Verfasst von: ah | September 12, 2011

Berlin: Das Imperium schlägt zurück

Immobilienmakler wollen Mietproteste beobachten

Während Stadtteilinitiativen und Mieterorganisationen sich noch über die gelungene Demonstration und das positive Presseecho freuen, meldet sich jetzt die Immobilienwirtschaft zu Wort. Die einen finden die „Mietendebatte ist hysterisch„, die anderen wollen die Proteste unter Beobachtung stellen.

Wie fast immer werden allgemeine und gesamtstädtische Entwicklungen angeführt, um von der Verdrängungsdynamik abzulenken. Allen, die sich jenseits dieser Pauschalbetrachtungen mit den Innenansichten des Berliner Mietendramas beschäftigen wollen, sei an dieser Stelle nochmal das GRIPS-Theaterstück „Schöner Wohnen“ empfohlen. Die  nächsten Vorstellungen sind schon an diesem Freitag und Samstag (16./17. September) angesetzt.

 

Die Berliner Zeitung gewährt Markus Gruhn (Vorsitzender des Rings Deutscher Makler  in Berlin Brandenburg) eine gute halbe Seite für ein Interview: „Die Mietendebatte ist hysterisch„. Die Argumentation ist denkbar einfach: Außerhalb der Innenstadt gibt es keine langen Schlangen bei den Besichtigungsterminen und eine frisch herausgeputzte Wohnung in Pankow (Majakowskiring) musste für 7,00  Euro/qm (statt der geplanten 7,30 Euro/qm) vermietet werden. In seinen Wohnungen am Kaiserdamm sind es sogar noch weniger…

Was verlangen Sie dort bei Neuvermietungen?

Wenn alles vom Feinsten ist, kriegen Sie für eine kleine Wohnung maximal 6,50 Euro, für große vielleicht 5,80.

Sind Sie ein Sonderfall?

Nein, gewiss nicht. Die gegenwärtige Mietendebatte ist völlig hysterisch. Die Masse der Berliner Wohnungen liegt in Reinickendorf, Spandau, Hellersdorf, Marzahn, in den meisten Teilen von Neukölln und Wedding. Dort haben sie eine gute Auswahl und können günstig mieten. 100 000 Wohnungen stehen leer. Der Regierende Bürgermeister hat das schon richtig gesagt: Dass die Mieten jetzt moderat gestiegen sind, ist auch ein Zeichen dafür, dass in Berlin etwas vorangeht.

Über 60 Prozent der Berliner glauben, es gibt nicht mehr genug gute, bezahlbare Wohnungen. Sind die alle hysterisch?

Die Gesamtbelastungen für die Mieter sind natürlich schon erheblich gestiegen. Die Nebenkosten haben sich zum Teil mehr als verdoppelt. BSR, Wasser-, Heizkosten, die Grundsteuer, jetzt auch der Winterdienst. Die Leute fühlen sich abgezockt und bekommen Angst. Die Kaltmiete ist aber konstant geblieben. Deswegen gehen die politischen Debatten der letzten Wochen total an der Sache vorbei.

Alles halb so schlimm also. Ein erwartbares und oft benutztes Argument. Ein bisschen widersprüchlich wird es jedoch zum Ende des Interviews, als es um die gestiegene Umsatzzahlen des Handels mit bebauten Grundstücken geht:

Das Interesse wäre doch nicht so groß, wenn sich die Käufer nicht Gewinne versprächen.

Die großen, internationalen Fonds haben erkannt: Berlin ist die Hauptstadt und liegt noch im Dornröschenschlaf. Aber da passiert etwas. Deswegen kaufen viele lieber hier, als in München, wo die Entwicklung abgeschlossen ist. In 10, 20 Jahren werden sich die Mieten den westdeutschen Verhältnissen anpassen. Eine Immobilie ist immer langfristig zu betrachten. Schnelle Kasse ist da nicht zu machen.

 

Gerade dass sich Maklersprecher Gruhn so ausführlich zu der Kritik an den Mietsteigerungen äußert, zeigt, dass die aktuellen Debatten alles andere als willkommen sind. Von den Theaterschaffenden des GRIPS-Theater, die sich ja in ihrem Stück „Schöner Wohnen“ mit den Themen der Mietsteigerung und Verdrängung auseinandersetzen, wurde ich auf  eine weitere Stimme zum Mieter/innen-Protest aufmerksam gemacht. Dominik Eller lässt uns auf GeVestor  Immobilien an seinen Überlegungen teilhaben:

In der vergangenen Woche gingen in Berlin, je nach Quelle, zwischen 2.500 und 6.000 Demonstranten auf die Straße, um wegen der steigenden Mieten ein Einschreiten der Politik zu fordern. Medienwirksame Aktionen sorgen dafür, dass die Mietgesetzgebung zentrales Wahlkampfthema ist. Von den 3.447.048 Einwohnern Berlins (Stand August 2010) repräsentierten die 6.000 Demonstranten ca. 0,002% aller Hauptstadtbewohner.

Auch wenn die Zahlenspielerei vermuten lässt, dass ein paar Tausend Demonstrierende den Immobilienmarkt nicht wirklich verunsichern, rät der Autor zur Vorsicht:

Tipp: Aus Investorensicht ist es jetzt ratsam, die unterschiedlichen Initiativen und Gruppen genau zu beobachten und vor allem, wie sich die Parteien zu den Forderungen der Mieter und anderen immobilienrelevanten Themen stellen.

Die Investoren übernehmen damit faktisch die Strategien der Stadtteilinititaiven, die sich seit Monaten bemühen, einen Einblick in die Mietsteigerungsdynamiken und immobilienwirtschaftlichen Aktivitäten ihrer Kieze zu erarbeiten. Jetzt wird zurückbeobachtet!


Antworten

  1. Das sind nicht 0,002 sondern 0,17%. Schade dass die Leute nicht mit Geld umgehen können. Da ist es dann auch egal ob man die Mieten um 2 oder 20% erhöht. Hauptsache mehr Geld, GELD, GELLLLLLLDDDDDD. Leute Geld macht dumm 🙂

  2. Es kommt immer drauf an wo man hinschaut. Für Spandau interessiert sich sicherlich derzeit noch kein Investor. Darum geht es aber nicht. Entscheident ist doch, dass bestimmte Gegenden mehr oder weniger systematisch „erobert“ werden: Prenzlauer Berg, Kreuzberg, Kreuzkölln, Neukölln und demnächst wahrscheinlich Moabit und Wedding. Die Makler und Investoren ernten doch nur was andere gesäht haben. Eine Wohngegend macht man nicht durch Geld interessant.

  3. Die widerspenstigen Wohnungsrebellen haben bereits herausbekommen, dass das Imperium zurückschlägt. Und haben deswegen gleich mal das Fernglas umgedreht und den gestrigen „Wohnungspolitischen Brunch“ der BBU (Verband Berlin-Brandenbrgischer Wohnungsunternehmen e.V.) beobachtet.

    Frau Kern bekräftigte, dass die Debatte um Mieten und Gentrifizierung zu hysterisiert sei. Könne ja schließlich in der Berliner Zeitung nachgelesen werden. Sowieso sei Berlin mit dem Mietspiegel in einer Liga mit Fürth und Emden. Habe also noch Aufstiegschancen. Die Diskussion müsse doch endlich sachlicher werden.

    Im Panel II „Soziale Stadtentwicklung und Mietenpolitik“ wurden FDP-Stimmen laut, dass Gentrifizierung doch auch seine guten Seiten habe. Man solle nicht so einen Unsinn wie Milieuschutz und Zweckentfremdungsverbotsverordnung anfangen. Der Markt regele das. Linken und Grünen, die Beispiele von Verdrängung nannten, wurde vorgeworfen, sie bauschten Einzelfälle unverhältnismäßig auf.
    Der „Haus & Grund“- Vertreter warnte vor Sozialismus und Enteignung.
    Soviel zu sozialer Stadtentwicklung!

    Die Wohnungsrebellen distanzieren sich von Gewalt-
    möchten aber auf politische verbale Gewalt hinweisen!

  4. […] 100″. 44. Sven`s kleiner Blog (335) 64. Arbeit 2.0 (589) 71. kopperschlaeger.net (641) 72. Gentrification Blog (643) 77. Schnipselfriedhof (766) 80. Hertha BSC Blog (835) 87. Ostkreuzblog (1122) 88. Hans-Martin […]

  5. Es gibt gute Gründe, warum die Menschen protestieren. Wenn ein Mieter z.B. über 1/3 seines NETTOlohns für die Miete aufbringen muss, dann interessiert es ihn herzlich wenig, ob die BRUTTOmiete durch gestiegene Nebenkosten oder erhöhte Quadratmeterpreise zustande gekommen ist. Und „günstig“ bleiben die Wohnungen nur zu Beginn des Mietverhältnisses. Man will mit dieser (leider) ganz legalen Verkaufstaktik potentielle Mieter anlocken, denn Leerstand bedeutet Verlust. Doch spätestens nach der ersten NK-Abrechnung folgt das böse Erwachen. Insider bezeichnen diese Verkaufstaktik übrigens als „SRI“. Deshalb kann ich die Äußerungen eines Markus Gruhn nur als DesInfo-Kampagne bezeichnen.

  6. Der SPD-Linkspartei-Senat hat über hunderttausend landeseigene Wohnungen an internationale Finanzinvestoren verkauft.

    Die Folge sind horrende Mieten und rasant steigende Nebenkosten. Berlin gilt inzwischen als Hauptstadt der Immobilienhaie, weil die Mieten hier schneller steigen als irgendwo sonst.

    Die PSG fordert Gemeineigentum an den Mietshäusern. Statt des teueren Rückkaufs der Berliner Wasserbetriebe (BWB) fordern wir die Enteignung von Veolia Wasser und RWE Aquader, die durch überhöhte Wasserpreise Millionen verdient haben.

    Wir unterstützen den Aufbau von Mieterkomitees die den Mietspiegel überwachen, Zwangsräumungen verhindern, die Umstrukturierung der Stadtviertel nach den Interessen der Reichen und Superreichen verhindern und den Kampf gegen Spekulanten und ihre Helfer in der Politik organisieren.

  7. Meiner Meinung nach gibt es eine simple Lösung für das Problem der steigenden Mieten: Berlin muss unattraktiver werden, z.B. könnten alle Autofahrer hierauf umsteigen 🙂 dann bleiben vielleicht nicht nur einige poser weg, sondern die CO2 Belastung sinkt zusätzlich

  8. Ich finde, dass dieser Track: soundcloud.com/twt-media/trisomie-030-sektempfang das Problem auf den Punkt bringt. So führen sich die Leute hier auf!


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