Verfasst von: ah | Oktober 27, 2012

Berlin: Miete. Mischung. Mehrwert.

Unter dem Titel „Miete, Mischung, Mehrwert – Warum Kotti und Co uns alle angeht“ haben die Migrations- und Stadtforscher/innen zu einer Veranstaltung geladen, die in den letzten Woche zwei öffentliche Briefe zur Unterstützung der Mietproteste von Kotti&Co. veröffentlicht hatten (siehe: „Ein Angebot, das wir nicht ausschlagen können“ / „Für eine soziale Mieten- und Wohnungspolitik„).

Im gut gefüllten Veranstaltungsraum des Museum Kreuzberg wurde gestern Abend dann nicht nur die breite Unterstützung für Kotti&Co zelebriert, sondern auch eine inhaltliche Diskussion über den Sinn und Unsinn einer „Sozialen Mischung“ angeregt.

Den Mieter/innen von Kotti&Co. ist im Laufe ihres Protestes immer mal wieder das Argument der „Durchmischung“ begegnet – in der Regel wenn es darum ging, die Mietsteigerungen zu rechtfertigen oder eine Verdrängung zu verharmlosen. Wir haben diese Erfahrungen als Anlass genommen, um uns mit dem Konzept der Sozialen Mischung auseinanderzusetzen. Britta Grell, die die Veranstaltung mit organisierte,  hat  vorab ein Interview im Neuen Deutschland gegeben: „Gut gemischt ist halb verdrängt?„.

Frage: Liegt man falsch, wenn man bei sozialer Mischung an sozialen Ausgleich denkt?

Britta Grell: Das Leitbild »soziale Mischung« suggeriert ganz unterschiedliche Dinge. Für einige hat es etwas mit Ausgleich oder sozialer Gerechtigkeit zu tun nach dem Motto: »Die Stadt ist für alle da und nicht nur für die Reichen.« In der Stadtentwicklungsdebatte merkt man aber schnell, dass damit auch entgegengesetzte Interessen vertreten werden, wenn zum Beispiel behauptet wird, es bedürfe einer Aufwertung von armen Nachbarschaften durch den Zuzug von besser gestellten Schichten, damit es allen, auch den benachteiligten Bevölkerungsgruppen, besser geht. Damit legitimiert man unter Umständen die Verdrängung von Arbeitslosen oder Migranten.

Ein paar Gedanken aus meinem Input gibt es hier zu lesen:

„Unser Problem ist nicht die Mischung, sondern die Miete.“

In sozialwissenschaftlichen und stadtpolitischen Debatten wird seit langem über die sozialräumlichen Polarisierungstendenzen in den Städten diskutiert. Insbesondere die Konzentration sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen wird dabei als Problem wahrgenommen. Strategien richten sich entsprechend auf die soziale Durchmischung der Bevölkerung. Stadtplaner sehen die gemischte Stadt als Ideal und auch viele Initiativen gegen Gentrifizierung argumentieren mit dem „drohenden Verlust der Mischung“.
Der Begriff der „Sozialen Mischung“ hat als stadtplanerisches Ideal und sozialpolitisches Versprechen einen von vielen Seiten geteilten Wohlklang. Das Verwundert: Denn bisher gibt es keine empirische Evidenz dafür, dass die Umkehr der räumlichen Ausgrenzung tatsächlich eine Lösung für Armut und Ausgrenzung bietet.  Dinge von denen wir zu wissen glauben, ohne das entsprechende Wissen zu haben, können als Mythos beschreiben werden – in diesem Fall spreche ich vom „Mythos der Sozialen Mischung“.

Mit meinem Beitrag auf der Veranstaltung am 26. Oktober 2012 habe ich ein paar Gedanken vorgestellt, um diesem „Mythos der Sozialen Mischung“ auf den Grund zugehen. Dazu wurden ein kurzer Blick in die Geschichte geworfen, eine kritische Perspektive auf die Realität hinter den sozialen Verheißungen der Mischung gerichtet und die mögliche Interessen hinter der Mischungs-Rhetorik beleuchtet. Die im Beitrag vorgestellten Beispiele und Zitate sind für alle Interessierten in einem bereits 2009 veröffentlichten Beitrag detailliert und mit Quellenangaben nachzulesen: „Mythos Soziale Mischung„.

Als Ergebnis meines kleinen Rückblicks in die Geschichte der Stadtpolitik und die Praxis der Sozialen Mischung habe ich drei Thesen in den Raum gestellt, die uns helfen können, die Rhetorik der Sozialen Mischung einzuordnen:

  • Wer von Mischung spricht verwandelt insbesondere die als „Problemgruppen“ definierten Gruppen in Objekte der Stadtplanung. Soziale Mischung ist die Marschmusik einer repressiven und autoritären Neuordnung der Städte.
  • Soziale Mischung hat keinen nachweisbaren Effekt auf die sozialen Lagen und ist ein bequemes Lösungskonzept, da es ohne eine Auseinandersetzung mit den ökonomischen und politischen von sozialer Ungleichheit und Ausgrenzung auskommt.
  • Soziale Mischung wird regelmäßig dort angerufen, wo es durch die Verdrängung von ärmeren Bevölkerungsgruppen einen wohnungswirtschaftlichen Mehrwert zu akquirieren gibt.

Soziale Stadtpolitik braucht keine Mischungskonzepte von oben, sondern Umverteilungen und Aneignungsstrategien von unten. In dieser Perspektive sind Kotti&Co. mit ihren Forderungen und Protesten weniger ein Problem der Stadtplanung, sondern der Lösungsansatz einer repolitisierten Stadtgesellschaft.

Oder einfacher ausgedrückt, wie es die Mieterinnen von Kotti&Co. auf der Veranstaltung so schön formuliert haben:

„Unser Problem ist nicht die Mischung, sondern die Miete.“


Antworten

  1. Lieber Andrej,

    deine Kritik am Konzept der „sozialen Mischung“ in allen Ehren aber dies rechtfertigt noch lange nicht die Romantisierung einer sozialen Entmischung, denn das endet schlicht in einem Ghetto und da will ich nicht leben und Du vermutlich auch nicht…

    MfG

    @ndreas

  2. Lieber Andreas,

    vielen Dank für deinen Kommentar. Ich verstehe nicht ganz, was du mit der „Romantisierung einer sozialen Entmischung“ meinst? Tatsächlich steht ja im Text, dass ich z.B. eine Umverteilung (also bessere soziale Aufstiegschancen, bessere Bildung etc.) für wesentlich wirkungsvoller halte, wenn es darum geht, die Probleme der sozialen Ausgrenzung zu überwinden.
    Wenn ich dein Argument zuspitze, dann forderst du eine möglichst gute räumliche Verteilung der Armut, statt sie abzuschaffen. Die Frage, die wir mit der Veranstaltung aufwerfen wollten war vor allem, wem eine solche Sichtweise nützt: Den Armen und Ausgegrenzten in ihrer sozialen Lage oder den Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft für das ruhige Gewissen und als Legitimation, sich nicht mit den sozialen Strukturen der Gesellschaft auseinandersetzen zu müssen.

    Beste Grüße,

    ah

  3. Hallo AH,

    so wünschenswert dein Ansatz nach besseren Aufstiegschancen und Bildung auch sein mag, man sieht, dass in der realität die einzelnen Gruppen sich immer weiter von einander absetzen, daran wird auch der staat nichts ändern können. Wer das Geld hat schickt seine Kinder eben auf die besser ausgestattete privatschule die kleinere Klassengrößen hat und wo dann eben auch der Lerneffekt besser ist. Natürlich will jeder das beste für sein Kind, ich kann die Leute gut verstehen. Und natürlich sind den Eltern homogene Wohnquartiere lieber in denen die Chancen größer sind das mein Kind mit anderen Kindern aus dem Bildungsbürgertum spielt. Hier hat man dann auch ganz andere Möglichkeiten der sinnvollen Freizeitgestaltung, wenn man sich nicht immer den Kpf darüber zu zerbrechen braucht, ob der Freund des Kindes denn auch mal mit ins Erlebnisbad kommen kann, oder ob dies am Geld scheitert. Hier kann meiner Meinung nach nur durch gesteuerte Durchmischung entgegengewirkt werden, damit Präkariatskinder zumindest ansatzweise vom Bildungsbürgertum partizipieren können. Hält man die präkariats- und Migrantenquote in den einzelnen Klassen gering sind auch die bildungsnahen Eltern eher bereit die Kinder auf eine öffentliche Schule zu schicken. Das kann man nur wohnortabhängig steuern und hiebei werden natürlich die Präkariatsangehörigen zu einem teil aus ihrem sozialen Umfeld gerissen, aber das kann auch positiv sein. Schau dir doch mal (aktueller Morgenpost-Artikel aus HH/ich weiss entspricht eher einem linken Berliner-Kurier aber trotzdem interessant) an wo die gefählichsten Straßen in HH liegen:

    http://www.mopo.de/polizei/-ueberfaelle–schlaegereien–messer-attacken-das-sind-hamburgs-gefaehrlichste-strassen,7730198,20730212.html

    Das sieht man wunderbar was bei einer Präkariats-Clusterbildung in den 70er-Jahre-Wohnburgen passiert. Insofern halte ich eine Durchmischung schon für wünschenswert. Das Konzept mit bester individueller Bildung kann man kostenmäßig sowieso knicken, dass wird finanziell vom Staat nicht zu leisten sein. Und wenn das wirtschaftliche Umfeld nicht stimmt wied das auch mit der besten Ausbildung nichts, siehe die Jugendarbeitslosigkeit studierter Kräfte in Spanien….

  4. Man kann den Begriff soziale Mischung auch anders interpretieren, und zwar als stadtpolitischen/stadtplanerischen Anspruch für ärmere Menchen auch in priviligierteren Quartieren bzw. an Wohnstandorten mit Lagegunst Wohnen zu können (z.B. zentrale Lagen zur Nahversorgung, gute ÖPNV-Anbindung, hochwertiger Freiraum). Eine gute soziale Wohnraumförderung (nicht diese absurden Berliner Modelle) und langfristig und bestandsorientiert agierende Eigentümergesellschaften könnte hier etwas bewirken. Auch im Rahmen der kommunalen Liegenschaftspolitik und im Bauplanungsrecht gibt es diesbezüglich öffentliche Einflussmöglichkeiten.

    Mit meinem „Einwurf“möchte ich jedoch nicht bestreiten, dass der Begriff in der Praxis auch zur Verharmlosung von Verdrängungsprozessen verwendet wird.

    Um Verdrängungsprozesse zu vermeiden (und damit auch eine soziale Mischung zu erhalten?!), wären Änderungen im Mietrecht in der Breite effektiver (Einbeziehung von Bestandsmieten in den Mietspiegel, Begrenzung von Neuvermietungsmieten, Neuregelung von Modernisierungsmieterhöhungen und eine deutlich verlängerte Kündigungsperrfrist bei der Umwandlung in Eigentumswohnungen)

  5. Lieber Andrej,

    vielleicht habe ich mich etwas missverständlich ausgedrückt, wenn ich von einer Romantisierung der gesellschaftlichen Entmischung spreche. Das ist eine Entwicklung, die ich mit großer Sorge beobachte. Ansonsten teile ich Deine Kritik an dem Konzept der „sozialen Mischung“, wenn es dazu dient weitere Verdrängungen zu legitimieren.

    Interessant ist in diesem Kontext der auch von Dir verwendete Begriff der „Armut“. Wie verstehtst/definierst Du konkret diesen Begriff und wer soll sie Deiner Meinung nach auf welche Art abschaffen?

    vg

    @ndreas

  6. […] (Ein kleiner Bericht findet sich hier auf Gentrificationblog) […]

  7. Die komplette Veranstaltung kann man sich als Video hier ansehen:
    http://kottiundco.net/2012/10/30/video-mieten-mischung-mehrwert/

  8. Die Ausführungen zum Mythos und zum bürgerlichen Kampfbegriff der „sozialen Mischung“ fand ich spannend und anregend, ich vermisse allerdings einige Hinweise darauf, was dies konkret bedeutet. Ich habe den Eindruck, der Begriff wird immer dort gern benutzt, wo a) eine Aufwertung vorbereitet werden soll, und zwar in der Form, dass Viertel entlang von Mittelschichtsinteressen umgestaltet werden. Denn es kann ja nicht sein, dass Mittelschichtsleute in der Stadt keine „freie Wohnortwahl“ (entlang ihren Bedürfnissen) haben. Die folgende Aufwertung und Segregtion schränken die Wohnortwahl für einkommensschwächere Leute drastisch ein, aber das gilt eben nicht als gravierendes gesellschaftliches Problem.
    Und b) taucht der Begriff gerne dort auf, wo sich Proteste gegen eine mögliche Aufwertung richten und es darum geht, diese Proteste zu delegitimieren.

    Ich habe aber auch eine viel grundsätzlichere Anmerkung zu der Veranstaltung. Und zwar komme ich mehr und mehr zu dem Eindruck, dass das Bündel von Aktivitäten, zu denen die Veranstaltung gehörte, aber auch der zweite Wissenschaftler/innenaufruf (der mit den Stadtsoziologen, Stadtforschern und Stadtplanern) sich vollkommen von einem politischen Bewegungsbezug von Kotti&Co. verabschiedet. Kotti&Co. steht nur noch für sich selbst und nicht mehr als eine (und besondere) von vielen Mieter/innenprotesten.
    In der Veranstaltung kamen Bezüge auf eine wie auch immer geartete Mieter/innenbewegung so gut wie nicht vor, es spielte einfach keine Rolle, und der Aufruf ergeht sich in flehenden Appellen an die Politik. Das empfinde ich als schleichende Entpolitisierung und ein Dringen auf einen einseitigen Institutionenbezug beim Mietenthema.

    Warum geschieht das Ausblenden von politischen Bewegungsbezügen hier gerade so massiv?

    • Hallo DJ Tüddel,

      vielen Dank für deinen Kommentar. Zum Begriff der Mischung wurde ja auf der Veranstaltung einiges gesagt – und genau was du als konkreten Hinweis formulierst, der dir gefehlt habe, steht mehr oder weniger auch so im Text. Ja, die Soziale Mischung ist vor allem ein Kampfbegriff bei der Durchsetzung der Mittelklasseinteressen. Da gab es aber bis auf ganz wenige Ausnahmen auf der Veranstaltung auch keinen Dissens.

      Zu deiner allgemeineren Einschätzung: Du hast recht, die Verbindung zu anderen Mietkämpfen in der Stadt beschränkte sich auf die mehrmalige Vorstellung der Mobilisierungen gegen Zwangsräumungen. Kannst du gerne kritisieren, aber grundsätzlich finde ich es wenig verwunderlich, wenn auf einer von Kotti&Co. (mit)organisierten Veranstaltung vor allem Kotti&Co. das Thema ist.
      Die inhaltliche Ausrichtung auf die Mischungs-Debatte war eine Entscheidung der Vorbereitungsgruppe, auch und gerade, weil uns schien, dass es rund um diesen schillernden Begriff noch einige Unklarheiten gab. Sicher wäre es ebenso sinnvoll gewesen, über die aufkommende Wohnungsnot in Berlin, die vielfältigen Mietproteste oder eine grundsätzliche politisch-philosophische Einschätzung zur Lage der Welt zu diskutieren. Haben wir nicht gemacht – vor allem, weil zwei Stunden dafür auch nicht ausgreicht hätten. Aber der Abend im Museum Kreuzberg wird ja nicht die letzte mietenpolitische Diskussin in der Stadt gewesen sein.

      Deine Kritik am Offenen Brief der Stadtsoziolog/innen, Planer/innen usw. kann ich nur zum Teil nachvollziehen. Die Intention des Schreibens ist ja relativ eindeutig formuliert: Es geht um eine Unterstützung für die von Kotti&Co. begonnene Auseinandersetzung um die Zukunft des Sozialen Wohnungsbaus und den Versuch, den von den Mieterprotesten an die Politik gerichteten Forderungen Nachdruck zu verleihen. Wir könnten uns jetzt sehr grundsätzlich über den Sinn und Unsinn von solchen Statusgruppenpositionierungen („Wissenschaftler/innen mischen sich ein“) streiten.

      Den öffentlichen Aufruf, die Forderungen von Mieterprotestmobilisierungen umzusetzen, sehe ich ehrlich gesagt nicht als „flehenden Appell an die Politik“ sondern als Versuch, die beginnende Repolitisierung der Wohnungspolitik zu stärken. Kotti&Co. und auch die Hausgemeinschaften des Mietenpolitischen Dossiers haben im Unterschied zu vielen anderen Initiativen und Gruppen ihren Protest auf der Straße immer mit konkreten Forderungen verbunden, die an die Politik und die Verwaltung adressiert waren. Der Versuch,sich mit dem Besuch im Roten Rathaus, der Veranstaltung im Abgeordnetenhaus oder der Konferenz zum Sozialen Wohnungsbau (am 13.11.) als Mieter/innen selbst in die politische Arena einzuladen, kann sicher unterschiedlich bewertet werden. Diese Aktivitäten jedoch verbal aus der mietenpolitischen Protestbewegung zu exkommunizieren, wie du es in deinem Kommentar tust, finde ich falsch. Wenn Wissenschaftler/innen wie in den zwei Offenen Briefen sich offensiv und öffentlich auf einen Mietenkampf in der Stadt beziehen, dann kannst du doch nicht schreiben, „die Mieter/innenbewegung spiele keine Rolle“ – es sei denn du findest Kotti&Co gehörten nicht dazu. Auch eine öffentliche Unterstützung für die Mobilsierung gegen Zwangsräumungen nimmt erstmal keinen Bezug zu anderen wohnungspolitischen Auseinandersetzungen und Initiativen. Würdest du auch dort kritisieren, dass wegen der fehlenden Verweise zu den Protesten im Sozialen Wohnungsbau „die Mieter/innenbewegung keine Rolle“ spiele? Oder hältst du die eine Mobilsierung für ‚die‘ Mieter/innen-Bewegung und die andere nicht? Mir scheint, dass Kritiken wie die von dir formulierte an verschiedene Spektren der wohnungspolitischen Bewegung in Berlin sehr unterschiedliche Maßstäbe ansetzen.

      Das es in der Mobilisierung um die Zukunft des Sozialen Wohnungsbaus vor allem um den Sozialen Wohnungsbau geht, dürfte ja nicht verwundern. Mit dem selben Maß bewertet, müsstest du alle existierenden Protestbewegungen für ihre thematische Beschränktheit kritisieren: Mobilisierungen gegen die Räumung von ehemals besetzten Häusern entwickeln keine Position zur Wohnungsbauproblematik, Kritik an den Baugruppen bieten keine Antwort für den Sozialen Wohnungsbau und eine erfolgreiche Kampagne gegen eine Zwangsräumung ignoriert die Problematik der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften… Würdest du all diesen Kampagnen auch vorwerfen, dass sie sich nicht ausreichend auf die Mieter/innen-Bewegung beziehen?

      Mich ärgert die in deinem Kommentar zu Tage tretende Haltung, eigene politische Überzeugungen vor allem in eine Abgrenzung von anderen Initiativen zu übersetzen, statt gemeinsam nach effektiven Wegen zu suchen, wohnungspolitische Forderungen in der Stadt praktisch durchzusetzen. Statt öffentliche Stellungnahmen von Wissenschaftler/innen als Entpolitisierung zu difamieren oder Mietergemeinschaften (die konkrete Forderungen formulieren) ein „Kuscheln mit der Politk“ vorzuwerfen, könnten wir die vielfältigen Aktivitäten durchaus als das nehmen, was sie tatsächlich sind: Ein Beitrag zu Repolitisierung der Wohnungspolitik. Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Erfolgreiche Interventionen in wohnungspolitische Diskurse und der Versuch Instrumente der Wohnungspolitik im Dialog mit den Verwaltungen durchzusetzen, ersetzen die Proteste auf der Straße und die Mobilsierungen in den Nachbarschaften nicht. Eine Debatte jedoch, welche Strategie die ‚richtige‘ sei, finde ich ermüdend, weil sich einen andere Stadtpolitik nur durchsetzen lässt, wenn es uns gelingt, die Fragmentierung der stadt- und wohnungspolitischen Bewegungsansätze zu überwinden.

      Beste Grüße,

      AH

  9. […] 27.10. Berlin: Miete. Mischung. Mehrwert. (“Gentrification-Blog”), […]

  10. Hallo Andrej,

    ich habe hier zum ersten Mal, nachdem ich einen Kommentar eingegeben habe, den Eindruck, dass du mich nicht verstehen willst. Und dass du stattdessen versuchst, mich rethorisch an die Wand zu stellen, indem du mir die Worte im Munde herumdrehst.

    Was ich im Kommentar zum Ausdruck gegeben habe, ist mein Befremden darüber, dass es in der Veranstaltung zwar um ein Beispiel und seine spezielle Thematik ging, dies jedoch praktisch überhaupt nicht in den Kontext der aktuellen stadtpolitischen Proteste und Organisierungen gestellt wurde. Ich habe nichts zur eigenen Positionierung von Kotti&Co geschrieben, sondern über eure Behandlung des Themas. Ich habe auch nicht erwartet, man müsse sich immer zu allem in Beziehung stellen, aber wenigstens zu irgendwas. Und so, wie es auf dieser Veranstaltung war, habe ich es seit Jahren nicht mehr erlebt: Kotti&Co wird dort als reines Inselphänomen dargestellt, das nur für sich steht und zu nichts anderes Bezug hat. Das ist mein Eindruck, und auf darauf, dass ich diesen dargestellt habe, hast du nur mit Abwehr reagiert. Nein, du machst sogar die billige Retourkutsche auf, ich würde Kotti&Co aus dem Bewegungszusammenhang ausschließen, indem…, ja… indem was? Indem ich fordere, dass sie in dem Zusammenhang gesehen werden sollten? Das ist doch vollkommener Bullshit.

    Andrej, du solltest da nochmal mit einer Antwort ansetzen. Und dann können wir gerne weiter drüber diskutieren.

  11. Lieber DJ Tüddel,

    vielleicht habe ich deinen ersten Kommentar tatsächlich nicht richtig verstanden. Die Botschaft, die bei mir angekommen war lautete: die Veranstaltung „Mischung, Miete, Mehrwert“ hat sich vom Kontext der stadtpolitischen Proteste entkoppelt und die Unterstützung der Wissenschaftler/innen trägt zur Entpolitisierung des Mieten-Themas bei.
    Korrigier mich, wenn es so nicht gemein war.

    Beide Punkte habe ich so richtig gar nicht verstanden, vielleicht auch, weil ich deinem Konzept von der Mieter/innenbewegung nicht folgen kann.

    Kurz zum Stein des Anstoßes: Etwa die Hälfte der Veranstaltungszeit wurde mit ausführlichen Berichten und Einschätzungen von den Kotti&Co.-Aktivistinnen und solidarischen Stellungnahmen gefüllt. Ich habe das als einen unmittelbaren und deutlichen Bezug zu einem laufendem Protest wahrgenommen. Dein Vorwurf – wir hätten uns genau mit dieser Orientierung an einer laufenden Auseinandersetzung (hier Kotti&Co.) aus dem Bewegungskontext gestohlen – habe ich nicht verstanden. Die einzige Erklärung die mir dazu einfiel habe ich aufgeschrieben: dass du Kotti&Co. nicht für einen Teil der Bewegung hältst, oder jedenfalls nicht für einen richtigen…

    Du hast diese Argumentation als billige Retourkutsche wahrgenommen und schreibst in deinem zweiten Kommentar noch ein wenig deutlicher, es ginge dir darum, das Kotti&Co nicht als „Inselphänomen“ dargestellt werden sollte. Aber genau damit bestätigst du ja meine Kritik.
    Denn der Gedanke eines „Inselphänomens“ kann doch nur formuliert werden, wenn eine Mobilisierung nicht aus sich heraus als integraler Bestandteil einer Mietenprotestbewegung wahrgenommen wird. Ich wäre bis zu deinem Kommentar gar nicht auf den Gedanken gekommen dass ein Mietenprotest wie am Kotti nicht als Teil des Mietprotests in Berlin angesehen werden könnte.

    Es gab in den letzten Wochen etliche Veranstaltungen und Protestmobilisierungen zur Stillen Straße, von den Palisaden-Panthern, zu drohenden Zwangsräumungen, zum geplanten Abriss in der Wilhelmstraße, zur Entmietungspraxis der Firma Ziegert, zu den Gefahren der neuen Sanierungssatzungen etc. in denen jeweils ein Spezialthema verhandelt wurde, ohne dass ich von Zweifeln mitbekommen hätte, sie würden womöglich kein Teil einer größeren Mieter/innenbewegung sein – auch ohne dass dies in allen Fällen offensiv formuliert wurde. Woher, so frage ich mich, kommt die Skepsis gegenüber Kotti&Co.?

    Mein Eindruck war – und darauf hast du leider nicht geantwortet – dass du für Kotti&Co. offensichtlich andere Maßstäbe ansetzt. Und ihnen damit – ja, das war vielleicht ein bisschen überzogen formulierst – verbal letztendlich den Bewegungscharakter abgesprochen hast.

    Fragen, die ich mir beim Nachdenken über deinen Kommentar stelle und die nicht so polemisch gemeint sind, wie sie vielleicht beim ersten Lesen wirken: Wer sollte sich warum auf welchen Bewegungskontext beziehen? Auf welchen über sich selbst hinausweisenden Bewegungskontext hat sich beispielsweise die große Mietendemo im vergangen Jahr bezogen? Welche Mobilisierungen werden aus sich selbst heraus als ’natürlicher‘ Teil eine Bewegung angesehen, welche nicht? Warum ist da so? Was ist, wenn es für einzelne Mobilisierungen gar keinen Bewegungskontext gibt? Zumindest Kotti&Co. haben – soweit ich das einschätzen kann – eine sehr eigenständige Protestgenese, die nur wenig mit den von Stadtteilgruppen getragenen Mietprotesten der vergangenen Jahre zu tun hat. Wem nützt ein Simulation von Gemeinsamkeit, die real vielleicht gar nicht vorhanden ist?

    Der von dir angemahnte Bewegungsbezug ist aus meiner Sicht keine Frage von Veranstaltungsdramaturgie und Textproduktion, sondern vor allem eine nach den realen Beziehungen zwischen einzelnen Mobilisierungen. Kotti&Co beispielsweise sind Teil des Mietenpolitschen Dossiers und bereiten zusammen mit sozialmieter.de für den 13. November eine Konferenz zum Sozialen Wohnungsbau vor. Darauf wurde auf der Veranstaltung auch Bezug genommen – aber möglicherweise sind auch das nicht die Verknüpfungen, die du als mietenpolitische Bewegung im Sinn hattest.

    Soweit erstmal und beste Grüße,

    Andrej


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