Verfasst von: ah | November 23, 2009

Berlin: Wohnungsreformvorschlägemacher beim Wort nehmen!

Nach jahrelanger Funkstille tut sich was in den wohnungspolitischen Debatten der Hauptstadt. Aufgeschreckt von einer Protestbewegung rund ums Thema Stadtentwicklung (MediaSpree Versenken!, Mietenstop-Bündnis, Proteste gegen Luxuswohnprojekte und Stadtteilinitiativen) versuchen inzwischen auch die Parteien im Abgeordentenhaus das Thema für sich wiederzugewinnen.

Noch klingen uns die abwiegelnden Statements der Stadtentwicklungssenatorin vom „entspannten Wohnungsmarkt“ in den Ohren, da entwickelt sich sowas wie ein parteienpolitischer Wettbewerb um die sozialste Wohnungspolitik. Nicht dass schon irgendeine Forderung umgesetzt, ein konkretes Programm aufgelegt oder eine Mietbegrenzung durchgesetzt wurde – aber immerhin: Wohnungspolitik schafft es in die Programme der regierenden und nicht regierenden Parteien Berlins. Während sich die Hauptstadtgrünen noch um eine klare Wahlaussage herumdrücken (taz: „Jamaika macht die Grünen kirre„), formiert sich sowas wie ein rot-rot-grünes Bündnis der wohnungspolitischen Versprechungen. Hier eine kleine Übersicht der einzelnen Positionen und Vorschläge:

Rot-Rot-Grüne Wohnungsreformvorschläge in Berlin:

Die Grüne: Den ersten Aufschlag einer parteipolitischen Stellungnahme im Bereich der Mietentwicklung gab es  von den Grünen. Franz Schulz, der Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg formulierte Ende November letzten Jahres einen „Offenen Brief“ an den Regierenden Bürgermeister: „Soziale Stadtentwicklung braucht Steuerungsinstrumente (pdf)„. Darin heisst es unter anderem:

Viele Berlinerinnen und Berliner treibt die Sorge vor steigenden Wohnkosten um. Etliche befürchten, weitere Mietsteigerungen nicht mehr tragen zu können und das angestammte Wohnumfeld verlassen zu müssen. Entsprechende Ängste sind berechtigt. Auch wenn das Berliner Mietniveau dem nationalen und internationalen Vergleich hinterherhinkt, stellen anziehende Nettomieten und explodierende Mietnebenkosten viele Bewohner unserer Stadt vor existenzielle Probleme.

Die bezirklichen Mittel zur Verhinderung von Mietsteigerungen und Verdrängungseffekten seien erschöpft – so seine Argumentation – daher müsse eine grundlegende Änderung des Mietrechts her. Sein Appell an die rot-rote Regierung richtet sich auf eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Mietrechts. Konkrete Forderungen beziehen sich auf:

  • Kappung der Neuvermietungsmieten am Mietspiegel-Mittelwert
  • Begrenzung der Mieterhöhungen ohne Wohnwertsteigerung
  • Ergänzung des Baugesetzbuches um Mietobergrenzen in Sanierungsgebieten zu ermöglichen
  • Begrenzung der Mietbelastung in Milieuschutzgebieten auf 25 Prozent des Haushaltseinkommens

In einem Interview gegenüber der taz skizziert der baupolitische Sprecher der Grünen weitere wohnungspolitische Konzepte seiner Partei: „Interview mit Andreas Otto: Mehr Sozialwohnungen kaufen„. Darin schlägt Otto unter anderem vor:

  • Eigentümer im Sozialenwohnungsbau auf die Einhaltung des Mietspiegels zu verpflichten
  • Sozialwohnungen durch die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften zu übernehmen
  • Öffentliche Wohnungen im Innenstadtbereich aufzukaufen (und dafür in anderen Gebieten öffentliche Wohnungen zu verkaufen)
  • Baugruppen und Genossenschaften sollten vorrangig „außerhalb der Innenstadt“ gefördert werden, um „diese Quartiere auch für Leute mit höheren Einkommen attraktiv (zu) machen“

Die SPD: Ist kürzlich mit „ersten Überlegungen für einen Ausstieg aus der Förderung des Sozialen Wohnungsbaus“ in die Öffentlichkeit getreten. Die Berliner Zeitung berichtet darüber: „Der soziale Wohnungsbau soll sozial werden„. Der „Ausstieg aus der Förderung“ klingt im Zusammenhang mit einer sozialen Wohnungspolitik erst einmal überraschend, ist aber vor dem Hintergrund der völlig aus dem Ruder geraten Fördersystematik im Sozialen Wohnungsbau tatsächlich längst überfällig. Durch die Förderung orientieren sich die Mieten im Sozialen Wohnungsbau an sogenannten Kostenmieten, die zumindest in Berlin deutlich über den Mietspiegelwerten vergleichbarer Wohnungen liegen. Durch den degressiven Abbau der Fördersummen können die Mieten im Sozialen Wohnungsbau jedes Jahr um 0,13 Euro gesteigert werden. In den letzten Jahren hat der Senat durch eine sogenannte Anschlussförderung – also eine zusätzliche Zahlung an die bereits geförderten Eigentümer – diese Mietsteigerungen in bestimmten Beständen gedeckelt. Sozialer Wohnungsbau in Berlin hat also nicht nur zu hohe Mieten, sondern kostet obendrein auch noch zusätzliches Geld. Damit soll jetzt Schluss sein:

Die Mieten im sozialen Wohnungsbau der Hauptstadt sollen künftig deutlich preiswerter als auf dem freien Wohnungsmarkt sein. Das geht aus einem Papier der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zur „Förderung des Wohnungsbaus“ hervor, das der Berliner Zeitung vorliegt. In „ersten Überlegungen“ zum Ausstieg aus dem bisherigen Fördersystem heißt es, dass die Sozialmieten künftig mindestens zehn Prozent unter den vergleichbaren Werten des Mietspiegels liegen sollen. Bislang sind die Sozialmieten etwa zehn Prozent teurer als Wohnungen des freien Marktes. Betroffen sind alle jetzigen 172 629 Sozialwohnungen.

Gedacht ist offensichtlich an eine Form der vorfristigen Auflösung bestehender Förderbindungen, die den Eigentümern insgesamt einen finanziellen Vorteil bringen soll. Im Gegenzug sollen sich die Eigentümer  für einen noch nicht festgelegten Zeitraum zu einer Miete von 10 Prozent unter den Mietspiegelwerten verpflichten. Diese Idee firmiert als „erste Überlegungen“, ein konkreter Vorschlag soll aber im kommenden Jahr im Bauausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses eingebracht werden.

Die Linke: Auch die Linkspartei in Berlin hat die Wohnungspolitik als Feld für ihre Politik wiederentdeckt. Bereits im März 2009 wurde auf einer Fraktionsklausur ein Selbstverständigungspapier mit dem Titel „Soziale Wohnungspolitik für Berlin (pdf)“ beschlossen. Darin werden unter anderem folgende Ziele benannt:

  • Änderung der Regelungen für die Kosten der Unterkunft für SGB-II-Beziehende um den „Verbleib im sozialen Umfeld zu ermöglichen“
  • Austieg aus der Anschlussförderung im Sozialen Wohnungsbau
  • Insolvenzstrategie für Investoren im ehemaligen Sozialen Wohnungsbau
  • sozialere Vermietungspraxis der öffentlichen Wohnungsunternehmen und gezielter Ankauf von Wohnungen in Aufwertungsgebieten
  • Unterstützung von Initiativen zur Veränderung des Miet- und Baurechts auf der Bundesebene

In den aktuellen Debatten ist der wohnungspolitische Sprecher der Linkspartei Uwe Döring mit dem Vorschlag in die Öffentlichkeit gegangen, mehr öffentliche Wohnungen in den Gebieten mit angespannten Mietpreisen zu erwerben. die Berliner Morgenpost titelte: „Linke will städtische Wohnungen in teuren Lagen

„In gewissen Gebieten stellen wir einen starken Anstieg der Mieten bei Neuvermietung fest“, sagte der Wohnungsbau-Experte der Linkspartei, Uwe Doering. Dieser Anstieg führe zur Verdrängung sozial schwächerer Mieter. „Deswegen denken wir darüber nach, dort mehr landeseigene Wohnungen bereitzustellen“, sagte Doering.

Soweit, so schön und so erwartbar die Positionierungen der drei Parteien. Auf der Ebene der Forderungen gibt es sicherlich auch mit großen Teilen der Mieterorganisationen und Stadtteilinitiativen keinen großen Dissenz – wenn da nicht die Kleinigkeit mit der fehlenden politischen Praxis wäre. Zur Erinnerung: zumindest die SPD und die Linke sind zur Zeit in Berlin in Regierungsverantwortung und müssen sich stärker als an wohlmeinenden Vorschlägen an der eigenen Praxis messen lassen. Und da ist bisher noch nicht wirklich viel passiert.

Die beginnenden mietenpolitischen Bewegungsansätze in Berlin (wie das Bündnis Steigende Mieten Stoppen) sind also gut beraten, sich nicht vom farbenfrohen Gleichklang der Sozialen-Stadt-Rhetorik einlullen zu lassen, sondern den Parteien weiter auf die Finger zu schauen. Wohnungsreformvorschläge sind gut – tatsächliche Wohnungsreformen sind besser!


Antworten

  1. Guten Abend,

    vielleicht interessiert dich das hier ja:

    Kleine Kapitalismuskunde, kindgerecht

  2. […] in Berlin wird sehr lebhaft geführt. Der Rot-Rote Senat versucht sein einigen Monaten in die Debatte einzusteigen. Doch bisher ist der Regierungskoalition nicht viel eingefallen. Und auch wir […]


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