Verfasst von: ah | November 18, 2012

Berlin: Berliner Presse schweigt über Lösungsansätze

Gut besucht: „Nichts läuft hier richtig. Konferenz zum Sozialen Wohnungsbau in Berlin“ am 13.11.2013 im Berliner Abgeordnetenhaus

Fast zweihundert Mieter/innen, Fachleute und Politiker/innen verschiedener Parteien diskutierten am Dienstag im Abgeordnetenhaus über die Zukunft des Sozialen Wohnungsbau („Nichts läuft hier richtig“). Trotz einer recht intensiven Vorberichterstattung fanden Verlauf und Ergebnisse der Konferenz in den Berliner Medien kein Echo. Offensichtlich fällt es der schreiben Zunft schwer, über mietenpolitischen Initiativen zu berichten, wenn die Mieter/innen ihre Rolle als protestierende, quengelnde und zu bedauernde Opfer verlassen und mit eigenen Vorschlägen versuchen, ins politische Tagesgeschäft einzugreifen.

Berichte im Vorfeld:

Berichte nach der Konferenz:

 

UPDATE: Ich habe den Titel des Beitrages geändert. Statt „Mieterproteste in den Schatten gestellt“ heisst es jetzt „Berliner Presse schweigt über Lösungsansätze“.  Ich bin von Freunden und Mietaktivist/innen darauf aufmerksam gemacht worden, dass der erste Titel als nicht beabsichtigte, negative Gesamteinschätzung der Konferenz interpretiert werden könnte. Der neue Titel stellt nun deutlicher heraus, wo das Problem liegt – nicht in der Organisation,  Durchführung und inhaltlichen Qualität der Konferenz, sondern in der öffentlichen Wahrnehmung…

Die Tagung „Nicht läuft hier richtig. Konferenz zum Sozialen Wohnungsbau in Berlin“  war das Ergebnis von einem monatelangen Protest der Mieter/innen am Kottbusser Tor und in andern Häusern des Sozialen Wohnungsbaus. Trotz der überwiegend freundlichen Pressberichterstattung zu Kotti&Co. (siehe Übersicht) und verbaler Unterstützung durch Politiker/innen fast aller Parteien hat sich in Fragen der zentralen Forderungen bis heute wenig bewegt. Weder gibt es eine Kappungsgrenze für die Miete in den Sozialwohnungen, noch ein Moratorium von Kostensenkungs- bzw. Umzugsaufforderungen durch die Jobcentren und auch keine Regelung zur Beschränkung der Mietsteigerungen in den Häusern, die aus der Anschlussförderung gefallen sind. Von weitergehenden Perspektiven ganz zu schweigen.

Auf der Konferenz wurde in verschiedenen Arbeitsgruppen konkrete Lösungsvorschläge vorgestellt und mit Expert/innen beraten. Die eigentlich angestrebten verbindlichen Verabredungen mit den Senatsverwaltungen konnten nur zum Teil getroffen werden – konkrete Zusagen gab es fast ausschließlich zu Modellen und Konzepten einer möglichen Mietbegrenzung, die von der Senatsverwaltung in den nächsten Wochen vorgelegt werden sollen.

Statt in der Berichterstattung nachzuhaken und Müller, Gothe und Co. danach zu fragen, wie sie und bis wann sie die Forderungen der Mieter/innen umsetzen wollen, hat sich Lokalpresse auf die von Staatssekretär Gothe am Vorabend der Konferenz präsentierte „Idee“ für eine neues Förderprogramm gestürzt.

Obwohl das vorgeschlagenen Neubau-Förderprogramm so gar nicht mit den von aktuellen Mietprotesten in Berlin erhobenen Forderungen zu tun hat, wird es zumindest von der Presse als Reaktion auf die Proteste der letzten Monate dargestellt. Bei den Immobilien-News z.B. heisst es:

Aufgrund der Protestaktionen gegen hohe Mieten am Wochenende reagiert nach dem Hamburger nun auch der Berliner Senat. Mögliche Maßnahmen wurden bereits formuliert: In den nächsten Jahren sollen Neubauten für soziale Schwache gefördert werden.

Die Motive für die Initiative zu einem Neubauprogramm mögen tatsächlich im Interesse einer sozialeren Wohnungspolitik liegen – der Zeitpunkt jedoch hat es geschafft, den Anspruch der Mieter/innen, selbst die Agenda der Stadtpolitik bestimmen zu wollen, aus den Schlagzeilen zu verdrängen.


Antworten

  1. Ergänzung auf totem taz-Baum:

    taz Berlin lokal 14.11.2012
    Günstiges Wohnen ist Geschichte
    MIETEN Im Abgeordnetenhaus diskutieren Vereine, Stadtteilzentren und Politiker über Wohnraum in Berlin

    „Es gibt nicht genug bezahlbaren Wohnraum für Hartz-IV-Empfänger“, klagte Bahar Sanli vom Nachbarschaftshaus Urbanstraße am Mittwoch im Abgeordnetenhaus. Rund 200 Menschen kamen dort zu der Konferenz über sozialen Wohnungsbau zusammen, die zwei Mietergruppen organisierten. Teilnehmer waren unter anderem der Soziologe Andrej Holm, verschiedene Vereine, Stadtteilzentren und Abgeordnete.

    „30.000 Haushalte sind vom Jobcenter im vergangenen Jahr aufgefordert worden, ihre Mietkosten zu senken“, sagte Sigmar Gude vom Topos-Institut für Stadtforschung. Nur 1.800 von ihnen hätten eine günstigere Wohnung gefunden. „Aber was ist mit den anderen?“, fragte Gude. Die müssten den Teil der Miete, der über den Vorgaben des Jobcenters liegt, selbst bezahlen. Von dem Geld, das eigentlich dafür vorgesehen ist, den Grundbedarf an Ernährung, Kleidung, Bildung und Mobilität zu decken. „Das ist der Skandal“, sagte Gude.

    Die steigenden Mieten entstehen, erklärte Staatssekretär Ephraim Gothe (SPD), weil die Bevölkerung in Berlin wächst. Bis 2030 erwarte man zusätzliche 250.000 Bewohner. Zudem steigen die Ansprüche: Während sich im Jahr 1990 jede Person noch mit durchschnittlich 30 Quadratmetern zufrieden gab, sind es laut Gothe jetzt 39 Quadratmeter. Die Nachfrage steigt also – und dadurch auch der Preis. Gothe forderte „einen neuen sozialen Wohnungsbau“ und mehr Akzeptanz für Neubauten, die bei Nachbarn oft auf Ablehnung stießen. „Wenn die Innenstadt voll ist“, fragte er, „wie kann man dann die Gebiete außerhalb attraktiver machen?“

    Birgit zur Nieden, die an der Humboldt-Universität Migrationsdiskurse erforscht, wies darauf hin, dass Hartz IV beziehende Migranten bei der Wohnungssuche oft von rassistischer Diskriminierung durch Vermieter betroffen seien. Sie erinnerte an die Siebzigerjahre: Damals habe es für Migranten teilweise Vorgaben gegeben, in welchen Bezirken sie wohnen durften und in welchen nicht. Kreuzberg sei damals ein „Getto mit schlechtem Ruf“ gewesen. Die Migranten hätten aus dem Bezirk inzwischen einen attraktiven Stadtteil gemacht. Diese „historische Leistung“ müsse stärker gewürdigt werden. SEBASTIAN HEISER

  2. Allein die öffentliche Wahrnehmung als Problem darzustellen, ist meiner Meinung nach zu kurz gegriffen. Eine konstruktive Selbstkritik der politischen Strategie der Konferenz sähe da anders aus. In meinen Augen ist die mediale Erstickung von Konferenz und Forderungen auch dem Ansatz geschuldet, sich allein auf realpolitische Forderungen zu beschränken. In einem politischen System, in dem Medien auf realpolitische Auseinandersetzungen parlamentarischer Akteure gepolt sind, ist man als außerparlamentarische Initiative schnell kontrollierbar, wenn man sich auf bloße Forderungen beschränkt. Für Senat und Senatsparteien ist die Situation dann überschaubar und in den professionellen Politikbetrieb integrierbar. Sie können auf die Forderungen eingehen oder nicht, oder durch eine geschickte Lancierung einer eigenen Agenda von den Forderungen ablenken, siehe Ergebnis der Konferenz. Auch Oppositionsparteien können hier nicht weiterhelfen. Das einzige politische Mittel, was hier wohl bleibt, ist der Druck der Straße. Denn dessen Konsequenzen sind für die Parteipolitik gefährlich und für die Medien spektakulär. Wäre es vielleicht nicht also eine verbesserte Strategie, den Forderungskatalog mit einer Art Ultimatum zu garnieren? Im Sinne von: „Wenn dies und jenes nicht erfüllt wird, müssen wir (leider) zu anderen Formen politischer Praxis greifen, die unseren Interessen und Forderungen Nachdruck verleihen“. Ich würde derzeit keine andere Möglichkeit sehen, sich ein Stück eigener Handlungsautonomie zurückzuerobern. Und vielleicht führen hier die beiden Wege, die in den letzten Tagen so angeregt dikutiert wurden, wieder zusammen. Am Ende braucht die fordernde Mieterin eben doch den quengelnden Mieter und anderesherum, vielleicht sind sie sogar die gleich Person. Jedenfalls sollte die eine nicht besser oder schlechter sein als die andere!

    Keine Frage, die Berichterstattung und das Framing der Konferenz durch die Presse ist teilweise unterirdisch und sicher ist die öffentliche Wahrnehmung ein Teil des Problems. Sich aber darauf zu beschränken und die Möglichkeit eines teils negativen Fazits der Konferenz aus strategischen Gründen auszuschließen, finde ich unsympathisch. Der konstruktive Mut zum eigenen Fehler sollte eigentlich das sein, was uns als Leute, die außerparlamentarisch Politik machen, von den Parteihanseln unterscheidet, die sich diese Freiheit nicht leisten können.

    • Hallo Hansi,

      vielen Dank für deinen Kommentar und schön, dass du so schnell mit deinen Einschätzungen bist. Die Mieter/innen, die die Konferenz vorbereitet und durchgeführt haben sind noch dabei ihre Eindrücke des Tages zu sortieren, die Ergebnisse auszuwerten und die Schlussfolgerungen gemeinsam zu ziehen. (Um dem nicht vorzugreifen, habe ich mich im Blogpost ausschließlich auf das Presseecho beschränkt)

      Ich finde es auch prima, dass du auf den Druck von der Straße verweist, denn genau das war ja die Voraussetzung, eine solche Konferenz überhaupt zu erzwingen und soweit ich es einschätzen kann, sieht niemand aus dem Vorbereitungskreis in Konferenzen oder einem zielorientiertem Dialog mit der Verwaltung eine Alternative zum Protest auf der Straße – die meisten sehen es als eine aufeinander bezogene Doppelstrategie an.

      Was deine Einschätzung der Forderungen angeht, verstehe ich deine These von der Beschränkung auf realpolitische Forderungen nicht so richtig. Die Forderungen „Mieten runter“ (Kotti&Co fordern maximal 4 Euro/qm), „Schluss mit Umzugsaufforderungen und Zwangsräumungen“ oder der „Aufbau eines revolvierenden Fonds von Sozialwohnungen“ verstehe ich vor allem als das unmittelbare und dringliche Verlangen zur Lösung der Mietfrage in den Beständen des Sozialen Wohnungsbaus. An solchen unmittelbaren Forderungen kann meines Erachtens eigentlich nichts reformistisch oder revolutionär sein. Oder würdest du die wirklichen Revolutionäre daran erkennen, dass sie nicht nur 4 Euro/qm sondern 3 Euro/qm oder die Abschaffung jedweder Mietzahlungen verlangen – und wenn ja, was wäre den Mieter/innen damit geholfen.

      Was du mutmaßlich meinst, ist sicherlich die Frage nach der Strategie, mit der diese Forderungen umgesetzt werden sollen. Also die Frage, wie sinnvoll es ist, den politischen Druck auf den Staatsapparat zu richten und zu versuchen, die Kräfteverhältnisse in der stadtpolitischen Arena zu verschieben – oder ob es nicht besser wäre, sich eine Gegenwelt zu konstruieren, in der die bestehenden Machtverhältnisse aufgelöst werden. Ganz abstrakt lässt sich das Für und Wider aber nur von denen diskutieren, die gerade kein konkretes Problem im Reisegepäck ihrer Bewegung haben – für die meisten sozialen Mobilisierungen stellt sich die Frage eher pragmatisch und wir können uns verschiedenen Strategien als eine Art Werkzeugkasten vorstellen, aus denen sich die Mobilisierungen jeweils die Instrumente herausgreifen, von denen sie hoffen, die höchste Wirkung zu erzielen.

      Deine Gedanken in diesem Sinne ernst nehmend, müsste deine Kritik an der Konferenz also eigentlich mit einem Vorschlag verbunden sein, wie die Forderungen der Mieter/innen im Sozialen Wohnungsbau anders, wirkungsvoller und besser durchgesetzt werden können.

      Soweit erst mal,

      AH

      p.s. (Alle Beiträge, die jetzt erklären, dass schon die Forderung nach den 4 Euro Mietbegrenzungen zu kurz greift, würde ich bitten, dies direkt mit den betroffenen Mieter/innen zu diskutieren.)

      • die beispiele der forderungen sind für mich realpolitische forderungen. aber das ist letztendlich auch wurscht, weil ich sie ja ohne frage als gerechtfertigte forderungen aus der selbstorganisation der mieter_innen sehe.

        mein kommentar betraf tatsächlich die strategie und ist vielleicht als kleine polemik zu verstehen. ich bin mir nämlich einfach nicht sicher, ob die macher_innen von kotti & co oder auch der konferenz tatsächlich der meinung sind, es geht hier um eine gemeinsame bewegung mit einer solidarischen strategie, die verschiedene praxisansätze zusammen denkt. dazu gab es zu viele äußerungen, offiziell, nicht offiziell, etc. von den wichtigen personen, die den eindruck erwecken lassen, man würde sich bewusst von den letzten jahren stadtpolitischer bewegung ablösen, weil jetzt würde endlich „richtig“ politik gemacht. wenn führende köpfe auf der einen seite sagen, kotti & co sind gar nicht teil einer stadtpolitischen bewegung, und dann auf der anderen seite neue best buddies mit katrin lompscher sind, dann wächst halt misstrauen. weil es war dann z.b. wieder katrin lompscher, die sich von der aktion „fang den bus“ im juni distanziert hat nach dem motto: „es gibt jetzt die guten mieter_innen (kotti & co), und die bösen (fang den bus, linke chaoten, etc.)“.

        aus dieser gemengelage entsteht der verdacht, dass eine aufeinanderbezogene doppelstrategie mit kotti & co nicht möglich ist. es bleibt ein verdacht, aber die chefstrateg_innen tun auch nicht unbedingt etwas dafür, diesen verdacht zu entkräftigen, öfter im gegenteil.

        das ganze hat natürlich zwei seiten, auch klar.

      • Hallo Hansi,
        wenn du dir „nicht sicher bist“ wie du Kotti&Co. einschätzen möchtest, solltest du vielleicht mal das Gespräch mit Kotti&Co. suchen, statt Vermutungen und Polemiken in den Raum zu stellen.

        Deine Vorstellung von „Chefstrateg/innen“ kann ich nur begrenzt nachvollziehen. Kotti&Co. sind eine ziemlich große Gruppen mit (soweit ich es einschätzen kann) strikten basisdemokratischen Entscheidungsprinzipien. Und für den Großteil der Aktiven ist es einfach ein Fakt, dass sie keine oder nur geringe biografischen oder ideologischen Bezüge zu den stadtpolitischen Protesten der letzten Jahre haben. Bezüge zu anderen Kämpfen und Mobilsierungen können sich demach auch nur praktisch herstellen. Und offensichtlich war es bisher naheliegender oder einfacher, die Gemeinsamkeiten mit sozialmieter.de oder den Mieter/innen aus der Palisadenstraße oder den Hausgemeinschaften des Mietenpolitschen Dossiers zu entdecken und zur Basis gemeinsamer Aktivistäten zu entwickeln. Gehören die deiner Meinung nach nicht zu den stadtpolitischen Protestbewegungen in der Stadt?

        Ohne es direkt zu sagen, bemängelst du letztendlich den fehlenden Bezug zu einem Teilspektrum der wohnungspolitischne Protestkulturen in der Stadt (Obwohl ich mir nicht einmal dabei sicher bin, ob es zutrifft). Wer das ändern möchtem, sollte überlegen, woran das liegen könnte – und ich glaube der Verweis auf Positionen von angeblich „wichtigen Personen“ greift da einfach zu kurz.

        Zu deinem Vorwurf der Nähe zur Linkspartei: Die breite Öffentlichkeit, die die Initaitive erreichen wolte und will, bringt es ganz offensichtlich mit sich, mit allen möglichen gesellschaftlichen Akteuren das Gespräch zu suchen. Ob da irgendwer zu den neuen best-buddies von Katrin Lompscher oder Franz Schulz wird, ist für mich erst einmal eine Unterstellung. Kotti&Co haben sich sogar mit Gothe getroffen, Briefe an Senator Müller geschrieben und Verhandlungen mit der GSW und Hermes über die Betriebskostenabrechnungen aufgenommen – ob solche Kontakte immer zu festen Freundschaftsbeziehungen werden, würde ich bezweifeln. Es ist für mich v.a. der Versuch, Gehör für die eigenen Anliegen zu finden. Kann man blöd finden und es gibt auch kein Erfolgsversprechen für diese Strategie – ich sehe aber noch kein Argument, was dagegen spricht, es zumindest zu vesuchen. Vor allem solange die eigene Forderung die jeweiligen Kontakte bestimmt.

        Zu der von dir angemahnten Doppelstrategie: Klar können wir uns eine noch stärkere Aufeinanderbezogenheit verschiedener stadtpolitischer Ansätze herbeiwünschen (Letztendlich kann sich das aber nur in der Praxis herstellen). Aus meiner Perspektive haben aber Kotti&Co. eigentlich genau das gemacht, was du im ersten Kommentar als revolutionäre Strategie gefordert hast: sie haben mit dem Protest Gecekondu ein Ultimatum gesetzt („Wir bleiben hier solange bis die Miete gesenkt wird“) und begleiten alle Verhandlungen und Forderungen immer mit dem Protest auf der Straße (z.B. die Lärmdemonstrationen). Wenn du die Aktivitäten von Kotti&Co. verfolgt hast, dann weisst du sicher auch, dass es von Beginn an einen Forderungskatalog an alle möglichen Akteure des Sozialen Wohnungsbaus gab: also Forderungen an die Senatsverwaltung, an die Oppositionsparteien, an die Hausverwaltungen, an die Journalist/innen etc. – daraus zu machen, „die wollen ja bloß dass der Staat wieder alles regelt“, ist nur die halbe Wahrheit.

        Es ist ein wenig wie beim Fussball, die ganze Wahrheit liegt auf dem Platz – vielleicht solltest du die einladende Stimmung des Gecekondus nutzen, um dir ein vollständiges Bild von der Initiative, ihren Forderungen, Hoffnungen und Strategien zu machen.

        Soweit und beste Grüße,

        AH

      • Hallo Andrej,
        ich weiß, wir finden nicht so richtig die selbe Sprache, aber ich versuchs trotzdem nochmal.
        „An solchen unmittelbaren Forderungen kann meines Erachtens eigentlich nichts reformistisch oder revolutionär sein.“
        Der Aussage würde ich komplett widersprechen. Du stellst damit die Frage, ob und wenn ja welche Forderungen an wen und mit welchem Ziel gestellt werden, außerhalb des Versuchs, das Spektrum politischer Vorstellungen durch die Dimension Reformismus – Revolution zu strukturieren.
        Das hat zum einen Wohl damit zu tun, dass du den Pol Reformismus als negativ bewertest, während du damit implizit den Pol Revolution positiv bewertest und damit wiederum implizit die Frage nach dem revolutionärem Anspruch mit der Frage nach der Legitimität gleichsetzt.
        Nun ist es tatsächlich so, dass für mich und einige andere die Frage nach dem revolutionären Anspruch eine der Dimensionen ist, die relevant für die Positionierung zu der Bewegung sind und der Pol revolutionär positiver ist als der Pol Reformismus.
        Aus der Frage, wie du dich dazu positionierst, windest du dich einigermaßen angestrengt raus, unter anderem damit, die Dimension für irrelevant zu erklären.
        Als eine Extremposition auf dem Pol revolutionär würde ich die Vorstellung platzieren, kleine Verbesserungen nicht als erstrebenswert zu sehen und ohne Umwege nur an einer revolutionären Perspektive zu arbeiten, in der extremsten Form als „Verelendungstheorie“, in der konkrete Verbesserungen der Revolution im Weg stehen, da Menschen sich erst erheben, wenn es ihnen so richtig dreckig geht. Ist mir persönlich zu zynisch und menschenverachtend. Aber aus dieser Perspektive ist alleine die Tatsache, irgendwelche Forderungen nach kleinen Verbesserungen zu stellen, eine Positionierung gegen diese Position. Jenseits der Verelendungstheorie ist realpolitisch vs. utopisch oder radikal (im Sinne von Lösungen, die auf die grundlegenden Probleme zielen und nicht nur auf das Bekämpfen von Symptomen zielen) vielleicht eine Dimension, die das Feld strukturiert, aber auch die schon viellfach erwähnte Positionierung gegenüber dem Staat. Mit dem bestehenden Staat ist keine Revolution zu machen, Revolutionen richten sich immer gegen die bestehenden Herrschaftsformen. Die Frage, ob ich Forderungen an den Staat stelle, wie stark ich mich dabei von einer Vereinnahmung abgrenze, wie offen ich für Kompromisse bin, ist eine relevante für die Einordnung.
        Deine Ablehnung gegen Bezüge zu eher gesellschaftstheoretischen Vorstellungen ist eine Positionierung gegen den Versuch, grundlegendere Probleme in die Diskussion einzubeziehen, damit eine Positionierung für den Pol Realpolitik.
        Ich hoffe, ich habe meinen Punkt deutlich gemacht: die Frage, ob und welche Forderungen an wen gestellt werden, ist grundlegend relevant für die Positionierung auf der Dimension reformistisch – revolutionär.
        Diese Dimension als eindimensionales Kontinuum zu denken greift sicher zu kurz und kann nicht mehr als eine sehr grobe Orientierung bieten.
        Du hast auch recht damit, dass eine nur abstrakte gesellschaftstheoretische Ebene für die konkrete Praxis oft irrelevant erscheint. Die Kunst liegt eben darin, die Verbindungen zwischen konkreten Handlungen und Politikformen und abstrakteren Vorstellungen herzustellen, wobei du mir (aus meiner perspektive ungerechtfertigterweise) vorwirfst, das Abstrakte nicht zum Konkreten runterzubrechen, und ich dir vorwerfe, das Konkrete nicht auf abstraktere Vorstellungen hochzubrechen (wobei ich mir relativ sicher bin, dass du dass nötige Wissen durchaus hast und es sich um eine bewusste Entscheidung handelt, während ich nicht bei allen Akteur_innen der Proteste vom Kotti davon ausgehen würde, dass man theoretisches Wissen über größere gesellschaftliche Zusammenhänge vorraussetzen kann – und ich bitte darum, dies nicht als Abwertung zu verstehen)

      • Hallo ach nöö,

        in der Hoffnung, dass wir in den verschiedenen Diskussions-Threads den Überblick nicht vollends verlieren hier eine kurze Anmerkung. Wie jetzt schon mehrfach beschrieben, geht es in der Fragen reformistisch vs. revolutionär nicht um ein herumdrücken um eine Positionierung wie du es beschreibst, sondern um einen eher pragmatischen Umgang. Wichtig für die Beurteilung davon, wer was von wem wie fordert ist für mich weniger eine abstrakte Frage (reformistisch vs. revolutionär) als vielmehr die Frage nach den konkreten Effekten realer Bewegungen (z.B. Durchsetzung der Forderungen, Auswirkungen auf künftige Mobilisierungen, Lerneffekte für die Aktiven etc.). Aus dieser Perspektive gibt es für mich keinen Masterplan, wie andere gesellschaftliche Verhältnisse durchgesetzt werden können – außer der Überzeugung, dass es ohne eine breite soziale Mobilisierung wohl eher nicht klappen wird.

        Ich glaube inzwischen verstanden zu haben, dass die Frage für dich einen zentralen Stellenwert besitzt, den ich so auf mich nicht übertragen kann. Ich habe nichts gegen Revolutionen, wenn sie denn durchsetzbar sind – aber ich kann mir auch andere Modelle der gesellschaftlichen Transformation vorstellen.

        Ich weiß, dass es nicht besonders höflich ist und ein wenig oberlehrerhaft wirkt, auf irgendwelche Texte zu verweisen – aber besser als ich es hier in den Kommentarfunktionen ausdrücken könnte, wurden unsere Debatten auch schon vor vierzig Jahren geführt. Wirklich instruktiv für das Verhältnis zwischen reformistischen und revolutionären Ansätzen im Kontext städtischer Sozialer Bewegungen finde ich immer noch das Buch „Kampf in den Städten“ von Manuel Castells, das gerade erst als Reprint vom VSA-Verlag neu aufgelegt wurde:
        http://www.vsa-verlag.de/nc/detail/artikel/kampf-in-den-staedten/

        Vielleicht findest du dort noch ein paar Anregungen für ein weniger statisches Verständnis von refomistischen und revolutionären Strategien städtischer Protestbewegungen.

        Best Grüße,
        AH

      • Ach Andrej, uns ist echt nicht zu helfen.
        „Wichtig für die Beurteilung davon, wer was von wem wie fordert ist für mich weniger eine abstrakte Frage (reformistisch vs. revolutionär) als vielmehr die Frage nach den konkreten Effekten realer Bewegungen (z.B. Durchsetzung der Forderungen, Auswirkungen auf künftige Mobilisierungen, Lerneffekte für die Aktiven etc.). “
        Dit ist doch dasselbe. Ich werde echt noch wahnsinnig. Du siehst Gegensätze, die für mich überhaupt keine sind, und keine Probleme, wo für mich wirkliche Gegensätze sind…
        Noch mal in Kurzform: ein ausschließlicher Fokus auf Punkt eins (konkrete Forderungen) ist schlecht für Punkt 2, 3,…,41 und die schlußendliche Revolution.
        Ist aber nur eine Ebene. Der Übersicht halber sollten wir lieber unten weiterreden.

    • hallo andrej,

      es stimmt wahrscheinlich, dass ein solcher blog nicht der richtige ort für dieses gespräch ist. meine vorgebrachte kritik beschränkt sich nicht auf vermutungen sondern entsteht aus der erfahrung von mir und anderen aus mittlerweilen einigen monaten (nicht-)zusammenarbeit mit kotti&co. es ist einfach sehr schwierig mit denen und das hat gründe. und daher auch die skepsis, dass überhaupt eine gemeinsame strategie verschiedener ansätze gewollt ist. jeder einzelne kritikpunkt ließe sich ziemlich genau belegen oder zumindest untermauern. das hier auszubreiten wäre aber völlig unsolidarisch. an anderer stelle wird es da vielleicht bald zur klärung kommen.

      eine anmerkung: anzukündigen, auf unbeschränkte zeit an einem ort zu bleiben, verstehe ich nicht als ultimatum. dann bleibt das protestcamp halt noch zehn jahre sort stehen, wen stört das?

  3. Hallo Andrej,

    du stellst hier zwei „Strategien“ gegeneinander, die nicht wirklich vergleichbar sind.
    Die erste Strategie fasst du als “ die Frage, wie sinnvoll es ist, den politischen Druck auf den Staatsapparat zu richten und zu versuchen, die Kräfteverhältnisse in der stadtpolitischen Arena zu verschieben“
    Das ist tatsächlich eine Strategie zum erreichen eines ziemlich undefinierten Ziels. Der einzige Hinweis auf das Ziel ist „die stadpolitische Arena“, die ich durch „gesellschaftliche Machtverhältnisse“ ersetzen würde.

    die zweite Strategie ist eigentlich keine, sondern eine Zielbeschreibung:
    “ oder ob es nicht besser wäre, sich eine Gegenwelt zu konstruieren, in der die bestehenden Machtverhältnisse aufgelöst werden.“

    Das Ziel könnte z.B. durch die Strategie erreicht werden, aber theoretisch auch durch andere Strategien, die Strategie kann zu dem von dir beschriebenen Ziel führen, oder auch zu anderen Zielen, wie beispielsweise eine Revolution mit anschließener ganzer Gesellschaft ohne Machtverhältnisse anstatt der von dir beschriebenen Insellösung.

    Einen Eindruck, wie gut diese Insellösungen funktionieren und wieviel sie dabzu beitragen, die Gesellschaft jenseits ihrer Selbstbezogenheit zu verändern kann man gewinnen, wenn man sich mit den 20-30 Jahren Erfahrungen aus den Hausprojekten in Berlin beschäftigt. Ich würde dabei aber jede_r raten, genau hinzuschauen.

  4. Hallo ach nöö,
    ich habe den Eindruck wir reden permanent aneinander vorbei. ich versuche zu erklären, dass die Anlässe und Forderungen der meisten sozialen Mobilisierungen und Proteste unmittelbare Forderungen mit begrenzter gesellschaftlicher Reichweite sind (hier konkret: die Miete) und die Aktiven i.d.R. ganz opportunistisch nach den besten und erfolgsversprechendsten Wegen suchen, ihre Forderungen durchzusetzen.

    Du erklärst nun wieder, das es politischen Bewegungen um ein abstraktes Ziel (Gegenwelt oder ähnliches) gehen müsste. Ich glaube, dass wir die von dir gewünschte andere Gesellschaft/den Umsturz der Verhältnisse/den Kommunismus (oder wie immer die gesellschaftlichen Utopien benannt werden) nicht bekommen, weil alle davon träumen oder beseelt sind, sondern weil sie in the long run die besten Lösungen für konkreten Forderungen sozialer Bewegungen bieten werden.

    Für die meisten Aktiven in den aktuelle mietenpolitischen Proteste in Berlin geht es (so meine Einschätzung) eher um die Frage wie 4 Euro/qm im Sozialen Wohnungsbau durchgesetzt und Zwangsräumungen verhindert werden können und weniger um die Frage, wie der schnellste Weg in den Kommunismus zu finden ist. Wer die Bewegung stärken will, sollte vor allem Antworten auf deren konkrete Fragen/Forderungen geben können. Deine eher abstrakten gesellschaftstheoretischen Beiträge finde ich da weniger hilfreich – auch weil sie sich so gut wie gar nicht auf die real existierenden Forderungen der Mietproteste beziehen, sondern für mich eher wie eine abgehobene ideologische Debatte wirken.

    Beste Grüße,

    Andrej

  5. Hallo Andrej,
    den Eindruck, dass wir aneinander vorbeireden, hab ich auch. Aus meiner Perspektive liegt das daran, dass du dich wenig bis gar nicht auf meine Argumente beziehst, sondern dir anscheinend ein Bild von mir gemacht hast, gegen dass du argumentierst.
    Auf mein einziges, sehr bescheidenes und eingegrenztes Argument in meinem ersten Beitrag, dass die „Srtrategien“, die du gegeneinanderstellst, nicht vergleichbar sind, und es mir daher nicht weiterbringend erscheint, Vorstellungen auf völlig verschiedenen Ebene als Gegensätze zu konstruieren, bist du mit keinem einzigen Wort eingegangen.
    Es ist völlig richtig, dass es meine Meinung ist, dass eine grundlegende Veränderung notwendig ist, um konkrete Probleme wirklich nachhaltig lösen zu können, und dass man diese Perspektive bei bescheideneren Lösungsversuchen für konkrete Probleme nicht aus den Augen verlieren sollte. Ein Resultat daraus, aber auch Teil meiner Überzeugung, wie erfolgsversprechende Strategien für konkrete Probleme aussehen, ist die Notwendigkeit der Distanz zu Staat und Parteien. Aus der Perpektive der Fernziele ist das eine wichtige Grundlage für die Gesellschaft, die ich als erstrebenswert ansehe, aus der Perspektive der konkreten Lösungsstrategien ist das ein Resultat unzähliger Erfahrungen.
    Du verteidigst dagegen den totalen Opportunismus und setzt als „Fernziel“ eine andere Stadtpolitik.
    Die Unterstellung, ich würde nur „träumen“ und keine konkreten Strategien parat haben ist schlicht und ergreifend falsch. In der Diskussion unter deinem ersten Artikel zum Thema habe ich die Idee eines Mietstreiks ins Feld geworfen und in meinem letzten Kommentar etwas detailierter skizziert, was meiner Meinung nach passieren würde und warum ich dies für einen realistische Strategie halte, die Chancen auf Erfolg hat.
    Darüber kann man natürlich diskutieren, aber die Vorraussetzung dafür wäre, es erstmal zu Kenntnis zu nehmen, und mir nicht zu unterstellen, ich würde lediglich auf abstrakter gesellschaftstheoretischer Ebene argumentieren. Das führt eher dazu, dass wir weiter aneinander vorbeireden.
    Und da du die „Gegenwelten“ ins diskursive Feld gebracht hast und anscheinend mir diese Position zuschreibst, möchte ich dies korrigieren. Richtig ist, dass ich mich ein paar Jahre lang an dieser Vorstellung abgearbeitet habe. Inzwischhen halte ich Insellösungen als „Zwischenschritt“ auf dem Weg zu einem ganz großen Anderen aber für relativ beschränkt wirksam. Neben der Idee der Gegenwelten ging es in den Kämpfen um Hausprojekte in Berlin in den letzten Jahren aber immer auch um Kämpfen gegen Verdrängung (der Hausprojekte aus der Innenstadt, wobei der Bezung zu anderen Betroffenen der Verdrängung über ein Lippenbekenntnis meistens nicht hinausging). In diesem Bereich wurden eine Menge Erfahrungen gemacht und Lösungsstrategien ausprobiert, und auf diesen Pool an Erfahrungen und Ideen stützen wir uns beide in unseren Überlegungen (du z.B. in deiner Anlehnung an das Mietshäusersyndikatmodell, dass aus diesem „Szenesumpf“ entstanden ist oder in deinem Einbringen der Kämpfe um die L14 als Vergleich).
    Ich kann gut nachvollziehen, dass du dich um Positionierungen etwas herumdrückst, da die Gefahr naheliegt, dass deine Positionierung in der Öffentlichkeit als die Positionierung von Kotti & Co wahrgenommen wird. Du hast völlig recht, dass eine Diskussion mit den aktiven Akteur_innen nicht durch eine Diskussion mit dir ersetzbar ist.
    Zumindest mir ist klar, dass ich hier mit dir (und mit anderen Diskussionsparter_innen) nicht mit Kotti&Co rede.
    Kompliziert wird dies, da deine Rolle in den konkreten Kämpfen keine leichte ist: du bewegst dich irgendwo zwischen einiger Distanz, Beschreibung und politischer Einschätzung der Kämpfe, die du mit der Autorität deines Status als engagierter Wisssenschaftler in die öffentliche Diskussion bringst, und, zumindest bei der diskutierten konferenz, gleichzeitig als aktiv Beteiligter, der mit seinen Einschätzungen auch die inhaltliche Ausrichtung der Konferenz als Ausdruck des politischen Willens der Mieter_innen vom Kotti mitbestimmt. Du schwankst zwischen der Rolle des Beobachters und der Rolle des aktiv Beteiligten. Keine leichte Position, und du kannst dir meines Respekts dafür sicher sein, dass du versuchst, das zu große Gewicht deiner Stimme in der Öffentlichkeit durch ständige Verweise auf Kotti&Co abzufedern.
    Ich sehe deinen Blog trotzdem eher als einen Ort, an dem mit etwas Distanz über Protest- und Widerstandsbewegungen geredet wird, und ich halte es auch für wichtig, Räume der Reflektion etwas distanziert vom durch Pragmatik geprägten Bewegungsalltag zu schaffen.

  6. Hallo,
    ich finde das sind gerade ganz interessante Diskussionen. Ich mache mal ein paar Anmerkungen vorrangig zu Kotti und Co, ein ausführliche Eröterung einer stadtpolitischen Strategie wäre allerdings auch interessant. Es ist ja nicht so, dass Kotti und Co alles falsch machen würde und es einfach darum geht, das nachzuweisen. Andere Aktionen/Strategien haben ebenfalls deutliche Schwächen.

    Ein wiederkehrendes Argument bei Kotti und Co ist, dass es zur Zeit einen großen Leidensdruck gibt, dem jetzt sofort begegnet werden muss. Dabei wird festgestellt, dass dem Leidensdruck erfolgreich begegnet werden kann, wenn nur konkrete Forderungen aufgestellt werden, die die Politik dann irgendwann umsetzen muss.
    Aber wann muss die Politik Forderungen denn umsetzen ?
    Forderungen werden gemeinhin nicht umgesetzt, wenn sie besonders schön oder schlüssig formuliert sind, sondern wenn sich die Kräfteverhältnisse verschoben haben. Deswegen ist es schon okay, auch mal Forderungen zu stellen, um einem Kampf ein Ziel zu geben, eine Machtfrage zu stellen oder Veränderungen in gesellschaftlichen Strukturen zu erreichen. Allerdings sind das entscheidende dann nicht die Forderungen, sondern der dahinter stehende Kampf. Und das ist genau das, was bei Kotti und Co bisher ziemlich gut funktioniert hat. Eine Aktion, welche Ausdauer zeigt. Ein politischer Ort, welcher Menschen mit unterschiedlichen Lebensläufen zusammenbringt. Und in diesem Jahr die erfolgreiche Umsetzung des Lärmdemo-Konzepts, welche eine wichtige Erfrischung des linken Demokonzepts gebracht hat.
    Auch die Vernetzung mit anderen gesellschaftlichen Akteuren ist wichtig und richtig. Deswegen ist die praktische Seite der Arbeit von Kotti und Co eine wichtige Ergänzung und Weiterführung der stadtpolitischen Kämpfe in Berlin gewesen.
    Forderungen können wichtiger Teil auch einer Mobilisierungsstrategie sein um andere und mehr Menschen für Aktionen zu mobilisieren, aber sie sind nicht an sich eine Strategie. Sich gemeinsam als Mieter*innen zusammensetzen und überlegen, was man will, ist natürlich wichtig, Diese Forderungen und Vorstellungen mit anderen Leuten zu diskutieren, wäre ein ebenfalls wichtiger Schritt. Das würde bedeuten, dass die Forderungen von einem größeren Teil der stadtpolitischen Szene in Berlin getragen werden. Das ist natürlich relativ kompliziert und eventuell den Aufwand nicht wert.
    Jetzt aber zu glauben, die Forderungen mit einer Konferenz aufzubereiten, dass die Politik gar nicht mehr anders kann, als diese umzusetzen, wirkt ziemlich naiv. Denn eine Forderung ist noch kein erfolgreich geführter Kampf. Das ist das Irritierende an den Stellungnahmen, dass Kotti und Co nicht seine Praxis herausstellt, die bisher ziemlich erfolgreich war, sondern ein Instrument präsentiert, welches offenbar das Leid der Mieter*innen beseitigen soll: die reformistische Forderung. Die Presse interessiert sich einen Scheißdreck für die Details solange sie immer nur munter schreiben können: die Mieten sind um soundsoviel Prozent gestiegen und es gibt die Forderung nach Neubau !
    Denn es gibt eben auch gewisse Grenzen der leicht umzusetzenden sozialen Reformen in der kapitalistischen Stadt. Die steigenden Mieten in Kreuzberg sind ja kein Unfall der Geschichte, sondern in vielen Großstädten in Deutschland und sogar in vielen weiteren Ländern zu beobachten. Deswegen ist es schlicht und einfach gelogen zu behaupten, dass die Mieter*innen eine allgemeine Kapitalismuskritik überhaupt nicht weiterbringt, sondern nur eine mit Bewegungsgimmicks angereicherte Sozialdemokratie. Die allgemeine Kapitalismuskritik muss sich natürlich nicht in Parolen und Begriffsverwendungen niederschlagen, aber in der Analyse der derzeitigen Situation. Das Wohnungen im Kapitalismus Ware sind und das mit ihnen Profit gemacht wird, sind nicht einfach nur olle Klamotten aus autonomer Bewegungsgeschichte. Und es schließt sich nicht aus 4 Euro zu fordern und von kapitalistischer Stadt zu reden. Eine theoretische Erklärung der ablaufenden Entwicklung ist nicht einfach nur linksradikaler Popanz, sondern notwendige Voraussetzung einer Praxis, welche strategisch vorgeht und die bestehenden Abläufe so weit versteht, dass es ihr punktuell gelingen kann, diese zu stören und umzulenken. Und da haben ganz viele Leute nicht verstanden, was das Großartige und Weiterbringende der Konferenz überhaupt sein sollte, auch weil eine theoretische Fassung als unwichtig abgetan wird.
    Es wird von außen so wahrgenommen, als wäre Kotti und Co eine Absetzung von und eine Kritik an der linken Szene wichtig. Ob die Wahrnehmung stimmt, sei einmal dahingestellt. Kotti und Co beschreibt seinen offenen Anspruch manchmal so, dass die linke Szene genauso wie Künstler*innen oder die Politik als mögliche Helfer beim partikularen Kampf erscheint. Es besteht aber ein Unterschied zwischen linken Kiezinitiativen und einem Staatssekretär, denn an sich sollte Kotti und Co und Kiezini XY irgendwie am gleichen Kampf werkeln, auch wenn es vielleicht strategische Unterschiede oder persönliche Animosititäten geben kann.
    Deswegen Kontextualisierung: Kotti und Co ist nicht der einzige und nicht der erste Bewegungsansatz. Dass eine wirklich massive Mobilisierung durch die Kiezinis bisher nicht bewerkstelligt werden konnte, stimmt, trifft allerdings genauso auf Kotti und Co zu. Eine Stärkung der mietenpolitischen Bewegung in Berlin lässt es allerdings notwendig erscheinen, dass die unterschiedlichen Kämpfe ein Mindestmaß an Solidarität, Zusammenarbeit und gegenseitiger Rücksichtnahme erkennen lassen.
    Und auch, dass die Analyse versucht die Ursachen der steigenden Mieten zu verstehen. Es ist natürlich interessant und vielleicht auch weiterbringend die Zusammensetzung der Kostenmiete durchzurechnen oder die Verlängerung der Anschlussförderung im sozialen Wohnungsbau zu fordern, aber grundsätzlich ist es notwendig nicht aus den Augen zu lassen, dass es so etwas wie einen Wohnungsmarkt und Eigentumsverhältnisse gibt. Und was Kotti und Co ja richtig herausstellt, dass es nicht nur steigende Mieten gibt, sondern auch Rassismus. Das würde ich dann links nennen und wenn es Leute sind, die häufiger auf Demos gehen, dann heißt es eben linke Szene. Linke Szene ist doch nicht nur das Punkkonzert in der Köpi, sondern einfach Menschen die außerparlamentarisch Politik machen und dabei die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Herrschaftsverhältnisse zu verstehen versuchen und aktiv dagegen vorgehen. Und wenn mal ein Flugblatt schlecht geschrieben ist oder wenn sich „die Szene“ mit sich selbst vergnügt, dann kann man daran viel Kritik üben.
    Aber genauso wie man es sich mit der Kritik an Kotti und Co häufig zu leicht macht („die Bewegungsmanager“, „die reden mit Politikern“, „die befrieden den Kampf“), genauso macht man es sich zu leicht, wenn die Existenz „der Szene“ und ihre Codes und Sprache für alle Schwierigkeiten emanzipatorischer Stadtpolitik verantwortlich gemacht wird („die reden nur über Kapitalismus, aber interessieren sich nicht für die Nöte der Menschen“, „die wollen immer nur reine Lehre“, „die erreichen doch nichts“),

  7. (Der Kommentar wurde geschrieben, ohne den letzten Beitrag von ach nöö und b. mitbekommen zu haben. Also bitte nicht wundern, wenn die folgenden Gedanken sich ausschließlich auf die früheren Beiträge beziehen)

    Lieber ach nöö,

    da du ja viel Wert darauf legst, sich in Diskussionen mit den Argumenten der anderen auseinanderzusetzen, fände ich es prima, wenn du das auch selbst versuchen würdest. Dein Vorwurf, ich hätte deine „bescheidenes Argument“ von den „nicht vergleichbaren Strategien“ nicht beantwortet, endet letztendlich in dem Zirkelschluss, dass du nicht auf mein Argument eingehen magst, dass die Mehrzahl der sozialen Bewegung sich aus aus einem konkreten meist alltagsbezogenen Begehren entwickeln. Das unmittelbare Ziel ist dann in den meisten Fällen (zunächst) die unmittelbare Einlösung ihrer Forderungen. Dass sich aus solchen Forderungen weitergehende Perspektiven und Utopien entwickeln, kann – muss aber – nicht sein. Allein aus dieser pragmatischen Perspektive heraus habe ich die beiden „Strategien“ beschrieben. Es ging, so mein Argument, um die Zweckmäßigkeit unterschiedlicher Strategie-Optionen bei der Durchsetzung eigener Forderungen. Entweder du versucht im Spiel der Verhältnisse die Karten neu zu mischen (also ungefähr das, was ich als Verschiebungen in der politischen Arena beschrieben habe) oder du kündigst das Spiel auf und wirfst den ganzen Spieltisch um (also ungefähr das was ich als zweite Strategie mit den Gegenwelten umschrieben habe). Das Missverständnis kommt meines Erachtens daher, dass du diese Ausgangssituation in Frage stellst (aber bisher ohne es zu begründen) und die Strategie, den Spieltisch umzuwerfen (also die kompletten Verhältnisse zu verändern, die Gegenwelt aufzubauen/den Kommunismus auszurufen what ever…) kurzerhand zum Ziel erklärst. Aus dieser Perspektive hast du recht: Die Karten mischen und den Spieltisch umwerfen sind kaum miteinander vergleichbar, weil niemand auf die Idee käme, das Mischen der Karten als Ziel oder Selbstzweck zu begreifen, sondern immer nur als Mittel, um etwas Bestimmtes zu erreichen… Aber du wirst sicher nachvollziehen können, dass es nicht so einfach ist auf ein solches Argument einzugehen. Wenn meine Frage darauf zielt, herauszufinden welche Strategie sinnvoller ist – und du mir sinngemäß antwortest, der Zweck der Strategien sei dir egal, die eine Strategie sei vielmehr das eigentliche Ziel, dann reden wir aneinander vorbei (das hab ich ja auch so aufgeschrieben, ohne es so ausführlich wie jetzt zu begründen).

    Deshalb geht es mir auch nicht darum – wie du unterstellst – mich an irgendeinem Bild von dir abzuarbeiten (Warum sollte ich das tun? Und welcher Aspekt an deinen Positionen sollte mir als (Feind?)Bild dienen, an dem ich mich abarbeiten müsste?) sondern eher darum, allgemeine Prinzipien von Protestdynamiken zu beschreiben. Genau darüber würde ich mich tatsächlich gerne weiter streiten. Mein Argument, Bewegung würde eher aus konkreten Verhältnissen und Anlässen entstehen und nicht aus einem abstraktem Traum von einer gesellschaftlichen Utopie, war auf keine spezielle Gruppe oder konkrete Personen konkret gemünzt und sollte auch niemanden (und auch nicht dir) irgendetwas unterstellen. Das entsprechende Argument von dir hätte also weniger selbstbezogen formuliert sein können und begründen sollen, warum du glaubst, dass gesellschaftliche Utopien einen stärkeren Protestanreiz bieten als unmittelbare Erfahrungen. Hast du aber nicht gemacht.

    Vor welchen Positionierungen ich mich angeblich herumdrücke und was das mit Kotti&Co. zu tun haben soll, habe ich ehrlich gesagt nicht so ganz verstanden – auch weil ich nicht den Eindruck hatte, mich mit Positionierungen zurückgehalten zu haben.

    Auch deine Diskussion um Insellösungen und Gegenwelten (ich meinte eigentlich gar nicht spezielle irgendwelche Subkulturen, sondern eher eine gedankliche Gegenwelt im Sinne des umgestoßenen Spieltisches) würde ich jetzt ungern in die Debatte aufnehmen, weil ich den Wert für die Frage, ob die Soziale-Wohnungsbau-Konferenz „eine Fehler“ (Zitat Hansi) war, nicht wirklich weiterhilft. Vielleicht nur einen Gedanken dazu: Wir werden es bei den von dir skizzierten Ansätzen sehr oft mit der widersprüchlichen Spannung von Tiefgang der praktizierten Gegenweltmodelle und gesellschaftlicher Irrelevanz zu tun haben, da der Ausschluss des gesellschaftlichen Mainstream zur Voraussetzung für die (oftmals kollektive) Selbstverwirklichung wird. Solche Gegenwelten sind deshalb nicht schlecht, sondern nur eben von geringerer Breitenwirkung.

    Was deine Reflexionen zu unterschiedlichen Rollenerwartungen angeht: finde ich es nicht so kompliziert, da ich ja sowohl als Wissenschaftler als auch als Aktivist eigentlich davon ausgehe, dass es letztendlich die Argumente sind, mit denen sich auseinandergesetzt wird. Ich schreibe ja in meine akademischen Texten nichts grundsätzlich anderes als ich in öffentlich-politischen Debatten zum Besten geben würde (die Regeln des Formulierens sind vielleicht unterschiedlich).

    Dass du das Blog als Plattform zur kritischen Reflexion von Bewegungsansätzen ansiehst, finde ich sehr schön, auch wenn das Medium der Kommentare dafür nicht immer geeignet ist (siehe unser Aneinander-vorbei-Gerede) und eine kollektive Auseinandersetzung nicht ersetzen kann. Was mich dann aber wundert (und sicher auch ein wenig ärgert) ist der Eindruck, dass die Lust am kritischen Reflektieren fast ausschließlich auf die Initiativen gerichtet ist, die mit ihren Mobilisierungen auch auf institutionelle Veränderungen der Stadtpolitik setzen. Wenn wir – wie oben vorgeschlagen – z.B. die Durchsetzung eigener Forderungen zum Maßstab erheben, könnten und müssten wir eigentlich im gesamten Spektrum stadtpolitische Aktivitäten darüber diskutieren, was alles noch besser gemacht werden könnte. Insofern freue ich mich auf die kritischen und selbstkritischen Diskussionsbeiträge, die da kommen werden…

    Beste Grüße,

    AH

  8. Lieber Andrej,
    du hast Recht, nicht so einfach mit der Kommunikation.
    Um mal gleich mit deinem herausgestellten Hauptargument anzufangen, dass ich so, wie du es jetzt formuliert hast, tatsächlich nicht aus deinen Beiträgen herausgelesen habe: Du machst die Rolle alltäglicher Erfahrungen als Ausgangspunkt konkreter Begehren, die eine Bewegungsdynamik entwickeln können, stark.
    Darüber können wir tatsächlich nicht streiten, das sehe ich genauso. Weiter unten in deiner Antwort stellst du dieses konkrete Begehren gegen Utopien als „Protestanreiz“. Ich würde dir bei der Entgegensetzung widersprechen, da ich nicht glaube, dass es eine allgemeine, für alle Menschen gleiche Antwort auf die Frage gibt, was zum protestieren motiviert. Ob konkrete akutelle Probleme, Utopien, beides, Utopien die aus vergangenen Erfahrungen mit Kämpfen gegen konkrete Probleme entstanden sind, Utopien die aus theoretichen Überlegungen resultieren – es gibt wahrscheinlich ähnlich viele Antworten auf die Frage wie Menschen. Und da ich nicht glaube, dass Utopien bessere Anreize sind als konkrete Erfahrungen habe ich das auch nicht begründet.
    Ein vielleicht nicht so unwichtiger Unterschied zwischen uns ist, dass ich die Frage nicht als Frage nach Protestanreizen verstehe. Sondern als Frage nach der politischen Zielsetzung. Ich erzähle den Leuten doch nicht, was ich meine, das sie hören wollen, um einen Anreiz zu schaffen, dass sie protestieren. Ich erzähle ihnen das, wovon ich politisch überzeugt bin. Natürlich sollte man in der Art, wie man argumentiert, auf die Menschen eingehen, mit denen man reden will. Daher macht es auch Sinn, abstraktere gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse auf konkrete Auswirkungen davon runterzubrechen, die direkt erfahrbar sind und einen Leidensdruck produzieren, der besonders deutlich wird, wenn er sich verschlimmert. Der Anreiz, den Tisch umzuwerfen, um in deinem Bild zu sprechen, liegt darin, dass der Tisch menschliches Leid und Ungerechtigkeit produziert und weiterhin produzieren wird solange er steht. Wie du ja auch feststellst, macht es wenig Sinn, vom Anreiz des Kartenmischens zu sprechen. Den Anreiz siehst du, wenn ich dich richtig verstehe, im von dir erwarteten Ergebnis des Kartenmischens: das lösen konkreter Probleme, die Leid verursachen.
    Wir sind uns einig, dass konkrete Erfahrungen ein wichtiger Punkt sein können, der Menschen zu Protest und Widerstand motiviert. Das gilt aber nicht weniger, wenn man diese konkreten Erfahrungen in Bezug zu den gesellschaftlichen Verhältnissen setzt, die sie verursachen. Die zweite Frauenbewegung beispielsweise hat zwar eine ausgesprochen starke Fokussierung auf persönliche Erfahrungen gehabt, ihre Stärke aber meiner Meinung nach gerade daraus gewonnen, diese konkreten persönlichen individuellen Erfahrungen in Zusammenhang mit gesellschaftlichen Machtstrukturen zu bringen, die sie das Patriachat genannt haben. Was das ausgehen von eigenen Erfahrungen angeht, um damit die Welt zu verändern, kann man von den Feministinnen jede Menge lernen. Das von dir skizzierte Verhältnis von Tiefgang und gesellschaftlicher Irrelevanz kann ich hier nicht entdecken. Die zweite Frauenbewegung hat zwar ihr hochgestecktes Ziel nicht erreicht, das Herrschaftsverhältnis zwischen den Geschlechtern restlos zu zerstören, aber immerhin deutlich spürbare gesellschaftliche Veränderungen bewirkt. Ihr Anspruch, das Ganze zu wollen hat ihr dabei nicht im Weg gestanden, sondern vielmehr dazu geführt, nach den ersten Teilerfolgen nicht aufzuhören. Gereicht hats nicht, bleibt das Hoffen auf die 3., 4., 5., Welle… Und der Vergleich hat seine Grenzen, da das Geschlechterverhältnis zwar genauso global ist wie der Kapitalismus, aber irgendwie doch sehr anders funktioniert.
    Dass die Radikalität (oder der Tiefgang) von Zielvorstellungen (oder Forderungen) automatisch den mainstream ausschließt halte ich für eine sehr gewagte These. Auch deine Gleichsetzung von Gegenwelten mit kollektiver Selbstverwirklichung verstehe ich nicht. Wenn du über subkulturelle Insellösungen sprichst, bin ich in vielen Fällen bei dir. Wenn du damit auch den umgestürzten Tisch meinst, nicht. Der umgestürzte Tisch ist die nachhaltige Lösung aller konkreten Probleme (die durch gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse, namentlich mindestens Kapitalismus, Rassismus und Sexismus verursacht werden.)
    Ich lasse die subkulturellen Insellösungen gerne außen vor, da ich auch nicht sehe, wie die Diskussion um die Konferenz davon profitieren könnte.
    Das rauslassen der Gegenwelten im Sinne des umgestürzten Tisches ist, glaube ich, unser tatsächlicher Streitpunkt. Wenn man konkrete Probleme lösen will, die durch den Tisch verursacht sind, kann man ihn nicht aus der Lösungssuche ausschließen. Das hieße eine Beschränkung auf bloße, eingeschränkte Symptombekämpfung, die langfristig nicht erfolgreich sein können. So ziemlich jede erkämpfte Verbesserung wird irgendwann wieder zurückgenommen, wenn der Druck nachlässt. Die Häuser in Berlin, die in den 80er und 90er besetzt wurden und sich für konkrete Lösungen in Form von legalen Verträgen entschieden, werden jetzt trotzdem geräumt. Die Erfolge der Frauenbewegung erleben einen Roleback. Die erkämpften kritischen Freiräume an der Uni verschwinden in der neoliberalen Umstrukturierung.
    Und ohne eine weiterführende Perspektive ist, sollte es zu einigen Zugeständnissen im sozialen Wohnungsbau kommen, aus der ganzen Bewegung um die Mieter_innen am Kotti die Luft raus, die Probleme der anderen Mieter_innen sind aber noch lange nicht gelöst. Wenn jeder nur für seine eigenen konkreten Probleme kämpft und sie nicht als mit den Problemen der anderen verbunden versteht, verspielt man eine gewaltige Chance, eine tatsächlich starke und gesellschaftlich relevante Bewegung zu werden. Und sehr viel mehr gesellschaftliche Relevanz ist meiner Meinung nach selbst nötig, um relativ begrenzte konkrete Lösungen wie die von dir & Kotti & Co ausgearbeiteten durchzusetzen.
    Der Fehler, den ich in der Konferenz sehe, ist gerade die Beschränkung auf ein sehr eingegrenztes konkretes Problem, das Bündnisse mit anderen verhindert. Und die Illusion, der druck, der bis jetzt aufgebaut wurde, würde auch nur annähernd ausreichen, um Kosten in Höhe von 200 (?) Millionen nur für die Brückenlösung auch nur annähernd diskutierbar zu machen. Und die Illusion, in der proffessionellen Politik würden die besseren Argumente zählen, die du konkret so benannt hast und die auch in manchen Argumentationen von Kotti&Co durchscheint, wenn sie ihre Expertise anpreisen, sagen zu können, dass es so nicht geht. Dass es so, wie es läuft, nicht geht, ist unbestritten, aber die Interpretation, dass es sich dabei um ein Versehen handelt, auf das man nur hinweisen muss und das man argumentativ gut vertreten muss, um es zu ändern, ist, mir fällt wirklich kein anderes Wort ein, naiv. Was eng zusammenhängt mit der Strategie, in der proffessionellen politischen Arena gleichberechtigt mitspielen zu wollen, um das Problem innerhalb der Logik des Systems (Kapitalismus + unsere Form der parlamentarischen Demokratie) zu lösen. Die Grünen sind diesen Weg gegangen, genauso wie große Teile der 68er Bewegung. In den meisten Fällen wurde aus dem „Marsch durch die Institutionen“ ein Marsch in die Institutionen, der wenig zum besseren verändert hat. Von den ursprünglichen politischen Vorstellungen der Grünen ist kaum noch etwas übriggeblieben, und die waren anfangs radikaler als das, womit Kotti&Co in die proffessionelle Politik gestartet ist.
    Ich würde die Konferenz nicht als isolierten Fehler betrachten, sondern als Schritt in eine Richtung, in der ich keinen Horizont sehe, die sich meiner Ansicht nach oft genug als Sackgasse erwiesen hat. Und zumindest ich bin nicht bereit, sehenden Auges in eine Sackgasse zu laufen.
    Was dein nicht vorhandenes Problem mit den Rollenerwartungen angeht: oh weh. Sollest du mal sowas wie ein Problembewusstsein in die Richtung entwickeln (z.B. weil du merkst, dass sich Politiker_innen wenig für die besseren Argumente interessieren und einen immer wieder mit schönen, nichtssagenden Versprechungen abspeisen und am Ende verarschen, und daraus den Schluss ziehen, dass die Strategie, mit den besseren Argumenten zu punkten, in der politischen Arena nicht ausreicht und die Politik und auch Bewegungen nach einer anderen Logik funktioniert als akademische Debatten) empfehle ich dir die frühen Auseinandersetzungen der Frauenforschung über Erfahrung, Bewegungen und wissenschafltiche Erkenntnis und die während der 80er geführten Diskussionen, die oft genau dieses Spannungsverhältnis zwischen Bewegungslogik und Wissenschaftslogik herausstellen. Dabei geht es zwar um die Spannungen, die Bewegungslogik in akademische Debatten zu integrieren und nicht, wie bei dir, akademische Debatten in die Bewegungslogik zu integrieren, aber ich denke, einige Denkanstöße und Problematisierungen sind übertragbar (und ja, meine Antwort auf jede zweite wirklich relevante Frage lehnt sich an feministische Antworten an 😉 )
    Im übrigen heißt die Endstation meiner Sehnsüchte Anarchismus, und nicht Kommunismus,
    Ich stimme dir auch zu, dass die Diskussion hier keine kollektiven Diskussionen ersetzt, ich sehs auch eher als Ergänzung dazu. Ist eher so, wie beim einen oder anderen Bier über die Weltrevolution und die alltägliche politische Praxis zu plaudern. Im schlechtesten Fall gute Unterhaltung, im besten Fall der Geburtsort einiger der besten Ideen, Gedanken und Strategien. Fairer Deal, wenn du mich fragst.
    Und ich hab auch nichts dagegen, andere Praxen als die von Kotti&Co zu kritisieren, ich bin auch der Meinung, dass wir über die L14 einiges kritisches gesagt hast (die interpreation als militanter Reformismus ist nicht konsensfähig, ich weiß nicht, wie bewusst dir das ist). Von mir aus kannst du gerne auch andere Praxen kritisieren, aber es geht hier halt um Kotti&Co und die Konferenz.
    Auch auf die Gefahr hin, meinen hart erarbeiteten Ruf als ewige Nörgler_in aufs Spiel zu setzen, stimme ich B definitiv zu, dass Kotti & Co auch eine ganze Menge richtig machen. Ich stimme B auch zu, dass die Positionierungen gegen Rassismus ausgesprochen konsequent und charmant vorgetragen wurden und wir uns immerhin keine Sorgen machen müssen, dass die Bewegung der Mieter_innen sich nicht entschlossen genug gegen Einflüsse deutscher Nazis abgrenzt. Und das ist ja schonmal die halbe Miete (sorry, konnte ich mir gerade nicht verkneifen). Von dem Umgang mit Rassismus und der Einbeziehung nicht bio-deutscher Menschen könnten sich andere Teile der Bewegung noch eine Menge abgucken.

    • hallo ach nöö,
      vielen Dank für deine ausführlichen Gedanken und ich finde, so langsam finden unsere Argumente zueinander – was nicht heißt, dass wir zu allen Dingen die selbe Einschätzung haben. Ich würde die Diskussion gerne in der Ausführlichkeit fortführen, werde aber die Zeit nicht finden – vielleicht sollten wir das mal bei einem Bier oder besser noch in einer Veranstaltung mit anderen Interessierten fortsetzen.

      Viele deiner Argumente kann ich nachvollziehen und würde sie vielleicht auch so formulieren. Was uns ganz offensichtlich trennt, ist die Vorstellung, welchen Stellenwert die über den konkreten Konflikt hinausgehenden Perspektiven in einzelnen Mobilisierungen haben sollten. Ich bin überhaupt nicht gegen die gründlche Analyse von Herrschaftsverhältnissen (mach ich ja auch manchmal) und will die Option, ‚den Tisch umzuwerfen‘ auch gar nicht ausschließen – was ich glaube ist jedoch, dass es keine Grundstzentscheidungen darüber gehen kann, die vorwegnimmt, wann welche Optionen sinnvoll sind und dass letztendlich Bewegungen selbst darüber entscheiden, welche Strategien sie für den Augenblick verfolgen. Zur Dialektik von Reformforderungen, revolutionären Zielen und transformativen Protesten sei dir wie gesagt Manuel Castells „Kampf in den Städten“ ans Herz gelegt.

      Was mich ein wenig gewundert hat, war jedoch dein Satz: „Ich erzähle den Leuten doch nicht, was ich meine, das sie hören wollen, um einen Anreiz zu schaffen, dass sie protestieren.“ Das mache ich auch nicht. Die Grundvorstellung in deinem Satz klingt für mich jedoch sehr stark nach einem kaderpolitischen Verständnis, bei dem die ‚Wissenden‘ den ‚Unwissenden‘ erklären wie die Welt funktioniert und warum sie Protestieren sollten. Die allermeisten stadtpolitischen Basisbewegungen, die ich kenne, sind aus einem starken Eigenantrieb heraus entstanden und i.d.R. selbstbewusst darin, ihre Forderungen und Strategien selbst zu definieren. Sicher ist es sinnvoll, die eigenen Erfahrungen aus anderen Kämpfen und Überlegungen theroretischer Art da mit einzubringen, aber als Bewegungsromatiker fällt es mir schwer, die Autonomie der Mobilisierungen in Frage zu stellen (Was nicht ausschließen sollte, sich reflektierende Gedanken zu machen und die auch auszusprechen – aber letztendlich gilt vielleicht doch, dass Kritik an der Bewegung nur von der Bewegung selbst kommen kann).

      Was die Rollenerwartungen angeht, habe ich mich ausschließlich auf die von dir ursprünglich formulierte Schwierigkeit bezogen, dass es irgendwie kompliziert wäre, sich mit mir über politische Strategien zu streiten. Dass die unterschiedlichen Rollenerwartungen außerhalb solcher Bewegungsdebatten und erst recht im Feld politischer Auseinandersetzungen mit Verwaltung, Politik und Eigentümer/innen komplizierter sind, weiß ich. Und auf gefühlt jeder Tagung oder Konferenz, die den Anspruch einer ‚kritischen Wissenschaft‘ im Titel führt, gibt es mindestens eine größere Debatte zum komplexen Verhältnis von Wissenschaft und Bewegung. Was ich dabei ganz sicher nicht will, ist: „akademische Debatten in die Bewegungslogik zu integrieren“. Ich weiss erstens nicht, wie du darauf kommst, dass ich das tun würde und kann mir darunter auch nicht so wirklich etwas vorstellen. Das meine (politischen) Einschätzungen stark mit dem Privileg verbunden sind, dass ich den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen und viele Bücher lesen darf, meinst du ja sicherlich nicht.

      Wie oben angedeutet, ich würde mich über eine geeignete Form der Fortsetzung unserer anregenden Diskussionen sehr freuen, werde aber unseren Kommentar-Dialog nicht in der Ausführlichkeit der letzten Tage fortsetzen können.

      Beste Grüße, alles Gute und ganz sicher sehen wir uns irgendwann an den Spieltischen der Welt und überlegen dann gemeinsam, ob wir die Karten neu mischen sollten oder besser doch gleich den Tisch umstoßen,

      Andrej

  9. Die Flüchtlinge habens vorgemacht: so redet man (ebenso ergebnislos) mit Politiker_innen: Sich nicht auf persönliche Schicksale reduzieren lassen, sondern für alle Betroffenen sprechen, die eigenen Probleme nicht isoliert sehen, politische Erklärungen abgeben, sich nicht auf die Spielregeln der Politik einlassen, die Unmöglichkeiten der Politiker_innen öffentlich kundtun ( http://taz.de/Asylsuchende-treffen-Innenpolitiker/!106115/ ).

    • Ja, der Flüchtlingsprotest in in der Tat ein sehr gutes Beispiel dafür, dass eine ausdauernde Protestmobilisierung zu sehr konkreten Forderungen (Abschaffung Residenzpflicht, Abschiebestopp, Abschaffung Asylbewerberleistungsgesetz) zur Politisierung eines Themas beitragen kann. Allein die Reaktionen von Politikern der CDU (Wolfgang Bosbach: „Dafür haben wir kein Verständnis“) als Beweis für den richtigen Tonfall der eigenen Forderungen heranzuziehen, finde ich zu wenig. Wäre das Auftreten der Flüchtlinge in deinen Augen weniger gerechtfertigt, wenn die Koalitionsvertreter nicht in so bodenlos ignoranter Art reagiert hätten?

      Ich finde deine Unterstellung, die Mieter/innen hätten nicht auch für andere Betroffenen gesprochen und keine politischen Erklärungen abgegeben, für wirklich haltlos. In den Beiträgen auf der Konferenz und auch in den bisherigen Gesprächen mit Politik und Verwaltung wurde die Situation am Kotti immer auch mit Fragen des Rassismus und der profitorientierten Wohnungspolitik verknüpft. Es ging fast nie um Einzelschicksale. Dass Politik und Verwaltung beim Sozialen Wohnungsbau offener reagieren als auf die Situation der Flüchtlinge, kannst du doch nicht ernsthaft den Protestierenden und ihren Strategien anlasten.
      Etwas ausführlichere Dokumentationen zum Gespräch mit dem Innenausschuss findest du übrigens auch hier:
      http://blog.wawzyniak.de/?p=4543
      http://www.dradio.de/aktuell/1930367/

  10. […] 18.11. Mieterproteste in den Schatten gestellt (Gentrification-Blog), […]


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