Verfasst von: ah | Februar 12, 2009

Kreuzberg bald wie Ostberlin?

Das Magazin Klartext des RBB hat gestern einen sehenswerten Beitrag zu den aktuellen Mietentwicklungen in Kreuzberg ausgestrahlt: „Hohe Mieten – Wird der Mittelstand aus der City vertrieben?“. Das ist zwar ein unglücklicher Titel, denn letztlich trifft die Verdrängung vor allem ökonomisch benachteiligte Haushalte – doch bemerkenswert ist der Grundtenor der Sendung: stiegende Mieten und Verdrängung drohen nun auch in den Nachbarschaften der Westberliner Innenstadtbezirke. Die Aunfwertungsprozesse in Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain werden dabei als Drohkulisse einer künftigen Kreuzberger Entwicklung gezeichnet. In der Anmoderation des Beitrags heisst es:

Wohnen im Herzen der Stadt. Das ist in Berlin durchaus bezahlbar. Noch. Denn die Mieten in der Innenstadt klettern seit geraumer Zeit steil nach oben. Viele können sich das nicht leisten und müssen gehen. In den östlichen Citybezirken ist diese Entwicklung besonders gravierend. Beispiel: Mitte, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain. Da wurden komplette Bevölkerungsschichten einfach ausgetauscht. Immer häufiger erwischt es dabei auch Familien aus der Mittelschicht. Ein Trend, der nun auch die westliche Innenstadt erreicht hat.

Zur Erinnerung: noch vor wenigen Jahren galt es als stadtpolitischer Tabubruch im Zusammenhang mit der Stadterneuerung in Ostberlin von Gentrification zu sprechen. Auch die erst kürzlich erschienene Sozialstudie zur Aufhebung des Sanierungsgebietes Kollwitzplatz in Berlin Prenzlauer Berg spricht angesichts von gravierende Verdrängungsindizien in ihrem Zahlenmaterial lieber von einer „sozialen Konsolidierung“. Aus der Kreuzberger Perspektive jedoch erscheint der Prenzlauer Berg als eindeutige Aufwertungskulisse. Ein politischer Appell zum Abschluss des Beitrages warnt erneut vor Ostberliner Verhältnissen:

Wenn im Senat die Mehrheit aus SPD und Linken nicht die Initiative ergreift, wird auch in Kreuzberg das Wohnen zum Luxus werden – wie zuvor in Prenzlauer Berg, Mitte und Friedrichshain.

Für alle, die lieber Lesen statt Filme zu schauen hier das Skript des Beitrages:

Hohe Mieten – Wird der Mittelstand aus der City vertrieben?
Berlin ist arm aber sexy. Sexy vor allem wegen der vielen Kreativen, die das Image der Stadt prägen. Preiswerter Wohnraum zog sie über Jahre in die Stadt. Mit der steigenden Anziehungskraft Berlins steigen gerade bei Neuvermietungen auch die Mieten. Der Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg fordert jetzt staatliche Interventionen, um die gewachsenen Kiezstrukturen zu erhalten.

Wohnen im Herzen der Stadt. Das ist in Berlin durchaus bezahlbar. Noch. Denn die Mieten in der Innenstadt klettern seit geraumer Zeit steil nach oben. Viele können sich das nicht leisten und müssen gehen. In den östlichen Citybezirken ist diese Entwicklung besonders gravierend. Beispiel: Mitte, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain. Da wurden komplette Bevölkerungsschichten einfach ausgetauscht. Immer häufiger erwischt es dabei auch Familien aus der Mittelschicht. Ein Trend, der nun auch die westliche Innenstadt erreicht hat. Welche sozialen Folgen das haben kann, zeigen Andrea Everwien und Iris Marx in Kreuzberg.

Mieter
„Es sind Leute gekommen, die sehr viel mehr Geld haben, die Mieten sind enorm gestiegen. Also ich könnte schon gar nicht mehr in eine kleinere Wohnung ziehen, weil selbst bei einer ein Drittel kleineren Wohnung die Mieten höher wären.“

Mieter
„Wir sind mit 83 Reichsmark damals eingezogen. Dann haben wir – zuletzt habe ich 750 D-Mark bezahlt, dann durch die Euro-Umstellung waren es 370 Euro, und jetzt zahlen wir fast 500 Euro Kaltmiete.“

Die Bergmannstraße – ein städtischer Mythos, der Berlin prägt: Jährlich kommen tausende Touristen, um dieses Viertel der Kneipen und Künstler zu erleben. Anders als in Rom, Paris oder London gilt in Berlin die Innenstadt als preiswert: Kreative aus aller Welt zogen hier ein, denn neben interessanten Läden gibt es im Bergmann-Kiez große Wohnungen, in denen man auch arbeiten kann.

Toleranz ist Prinzip – schon immer wohnten hier viele Migranten. Kurzum: ein Kiez, wie man sich die Stadt wünscht.

Sigmund Gude ist Stadtsoziologe. Seit Jahren beobachtet er das Viertel rund um die Bergmannstraße. Erst im letzten Jahr legte er eine Untersuchung zum Gebiet Bergmannstraße Nord vor.

Was Gude am Bezirk interessiert: Hier wohnen arm und reich zusammen. Migranten, Rentner, Selbständige – und dabei gibt es viel weniger Konflikte als in anderen Bezirken der Stadt.

Sigmund Gude, Stadtplanungsinstitut „Topos“
„Dass dieses Gebiet dann durchaus auch funktioniert und keine großen negativen Schlagzeilen in der Vergangenheit hervorgerufen hat, da sehen wir die Qualität. Das sollte erhalten bleiben, weil es auch zukunftsfähig ist.“

Die Menschen im Bergmann-Kiez wohnen lange in ihrem Viertel – im Schnitt fast 13 Jahre. Denn sie leben gern hier: Nirgends in der Berliner Innenstadt ist die Wohnzufriedenheit so hoch wie hier.

Passant
„Typisch Kreuzberg ist eben gerade diese Diversität, diese Mischung. Also, es ist eben kein Ghetto, es ist Multi-Kulti. Also wenn es irgendwo Multi-Kulti gibt, dann eben in Kreuzberg.“

Marianne
„Leben und leben lassen, ein guter Grundsatz. Die Höflichkeit, die Hilfsbereitschaft, das war früher sehr stark.“

Gerhard
„Es gibt viele Leute, mit denen man zusammenarbeiten kann, es gibt viele Kitas. Auch die Kinder, wo ich am Anfang ein bisschen skeptisch war, haben sich sehr gut integriert und überhaupt in den letzten Jahren ist es so, dass wir – die ganze Familie – das niemand mehr weg will hier.“

Toleranz und gute Nachbarschaft – das sorgt für soziale Stabilität. Deshalb wünscht sich der grüne Kreuzberger Bürgermeister Franz Schulz:

Franz Schulz (Bü90/Grüne), Bezirksbürgermeister Friedrichshain-Kreuzberg
„…die Bewohnerschaft auch in der Mischung hier zu erhalten, genau in der Mischung hier zu erhalten, und zwar in den Wohnorten, wo sie sind.“

Denn diese Mischung ist bedroht. Viele Besserverdienende entdeckten in den letzten Jahren den Bergmann-Kiez. Die Häuser wurden modernisiert, die Mieten stiegen – und die Ansprüche gleich mit.

Wohnungsbesichtigung im Kiez. Das Angebot: Vier Zimmer, 152 Quadratmeter, Parkett, Stuck, Flügeltüren. Der Preis war für die potentiellen Neumieter – zwei Personen – offenbar kein Problem: 900 Euro Monatsmiete kalt hätten sie locker bezahlt.

Muzaffer Bacak, Immobilien-Makler
„1250 warm, 900 kalt.“
KLARTEXT
„Hier waren jetzt gerade zwei Männer, die die Wohnung besichtigt haben. Warum wollten die die nicht haben?“
Muzaffer Bacak, Immobilien-Makler
„Diese Wohnung war leider etwas zu klein für die.“

Eine große Wohnung in einfacher Lage kostet im Berliner Durchschnitt 4,27 Euro pro Quadratmeter. Im Gebiet Bergmannstraße Nord – ebenfalls einfach Lage – dagegen: 5,21 Euro für den Quadratmeter – also fast einen Euro mehr.

Solch teure Mieten vertreiben die angestammten Bewohner – auch am angrenzenden Chamissoplatz. Hier leben die Haushalte mit den geringsten Einkommen im Kiez.

Etwa Familie Lambertz. Vor elf Jahren zogen Hanna Zimmermann und Frank Lambertz mit ihrem Sohn in diese Wohnung am Chamissoplatz. Die Miete damals: 700 Euro für 120 Quadratmeter. Die Familie braucht sehr viel Platz.

Lambertz ist professioneller Maler, hat sein Atelier in der Wohnung. Auch Hanna Zimmermann arbeitet viel zuhause – sie ist selbständige Bühnenbildnerin.
Hanna engagiert sich im Kiez für Migrantenkinder, macht mit ihnen Theaterprojekte – das sind die Freunde ihres Sohnes.

Doch die Lambertz’ stehen kurz vor dem Umzug: Die Miete stieg auf über 1000 Euro – untragbar für die Künstlerfamilie.

Hanna Zimmermann
„Man hat schon so ein bisschen das Gefühl, dass einem so ein bisschen der Teppich unter den Füßen weggezogen wird, weil es wirklich schwer ist, sich die Alternativen vorzustellen.“

Dabei ist die Mieterhöhung ganz legal: Das Bürgerliche Gesetzbuch erlaubt Mietsteigerungen um bis zu 20 Prozent in drei Jahren. Das ist bundesweit gültiges Mietrecht – doch der grüne Kreuzberger Bürgermeister will es ändern, um die Kreuzberger Mischung zu erhalten.

Franz Schulz (Bü90/Grüne), Bezirksbürgermeister Friedrichshain-Kreuzberg
„Wir haben ja gegenwärtig die Situation, dass man ohne irgendeine Wohnwertverbesserung innerhalb von drei Jahren die Miete um 20 Prozent steigern kann. Da sage ich: Das ist viel zu hoch, das ist ein ganz enormes miet-treibendes Moment und mein Vorschlag ist, dass man nur den Inflationsausgleich dort draufschlagen kann. Das würde zwischen sechs und neun Prozent innerhalb von drei Jahren bedeuten.“

Wenn Familie Lambertz die Miete nicht mehr zahlen kann und ausziehen muss, kann der Eigentümer richtig Geld verdienen: Bei der Neuvermietung kann er nämlich so viel draufschlagen, wie der Markt hergibt – im Bergmann-Kiez sind das zur Zeit bis zu 50 Prozent.

Ob Mieter, die solch hohe Mieten zahlen können, neben dem Beruf noch freie Zeit für Theaterprojekte mit türkischen Nachbarkindern finden – das ist ungewiss. So drohen die gewachsenen Nachbarschaftsstrukturen zu zerbrechen durch die steigenden Mieten – das Besondere des Bergmannkiezes geht verloren.

Der Kreuzberger Bürgermeister will deshalb in Zukunft bei Neuvermietungen nur noch eine Erhöhung bis zum Durchschnitt des Mietspiegels zulassen.
Franz Schulz (Bü90/Grüne), Bezirksbürgermeister Friedrichshain-Kreuzberg
„Das würde bedeuten, für einen großen Teil der Neuvermietungen, dass sie nicht mehr mit Mieterhöhungen vollzogen werden könnten.“

Bezirksbürgermeister Schulz kann seine Forderungen aber nicht allein umsetzen. Dazu braucht er den Senat: Schulz forderte von ihm eine Bundesratsinitiative zur Begrenzung der Mietentwicklung zu starten.

Die zuständige Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer lehnte das aber ab. In ihrem Schreiben an KLARTEXT heißt es:

Zitat Ingeborg Junge-Reyer, SPD, Stadtentwicklungssenatorin Berlin:
„Wir sind der Auffassung, dass die bestehenden bundesrechtlichen Regelungen … einen ausreichenden Schutz der Mieterinnen und Mieter gewährleisten.“

Der Verein der Haus- und Grundbesitzer sieht das verständlicherweise genau so.
Schließlich müsse niemand im Bergmann-Kiez wohnen, es gebe genug Wohnraum in der Stadt.

Dieter Blümmel, Haus & Grund Berlin
„Warum sollten wir irgendwelche bunten Mischungen schützen? Es gibt eine gesamte Stadt, in der gibt es 1,4 Millionen Wohnungen. Davon stehen 100.000 leer und da soll sich jeder seine Wohnung suchen, in die er am liebsten hin ziehen will. Es hat niemand ein Anrecht darauf, an einer ganz bestimmten Stelle für sein ganzes Leben zu einer niedrigen Miete wohnen bleiben zu dürfen.“

Sigmund Gude hält dagegen nichts davon, den ärmeren Teil der Mieter in andere Stadtteile zu verdrängen.

Sigmund Gude, Stadtplanungsinstitut „Topos“
„Dann werden wir natürlich auch keine sicheren, soliden Strukturen in den Stadtteilen mehr haben. Wir stellen eben gerade da fest, wo nicht solange gewohnt wird, wo die Leute keine guten Kontakte zu einander haben, da ist das Klima deutlich schlechter.“

Wenn im Senat die Mehrheit aus SPD und Linken nicht die Initiative ergreift, wird auch in Kreuzberg das Wohnen zum Luxus werden – wie zuvor in Prenzlauer Berg, Mitte und Friedrichshain.
Beitrag von Andrea Everwien und Iris Marx


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