Verfasst von: ah | November 27, 2008

Hamburg: Aufwertungskaskade

Die Hamburger Eliten reden ja gerne von der „Wachsenden Stadt“ und viele stadtpolitische Entscheidungen orientieren sich an den umworbenen Neubewohnern und neuen Unternehmen. Eine Folge solcher untenehmerischer Orientierungen sind Aufwertungen von ganzen Stadtvierteln, in denen die Mieten steigen und Verdrängungsprozesse befürchtet werden. Ein aktuelles Beispiel solcher Aufwertungen stellt das Schanzenviertel dar. In der Süddeutschen Zeitung gibt es einen ausführlichen Artikel über die aktuellen Entwicklungen: Ein bisschen edel, aber noch derb genug.

Das frühere Schlachthof-Viertel hinter dem St.Pauli-Stadion hat sich in wenigen Jahren zum exquisiten Quartier entwickelt. „Wenn du sagst, du lebst in der Schanze, klingt das automatisch cool“, sagt er. „Es wird zwar ein bisschen edel, aber es ist noch derb genug.“ Noch vor wenigen Jahren war es zu derb. Als sich eine offene Drogenszene ausbreitete, zogen Familien weg…

Noch vor einem Jahr beklagte das Hamburger Abendblatt die „Feindliche Übernahme der Latte-Fraktion“ in St.Georg, Ottensen und Eimsbüttel, aktuell scheint die Aufwertungswelle zum Sprung über die Elbe nach Wilhelmsburg anzusetzen.
Ein schlechter Ruf allein ist offenbar kein Schutz vor Gentrificationprozessen und wie das Beispiel der Roten Flora zeigt, können selbst Protestbewegungen in das Image des Aufstiegs integriert werden.

Früh haben die „Floristen“ gewarnt: Im Viertel werde für Leute mit Geld saniert. Genau so sei es gekommen, sagt Blechschmidt. Und die Flora habe den Wandel paradoxerweise noch befeuert. Ihr Protest nährte das schräge Image des Viertels. Mitunter gibt es noch Zoff mit der Polizei. Aber die Flora gilt längst als Hamburger Folklore, wie der Fischmarkt.

Doch das Schanzenviertel ist nicht das einzige Aufwertungsgebiet in der Stadt. Wie in anderen Städten auch, können in Hamburg verschiedene Stufen der Gentrification zur gleichen Zeit beobachtet werden. Zum Teil sind es die berühmten Karawanen der Pioniere, die von Quartier zu Quartier ziehen, immer dann wenn, die Aufwertung ihre eigenen ökonomischen Grundlagen zerstörten oder auch rhetorische Abgrenzungen, die als Zeichen für solche Aufwertungskaskaden gelten können. So wie in Berlin Neukölln vor Friedrichhain und Kreuzberg und dort vor Prenzlauer Berg gewarnt wird, wenn es um Bedrohungsszenarien der Aufwertung geht, so wird in Hamburg Wilhelmsburg vor der Schanze gewarnt. In der taz gab es kürzliche einen lesenswerten Artikel: Reiherstieg droht Schanze.

Das Reiherstiegviertel ist wohl das Quartier in Wilhelmsburg, das am ehesten die Chance hat, dem Schanzenviertel den Rang abzulaufen. Es spielt somit eine wichtige Rolle beim Versuch des Senats, den Stadtteil mit Hilfe von Studentenwohnungen, einer Bauausstellung (IBA) und einer Gartenschau (IGS) 2013 aufzuwerten. Aus Sicht vieler Mieter ist das weniger schön: Sie fürchten die Nachteile der Schanze: hohe Mieten, überall Kneipen und Szene-Gänger.

Und tatsächlich sehen Bewohner/innen und MIeterorganisationen keine Vorteile in den Aufwertungstendenzen:

„Die tatsächliche Wohnqualität wird schlechter“, sagt Jörg von Prondzinski vom „Mieterforum Reiherstieg“ (…) Die Mieterin Judith Lewis kann der Rede vom Stadtteil im Kommen nichts abgewinnen: Was heiße „im Aufwind“, fragt sie: „Es wird nur teurer.“ Dass es keinen Wohnungsleerstand mehr gebe, sei „allein dem Medienhype geschuldet“, sagt von Prondzinski – keinesfalls realen Verbesserungen. Auch die IBA habe daran nichts geändert.

Über die derzeitigen soziale Situation in Wilhelmsburg gibt es eine aktuelle Studie von Claudia Schulz: „Ausgegrenzt und abgefunden?“ Innenansichten der Armut. Lit-Verlag, Hamburg 2008. 191 S., br., 19,90 Euro. In der FAZ gibt eine ausführliche Besprechung ds Buches: Warten auf das Wunder.


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