen) einen Anstieg der Anfragen je Objekt um satte 231 Prozent. An den Angeboten der nicht durch den Mietendeckel regulierten Mietwohnungen hingegen ist kein gesteigertes Interesse zu verzeichnen.

Grafik stellt die durchschnittliche Häufigkeit der Kontaktanfragen je Wohnungsangebot des dargestellten Angebotssegments dar. Quelle: ImmoScout24 (2020) (https://www.presseportal.de/pm/31321/4625790)

 

Der exorbitante Anstieg der Kontaktanfragen je Objekt wird mit dem Rückgang der Angebote in den entsprechenden Baualtergruppen um 44 Prozent begründet. In der Pressmitteilung von ImmbilienScout24 heißt es:

„Gleichzeitig verringerte sich das Gesamtangebot an Mietwohnungen um 28 Prozent. Dieser Effekt wird fast vollständig durch Mietwohnungen, die vor 2014 gebaut wurden, hervorgerufen. So ist das Angebot in diesem Segment seit einem Jahr um 44 Prozent gesunken, während Neubauten auf ImmoScout24 mit einem Plus von 18 Prozent verstärkt angeboten werden (…). In der Folge ist der Nachfragedruck auf die verbleibenden Mietangebote angestiegen. ImmoScout24 registrierte einen Anstieg der Kontaktanfragen pro Inserat um 231 Prozent …“

Dass eine Steigerung der Kontaktanfragen um 231 Prozent aus einem Angebotsrückgang um -44 Prozent nicht erklärt werden kann, ist auf den ersten Blick zu sehen. Bei gleichbleibender Nachfrageintensität würde ein um 44 Prozent verringertes Angebot zu einer Steigerung der Kontaktanfragen um 79 Prozent führen. Es bleibt also ein Anstieg der Kontaktanfragen von über +150 Prozent, die nicht aus der Angebotsverknappung abgeleitet werden können. Freund*innen der Angebots-Nachfrage-Modelle werden es schon ahnen: Es ist vor allem das gesteigerte Interesse an den angebotenen Wohnungen. Zu klären wäre also, warum sich ausgerechnet mit der Einführung des Mietendeckels mehr Menschen für Wohnungsangebote auf Internetportalen interessieren.

Ganz im Gegensatz zu den Vermutungen, mit dem Mietendeckel würde die Umzugsneigung sinken, sehen mehr Haushalte als zuvor unter den neuen Bedingungen überhaupt eine Chance, sich auf eine Wohnung zu bewerben. Dass günstige Angebote und die Aussicht auf eine zumindest für fünf Jahre gesicherte Miete zur verstärkten Wohnungssuche führen, zeigt, wie richtig der Weg ist, der mit dem Mietendeckel begangen wird. Die steigenden Zahlen von Kontaktanfragen stehen vor allem für den massenhaften Wunsch nach leistbaren Mietpreisen, die ohne den Mietendeckel auf den Immobilienportalen so gut wie gar nicht zu finden waren.

Einen weiteren Schuss lassen die Daten aus der ImmobilienScout24-Grafik noch zu: Private Anbieter haben ganz offensichtlich ein geringes Interesse an regulierten Mietpreisen und versuchen eine Vermietung zu den gesetzlich festgelegten Konditionen zu umgehen. Wenn ausgerechnet die preiswerten Wohnungen, die am stärksten nachgefragt werden, gezielt zurückgehalten werden, belegen die daran beteiligten Marktakteure einmal mehr das systemische Marktversagen in allen Fragen der sozialen Wohnversorgung. Umso dringender wäre es, die öffentlichen Bestände in Berlin und anderen Städten auszuweiten und den kommunalen Wohnbau zu forcieren. Auf lange Sicht – das zeigen die Reaktionen auf den Mietendeckel – wird auf private Vermieterinnen und Vermieter kein Verlass sein, wenn es darum geht, leistbare Wohnungen für breite Schichten der Bevölkerung bereitzustellen. Da hilft nur „bauen, bauen, bauen“ – und zwar von öffentlichen Wohnbauträgern.

 

 

 


Antworten

  1. […] https://gentrificationblog.wordpress.com/2020/06/20/berlin-mietendeckel-scheinriese-wohneigentum-und… […]

  2. Ein sehr trauriger aber wahrer Bericht. Ist leider in vielen angesagten Großstädten so. Ich werde Anfang des Jahres nach Berlin ziehen und es ist wirklich wirklich schwer. Ich habe jetzt zwar ein gutes Maklerbüro gefunden, mit dem ich sehr zufrieden bin, allerdings war der ursprüngliche Plan es ohne zu machen. Das schaffe ich aber von 500 km Entfernung aus nicht. LG Jeany


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