Verfasst von: ah | September 20, 2020

Umwandlungen und Wohnungsverkäufe als Verdrängungsinstrument

Der Berliner Mieterverein hat trotz der coronabedingten Beschränkungen das 7. Wohnungsforum „Umwandlungen und Eigenbedarfskündigungen. Wie wirkt sich die Eigentumsbildung auf die Stadtentwicklung aus?“ als Hybrid-Veranstaltung organisiert. In einem locker besetzten Saal und an den Bildschirmen zu Hause verfolgten knapp 100 Menschen eine Diskussion zum Thema Umwandlungen in Eigentumswohnungen und dem damit verbundenen Verdrängungsdruck für Mieterinnen und Mieter.

Die auf der Veranstaltung präsentierten Zahlen zeigen deutlich: Die Umwandlung in  Eigentumswohnungen und der Verkauf von Teileigentum sind Teil der Berliner Immobilienverwertung und zielen vor allem auf das Vermietungsgeschäft.

  • Im Verhältnis zu den Verkäufen von etwa 240.000 Eigentumswohnungen in den letzten 10 Jahren (2010 bis 2019) beträgt der Anstieg der selbstnutzenden Eigentümer*innen um knapp 50.000 nur 21 Prozent.
  • Das Verhältnis von Umwandlungen und Verkäufen zeigt, dass die Zahl der Umwandlungen dem Verkaufsgeschehen „hinterherläuft“. Bei steigender Zahl der Verkäufe versuchen mehr Eigentümer*innen auf den fahrenden Zug aufzusteigen und schaffen mit der Umwandlung die Voraussetzung, auch ihre Wohnungen zu verkaufen.
  • Es werden deutlich mehr Wohnungen auf den Immobilienportalen zum Verkauf angeboten als tatsächlich verkauft werden. Trotz dieses „Überangebots“ steigen die Verkaufspreise.

Viele Wohnungsverkäufe – wenig Eigenbedarf

Die Zahlen der Verkäufe in den letzten Jahren lagen (mit der Ausnahme von 2010) immer über 20.000 Verkäufen pro Jahr. Insgesamt wurden über 240.302 Wohnungen verkauft. Im gleichen Zeitraum hat sich die Zahl der Haushalte, die im selbstgenutzten Eigentum leben von 255.000 (Ende 2009) und 305.000 (Ende 2019) um ca. 50.000 erhöht. Rechnerisch erfolgt nur bei jedem fünften Verkauf eine Eigennutzung. Tatsächlich kann der Anteil höher liegen, wenn im gleichen Zeitraum bisher selbstgenutzte Eigentumswohnungen wieder dem Mietwohnungsmarkt zugeführt werden. Die meisten Verkäufe gehen jedoch ohne Zweifel an Kapitalanleger*innen oder Kleinvermieter*innen, die wegen der hohen Kaufpreise versuchen werden, möglichst hohe Mieterträge zu realisieren.

 

Verkauf und Selbstnutzung von Eigentumswohnungen in Berlin (2010 bis 2019)

 

Umwandlungen als Trittbretteffekt steigender Ertragserwartung

Aus der Perspektive von Mieter*innen scheint der Prozess klar zu sein: Erst die Umwandlung, dann der Verkauf, dann die Eigenbedarfskündigung. Mit dem Blick auf die Zahlen von Umwandlungen und Verkäufen in den letzten Dekaden wird jedoch deutlich, dass in der Summe der Umwandlungs- und Verkaufsaktivitäten, die Umwandlungen den Verkaufszahlen folgen. Seit 1991 gilt in Berlin: Steigen die Verkaufszahlen, ziehen mit einer Verzögerung von zwei bis drei Jahren auch die Umwandlungen an. So folgten auf die ersten Peaks des Verkaufsgeschehens (1996 und 1998) eine doppelter Höchstwert der Umwandlungen (1998 und 2000). Der nächste Verkaufshöhepunkt (2006) löste einen kleinen Anstieg der Umwandlungen mit einem Höhepunkt (2009) aus. Und auch in den letzten Jahren wiederholt sich das Muster: Den Verkaufshöchstzahlen (2013 und 2015) folgten hohe Umwandlungszahlen mit der Zweijahresverzögerung (2015 und 2017). Seit 2015 flacht die Welle der Verkaufsaktivitäten auf einem hohen Niveau von über 20.000 Verkäufen pro Jahr ab. Die Zahl der Umwandlungen ist seit 2017 leicht rückläufig.

Umwandlungen in Eigentumswohnungen und Verkauf von Teileigentum (1991 bis 2019)

Die Entscheidung für einen Umwandlung wird offensichtlich dann häufiger getroffen, wenn die Aussichten auf einen Verkauf als besonders gut eingeschätzt werden. Die Umwandlungen werden so zum Trittbrett, um möglichst schnell auf den fahrenden Zug der steigenden Verkaufszahlen aufzuspringen. Die Mikroperspektive auf die einzelnen Wohnung wird dadurch leider nicht aufgehoben, jede Umwandlung ermöglicht einen Verkauf und erhöht damit das Verdrängungsrisiko der Mieter*innen.

 

Überangebot von Eigentumswohnungen

Ein vergleichender Blick auf die Daten von angebotenen Eigentumswohnungen auf den Internetportalen und den tatsächlich vollzogenen Verkaufsereignissen zeigt, dass in den letzten 10 Jahren (2010 bis 2019) nur etwa die Hälfte der angebotenen Eigentumswohnungen auch gekauft wurde. Zum Vergleich herangezogen wurden die um Mehrfachzählungen bereinigte Sammlung der Angebote im Guthmann-Marktreport, sowie die Daten zu den beim Gutachterausschuss für Grundstückangelegenheiten registrierten Verkaufsfälle für Teil- und Wohneigentum.

Verkaufsangebote für Eigentumswohnungen und Verkaufsfälle (2010 bis 2019)

 

Insgesamt wurden zwischen 2010 und 2019 knapp 590.000 Eigentumswohnungen auf den verschiedenen Internetportalen zum Kauf angeboten. Die meisten Angebote gab es in den Jahren 2010 bis 2015 mit jeweils über 60.000 Verkaufsangeboten pro Jahr. Seit 2016 kühlt sich der Angebotsmarkt deutlich ab und lag im Jahr 2019 sogar deutlich unter 40.000 Verkaufsangeboten pro Jahr. Für 2020 wurden bisher knapp 28.000 Verkaufsangebote gezählt, so dass die Jahresendsumme leicht über dem niedrigen Vorjahresniveau liegen wird.

Die Zahl der tatsächlich registrierten Verkaufsfälle lag in allen Jahren deutlich unter den Angeboten. Insgesamt wurden zwischen 2010 und 2019 knapp 260.000 Eigentumswohnungen verkauft. Bezogen auf die Angebote sind das etwa 45 Prozent. Wie ist diese doch recht deutliche Diskrepanz zwischen Angeboten und realisierten Verkäufen zu erklären. Drei mögliche Erklärungen:

  • Es gibt mehr Eigentümer*innen die ihre Wohnungen verkaufen wollen als Kaufinteressent*innen.
  • Die Portale registrieren Kaufangebote mehrfach, weil sie auf mehreren Portalen angeboten werden oder mit veränderten Konditionen erneut in die Portale gestellt werden. Dass die Analysewerkzeuge der Auswertung so ungenau sind, dass dabei die Angebotslage auf den doppelten Wert geschätzt wird, ist aber eher unwahrscheinlich.
  • Eigentümer*innen stellen Wohnungen in die Verkaufsportale, ohne wirklich verkaufen zu wollen. Denkbar wären hierbei Anzeigen, um den aktuellen Marktpreis einer Wohnung zu testen oder auch um Mieter*innen zu verunsichern und zum Auszug zu bewegen.

Ein deutlicher Angebotsüberhang erscheint die größte Plausibilität zu haben und passt auch zu den rückläufigen Verkaufszahlen der letzten Jahre. Womöglich ist das Kaufpotential zu den aktuellen Preisforderungen in Berlin weitgehend ausgeschöpft. Angesichts der weiterhin steigenden Kaufpreise ist auch nicht mit einer nachholenden Eigentumsbildung zu rechnen. Der Medianpreis der Eigentumswohnungen ist in den letzten 10 Jahren von 1.620 €/m² (2010) auf 4.520 €/m² (2019) gestiegen. Es ist kaum anzunehmen, dass Kaufinteressierte, die vor ein paar Jahren in ihrer Kaufentscheidung noch zögerlich waren, nun zu noch höheren Preisen  eine Kaufentscheidung treffen. Das gilt sowohl für Wohnungssuchende als auch für Kapitalanleger*innen.

Für Wohnungssuchende, die eine Eigentumswohnung zur Selbstnutzung erwerben wollen, stellt sich mit den steigenden Preisen ein Finanzierungsproblem. Bei einer klassischen Immobilienfinanzierung müssten zu den aktuellen Preisen für eine 100m²-Wohnung (etwa 450.000 €) um die 90.000 € Eigenkapital eingebracht werden. Bei einem Zinssatz von 1% und einer Anfangstilgung von 2,5% p.a. wären dann immer noch deutlich über 10 €/m² monatlich zu zahlen (zuzüglich des Hausgeldes von 2,75 bis 3,00 €/m²), so dass die Kosten für das Eigentum mit einer höheren monatlichen Belastung verbunden sind, als die durchschnittliche Neuvermietungsmiete der letzten Jahre (ca. 11 €/m²). Im Vergleich zu den Bestandsmieten (6,72 €/m ²) würden sich in der selbstgenutzten Eigentumswohnung die monatlichen Belastungen sogar verdoppeln.

Auch für die Anlage-Perspektive können die steigenden Kaufpreise zum Problem werden, wenn die mit den Kaufpreisen erwarteten Mieterträge nicht realisiert werden können. In den Diskussionen um den Mietendeckel wurde wiederholt auf das Problem der Kleinvermietenden verwiesen, die ohne die kalkulierten Neuvermietungsmieten ihre Investitionen nicht mehr ohne Verlust refinanzieren können.  Nach Angaben der Senatsverwaltung gegenüber der Berliner Zeitung sind in den ersten Monaten des Mietendeckels bis Ende August knapp über 1.000 Anträge auf Härtefallregelung gestellt wurden.  Bei geschätzt 340.000 Wohnungen in der Verwaltung von privaten Kleinvermietenden entspricht das einem Anteil von 0,3 Prozent. Wenn ab November die Mietabsenkungen erfolgen müssen, könnte sich diese Zahl deutlich erhöhen. Die so in Not geratenden Eigentümer*innen und auch die lautstarke Kritik am Mietendeckel zeigen sehr deutlich, dass die Rechnung von hohen Kaufpreisen und gedeckelten Mietpreisen nicht aufgehen kann. Warum dann ausgerechnet der Verkauf einer Wohnung als Ausweg aus der Mietendeckel-Falle angesehen wird, erscheint kaum nachvollziehbar. Letztendlich ist die Verkaufsdrohung in Reaktion auf den Mietendeckel nichts anderes als die klassische Greater-Fool-Hoffnung spekulativer Blasen, also die Überzeugung, einen noch größeren Narren zu finden, der die Verwertungsrisiken zu einem höheren Preis übernimmt. Ein deutlicher Anstieg der Verkaufsaktivitäten ist zurzeit eher ein Wunschtraum derer, die nicht gewillt sind, ihre Wohnungen mit gedeckelten Mieten zu bewirtschaften. Eine Zunahme von Verkäufen wird es in Berlin wohl erst geben, wenn die Kaufpreise deutlich fallen.

 

Umwandlungen und Eigenbedarfskündigungen als Verdrängungsinstrument

Auch wenn die vielen Umwandlungen und Verkäufe der letzten Jahre nicht dazu geführt haben, den Charakter von Berlin als Mieterstadt zu gefährden, so stellen sie doch eine konkrete Gefahr für viele Mieterinnen und Mieter dar. Insbesondere in den Innenstadtbezirken häufen sich die Berichte über Eigenbedarfskündigungen und die Verunsicherung der Mieter*innen durch Wohnungsbegehungen und Verkaufsanzeigen. Durch die mietgesetzlichen Umlagebeschränkungen für Modernisierungsmaßnahmen  setzen Vernieter*innen verstärkt auf Umwandlung und Eigenbedarfskündigungen, um Bestandsmieter*innen zu verdrängen und eine bessere Verwertung ihrer Wohnungen durchzusetzen.

In der Summe der letzten 30 Jahre wurden mehr als 290.000 Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt. Die Zahl der selbstnutzenden Eigentümer*innen ist im selben Zeitraum um knapp 140.000 gestiegen. Da ein Teil der neuen Selbstnutzer*innen in Neubauten oder Eigenheimen lebt, gibt es allein aus den Umwandlungen seit 1991 mindestens 200.000 aufgeteilte Wohnungen, die zurzeit vermietet werden. Christoph Trautvetter bezifferte auf der Basis seiner Analysen mit Mikrozensusdaten den Umfang der umgewandelten Wohnungen in Berlin auf über 485.000. Abzügliche der davon selbstgenutzten Wohnungen (etwa 30 Prozent) verbleiben insgesamt etwa 340.000 Mietwohnungen, die bereits umgewandelt wurden und in denen Mieter*innen Furcht vor einer Eigenbedarfskündigung haben müssen. Bezogen auf den Mietwohnungsbestand entspricht das einem Anteil von 20 Prozent.

Initiativen wie #200Häuser – ein berlinweites Netzwerk für Menschen, die von Umwandlung und daraus resultierender Verdrängung und Eigenbedarfskündigung betroffen sind – dokumentieren für Dutzende Häuser, wie Umwandlungen und Eigenbedarfskündigungen eingesetzt werden, um Mieter*innen aus ihren Wohnungen zu drängen. Der Berliner Mieterverein und andere Mieterorganisationen fordern in Reaktion auf diese massenhafte Verunsicherung ein generelles Umwandlungsverbot im Bestand.

 


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