Verfasst von: ah | Dezember 3, 2021

Koalition der Bekenntnisse und verschobenen Konflikte

In dem Ende November 2021 vorgestellten Entwurf des Koalitionsvertrages zwischen der SPD, Bündnis90/Die Grünen und Die Linke („Zukunftshauptstadt Berlin. Sozial. Ökologisch. Vielfältig. Wirtschaftsstark“) nehmen Themen der Stadtentwicklung und des Wohnens eine zentrale Stelle ein. Gleich nach der Präambel folgt ein 18 Seiten langer Abschnitt unter der Überschrift „Stadtentwicklung, Bauen, Mieten“. Vorangestellt werden zwei Ziele und ein Bekenntnis: „Die Koalition stellt sich der Verantwortung, die Entwicklung Berlins (…) sozial und an den Pariser Klimazielen orientiert zu gestalten“ (S. 8) und „Die Koalition bekennt sich dazu, den Wohnungsneu- und Umbau in der Stadt mit höchster Priorität voranzubringen“ (S. 8).

Die Passagen des Koalitionsvertrages zu den Themen Stadtentwicklung und Wohnen sind ernüchternd. Der vor fünf Jahren begonnene Aufbruch wird an vielen Stellen ausgebremst. Die öffentliche Verantwortung für die soziale Wohnversorgung, die Priorisierung von Stadtentwicklungsfragen statt der Fixierung auf Neubauzahlen und auch die Überzeugung, die Stadt zusammen mit der Stadtgesellschaft zu gestalten, wurden im neuen Koalitionsvertrag weitgehend aufgegeben. Der vorliegende Koalitionsvertrag steht inhaltlich für einen Roll Back der rot-rot-grünen Stadtpolitik der vergangenen Jahre.

  • Bauen als Selbstzweck: Mit der Fokussierung auf die Neubauziele von 200.000 Wohnungen bis 2030 werden Strategien für eine soziale Wohnversorgung und Überlegungen für eine nachhaltige Stadtentwicklung durch Zielzahlen der Wohnungsproduktion ersetzt.
  • Vorrang für private Investitionen: Der Koalitionsvertrag setzt vor allem beim Neubau auf eine verstärkte Kooperation mit der privaten Wohnungswirtschaft, statt den kommunalen Wohnungsbau durch eine Neuausrichtung der landeseigenen Wohnungsunternehmen zu stärken.
  • Zögerliche Reformbereitschaft: Bei vielen wichtigen Vorhaben konnte sich die Koalition nicht auf ein gemeinsames Verständnis einigen. Beim Schutz der Berliner Kleingärten, bei der Einrichtung eines Mietkatasters, bei der Novelle des Wohnraumversorgungsgesetzes oder bei der längst ausstehen Reform des Sozialen Wohnungsbau versteckt die Koalition ihre fehlende Einigkeit hinter Prüfaufträgen und schiebt die Entscheidungen auf die lange Bank.
  • Ausgebremster Volksentscheid: Mit der, auf einen Empfehlungscharakter zurechtgestutzten, Expert:innenkommissionwird die Umsetzung der im Volksentscheid erfolgreichen Enteignungsforderung in die Hinterzimmer von Senatsrunden und Koalitionsausschüssen verschoben. Statt, wie gefordert, „alle erforderlichen Maßnahmen“ zur Vergesellschaftung einzuleiten, wird ein Gesetz zur Enteignung nur noch „gegebenenfalls“ in Aussicht gestellt.
  •  Machtpolitische Sackgasse: Mit der bereits angekündigten Rückkehr der SPD in das Ressort Stadtentwicklung und Wohnen steht fest, mit welcher Intention die meisten Prüfungen durch die zuständige Senatsverwaltung erfolgen werden. Schon in der vergangenen Jahren musste Vorschläge für einen soziale Wohnungspolitik zum Teil gegen Blockaden aus dem Verwaltungsapparat und die Geschäftsführungen der landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU) durchgesetzt werden. Initiativen befürchten zudem, dass das mühsam aufgebaute Vertrauensverhältnis zur Hausspitze und der direkte Austausch zu strittigen Fragen wieder durch einen Top-Down-Stil des Regierens ersetzt werden.

Von der stadtpolitischen Aufbruchstimmung, die den Start von Rot-Rot-Grün vor fünf Jahren begleitete, ist im Koalitionsvertrag von Rot-Grün-Rot nur noch wenig zu spüren. Der Aufbruch in die Zukunft startet mit einer Rolle rückwärts in eine Zeit, in der Wohnungswirtschaft und Verwaltungen die Geschicke der Stadt bestimmten und Mieterinnen und Mieter zusehen mussten, wie ihre Interessen unter die Räder gerieten. Progressive Stadtpolitik sieht anders aus und wird künftig noch stärker von den vielen Initiativen, Projekten und Bewegungen der Stadtgesellschaft abhängen.

Bauen als Selbstzweck

Als zentrales Instrument von Stadtentwicklung und Wohnungspolitik setzt der vorliegende Entwurf eines Koalitionsvertrages vor allem auf „neue klimaverträgliche Stadtquartiere“, weil diese „zur Schaffung von ausreichendem, bedarfsgerechtem und bezahlbarem Wohnraum sowie zur Erreichung der Wohnungsbauziele (…) von hoher Bedeutung“ seien (S. 8). Stutzig machen sollte hier das Bindewort „sowie“ – denn es deutet darauf hin, dass „Wohnungsbauziele“ und die „Schaffung von bedarfsgerechtem und bezahlbarem Wohnraum“ unabhängig voneinander gedacht werden. Der Wohnungsbau soll also gar nicht nur der Wohnraumversorgung dienen, sondern wird darüber hinaus als eigenständiger Wert angesehen, zu dem sich die Koalition bekennen soll. Wohnungsbau um des Wohnungsbaus willen. Dieses Bekenntnis zum Selbstzweck des Wohnungsbaus durchzieht die wohnungspolitischen Passagen im künftigen Regierungsprogramm. Gleich mehrfach ist das aus dem Wahlkampf der SPD bekannte Mantra der „200.000 neuen Wohnungen bis 2030“ (S. 13) im Koalitionsvertrag zu finden. Bei den daraus abgeleiteten Jahreszielen von 20.000 Wohnungen pro Jahr scheinen die Koalitionär:innen auf die Taschenrechner verzichtet zu haben. Da es frühestens 2022 losgehen kann, bleiben bis 2030 nur neun Jahre Zeit; es müssten also über 22.000 Wohnungen pro Jahr fertiggestellt werden. Obwohl zahlreiche strittige Projekte erst im Laufe der Regierungszeit ‚geprüft‘ werden sollen, werden ausgerechnet die,Neubauziele ohne eine fachliche Begründung zum zentralen Projekt des Regierungsprogramms erhoben. Konkrete Zahlen zu den wirklich notwendigen Neubauten erwartet der Koalitionsvertrag erst im Jahr 2023, wenn im Zuge der Fortschreibung des StEP Wohnen „der zusätzliche Wohnraumbedarf ermittelt“ werden soll (S. 13).

Zur Erinnerung: Der Stadtentwicklungsplan (StEP) Wohnen 2030, der erst im Jahr 2019 vom Senat beschlossen wurde, ging für den Zeitraum von 2017 bis 2030 von einem Neubaubedarf von 194.000 Wohnungen aus. Davon werden bis Ende dieses Jahres über 80.000 fertiggestellt sein. Nach diesem Ziel müssten bis 2030 noch 114.000 Wohnungen (knapp 13.000 p.a.) gebaut werden. Ohne die vorherige fachliche Prüfung abzuwarten, wurden die Zielzahlen im Koalitionsvertrag um über 85.000 Wohnungen erhöht.

Immerhin wird die bisherige Vorgabe, mindestens 50 Prozent der Neubauwohnungen im „gemeinwohlorientierten und bezahlbaren Segment“ zu erstellen, aufrechterhalten. Das wären je nach Zielvorgabe 10.000 oder 11.000 gemeinwohlorientierte und bezahlbare Wohnungen, die jedes Jahr gebaut werden müssten. Problematisch ist dabei die konkrete Formulierung: „Das Ziel dabei ist, möglichst die Hälfte davon in dieser Legislatur im gemeinwohlorientierten und bezahlbaren Segment zu errichten.“ (S. 12)

Während das allgemeine Neubauziel nicht verhandelbar ist und mit „höchster Priorität voranzubringen“ sei, sollen die Gemeinwohlaspekte „möglichst“ erreicht werden. Auch die eingeschobene Präzisierung „in dieser Legislatur“ verheißt nichts Gutes und kann auch als eine langfristige Abkehr von der bisherigen Gemeinwohlquote interpretiert werden. Wie realistisch ist der Neubau von mindestens 10.000 gemeinwohlorientierten und bezahlbaren Wohnungen pro Jahr? Im StEP Wohnen werden als „gemeinwohlorientiert“ alle Wohnungen der Landeswohnungsunternehmen (LWU) und geförderte Wohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindungen definiert. Für den Bereich der landeseigenen Bauaktivitäten formuliert der Koalitionsvertrag eine Zielmarke von 7.000 Wohnungen pro Jahr (im Zeitraum von 2017 bis 2020 lag die Zahl der landeseigenen Neubauwohnungen bei etwa 4.000 p.a.). Hinzu kommt ein jährliches Fördervolumen von 5.000 Wohneinheiten (S. 18). In der Summe könnte die Rechnung aufgehen, denn 7.000 öffentlichen Wohnungen und 5.000 geförderte Wohnungen sind zusammen sogar 12.000 gemeinwohlorientierte Wohnungen. Doch in der Realität der vergangenen Jahre wurde ein Großteil der Fördergelder von den LWU abgerufen. Im Jahr 2020 wurden mehr als 40 Prozent der öffentlichen Neubauten auch gefördert. Diese Förderquote auf die neuen Zielzahlen bezogen, hieße, dass mindestens 3.000 der geförderten Wohnungen von den LWU beansprucht werden. In der aktuellen Kooperationsvereinbarung zwischen dem Land Berlin und seinen Wohnungsunternehmen werden die LWU sogar darauf verpflichtet, „grundsätzlich mindestens 50 % der Fläche der Neubauwohnungen mietpreis- und belegungsgebunden WBS-Berechtigten im 1. Förderweg anzubieten“ (KoopV 2021, Abs. 2.1/a). Das wären dann sogar 3.500 geförderte Wohnungen durch die LWU. Dann blieben noch Fördergelder für 1.500 weitere Wohnungen anderer Bauherren. Damit käme die Rechnung der Koalitionsvertrages schon in deutliche Bedrängnis, dann 7.000 öffentliche Neubauwohnungen und 1.500 geförderte Wohnungen bei anderen Bauherren sind in der Summe nur 8.500 gemeinwohlorientierte Wohnungen und würden die Zielzahlen deutlich verfehlen.

Tab. 1: Potential für Gemeinwohlorientierte Wohnungen

 Maximum Gemeinwohl LWU ohne FörderungStatus quo LWU (40% Förderung)Vorgaben der KoopV LWU (50% Förderung)
Neubau LWU7.0007.0007.000
davon gefördert03.0003.500
Förderwohnungen sonstiger Bauträger5.0002.0001.500
Gesamtzahl Gemein-wohlorientierter Wohnungen12.0009.0008.500

Diese Lücke müsste durch freiwillige Sozial- und Mietpreisbindungen ohne Förderanreize durch private oder genossenschaftliche Bauherren geschlossen werden. In den ausführlichen Stichworten zu den Zielen des vielbeschworenen „Bündnis für Wohnungsbau und bezahlbares Wohnen“ mit den LWU, den Genossenschaften und privaten Wohnungsunternehmen ist von freiwilligen Sozialbindungen im Neubaubereich jedenfalls keine Rede und es sollen ausschließlich „Anteile von Neubauvolumina im geförderten Preissegment“ vereinbart werden (S. 20).

Fraglich bleibt zudem, ob die LWU die geforderte Bauleistung von 7.000 Wohnungen im Jahr überhaupt erfüllen können. Ambitionierte Ziele gab es auch in den vergangenen Jahren. Die wurden reihenweise verfehlt, auch weil den Wohnungsunternehmen die strukturellen und organisatorischen Voraussetzungen fehlten, die gewünschte Neubauleistung zu erbringen. Der Umstand, dass nur eins der sechs LWU überhaupt eine eigenständige Planungseinheit im Unternehmen aufgebaut hat, spricht dafür, dass die Geschäftsführungen dem Neubau (trotz anderslautender Bekundungen) die gewünschte Priorität bisher noch nicht eingeräumt haben. Öffentliches Bauen war unter Rot-Rot-Grün mehr als erwünscht und ist dennoch nur schleppend in Gang gekommen.

Aus dem Umfeld von wohnungspolitischen Initiativen waren Vorschläge zur Stärkung der landeseigenen Wohnungswirtschaft und zum Ausbau ihrer Planungs- und Baukapazitäten gemacht worden: Verbesserte politische Steuerung und die Zusammenführung unter eine Holding sollten höhere Neubaukapazitäten ermöglichen und eine mieternahe Verwaltung sicherstellen (siehe Kuhnert/Holm 2021). Diese Vorschläge haben es nicht in den Koalitionsvertrag geschafft. Stattdessen zementiert der Koalitionsvertrag den Status quo von sechs nebeneinander agierenden Gesellschaften und gibt die eigentlich beim Gesellschafter (Land Berlin) liegende Steuerungsverantwortung an die Unternehmen ab:

„Für die Erfüllung der ehrgeizigen Neubauziele muss die Neubaufähigkeit der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften verbessert werden. In Absprache mit den Landeswohnungsunternehmen (LWU) wird geklärt, wie in einer gemeinsamen stärkeren Planungs- und Neubaueinheit Synergieeffekte zum Beispiel aus Standardisierung gehoben und bessere Strategien zum Umgang mit knappen Baukapazitäten auf dem Markt umgesetzt werden können.“ (S. 15).

Aus den weitgehend ausgearbeiteten Vorschlägen einer nachhaltigen Umstrukturierung der LWU, wird nur der Gedanke für eine „gemeinsame Planungs- und Neubaueinheit“ aufgegriffen. Im Koalitionsvertrag bleibt jedoch offen, wie deren Aufgaben aussehen und welche Kompetenzen sie haben soll, und damit auch, was diese neue Planungs- und Neubaueinheit befähigt, die auch von den Koalitionsparteien erkannte Neubauschwäche der Landeswohnungsunternehmen zu beheben.

Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit den LWU ist es zumindest fragwürdig, dass die neuen Strukturen ausgerechnet in „Absprache mit den Landeswohnungsunternehmen“ geklärt werden sollen. Das im Koalitionsvertrag formulierte Prinzip „Kooperation statt Konfrontation“ (S. 19) steht im Zusammenhang mit den landeseigenen Wohnungsunternehmen eher für ein „Weiter so“ statt für einen Aufbruch in einen neuen kommunalen Wohnungsbau. Statt eigene Vorstellungen für die künftige Struktur der landeseigenen Wohnungswirtschaft zu formulieren und umzusetzen, wird denen die Entscheidung überlassen, die bisher die Neubauzahlen deutlich verfehlt haben und in den Verhandlungen zur Kooperationsvereinbarung (zwischen dem Land Berlin und seinen Wohnungsbaugesellschaften) vor allem soziale Anforderungen an den Neubau und die Bewirtschaftung einschränken wollten. Wenn es nicht um einen so wichtigen Punkt wie den kommunalen Neubau ginge, könnte der künftigen Regierung einfach viel Glück mit den sechs Unternehmen und ihren 12 Geschäftsführer:innen gewünscht werden. Der Koalitionsvertrag bleibt hier schon auf den Startmetern stehen und der dringend notwendige strukturelle Umbau der landeseigenen Wohnungswirtschaft wird (weiter) aufgeschoben.

Fazit zum Baubekenntnis: Die Neubauziele werden ohne sachliche Begründung auf eine unrealistische Zielgröße erhöht, während die sozialen Neubauziele hinter den bisherigen Anteilen zurückbleiben. Mit dem „Bündnis für den Wohnungsbau und bezahlbares Wohnen“ sollen vor allem private Unternehmen verstärkt für den Neubau gewonnen werden, während die notwendigen strukturellen Veränderungen zur Stärkung der landeseigenen Wohnungswirtschaft weitgehend zurückgestellt werden.

Die lange Bank der Prüfaufträge

Allein auf den 18 Seiten zur Stadtentwicklung und Wohnungspolitik sollen 24 mögliche Ziele und Anliegen der Koalition „geprüft“ werden. Die „Prüfung“ möglicher Instrumente, Verfahren und Gesetze ist eine typische Verlegenheitsvokabel, wenn sich die verhandelnden Parteien im Koalitionsvertrag auf keinen klaren Weg einigen konnten. De facto werden damit die Konflikte und Entscheidungen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Darunter sind aus der vergangen Wahlperiode bekannte Streitpunkte wie die gesetzliche Sicherung der Berliner Kleingärten (S. 8), die Einrichtung eines Mietkatasters (S. 21), der verbesserte Schutz vor Eigenbedarfskündigungen (S. 21) und die Novelle des Wohnraumversorgungsgesetzes (WoVG), in dem die Mietermitbestimmung bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen und deren Vermietungsregeln festgeschrieben werden sollen (S. 23). Auch die Nutzung von Erbbaurechten zur Sicherung von dauerhaften Bindungen (S. 11) soll nur geprüft werden, ebenso wie die Ausweitung der Mieteraktivierung wie im Modellprojekt Kottbusser Tor (S. 21) oder die baurechtliche Absicherung von Wagenplätzen in Berlin (S. 22). Es könnte also sein, dass die künftige Koalition Kleingärten sichert, Eigenbedarfskündigungen erschwert, eine Instrument zur Durchsetzung von Dauerbindungen entwickelt, die Mietermitbestimmung ausweitet und alternative Lebensformen auf Wagenplätzen dauerhaft sichert… oder eben nicht, ganz abhängig vom Ergebnis der Prüfungen, die sich die künftige Koalition ins Programm geschrieben hat.

An anderen Stellen klingt das Versprechen der Prüfung eher wie eine Drohung. Zur lange anstehenden Reform für die Altbestände des Sozialen Wohnungsbau wird sogar eine „zügige“ Prüfung angekündigt: „Um Missstände im bis 2003 geförderten sozialen Wohnungsbau zu beenden, wird die Koalition zügig rechtliche Möglichkeiten prüfen, wie bewirkt werden kann, dass Vermieter*innen entsprechender Wohnungen keine fiktiven Kosten auf die Miete umlegen können und die ortsübliche Vergleichsmiete nicht überschreiten dürfen.“ (S. 22) Da sich die Diskussionen zur Behebung der Missstände in den knapp 100.000 Wohnungen der früheren Förderprogramme des Sozialen Wohnungsbaus bereits über zwei Legislaturperioden hinziehen, ohne dass eine Lösung gefunden wurde, ist das Versprechen einer „zügigen Prüfung“ entweder zynisch oder naiv. Die Proteste der Berliner Sozialmieter:innen und von Kotti & Co. machen seit 2010 auf das Problem der Schieflage im alten Sozialen Wohnungsbau aufmerksam. In den letzten Jahren haben Mieterinitiativen eine Reihe von sehr konkreten Vorschlägen zur Senkung der überhöhten Kostenmieten in den geförderten Wohnungen der früheren Förderperioden vorgelegt. Für eine konkrete Formulierung im Koalitionsvertrag gab es den folgenden Vorschlag:

„Die Kostenmieten werden gesenkt, indem sie um ungerechtfertigte Anteile bereinigt werden: Es dürfen nur solche Kostenpositionen abgerechnet werden, für die eine Zahlungserfordernis besteht. Sog. „Entschuldungsgewinne“ (Kapitalkosten auf getilgte Fremdmittelanteile) und andere fiktive Kosten werden verboten. Aufwendungen sind nur abrechnungsfähig, wenn diese die Vermieter*innen tatsächlich selbst belasten. Bei Bindungsende oder vorzeitiger vollständiger Rückzahlung des Aufwendungsdarlehens (AD) werden die Aufwendungen um die vorherige AD-Bedienung gesenkt. Die ortsübliche Vergleichsmiete darf bei Sozialwohnungen nicht überschritten werden.“

Übrig geblieben ist die „Prüfung der rechtlichen Möglichkeiten“, um die Umlage von „fiktiven Kosten“ auf die Miete zu verhindern. Das klingt zwar so ähnlich wie der Vorschlag der Mieterinitiativen, verbirgt aber einen seit Jahren geführten Streit mit der zuständigen Verwaltung, die statt der „Entschuldungsgewinne“ (die aus der Anrechnung von Refinanzierungskosten bereits getilgter Kredite entstehen) nur die „fiktiven Kosten“ ausschließen wollen, die aus der Differenz von anerkannten Erstellungskosten und Kaufpreisen entstehen. In den letzten Jahren tagte eine Expertenkommission und veröffentlichte hunderte Seiten an Berichten, mehrere Eckpunkte und Gesetzentwürfe der Verwaltung wurden von den Fachpolitiker*innen der Koalitionsparteien verworfen, weil sie sich nicht auf gemeinsame Ziele einigen konnten und auch ein Expertengremium der Koalitionsparteien scheiterte an dem Versuch, einen gemeinsamen Vorschlag zu erarbeiten. Es gibt kaum ein wohnungspolitisches Thema, zu dem so viel Wissen erarbeitet und ausgetauscht wurde, wie die Reform des alten sozialen Wohnungsbaus. Hier sind keine weiteren Prüfungen notwendig, sondern die Umsetzung der seit Jahren vorliegenden Vorschläge. Gescheitert ist das bisher an der Obstruktion der Verwaltung, der Verweigerung der SPD im Abgeordnetenhaus, und an der insgesamt mangelnden Unterstützung durch die Koalition. Dass sich die rot-grün-roten Koalitionspartner:innen nun schon zum zweiten Mal auf keine tragfähige Lösung einigen können, ist ein wohnungspolitisches Armutszeugnis. Mit der Rolle rückwärts in der Ressortverteilung stehen nun künftig diejenigen in der Verantwortung, die eine Reform des sozialen Wohnungsbaus in der Vergangenheit aktiv blockiert haben.

Fazit zu den Prüfaufträgen: Zu zentralen Fragen der Stadtentwicklung und Wohnungspolitik konnten sich die drei Parteien nicht auf eine gemeinsame Linie einigen. Mit dem angekündigten Zuständigkeitswechsel im Ressort Stadtentwicklung und Wohnen hat die SPD die Beauftragung, Ausarbeitung und fachliche Bewertung der Prüfaufträge in der Hand. Dass in dieser Konstellation strittige Themen, die schon mit einer linken Senatsspitze nicht durchgesetzt werden konnten, künftig im Interesse der Mieterinnen und Mieter entschieden werden, ist mehr als unwahrscheinlich.

Die ausgebremste Vergesellschaftung

Dass die Verhandlungen zum Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ schwierig werden würden, war offensichtlich. Während die Initiative darauf pocht, dass ein klares Votum von fast 60 Prozent der abgegebenen Stimmen ein klares Zeichen für eine Umsetzung der Vergesellschaftungsforderung setzt, haderte insbesondere die Spitzenkandidatin der SPD mit dem Anliegen der Initiative, die Wohnungsbestände großer Immobilienkonzerne zum Zwecke der Vergesellschaftung zu enteignen. Die drei Parteien einigten sich bereits im Sondierungspapier auf die Formel:

„Die neue Landesregierung respektiert das Ergebnis des Volksentscheides und wird verantwortungsvoll damit umgehen. Sie setzt eine Expertenkommission zur Prüfung der Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksbegehrens ein. Die Besetzung der Expertenkommission erfolgt unter Beteiligung der Initiative des Volksbegehrens. Die Kommission erarbeitet innerhalb eines Jahres eine Empfehlung für das weitere Vorgehen an den Senat, der dann eine Entscheidung darüber trifft.“ (Sondierungspapier, Oktober 2021)

Dass eine rot-grün-rote Landesregierung das deutliche Votum eines mietenpolitischen Volksentscheids respektiert, ist das Mindeste, was von einem zumindest nominal progressiven Regierungsbündnis erwartet werden kann. Zur Erinnerung die Formulierung des zur Abstimmung stehenden Textes:

„Wir fordern vom Berliner Senat, alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien in Gemeineigentum erforderlich sind“

Respekt gegenüber den über 1 Millionen Wähler:innen und dem demokratischen Prozess hätte bedeutet, „alle erforderlichen Maßnahmen für eine Überführung in Gemeineigentum“ einzuleiten. Statt zu ermitteln, welche Maßnahmen für eine Sozialisierung großer Wohnungsbestände erforderlich sind, einigte sich die künftige Koalition auf die Kompromissformel, „die Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung zu prüfen“. Da ist für alle Parteien was dabei: Die SPD, die Enteignungen als rote Linie ihrer Politik markiert hat, kann prüfen, ob eine Vergesellschaftung überhaupt möglich ist, Bündnis 90/Die Grünen, die Vergesellschaftung nur als Ultima Ratio, also als letztes Mittel ansehen, prüfen nun die „Wege der Umsetzung des Volksentscheids“ und einige hoffen möglicherweise darauf, einen Weg zu finden, der nicht Enteignung heißt. Die Linke schließlich, die sich im Wahlkampf mit der Unterstützung der Initiative positioniert hat, kann pragmatisch die praktischen Voraussetzungen prüfen, die für eine Umsetzung Vergesellschaftung notwendig sind. Doch gemeinsame Politik kann sich in der Praxis nicht hinter Kompromissformeln verstecken, sondern muss Entscheidungen aushandeln. Dabei gab es aus dem Umfeld von Mieterorganisationen und wohnungspolitischen Initiativen einen Formulierungsvorschlag für eine entsprechende Passage im Koalitionsvertrag, der für alle Seiten eine gesichtswahrende Lösung für die Respektierung des Volksentscheides bereithielt:

„Die Koalition respektiert das Ergebnis des Volksentscheides „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ und wird den mit großer Mehrheit angenommenen Beschluss umsetzen. Um eine rechtssichere und organisatorisch praktikable Umsetzung der Forderung nach einer Überführung von Immobilien in Gemeineigentum zu ermöglichen, setzen wir auf einen transparenten, überparteilichen und verbindlichen Verfahrensweg unter Einbeziehung externer fachlicher Expertise. Eine vom Senat eingesetzte Expert:innenkommission wird unter Einbeziehung der Initiative für den Volksentscheid in der ersten Jahreshälfte 2022 die Eckpunkte für eine Vergesellschaftungsgesetz erarbeiten, operative Umsetzungsvoraussetzungen benennen, Fragen formulieren, die zwingend zur Umsetzung des Vorhabens geklärt werden müssen und einen Zeitplan für die Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs vorschlagen. Auf der Basis dieser Vorarbeiten wird ab Mitte 2022 eine überfachliche Stabsstelle Vergesellschaftung in Zusammenarbeit mit den zuständigen Senatsverwaltungen sowie der Senatskanzlei und unter Einbeziehung externer Expertise und Beteiligung von Expert:innen einen Gesetzentwurf erarbeiten. Die Stabsstelle Vergesellschaftung gibt über öffentliche Quartalsberichte regelmäßig Auskunft über ihren Arbeitsstand und stellt die Zwischenergebnisse im Rahmen von parlamentarischen und öffentlichen Anhörungen vor.“

Die Verhandlungsgruppen der drei Parteien einigte sich stattdessen auf diesen Text – und verschoben die nötige politische Entscheidung:

„Die neue Landesregierung respektiert das Ergebnis des „Volksentscheides über einen Beschluss zur Erarbeitung eines Gesetzentwurfs durch den Senat zur Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen“ und wird verantwortungsvoll damit umgehen. Sie setzt eine Expertenkommission zur Prüfung der Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksbegehrens ein. Die Besetzung der Expertenkommission erfolgt unter Beteiligung der Initiative des Volksbegehrens. Die Kommission erarbeitet innerhalb eines Jahres eine Empfehlung für das weitere Vorgehen an den Senat, der dann eine Entscheidung darüber trifft. In den ersten 100 Tagen beschließt der Senat über die Einberufung, Beauftragung und Besetzung der Expertenkommission anhand einer Beschlussvorlage. Dabei setzt die Koalition auf externe fachliche Expertise. In einem ersten Schritt soll die Kommission die Verfassungskonformität einer Vergesellschaftung, wie im Volksentscheid vorgesehen, untersuchen. Dabei sollen auch mögliche rechtssichere Wege einer Vergesellschaftung benannt und rechtlich bewertet werden. In einem zweiten Schritt werden für diese Wege wohnungswirtschaftliche, gesellschaftsrechtliche und finanzpolitische Aspekte berücksichtigt und entsprechende Empfehlungen an den Senat erarbeitet. Der Senat wird die möglichen verfassungskonformen Wege einer Vergesellschaftung unter wohnungswirtschaftlichen, gesellschaftsrechtlichen und finanzpolitischen Gesichtspunkten gewichten und bewerten. Auf Basis der Empfehlungen der Expertenkommission legen die zuständigen Senatsverwaltungen im Jahr 2023 gegebenenfalls Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsgesetz vor. Danach wird der Senat eine abschließende Entscheidung darüber treffen. Es wird eine Geschäftsstelle für die Expertenkommission eingerichtet, die den Mitgliedern unterstützend zur Seite steht. Die Expertenkommission berichtet zu Zwischenständen.“ (S. 24 f.)

Statt Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsgesetz zu erarbeiten und operative Umsetzungsvoraussetzungen zu benennen, soll die Expert:innenkommission nun die Verfassungskonformität untersuchen und die grundsätzlichen Möglichkeiten eines Vergesellschaftungsgesetzes erneut prüfen. Statt eines Eckpunktepapiers für ein rechtssicheres Gesetz soll die Kommission eine Empfehlung formulieren. Statt einer ressortübergreifenden Stabsstelle zur Ausformulierung des Gesetzes sollen „gegebenenfalls“ die zuständigen Senatsverwaltungen mit der Erarbeitung eines Gesetzentwurfs betraut werden. Diese kleinen Formulierungsunterschiede haben großes Folgen. Eine Expert:innenkommission, die bislang keinen klar benannten Auftrag hat, wird im besten Fall Empfehlungen mit vielfältigen, vermutlich widersprüchlichen Positionen abgeben, die für jede politische Haltung zum Vergesellschaftungsvorhaben Pro- und Contra-Argumente bereithalten wird. Entschieden wird dann nach politischer Stimmungslage in der Koalition – oder eben auch nicht. Dass die „Einleitung aller erforderlichen Maßnahmen“ für die Überführung großer Wohnungsbestände in Gemeineigentum tatsächlich erfolgt, kann bezweifelt werden. Der Einschub des Adverbs „gegebenenfalls“ steht für die Zögerlichkeit der Koalition, denn „gegebenenfalls“ ist so ungefähr das Gegenteil von „allen erforderlichen Maßnahmen“.

Der Verzicht auf eine ressortübergreifende Stabsstelle zur Ausformulierung des Gesetzes und die stattdessen erfolgte Ankündigung einer Ausarbeitung durch die zuständigen Senatsverwaltungen ist angesichts der bisherigen Erfahrungen mit dem Verwaltungsapparat von SenSW kein gutes Zeichen für die erfolgreiche Umsetzung eines Vergesellschaftungsgesetzes. Damit geht die Federführung an eine Verwaltung, die der Vergesellschaftung skeptisch gegenübersteht – und die wieder von der SPD geführt wird, die das genauso sieht. Mit der Benennung klarer Eckpunkte und einer mit der Umsetzung beauftragten Stabsstelle hätte sich der Spielraum der Verwaltungen auf fachliche Zuarbeiten beschränkt. Auch wenn mit dem aktuellen Kompromiss die fachlichen Diskussionen der Expert:innenkommission eine transparente und öffentliche Auseinandersetzung ermöglichen, erfolgt das entscheidende Prozedere in den Hinterzimmern von Senatsrunden, Koalitionsausschüssen und Verwaltungen. Die Chance für ein transparentes Verfahren und einer klaren und überprüfbare Aufgabenstellung für die Ausformulierung des Gesetzes wurde mit den Formulierungen des vorliegenden Koalitionsvertrages ausgeschlagen.

Sehr problematisch ist der wahrscheinliche Ausschluss der Initiative aus der Expert:innenkommission. Statt des Vorschlags, die Eckpunkte „unter Einbeziehung der Initiative für den Volksentscheid zu erarbeiten“, soll jetzt nur noch „Die Besetzung der Expertenkommission … unter Beteiligung der Initiative des Volksbegehrens (erfolgen)“. Vielleicht ist es nur eine nachlässige Formulierung, aber im Wortsinn kann es als Vorschlag verstanden werden, dass die Initiative nur noch bei der Auswahl der Expert:innen beteiligt werden soll, ohne aber selbst Teil der Kommission zu werden.

Fazit zur Vergesellschaftung: Die Forderung einer Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne wird ausgebremst. Statt auf die Einleitung von allen erforderlichen Maßnahmen zur Vergesellschaftung setzt die künftige Koalition auf einen weiteren Prüfprozess im Rahmen einer Expert:innenkommission und verlagert die politischen Entscheidungen in die Hinterzimmer von Senatssitzungen und Koalitionsausschüssen. Statt eine Kommission mit der Aufgabe zu betrauen, eine rechtssichere und praktikable Umsetzung zu skizzieren, und darauf aufbauend Eckpunkte für ein Gesetz zu erarbeiten, sollen nun „Empfehlungen“ formuliert werden, auf deren Grundlage der Senat das weitere Vorgehen beschließen soll. Ergebnis: Der Erfolg des eigentlich schon erfolgreichen Volksentscheides wird davon abhängen, ob es nach Jahren immer noch ausreichend Druck von der Straße gibt. Eine harte Probe für die größte soziale Bewegung Berlins seit Jahrzehnten, an deren Ende eine Politikverdrossenheit stehen könnte, die in erster Linie die Linke zu spüren bekommen wird.

Koalitionsvertrag als Ausdruck von politischen Kräfteverhältnissen

Trotz einiger Lichtblicke wie der angestrebten Beendigung der Wohnungslosigkeit, der Ankündigungen, ein Wohnraumsicherungsgesetz zu erarbeiten und ein Mietenkataster aufzubauen oder auch dem Vorhaben, in einem Bodensicherungsgesetz die Unverkäuflichkeit von öffentlichen Liegenschaften festzuschreiben und der seit langem geforderte Umstellung der Härtefallklausel der LWU von nettokalt auf bruttokalt, ist der Koalitionsvertrag für die kommende Legislatur im Bereich des Wohnens vor allem ein Verharren im Status quo und ein Roll Back in eine von privaten Investitionen bestimmte Stadtentwicklung.

Während vor allem die unter Rot-Rot-Grün angelaufenen Projekte wie das Haus der Statistik, der Rathausblock oder auch das Pilotprojekt der Mietermitbestimmung am Kottbusser Tor weitergeführt werden sollen, gibt es so gut wie keine neuen Impulse für eine kooperative Stadtpolitik. Im Bereich von Mieterschutz, Zweckentfremdungsverbot und Vorkaufsrechten werden zwar Gesetzesnovellen und Bundesratsinitiativen angekündigt – eine Idee für neue Instrumente wird nicht präsentiert. Der von der grünen Spitzenkandidatin mit viel Emphase angekündigte „Mietenschutzschirm“ hat es nicht einmal als Begriff in den Koalitionsvertrag geschafft. Stattdessen soll ein Bündnis mit privaten Wohnungsunternehmen die Möglichkeiten für ein „freiwilliges Mietmoratorium“ ausloten.

Das Bekenntnis zu Neubauzielen statt einer sozialen Wohnversorgung führt zurück in die Zeit, als Wohnungspolitik vor allem von privaten Investitionsinteressen getragen wurde. Statt klar zu formulieren, für welche Ziele die Regierung öffentliche Verantwortung übernehmen will, um die Zukunft der Stadt zu gestalten, wird beim Wohnungsbau der rote Teppich für die Immobilienwirtschaft ausgerollt. Statt die kommunale Wohnungswirtschaft auf ihre sozialen Versorgungsaufgaben auszurichten, eine mieternahe Verwaltungsstruktur umzusetzen und ihre Neubaukapazitäten strukturell zu stärken, bleibt der Umbau der sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen aus und die politische Steuerung wird wohl weiter im Modus von Vereinbarungen und Abstimmungen erfolgen.

Das bereits aus dem Wahlkampf bekannte Mantra „Kooperation statt Konfrontation“ steht für eine deutliche Machtverschiebung zugunsten privater Wirtschaftsinteressen. Aus den Erfahrungen der Vergangenheit ist bekannt, dass Unternehmen, die zum Zweck des Geldverdienens gegründet wurden, soziale Zugeständnisse an Mieterschutz nicht freiwillig machen und auch nicht von sich aus darauf verzichten, möglichst viel Geld über die Miete einzunehmen. Ohne eine Konfrontation mit privaten Verwertungsinteressen wird es keine soziale Stadtentwicklung geben. Die SPD hat traditionelle eine große Nähe zur Wohnungswirtschaft, die sich auch in der technokratische Fixierung auf die Neubauzahlen manifestiert. Wenn sie das Stadtentwicklungsressort übernimmt, ist zu befürchten, dass die begonnenen Reformprozesse der letzten Jahre bald Geschichte sein werden: Dazu gehören die Priorisierung von Stadtentwicklungsqualitäten vor Fertigstellungszahlen und die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Stadtgesellschaft.

Wie in anderen Politikfeldern auch sind wohnungspolitische Initiativen und soziale Bewegungen wieder verstärkt auf die klassischen Protestformen zurückgeworfen. Auch weil es die Ansätze einer gemeinsamen Arbeit von Initiativen und Verwaltungen, die sich in den vergangen Jahren zaghaft entwickeln konnten, in der neuen Konstellation deutlich schwerer haben werden. Vom Aufbruch des rot-rot-grünen Versprechens „Wir geben Euch die Stadt zurück“ (2016) ist im vorliegenden Koalitionsvertrag nur noch wenig zu spüren – und das sieht niemand deutlicher, als die Bewegung, die die Versprechen der Linken in Wahlkämpfen ernstgenommen hat. Während die künftige Koalition auf „Kooperation statt Konfrontation“ mit der Immobilienwirtschaft setzt, werden viele Initiativen und Projekte in Zukunft womöglich wieder das Gegenteil erleben. Statt aktiv in den Prozess der Politikgestaltung einbezogen zu werden, werden Mieterinnen und Mieter wieder vor den Türen der Politik stehen und müssen von ‚außen‘ auf ihre Anliegen aufmerksam machen. Der Umgang mit dem Volksentscheid gibt einen Vorgeschmack darauf, wie sich das Verhältnis von aktiven Mieter:innen und der Regierung künftig gestalten wird. Statt kooperativ und gemeinsam an rechtssicheren Lösungen zu arbeiten, werden selbst demokratisch eindeutig legitimierte Anliegen auf den Verschiebebahnhof der Prüfaufträge gesetzt und nach dem Gutdünken des Senats „gegebenenfalls“ beschlossen – oder eben auch nicht. Eine progressive Stadtpolitik sieht anders aus. Berlin hat mehr verdient als den jetzt vorliegenden Koalitionsvertrag.


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