Verfasst von: ah | August 27, 2011

Berlin: Tumult bei der Gentrification-Veranstaltung der CDU

Berlin verstehen ist gerade nicht so einfach. Ausgerechnet die CDU verkauft sich als Partei der Mieter/innen

Am Donnerstag war ich zu einer Veranstaltung der CDU in Tempelhof-Schöneberg eingeladen:  Gentrifizierung: Sozial oder asozial. Was braucht der Mieter – was kann er noch bezahlen?  Bei Freunden und Familienangehörigen musste ich mich im Vorfeld für meine Zusage rechtfertigen – doch es wurde ein zumindest erkenntnisreicher Abend.

Erkenntnis 1: Vielleicht nicht wirklich überraschend: Auch die CDU kann das wohnungspolitische Vakuum in Berlin nicht füllen.

Erkenntnis 2: Ein fachlich prominent besetztes Podium war nicht ansatzweise in der Lage die von den Mieter/innen in die Diskussion gebrachten Probleme (konkret der geplante Abriss eines Wohnhauses in der Barbarossastraße) in die eigenen Überlegungen einzubeziehen.

Erkenntnis 3: An der CDU (in Schöneberg) sind die Partizipationsdebatten der letzten Jahre offenbar völlig vorbeigelaufen. Stattdessen wurden emotional vorgetragene Fragen und Meinungen von anderen Teilen des Publikums niedergeschrien und körperliche Auseinandersetzungen konnten nur durch das beherzte Eingreifen von einigen Gästen verhindert werden.

Doch der Reihe nach: Schon die Auswahl des Podiums versprach einigen Unterhaltungswert, denn die CDU hat ganz offensichtlich den immobilienwirtschaftlichen Kern der Gentrification-Debatte erkannt und neben Rainer Wild vom Berliner Mieterverein auch Hiltrud Spungala vom Bundesverband FreierImmobilien- und Wohungsunternehmen (BFW) und  Dr. Carsten Brückner, seines Zeichens Landesvorsitzende von Haus & Grund Berlin auf das Podium geladen.

Nicht eingeladen, aber zahlreich im Goldenen Saal des Schöneberger Rathauses vertreten, waren hingegen Aktivist/innen aus dem zum Abriss freigegebenen Wohnhaus in der Barbarossastr. 59. Gleich zu Beginn der Veranstaltung brachte eine Mieterin des Hauses das Thema lautstark ins Gespräch und wies auf den tatsächlich merkwürdigen Umstand  hin, dass die CDU in der BVV Tempelhof-Schöneberg für den Abriss gestimmt, nun zum Wahlkampf aber eine Veranstaltung zur Gentrification einberufen habe.

Der abgeordnetenhauserprobte Moderator (Albert Weingartner, 2010 von der FDP in die CDU gewechselt) versprach eine offene Diskussion zu einem späteren Zeitpunkt und wollte zunächst die Diskussion des Podiums beginnen. Nach gefühlt zwei Stunden und drei eher ausführlichen Runden zu verschiedenen allgemeinen Fragestellungen der Wohnungmarktentwicklung in Berlin deuteten mehre Leute im Publikum durch Fingerzeige ihren Diskussionsbedarf an – doch zunächst blieb die Diskussion auf dem Podium.

Nachdem auch die ersten öffentlichen Wortmeldungen mit ausführlichen Statements von vorn beantwortet wurden, platzte der Mieterin aus der Barbarossastraße der Geduldsfaden. Mit lauter Stimme versuchte sie sich Gehör zu verschaffen und wurde von mehreren Männern, die offensichtlich zur Bezirksgruppe der CDU gehörten niederschreien: „Halts Maul!“,  „Wir wollen Dich hier nicht hören!“. Diese lautstarke Reaktion trug nicht zur Beruhigung der Situation bei. Weil auch beleidigende Worte gefallen waren, ging die Mieterin auf einen der CDU-Männer und sprach ihn direkt darauf an. Statt die Situation zu entschärfen baute er sich laut schreiend vor ihr auf und wenn nicht andere Gäste der Veranstaltung dazwischen gegangen wären, hätte es eine körperliche Auseinandersetzung gegeben.

Die Enttäuschung der Mieter/innen aus der Brabarossastraße beschränkten sich aber nicht nur auf die rüden Umgangsformen bei der CDU in Schöneberg. Auch inhaltlich gab es wenig erfreuliches zu hören. Die Eigentümervertreter/innen erfüllten ihre Aufgabe souverän und vertraten die Eigentümerinteressen.

Ihr Programm: möglichst wenig staatliche Eingriffe und wenn überhaupt preiswerten Wohnraum, dann solle der Staat dafür bezahlen.  Schuld an der aktuellen Wohnungskrise in Berlin sei der Senat, weil er durch vielfältige Restriktionen (v.a. im Baurecht und durch hohe Grunderwerbssteuern) die wohnungswirtschaftlichen Aktivitäten ausbremse. Matthias Brauner (der wohnungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus) hatte auch nicht viel mehr zu bieten und würde gerne über zeitlich beschränkte Belegungsbindungen bei der Vergabe von öffentlichen Grundstücken verhandeln. Um die Kosten von Neubaumieten zu senken, schlug er Standardabsenkungen durch eine weitergehende Liberalisierung des Baurechts vor. Das ist keine wirklich moderne Wohnungspolitik; zuletzt gab es in den 1950er Jahren Programme, die Sozialmieten im Schlichtwohnungsbau verwirklichen wollten.

Rainer Wild argumentierte dagegen und verweis auf den Umstand, dass größere Flächenpotentiale für Neubauten, ja eher in den städtischen Randlagen zu finden seien und die Forderung über Neubauaktivitäten den Druck vom Wohnungsmarkt zu nehmen, eine Verschärfung der sozialräumlichen Polarisierung in Kauf nehme. Sein zweites Argument bezog sich auf die hohen Erstellungskosten neugebauter Wohnungen: „Es gibt keinen teureren Weg, als mit Neubau die Wohnungsnot zu lösen“. Statt dessen sollten preiswerte Wohnungen im Bestand vor Mieterhöhungen und preistreibenden Modernisierungen geschützt werden.

Das finde ich einleuchtend und bringt mich zurück zum geplanten Abriss in der Barbarossastraße. Hier soll ein preiswerter Siedlungsbau aus den 1960er einem Luxuswohnkomplex und einer Parkanlage weichen. Für die meisten der Mieter/innen bedeutet ein Verlust der Wohnung zugleich die Verdrängung aus der Nachbarschaft, denn vergleichbare Mietpreise sind in den Neuvermietungsangeboten in Schöneberg nicht zu finden. Ein wirksames Instrument gegen die Verdrängung wäre hier also die entschiedene Versagung einer Abrissgenehmigung gewesen.

Wäre gewesen. Denn der Investor HochTief hat bereits fast alle Genehmigungen und behördlichen Zustimmungen beisammen und ist durch gezielten Druck auf die letzten Bewohner/innen dabei, die für den Baubeginn notwendige Baufreiheit zu schaffen. Ein Podium über Gentrification in Schöneberg hätte also genau über dieses Projekt diskutieren sollen. Die Wut und Enttäuschung der Mieter/innen erscheint mir mehr als verständlich.

Für Mittwoch, den 31. August (16 Uhr) laden die Bewohner/innen der Barbarossstraße 59 zu einer Kundgebung vor das Schöneberger Rathaus ein, weil die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) an diesem Tage über den unsozialen Bebauungsplan abstimmen wird. Im Aufruf heisst es:

Die Verdrängung sozial benachteiligter Mieter wird von den meisten Schöneberger Bezirksverordneten bekanntlich gern verdrängt. Grünflächen werden von vielen Stadtplanern nur noch als störend angesehen. So geht es nicht weiter! Protestieren Sie mit uns gegen eine mieterfeindliche und abgehobene Bezirkspolitik und gegen die Vernichtung von Stadtnatur am Alice-Salomon-Park. Zeigt den Baulobbyisten die „Rote Karte“!

 

 

 

 

 


Antworten

  1. Hallo Andrej,

    zunächst Respekt vor Deiner Arbeit und Mühe sowie die ausführlichen Informationen. Eine Kritik und Frage sei mir jedoch am Rande erlaubt: Weshalb argumentieren Du und die Betroffenen im o.a. Zusammenhang nicht mit der Verfassung von Berlin? Vielleicht sollte man gerade vor der Abgeordnetenwahl hier in Berlin die Bewerber eben damit konfrontieren:

    Artikel 24 Verf. Berlin
    Jeder Mißbrauch wirtschaftlicher Macht ist widerrechtlich. Insbesondere stellen alle auf Produktions- und Marktbeherrschung gerichteten privaten Monopolorganisationen einen Mißbrauch wirtschaftlicher Macht dar und sind verboten.

    Artikel 28 Verf. Berlin
    (1) Jeder Mensch hat das Recht auf angemessenen Wohnraum. Das Land fördert die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen, sowie die Bildung von Wohnungseigentum.

    Quelle: http://www.berlin.de/rbmskzl/verfassung/abschnitt2.html

  2. Welcher Druck wurde denn ausgeübt, dass die Mieter die Wohnung verlassen? 30.000€ in bar? Täte mich nicht wundern. Hinterher beschweren, dass diese Kosten in die Wohnungspreise einfliessen und die Mieten weiter erhöhen. Bravo 🙂

  3. […] Interessenausgleich zu kümmern. Wie nicht anders zu erwarten war, was er in einem Beitrag für den Gentrificationblog ausführlich erläutert, scheiterte die Podiumsdiskussion an der Ignoranz der […]

  4. Hallo Andrej,

    kannst du im Nachhinein eine Bewertung abgeben, ob deine Anwesenheit auf dem Podium sinnvoll oder eher schädlich war? Konntest du da was ausrichten? Wäre es besser gewesen, du wärst mit den MieterInnen im Publikum gewesen?

    An die MieterInnen der Barabrossastr.:

    Gute Aktionsform, Danke für Euren Mut, soviel Wut auszuhalten !

  5. Hallo Margit,

    gute Frage und gar nicht leicht, dass tatsächlich einzuschätzen. Die Veranstaltung war ganz offensichtlich von der Moderation nicht als wirklich offene Diskussion geplant. So war es von vornherein schwer, den Belangen der Mieter/innen der Barbarossastraße Gehör zu verschaffen. Das hatte ich so nicht erwartet und war auf den langen Ausschluss des Publikums nicht vorbereitet.
    Meine Versuche in meinen Beiträgen auf die Barbarossastraße zu verweisen waren offensichtlich nicht energisch genug, um die anderen Podiumsgäste zu Stellungnahmen zu bringen. Insofern war ich auch nur Teil der Podiumsexpert/innen.

    Grundsätzlich stehe ich aber zu meiner Teilnahme an der Veranstaltung und finde eine fachliche Auseinandersetzung auch mit Eigentümervertreter/innen sinnvoll. Letztendlich geht es in der Stadt um Interessenkonflikte, die auch irgendwo ausgetragen werden müssen. Für mich war es zumindest interessant, die Positionen und ihre Argumentationen in der unmittelbaren Diskussion kennenzulernen. Ob bei Frau Spungala oder Herrn Brückner irgendetwas von meinen Argumenten angekommen ist, kann ich nicht einschätzen. Freunde im Publikum haben mir berichtet, dass ich zumindest bei einigen der CDU-Anhänger/innen ein Grübeln ausgelöst habe, ob das mit dem freien Markt tatsächlich so ein gute Idee sei.

    Im Vorfeld schon hatte ich mich mit der Überlegung auseinandergesetzt, ob einen Teilnahme an einer Parteiveranstaltung im Wahlkampf nicht generell der Gefahr der Vereinnahmung unterliegt. Das hatte ich für die CDU im Vorfeld ausgeschlossen – da es dann doch zu wenig Schnittmengen zwischen ihren und meinen Positionen gibt. Im Kern hat sich das auf der Veranstaltung auch bestätigt: Auch die CDU hat keine schlüssigen Antworten auf die Wohnungskrise in Berlin.

    Das werden wir also doch wieder selbst in die Hand nehmen müssen. Die nächste Gelegenheit dazu ist sicherlich die große Mietenstop-Demo am Samstag (3. September).
    http://mietenstopp.blogsport.de/demo/gemeinsam-zur-demonstration/
    Vielleicht sehen wir uns ja dort,

    AH


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