Verfasst von: ah | September 10, 2014

„Deutschland-Plan“: 87 Mrd. Euro verdeckte Subventionen für die Immobilienwirtschaft

Einladung zum Wohnungsbau-Tag 2014

Bundespressekonferenz, eine Videobotschaft der Ministerin und Spitzenvertreter der Immobilienwirtschaft und Bauindustrie: Die ganz großen Geschütze wurden aufgefahren, um nichts weniger zu verkünden als den „Deutschland-Plan für bezahlbares Wohnen„. Im Schulterschluss mit der Gewerkschaft (IG BAU) und dem Deutschen Mieterbund (DMB) und gestützt auf eine Untersuchung des Pestel-Instituts, wurde gestern ein Forderungskatalog zur Lösung der Wohnungsfrage vorgelegt. Vor allem die Ausweitung von steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten soll den Wohnungsbau ankurbeln und bezahlbare Mieten garantieren. Im Kern jedoch ist der „Deutschland-Plan“ ein Programm für eine steuersubventionierte Rendite im Umfang von 87 Mrd. Euro.

Von der FAZ bis zum ND haben die Zeitungen den Auftritt des Verbändebündnisses aufgegriffen und waren voll des Lobes über die breit zusammengesetzte Initaitive. Tatsächlich klingt die Argumentation der Verbände zunächst überzeugend: Wer bezahlbare Wohnungen will, muss billiger bauen und billiger gebaut werden kann nur, wenn die Kosten für die Investitionen reduziert werden. Vor allem in drei Bereichen sollen die Bedingungen für den bezahlbaren Neubau geschaffen werden:

  • Steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten verbessern: Statt der zur Zeit festgesetzten 2-Prozent-Abschreibung sollen künftig im Rahmen einer linearen Abschreibung (AfA) 4 Prozent der Investitionssumme pro Jahr abgeschrieben werden können.
  • Bauland billiger machen: Um die Ausgangskosten für Investitionen in den Wohnungsbau zu senken, soll eine „Baulandpreissenkung“ die Grundstückskosten um 25 Prozent absenken.
  • Günstige Finanzierungsbedingungen schaffen: Ein Zinsverbilligung um 1 Prozent soll die Kosten in den Wirtschaftlichkeitsberechnungen der Neubau-Investoren zusätzlich reduzieren.

Im Ergebnis, so verkündet es das Verbändebündnis, sollen Mietpreise von 7,50 Euro/qm im Neubau möglich werden. In der Presseerklärung zum „Deutschland-Plan“ heißt es Lösungen versprechend:

„Im Idealfall könnten die Kaltmieten in Neubauten um bis zu 4,14 Euro proQuadratmeter gesenkt werden, rechnen die Wissenschaftler des Pestel-Instituts in ihrer Studie vor. Notwendig hierfür wäre in dem Paket kombinierter Maßnahmen insbesondere die Einführung einer linearen Abschreibung (AfA) in Höhe von 4 Prozent jährlich.“

Eine Mietsenkung um über 4 Euro/qm klingt natürlich verlockend. Aber wie so oft steckt der Teufel nicht nur im Detail, sondern in falschen oder zumindest nicht zu Ende gedachten Ausgangsüberlegungen.

Soziale Blindheit des Durchschnitts:  So hilfreich der Verweis auf Durchschnittswerte auch sein mag, um zeitliche Veränderungen zu verdeutlichen oder größere statistische Einheiten miteinander zu vergleichen, so ungeeignet sind Durchschnittsannahmen für die Berechnung von differenzierten Bedarfen. Die Studie des Pestel-Instituts verweist zwar selbst auf die große Spannweite der regionalen Unterschiede bei der Festlegung der Angemessenheitsgrenzen der Kosten der Unterkunft (also die Höchstgrenze der Wohnkosten, die von den Jobcentern für Hartz-IV-Haushalte) von 3,50 Euro/qm bis 9,00 Euro/qm – scheut sich aber nicht, die angestrebten 7,50 Euro/qm als angemessene Zielgröße für die „Kernzielgruppen“ der gewünschten Wohnungsneubauten zu definieren. Der Anteil der Haushalte, die von den Beglückungen des Neubauprogramms ausgeschlossen bleiben, werden so in der Studie kleingerechnet. Wie schon die Mietpreisbremse stellt sich auch der „Deutschland-Plan“ als Programm für die Mittelschichten dar und ist gerade kein Beitrag für die dringend benötigten Wohnungen zur Versorgung ärmerer Haushalte.

Ignorierte Ertragserwartung: Die Argumentation des Pestel-Instituites und auch des Verbändebündnisses verschleiert die offensichtlichen Logiken des Immobiliengeschäftes und suggeriert einen Zusammenhang von Kosten und Preis. Doch den gibt es in marktförmig organisierten Versorgungssystemen so nicht. Allein die regionalen Unterschiede von Mietpreisen in Deutschland zeigen schon, dass der Preis einer Wohnung viel stärker von der Nachfragesituation und den Ertragserwartungen der Immobilienverwerter bestimmt wird, als von den realen Kosten. Wie die im „Deutschland-Plan“ vorgestellte Kostenersparnis der Investitionen an die Mieter/innen weitergegeben werden soll, wird gar nicht thematisiert. Ob mit oder ohne 4-Prozent-Abschreibung – es bleibt völlig unklar, wie ein leistbarer Mietpreis durchgesetzt werden soll. Eine kalkuliierte Kostenmiete von 7,50 Euro/qm bedeutet ja nicht automatisch, dass Eigentümer/innen auf höhere Erträge verzichten.

Verschleierte Subventionskosten in der Höhe von 87 Mrd. Euro: Ganz sicher bezieht der „Deutschland-Plan“ für die Politik seinen Reiz aus dem Versprechen, ohne zusätzliche Haushaltsmittel einen sichtbaren Wohnungsbaueffekt zu generieren. Dabei wird schnell deutlich, dass höhere Abschreibungen (also: Steuererspranisse für die Investoren) und eine Absenkung der Bodenpreise letztendlich nichts anderes sind, als indirekte Subventionen. In der Beispielrechnung der Studie wird bei Anwendung der 4-Prozent-AfA (im Vergleich zur bislang geltenden 2-Prozent-AfA) für den Zeitraum von 30 Jahren von einer steuerlichen Mindereinnhame  von 540.000 Euro ausgegangen (Pestel-Institut 2014: 19). Bezogen auf die Muster-Wohnung der Studie (73 qm) entspricht das einem Steuereinnahmeverlust von 45.000 Euro. Greifen wir die Prognosen der Studie auf, denn sollen diese Abschreibungsvorteile künftig für alle Mietwohnungen gelten, die neu gebaut werden. Ausgegangen wird neben den bereits jetzt jährlich fertiggestellten 90.000 Mietwohnungen von einer zusätzlichen Bauaktivität im Umfang 30.000 bis 50.000 Mietwohnungen pro Jahr. Selbst in der zurückhaltenden Prognose von jährlich 120.000 neu erbauten Wohnungen würden sich die verdeckten Subventionen für den 30-Jahres-Zeitraum auf 5,4 Mrd. Euro summieren. Da die vorgeschlagene Regelung sicher nicht nur ein Jahr gelten soll, kommen auch im nächsten, übernächsten und  überübernächsten Jahr jeweils weiter Steuersubventionen hinzu. In der 30 Jahres-Perspektive (wie sie in der Studie vorgeschlagen wird) sind das nicht weniger als 87,3 Mrd. Euro verdeckte Subventionen, die mit dem „Deutschland-Plan“ aufgerufen werden. Da sind die vorgeschlagenen „Bodenpreissenkungen“ in der Höhe von etwa 10.000 pro Wohnung noch gar nicht mit eingepreist.

Für ein Programm mit nur schwer zu prognostizierenden Effekten für die soziale Wohnungsversorgung sind 87 Mrd. Euro ein stolzer Preis. Doch der Vorschlag ist die konsequente Fortschreibung der westdeutschen Wohnungspolitik der Nachkriegszeit und versucht selbst unter den Bedingungen der Hochsubvention die Illusion des Marktes aufrechtzuerhalten. Die hier von Bauwirtschaft, Gewerkschaft und Mieterbund geforderten Steuergeschenke für Investoren haben letztendlich die Aufgabe, trotz schwieriger Marktlage die Renditeerwartungen privater Investoren zu sichern. Mit dem Wissen um das regelmäßige Versagen des Marktes bei allen sozialen Aspekten der Wohnungsversorgung wäre es angesichts der offensichtlich bestehenden Subventionsbereitschaft angesagt, über die Ausweitung eines marktfernen und auch dauerhaft sozialen Wohnungsbestandes nachzudenken.


Antworten

  1. […] via “Deutschland-Plan”: 87 Mrd. Euro verdeckte Subventionen für die Immobilienwirtschaft | Gentrifi…. […]

  2. Bauen für die Mittelschicht und für die Renditen von Bauunternehmen, Banken und ihren Anleger_innen – Andrej, du nennst es konsequente Fortschreibung der westdeutschen Wohnungspolitik der Nachkriegszeit.
    Frage: Und was war in der Vorkriegszeit? Mit dem Siedlungsbau der 20er Jahre sah es ganz ähnlich aus, von den Mietskasernen der Kaiserzeit ganz zu schweigen. Gab es in der Geschichte der kapitalistischen Stadt etwas anderes? In größerem Maßstab, so, dass wirklich von Wohnraumversorgung gesprochen werden kann?

    • Liebe Clara,
      grundsätzlich hast du natürlich recht, wenn du auf die Beschränktheit der wohnungspolitischen Instrumente unter den Rahmnenbedingungen einer kapitalistisch organisierten Wohnungsversorgung verweist.
      Doch der Siedlungsbau durch kommunale Träger in den 1920er Jahren oder auch die Wohnraumzwangsbewirtschaftung und das Instrument der Hauszinssteuer waren bei allen Defiziten, die an ihnen kritisiert werden können, keine Programme zur Sicherung privater Renditen. Im Gegenteil, sie haben die Gewinnausichten teilweise sogar empfindlich gestört.
      Erst ab den 1950er wird Logik der „unrentierlichen Kosten“ (die vom Staat übernommen werden) zum Kernprinzip der Wohnungspolitik. Wohngeld und Sozialer Wohnungsbau (als Förderprogramm auch für private Investoren) haben sich erst in der Bundesrepublik zu wirklicher Blüte entwickelt.

      Soweit, beste Grüße, ah

      • Zum Siedlungsbau der 20er:
        Es wurden doch in der Regel für den Siedlungsbau Kredite bei Banken aufgenommen. Meist wurde die Hauszinssteuer eingesetzt, um die ansonsten sehr hohen Kreditzinsen zu bezuschussen. Aus Kreditzinsen werden die Gewinne der Banken und ihrer Anleger_innen. Das heißt, die Mieter_innen haben mit dem Teil ihrer Miete, der als Hauszinssteuer abgeführt wurde, Gewinne von Banken und ihren Anleger_innen bezahlt. Dies ganz unabhängig davon, ob der Bauträger kommunal oder genossenschaftlich oder privat oder wie auch immer war.
        Gleichzeitig waren zwar die Profite der privaten Hauseigentümer aus den Mieten durch die Hauszinssteuer geschmälert, aber nicht Null.
        Also gab es zwei Kanäle der Gewinnerzielung mit den Wohnungen. Die Wohnungen waren dem Markt nicht entzogen. Oder?

        Jedenfalls war ja das Ergebnis, dass die Wohnungen der neuen Siedlungen von armen Menschen nicht zu bezahlen waren. Es wurde für die Mittelschicht gebaut.

        Die Ursache dafür mag darin gelegen haben, dass eben doch zu viel Gewinn mit dem Wohnungsbau oder der Vermietung gemacht wurde oder aber darin, dass Löhne und Sozialleistungen zu niedrig waren, also der Mehrwertanteil zu hoch. Wie auch immer, zusammenfassend lässt sich sagen, die Verteilung der gesellschaftlich erarbeiteten Ressourcen war dergestalt, dass sehr viele Menschen eben nicht in so einer schönen neuen Siedlungswohnung wohnen konnten.

        Was heißt das für heute?

        Aus meiner Sicht, dass es nicht reicht zu sagen, wir wollen, dass das Land selbst baut, weil dann hoffentlich weniger Gewinne in irgendwelche privaten Taschen fließen. Zumal das Land Berlin eher dafür bekannt ist, Unsummen in private Taschen zu schaufeln. Wer bekommt die Bauaufträge? Wer berechnet die Kosten? Wer wird auf irgendwelche hochbezahlten Posten in diesen neuen Strukturen gehoben? usw. usw.

        Rein empirisch betrachtet hat es dieses Wirtschaftssystem , einschließlich seiner Staatsorgane, tatsächlich nicht geschafft, dauerhaft angemessenen Wohnraum für Alle bereitzustellen. (Was heißt, nicht geschafft, es hatte das ja auch gar nicht vor)

        Das ist ernüchternd und wirft die Frage auf, wie denn dann überhaupt hier und heute „Politik gemacht“ werden kann. Kann sein, dass wir diese Frage nicht beantworten können. Oder noch nicht.

        Die Konsequenz kann aber nicht sein, diese Erkenntnis zu ignorieren oder sich und anderen die Sache schön zu reden, finde ich.

        „Man soll sich alles so einfach wie möglich machen, aber nicht einfacher“
        A. E.

  3. Hat dies auf Kotti & Co rebloggt und kommentierte:
    Mal wieder ein interessanter Artiken vom „gentrificationblog“ 🙂

  4. Meine Erfahrung hat genau das gezeigt: Der Preis einer Wohnung hängt nicht von den Kosten der Renovierung ab, sondern von der Nachfragesituation und den Ertragserwartungen der Immobilienverkäufer. Danke für die ausführliche Analyse in seiner ganzen Breite. http://www.betongold-der-film.de/termine.html

  5. Bauen für die Mittelschicht? Bauen für sozial schwache Bevölkerungsgruppen? Was gebraucht wird ist Wohnraum für alle, die keinen Anspruch auf einen WBS haben, sich aber auch keine Mieten ab 10,00 EUR aufwärts leisten können.

    Ganz abgesehen davon, wer glaubt, dass die Immobilienwirtschaft Einnahmen von bis zu 4,00 EUR/m² einfach liegen lässt, ist mit dem Klammerbeutel gepudert.

  6. Die Verweise auf die Weimarer Republik ändern nichts an der uralten westdeutschen Tradition, daß die Politik die Interessen der Mittelschicht bedient. Darüber hinaus scheint es auch die Mittelschicht zu sein, die die Diskurse über die Wohnungspolitik prägt. Und speziell in Berlin kommt hinzu, daß der Zustrom finanziell starker Mittelschichtangehöriger wesentlich zum Bevölkerungswachstum, der Wohnungsverknapppung und steigenden Preisen beiträgt.

    Die soziale Verdrängung in innerstädtischen Quartieren ist vielfach die Verdrängung der unteren durch die obere Mittelschicht. Dabei kommt zum Tragen, daß neben finanziellen Aspekten auch die Unterschiede in der sozio-kulturellen Kapitalausstattung zur Segregation beitragen. Vielleicht ist es die gemeinsame Schichtzughörigkeit, weshalb diese inneren Widersprüche aus der Diskussion herausgehalten werden.Dementsprechend mutet es wie eine kleinbürgerliche Welterklärung an, wenn Gentrifizierung ist, weil „Vermieter in Wirklichkeit gar nicht die Preise erhöhen müssen“.

    Ein anderes Thema ist der Zugriff auf die Politik. Da wird dann ausgehend von der Erkenntnis, daß wir „WIR“ sind, auf einen priviligierten Zugang zu staatlichen Ressourcen bestanden. In Berlin ist es zB. der Liegenschaftsfonds, der Begehrlichkeiten weckt. Klar ist, daß die dabei ins Spiel gebrachten Schlagworte „Konzeptverfahren“ und „Stadtrendite“ kaum quantifiziert und überprüft werden können.

    Wenn Gentrifizierung nun verstanden werden kann als überdeutlich sichtbare Phase von Veränderungen in Stadtquartieren, die durch synchroniserte Akkumulation der drei Kapitalarten gekennzeichnet ist, dann gibt es vielleicht eine Chance, „Gentrifizierung“ zu stoppen, indem dieser Synchronisierungsprozess blockiert wird. Also: Schwärmt aus und sucht nach wohnungs- und stadtentwicklungspolitischen Methoden. Und niemals vergessen, daß nach Harvey Investoren UND lokale Akteure GEMEINSAM für den Erhalt der steingewordenen Investition sorgen! (frei zitiert aus einem Buch von Andrej Holm).


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