Verfasst von: ah | November 12, 2012

Berlin: Mietproteste fordern konkrete Lösungen

Der Mietenprotest erreicht die Schlagzeilen. Die parallel durchgeführten Demonstrationen in Freiburg, Hamburg und Berlin wurden nicht nur auf den Lokalseiten verhandelt. Die taz hatte die Proteste und wohnungspolitischen Debatten als Aufmacher („Mieter auf der Straße„) und Schwerpunktthema („Sozialer Wohnungsbau: 4,78 Euro pro Quadratmeter„)  ihrer Wochenendausgabe, die Welt lässt den Mieterbund „vor sozialen Verwerfungen warnen“ und auch die Tagesschau ließ es sich nicht nehmen, über die Mietproteste zu berichten:

Woher kommt das plötzliche Interesse am Thema? Stadtteilproteste gibt es nicht erst seit dem Wochenende, doch die Gründe für das Medienecho lassen sich relativ schnell zusammenfassen:

Die Wohnungsfrage hat in vielen Städten die immer wieder gerne beschworene Mitte der Gesellschaft erfasst. Im Tagesschaubeitrag etwa wird Wohnungsnot nicht am Beispiel von Zwangsräumungen oder Hartz-IV-Familien aufgezogen, denen das Jobcenter eine „Kostensenkungsaufforderung“ geschickt hat, sondern  am Beispiel einer Studentin, die auch nach mehreren Wohnungsbesichtigungen noch kein Glück bei der Wohnungssuche hatte.

Die wohnungspolitischen Proteste haben sich in den vergangenen Monaten nicht nur verbreitert, sondern auch zugespitzt. Versuchte Hausbesetzungen, Mobilisierungen gegen Zwangsräumungen und auch das Dauer-Protest-Camp am Kotti stehen für Bewegungsansätze, bei denen die Mieter/innen sich nicht auf einen symbolische Meinungsmobilisierung beschränken, sondern die Durchsetzung konkreter Ziele in die eigenen Hände genommen haben.

Ein dritter Grund für die gestiegene Aufmerksamkeit ist sicher auf die Verknüpfung der Straßenproteste mit politischen Forderungen zurückzuführen, die anders als das Proklamieren einer allgemeinen Unzufriedenheit oder Ablehnung eher auf eine mediale Resonanz stoßen, weil sie von Journalist/innen in die ihnen bekannten Strukturen des politischen Alltagsgeschäfts eingeordnet werden können. Entsprechend geben die Berichte zu den Protesten vor allem die Forderungen zur Mietgesetzgebung (Kappung der Mieterhöhungsmöglichkeiten, Kappung der Neuvermietungsmieten, Beschränkung der Umlage von energetischen Sanierungen) wider.

Konkrete Forderungen als Repolitisierung der Stadtpolitik

Doch so erfreulich das breite Medienecho auf die Proteste ist, die Mehrzahl der Berichte geht an der Realität der stadtpolitischen Bewegungen vorbei. Die wohnungspolitischen Proteste sind über die Phase der Hoffnung auf bessere Gesetze längst hinaus gewachsen. Insbesondere die Mobilisierungen zu unmittelbaren und ja in der Regel auch dringlichen Problemen fordern meist sehr konkrete Lösungen ein: Mehr Wohnungen für Studierende (Freiburg), Freigabe leerstehender Büronutzungen für Wohnzwecke (Hamburg) oder Mietobergrenzen für den Sozialen Wohnungsbau (Berlin).

Ein großer Teil der aktuellen Mietproteste beschränkt sich nicht mehr auf hoffnungsvolle Appelle an die Politik, von der eine wie auch immer geartete Lösung erwartet wird, sondern formuliert konkrete Forderungen und schlägt umsetzbare Modelle vor, mit denen eine soziale Wohnungsversorgung sichergestellt werden kann. Was auf den ersten Blick als Reformismus verstanden werden mag, ist letztendlich der selbstbewusste Anspruch,  Stadt selbst zu gestalten.

Beispiel Sozialer Wohnungsbau in Berlin: Seit über 165 Tagen halten die Mieter/innen vom Kottbusser Tor ihr Protest-Gecekondu besetzt und fordern für den Sozialen Wohnungsbau eine Mietpreis, der dem Namen gerecht wird. In der Frage der 4-Euro-Miete (pro Quadratmeter, nettokalt) haben die Mietaktivist/innen ein öffentliches Ultimatum formuliert („Wir bleiben solange bis…“) und versuchen ihren Forderungen auf verschiedenen Ebenen (Lärmdemonstrationen und Öffentlichkeitsarbeit ebenso wie Lobbyarbeit und Dialog mit Verwaltung und Politik) Nachdruck zu verleihen.

Die geforderte Mietenkappung konnte bisher noch nicht durchgesetzt werden, doch am kommenden Dienstag erfüllt sich zumindest eine Teilforderung von Kotti&Co.: Gemeinsam mit dem Berliner Bündnis Sozialmieter (sozialmieter.de) und unterstützt von den Hausgemeinschaften des mietenpolitischen Dossiers wurde in den vergangen Monaten ein Konferenz vorbereitet auf der die Mieter/innen gemeinsam mit Verwaltungsmitarbeiter/innen und eingeladenen Expert/innen Lösungen für verschiedene Probleme und langfristige Perspektiven für die immerhin noch über 140.000 Wohnungen des Sozialen Wohnungsbaus finden wollen. Im bereits veröffentlichten Konferenz-Reader (pdf) sind nicht nur fundierte Einschätzungen zum Sozialen Wohnungsbau, sondern auch konkrete Lösungsvorschläge für die verschiedenen Probleme nachzulesen: „Nichts läuft hier richtig. Konferenz zum Sozialen Wohnungsbau„.

Es ist seit vielen Jahren die erste von Mieter/innen organisierte wohnungspolitische Fachtagung in Berlin, die von Parteien und Verwaltung als ernstzunehmender Ort der Lösungssuche anerkannt wird. Die Mieter/innen haben sich selbst in die politische Arena der Stadtpolitik eingeladen – was sie dort bewirken können, wird sich u.a. am Dienstag zeigen.


Antworten

  1. […] (Vorab eine weitere Leseempfehlung: “Mieterproteste fordern konkrete Lösungen” von unse…) […]

  2. Also, langsam bin ich echt enttäuscht von dir, Andrej.
    Du schreibst:
    „Was auf den ersten Blick als Reformismus verstanden werden mag, ist letztendlich der selbstbewusste Anspruch, Stadt selbst zu gestalten.“

    Sorry, aber das ist nicht nur auf den ersten Blick Reformismus, das ist es auch auf den zweiten, dritten und fünfzehnten Blick.
    Stadt selber gestalten wäre es, wenn die Mieter_innen vom Kotti der Aufforderung der Jobcenters nachkommen und die Kosten der Unterkunft selber senken – indem sie einfach aufhören, mehr zu bezahlen, als sie für angemessen halten, und zwar kollektiv. Von mir aus können sie auch ganz aufhören, Miete zu bezahlen, das hat man früher mal besetzen genannt. So viel Unterstützung und Aufmerksamkeit, wie sie im Moment haben, könnten sie damit sogar durchkommen.
    Dialog mit der Politk um Reformen des sozialen Wohnungsbaus ohne jede darüber hinausweisende Perspektive zu erreichen ist dagegen nicht selber gestalten, sondern um Reformismus betteln. Weder in deinem Artikel noch in der gut 30 Seitigen Broschüre zur Konferenz kommt das Wort Kapitalismus ein einziges mal vor, geschweige den die Perspektive, ihn zu überwinden. Und in Zeiten der globalen Finanz- Euro- Schulden- whateverkrise darf man nicht nur Kapitalismus sagen, wenn man sich nicht des Reformismus verdächtig machen will, man muss es sogar.

    • Hallo ach nöö,
      vielen Dank für deinen Kommentar. Vielleicht hast du Recht und meine Einschätzung gegenüber den aktuellen mietenpolitischen Protesten ist ein wenig zu optimistisch geraten. Aber den Mieter/innen von Kotti&Co. und sozialmieter.de den Anspruch abzusprechen, dass sie die „Stadt selbst gestalten wollen“, kann so nicht stehen bleiben.

      Eigentlich habe ich es ja schon aufgeschreiben, aber hier nochmal das Argument: Mit der Formulierung von konkreten Forderungen und dem auch auf der Konferenz deutlich gewordenem Selbstverständnis, die entsprechenden Entscheidungen nicht den Ämtern und politischen Strukturen zu überlassen, sondern sich selbstbewusst in diese Entscheidungsprozesse einzumischen, erheben sich die Mieter/innen von der Rolle als Subjekte der Stadtentwickung und Politk in den Stand als eigenständige Akteure in der politischen Arena.

      Deine Anmerkungen zu einem möglichen Mieterhöhungsstreik und der Verweigerung gegenüber Umzugsaufforderungen verstehe ich nicht ganz. Letztendlich organisieren sich die Mieter/innen genau an diesen beiden Themen (Miete und Kostensenkungsaufforderungen) und ihre Forderungen sind relativ klar formuliert. Ob eine Mietbegrenzung über eine herbeigeführte Regelung institutionalisiert oder über einen kollektiven Mietzahlungsstreik durchgesetzt wird, ist den konkret Betroffenen in der Mehrzahl ziemlich egal. Letztendlich entscheiden sich die meisten Bewegungen für die Strategien mit der größten Erfolgsaussicht. Was du in deinem Kommentar ansprichst, ist nicht die Reichweite von politischen Forderungen, sondern die Wahl der Mittel, diese durchzusetzen. Vielleicht unterscheiden wir uns in der Einschätzung darüber, ob wir eine andere Stadtpolitk für möglich und durchsetzbar halten oder nicht.

      Was heisst das konkret für die Mieter/innen, die die Konferenz organisiert haben? Die Mieter/innen in vielen Hausgemeinschaften mobilisieren im Augenblick für eine Lösung in den Beständen des Sozialen Wohnungsbaus. Ob andere Strategien zum Erreichen der Ziele (konkret gefordert wird ja vor allem eine Mietkappung) sinnvoller und realistischer erscheinen, wurde und wird von den Mietergemeinschaften und auch in Unterstützungskreisen diskutiert. Die pragmatische Entscheidung bisher war ganz offensichtlich, auf politischen Druck und eine politische Entscheidung zu setzen. Ob diese Orientierung aufrecht erhalten wird, hängt sicher wesentlich von den Erfolgen dieser Strategie ab. Meine Einschätzung ist: wenn es bis zum 1. April (Termin der nächsten Mieterhöhung im Sozialen Wohnungsbau bei Kotti&Co.) keine für die Meiter/innen zufriedenstellende Lösungen gibt, werden auch andere Strategien wieder verstärkt in die Diskussion kommen. Entschieden wird es letztendlich von den organisierten Mieter/innen selbst.

      Aus der Perspektive von Forderungen und dem Anspruch, eigene Interessen auch durchzusetzen, erscheint es mir als eine eher bewegungsästhetische Frage, mit welchen Mittel ein entsprechender Kampf geführt wird. Was die von dir eingeforderte Kapitalismus-Kritik angeht, sind ja auch scheinbar revolutionäre Bewegungsmomente (Blockaden, Besetzungen oder ähnliches) in den vergangen Jahren nicht besonders weit gekommen, das System zu überwinden. Joachim Hirsch hat die Bewegungsmomente der radikalen Linken vor ein paar Jahren zurecht und sehr treffend als „militanten Reformismus“ beschreiben. Für mich leitet sich daraus eine eher pragmatische Perspektive ab: Bewegungen formulieren Ziele (die von möglichst vielen geteilt werden) und die Wahl der Mittel ist davon abhängig, ob sie zur Durchsetzung dieser Ziele sinnvoll und zweckmäßig erscheinen.

      Was deine Enttäuschung des Konferenz-Readers angeht, würde ich dich bitten, die Texte vielleicht doch noch mal zu lesen. Es gibt gleich mehrer Beiträge zum Fördersystem des Sozialen Wohnungsbaus, die einen Ausstieg aus der Förderlogik fordern, da diese einseitig privaten Eigentümern und Banken Gewinne zu Lasten der Mieter/innen sichert. Würde diese Forderung irgendwie weitreichender klingen, wenn wir geschrieben hätten, dass die kapitalistische Logik der Ausbeutung und Inwertsetzung im Sozialen Wohnungsbau abgeschafft gehört und der Widerspruch von Gebrauchswert- und Tauschwertlogiken endlich aufgelöst gehört? Ich halte nur wenig von allzu plakativen Parolen – wenn sie die Dinge auch nicht besser erklären.

      Auch die von dir eingeklagte „darüber hinausweisende Perspektive“ findest du im Reader. Eine Arbeitsgruppe hat sich ausschließlich mit Konzepten und Modellen beschäftigt, wie eine Wohnungsversorgung ohne private Eigentümer und Banken organisiert werden könnte. Wenn wir als stadtpolitische Bewegungen immer wieder den Ausstieg aus der profitorientierten Wohnungswirtschaft fordern, brauchen wir irgendwann auch die Vorschläge und Modelle, wie denn eine Wohnungsversorgung jenseits der Marktlogik organisiert sein sollte. In dieser Hinsicht gehen Kotti&Co also sogar weit über die sonst üblichen Positionen von Protestbewegungen hinaus, weil sie nicht nur eine abstrakte Phrase formulieren sondern nach Organisationsmodellen jenseits der Kapitallogik suchen.

      Ich bin ein großer Fan von tiefergehende Gesellschaftsanalysen und finde auch, dass es schön wäre, wenn sich diese Erkenntnisse in Forderungen und Strategien von Bewegungen niederschlagen würden. Ob es jedoch in jedem Fall sinnvoll ist, eine ideologische Position plakativ vor sich herzutragen, würde ich bezweifeln. Insbesondere wenn es darum geht, in konkreten Auseinandersetzungen Unterstützer/innen zu werben und Mehrheiten zu mobilisieren kann es sogar kontraproduktiv sein. Ich würde Bewegungen daher nicht so sehr nach ihren Parolen, sondern entlang ihrer Forderungen, Organisationsprizipien und ihrer Konsequenz in der Verfolgung selbstgestellter Ziele beurteilen.

      Vermutlich hast du dein Kapitalismus-Screening nur auf den Konferenz-Reader bezogen (weil du dir damit ein Vorurteil belegen wolltest). Falls du Zeit findest, kannst du ja mal die Flugblätter und Aufrufe von der Mobilsierung gegen die Räumung der Liebigstraße oder gegen die Zwangsumzüge ansehen. Auch dort werden – und zwar völlig zurecht – die Prinzipien der kapitalistischen Stadtentwicklung an Hand von konkreten Eigentümern, ihren Strategien und konkreten politischen Entscheidungen dekliniert – ganz ohne eine plakative Kapitalismus-Kritik. Meine These wäre ja: je konkreter und praktischer eine Auseinandersetzung, desto seltener werden Schlagworte zu ideologischen und gesellschaftanalytischen Theoriekonzepten verwandt. Wenn ich es ein wenig zugespitzt formulieren darauf: Die Häufigkeit von abstrakten Forderungen und Parolen sind ein guter Indikator für die praktische Irrelevanz von Bewegungsansätzen. Schlagworte wie „Kapitalismus“, „neoliberale Stadtpolitk“ oder „unternehmerische Stadt“ sind letztendlich Platzhalter für eine konkrete Analyse der Ausgangslage, in der stadtpolitische Bewegungen Forderungen formulieren. Sind die Konzepte ersteinmal in der Praxis ausbuchstabiert, dann braucht es auch die Platzhalter nicht mehr. Um zu zeigen, dass Eigentümer- und Mieter/innen in einem antagonistischen Widerspruch stehen, kann ich von Kapitalismus schreiben oder die Verhältnisse konkret benennen. Ob es dabei bleibt oder ob wir mit Zeigefinger-Pädagogik noch mal darauf hinweisen, dass das eben Beschriebene auch Kapitalismus genannt werden kann, ist aus meiner Sicht eher eine Stilfrage.

      Kurzum: Ich glaube, deine Methode der Sprachanalyse ist nicht wirklich geeignet, um Unterschiede zwischen verschiedenen Bewegungsansätzen zu dikutieren. Lass uns darüber urteilen, wer welche Forderungen formuliert und mit welchen Mitteln und welchen Erfolgsaussichten dafür mobilisiert. Wir werden sicherlich schnell dazu kommen, dass auf der Ebene der konkreten Forderungen nur wenige Unterschiede bestehen und die Wahl der Mittel unter verschiedenen Bedingungen anders ausfällt. Einen Austausch über die jeweilige Wahl der Mittel oder die Einschätzung von Erfolgsaussichten fände ich sehr spannend – eine Armdrücken um den ‚einzig wahren und richtigen Weg‘ eher langweilig und kontraproduktiv.

      Soweit, beste Grüße,

      AH

      • Liebster Andrej,
        danke dir für deine ausführliche Antwort.
        Leider hast du mich etwas missverstanden und bist auf mein Hauptargument wenig eingegangen.
        Ausgangspunkt meiner Antwort war deine Einschätzung, dass die Strategie, die Kotti & Co gerade fahren, zwar nach Reformismus aussieht, aber tatsächlich kein Reformismus ist.
        Reformismus bedeutet für mich den Versuch, die Gesellschaft innerhalb ihrer eigenen Logik (parlamentarische Demokratie) Stück für Stück zu verändern.
        Das Gegenteil von Reformismus ist Revolution, mal so ganz lässig verstanden als die Idee, dass es ohne die Überwindung des großen Ganzen nicht geht, was wahlweise durch die Übernahme der Staatsmacht geschehen kann (was dann die Kommies wären) oder die Ablehnung der Übernahme der Macht beinhaltet und die Perspektive in der Selbstorganisation von unten sieht (anarchistische Perspektive).
        Du bringst dann noch den militanten Reformismus ins Spiel, denn ich verstehen würde als den Versuch, durch militante Interventionen und die Bedrohung des gesellschaftlichen Friedens eine Machtbasis aufzubauen, mit der kleine Verbesserungen durchgesetzt werden können. Ich denke, die Räumung der L14 kann man zu Recht hier zuordnen. In den Verhandlungen um den Schokoladen war die Wahrung die Bedrohung des Friedens ein wichtiger Faktor in den Verhandlungen um eine Lösung für den Erhalt des Projekts. Daneben hatte die Räumung aber noch eine weitere Dimension, dass Bewusstsein der Militanten für die Stärke, die sie erreichen können, zu stärken. Eine weitere Dimension liegt in der Symbolik für die Utopie der Möglichkeit eines Außerhalb oder jenseits jetziger gesellschaftlicher Verhältnisse, die sich zu großen Teilen nicht aus der tatsächlichen Realität der L14 in den letzten Jahren speiste, sondern zu einem großen Teil aus dder Geschichte der Hausprojekte in Berlin und der Rigaer Straße als ebenso symbolisch aufgeladene Heimat der „letzten Autonomen in Berlin“ speist. Die Symbolik und ist dabei der Moment, der über Reformismus hinausweist. Hört sich billig an? Ist es auch. Ich glaube, wir sind uns ziemlich einig, dass eine revolutionäre Rhetorik und Symbolik und auch die Wahl der Mittel alleine noch keine revolutionäre Strategie ausmachen. Trotzdem hat die Reaktion auf die Räumung eine neue Symbolik der Möglichkeit des Widerstandes und der Selbstermächtigung in konsequenter Absage an die Politik geschaffen.
        Das, was die Leute am Kotti gerade machen, ist aus meiner Perspektive der Versuch, durch den Druck von der Straße durch die Besetzung öffentlicher Plätze und die regelmäßigen Demonstrationen ihre Position als Verhandlungspartner mit der Politik zu stärken, um Verbesserungen für große Teile der ärmeren Bevölkerungen zu erreichen. Das ist schonmal ein Vorteil gegenüber der Selbstbezogenheit der Szene, die um die Häuser kämpft, die sie als Symbolik für ihre Utopie verstehen. Dabei setzen sie im Moment auf Verhandlungen mit der Politik, also die Instanz, die die Misere in Zusammenarbeit mit wirtschaflichen Interessen privater Investor_innen verursacht hat und dabei dieses System nicht infragestellt, sondern affirmiert. Der Moment, der darüber hinausweist, ist, sich in einer Form direkter Demokratie jenseits der zugestandenen Kreuze auf dem Wahlzettel in die Politik einzumischen, also tatsächlich eine Form der Selbstermächtigung. Diese Selbstermächtigung zielt aber auf eine Teilnahme am System und Reformen, nicht darauf, das System zu überwinden, und ist damit reformistisch.
        Die Frage, ob man konkrete Veränderungen anstreben sollte, um irgendwann zu einem ganz anderen zu kommen, oder nicht, ist eine uralte in der linken Geschichte und so einfach nicht zu lösen, aber gerade im Moment ungeheur spannend zu diskutieren.
        Das eigentliche Problem ergibt sich daraus, dass du offensichtlich eine Notwendigkeit siehst, dich von Reformismus abzugrenzen, während du ihn aus meiner Sicht gerade gewaltig mit vorantreibst. Das verunmöglicht eine Diskussion eher, als dass es sie ermöglicht (und die ganzen wirren symbolischen Ebenen um die Kämpfe um Hausprojekte tun genau dasselbe).
        Das „selber gestalten“, um das wir hier streiten, kommt für mich eher aus einer anarchistischen Tradition der direkten Aktion, die eben gerade nicht und bewusst versucht, Lösungen in Absage an die Politik selber umzusetzen. Und dabei geht es eben nicht nur um Aktionsformen, sondern um eine grundlegende Positionierung im politischen Feld, um eine Absage an den Staat.
        Ich hab leider gerade keine Zeit, mir die Broschüre jenseits von der Suche nach dem Wort Kapitalismus nochmal anzusehen, vielleicht später. Ich glaube aber, dass es nicht nur eine Frage der Worte ist.

      • kleine Anmerkung noch: Entweder ich habs nicht gefunden, oder Joachim Hirsch spricht vom radikalen Reformismus, während die mg militanten Reformismus als ihre eigene Weiterentwicklung des bewaffneten Reformismus darstellt.

  3. […] schon länger Mietproteste. In Berlin erreichten diese rund um das letzte Wochenende das erste Mal breite Medienaufmerksamkeit – wohl auch weil der Nachfrageüberhang mittlerweile absurde Ausmaße annimmt. In Wien ist […]

    • mich wundert diese einschätzung mal wieder. seit jahren gibt es diese immer wiederkehrenden momente, wo irgendwer ausruft, dass die mieten- und stadtproteste jetzt das erste mal die breite öffentlichtkeit erreicht haben. oft kommt das sogar von aktivist_innen, initiativen oder kritischen wissenschaftler_innen. zuletzt jetzt wieder rund um die kotti-konferenz zu sehen, letztes jahr bei der mietenstopdemo. ein bißchen recherche würde da helfen zu merken, dass das thema auch schon vor vier oder fünf jahren breit in den medien war. ob nun brennende autos, autonome action days oder not in our name, den artikel auf seite drei gabs irgendwann immer. eine stärkung der kontinuität der proteste wäre es, auf diese kontinuität auch immer wieder drauf hinzuweisen.

      eine bemerkung noch zur medienresonanz auf die konferenz. die ruhe nach der konferenz ist schon beachtlich. sowohl in den mainstreammedien als auch bei kotti & co selbst oder hier. anscheinden müssen alle erstmal sacken lassen, was jetzt eigentlich passiert ist. und – bei aller möglichen kritik an der strategie dieser konferenz – ist es wirklich schade, wie clever der senat die konferenz medial erstickt hat durch die einen tag vorher bekannt gegebene ankündigung einer neuauflage des sozialen wohnungsbaus. viele artikel nahmen dann diese hierarchie an: berichte zum neuen programm mit den protestierenden mieter_innen als garnitur für die selbstdarstellung von senat und opposition.

      ich bin gespannt auf die bewertung der konferenzorganisator_innen.

  4. Hallo ach nöö,

    vielen Dank für deine Antwort. Dann vielleicht doch noch mal ein kleiner Versuch über Reform und Revolution zu debattieren. In deiner sehr engen Definition von Reformismus („die Gesellschaft innerhalb ihrer eigenen Logik (parlamentarische Demokratie) Stück für Stück zu verändern“) ist ja auch die Kampagne gegen die Räumung der L14 nicht wirklich revolutionär. „Stück für Stück“, Haus für Haus – faktisch jedenfalls haben wir gerade nur Bewegungen mit einer sehr begrenzten Reichweite.
    Ein zweite Ebene, die du einführst bezieht sich auf die subjektiven Intentionen der Aktiven ( also eine „Idee, dass es ohne die Überwindung des großen Ganzen nicht geht“) – aber was machen wir mit unserer antikapitalistischen Erkenntnis, wenn wir die Bewegung für das „große Ganze“ gerade nicht auf die Beine gestellt bekommen? Richtig, wir backen kleiner Brötchen, protestieren hier gegen die Atom-Lobby, fordern dort den Ausstieg aus dem System des Sozialen Wohnungsbaus oder besetzen ein Haus. Wenn der Unterschied jetzt nur noch in den, über die beschränkte Aktivität hinausreichenden Gedanken (oder meinetwegen Parolen) besteht, dann ist der revolutionäre Gestus kaum mehr als ein Instrument der subjektiven Selbstbestätigung (über das wir dann nicht länger reden müssten).

    Du siehst den revolutionären Charakter der L14-Kampagne in ihrer „Symbolik für die Utopie der Möglichkeit eines Außerhalb oder jenseits jetziger gesellschaftlicher Verhältnisse“. Worin besteht denn diese Utopie? Soweit ich dich verstanden habe:
    1. In der Praxis einer kollektive Durchsetzung eigener Interessen gegen die kapitalistische Verwertungslogik,
    2. in dem zumindest kurzzeitigen Ausbruch aus den zugedachten Rollen im gesellschaftlichen Spiel,
    3. in der Stärkung des Selbstvertrauens in die Kraft der eigenen Bewegung und
    4.) in der „Symbolik … einer konsequenten Absage an die Politik“.

    Punkt vier müssen wir unter ehrlicher Betrachtung wohl streichen, oder zählen mittlerweile auch die Runden Tische, die Anträge in BVVen und Abgeordnetenhaus und die Verhandlungen mit dem Liegenschaftsfonds, die es zu den drohenden Räumungen von L14 und Schokoladen gab, zur konsequenten Absage an die Politik?

    Alle anderen Punkte zählen mehr oder weniger auch für die meisten mietenpolitischen Basisbewegungen. Insbesondere der Dauerprotest von Kotti&Co steht exemplarisch für eine kollektive Basismobilisierung gegen die Profitorientierung im Sozialen Wohnungsbau, für die von dir beschriebene Selbstermächtigung und die Stärkung von anderen Mietergemeinschaften, ebenfalls beginnen, sich selbst organisieren.

    Insbesondere den Umstand, dass bei Kotti&Co und anderen Initiativen mittlerweile diejenigen die Stimme erheben, über die sonst gesprochen und hinwegentschieden wird, könnten wir mit etwas Wohlwollen als einen Ausbruch aus der „herrschenden Logik“ der „parlamentarischen Demokratie“ interpretieren.

    Du schreibst in deinem zweiten Kommentar relativ selbstbewusst über Kotti&Co. „Diese Selbstermächtigung zielt aber auf eine Teilnahme am System und Reformen, nicht darauf, das System zu überwinden, und ist damit reformistisch.“ Was verstehst du denn unter Teilhabe am System?
    – den Anspruch Forderungen und Lösungswege selbst zu diskutieren und dies eben nicht den Verwaltungen und Parteien zu überlassen?
    – die Forderungen nach einem Ausstieg aus einem höchst profitablen Fördersystem?
    – die Forderung zum Aufbau eines marktfernen Wohnungssektors (im Modell übrigens angelehnt an das Miethäuser Syndikat)
    – die berlinweit erste Selbstermächtigung einer überwiegend migrantischen Community zum stadt- und wohnungspolitischen Akteur

    Du kannst jetzt gern dagegenhalten, dass es letztendlich aber doch bloß um ein Verhandeln mit der Politik und die Hoffnung auf staatlich institutionalisierte Regulationen im Wohnungssektor geht. Aber was bleibt, sind eine Reihe von Elementen einer transformativen Politik, die eben über den klassischen Reformismus hinausgehen. Das Selbstbewusstsein und die Selbstermächtigung über die Stadtentwicklung mitzubestimmen, sind in meinen Augen (ganz ähnlich wie du es für die L14-Mobilisierung beschrieben hast) Zeichen einer „Utopie der Möglichkeit eines Außerhalb oder jenseits jetziger gesellschaftlicher Verhältnisse“. Kotti&Co greifen diesen Gedanken ja selbst auch auf und haben ihre Hoffnung auf die anderen gesellschaftlichen Verhältnisse mit ihrem „Die Stadt von morgen beginnt heute“ sehr poetisch auf den Punkt gebracht.

    Ganz sicher werden wir Unterschiede zwischen einzelnen Bewegungssegmenten oder Mobilisierungen finden. Aber wie schon geschrieben, den von dir aufgegriffenen Streit um die Frage „wer ist revolutionärer?“ scheint mir für die notwendigen Bewegungsdebatten in der Stadt nicht wirklich zielführend, auch weil es eher zum Spalten und Abgrenzen geeignet ist, wo ein gemeinsames Agieren Erfolg versprechender scheint.

    Beste Grüße,

    AH

  5. Liebster Andrej,
    ich fang mal hinten an. Es geht mir weniger um die Frage, wer hier revolutionärer ist, sondern um die Frage, was revolutionär ist, und was dieser böse Reformismus ist, von dem sowohl du als auch ich das Bedürfnis haben, uns abzugrenzen. Die L14 hast du ins Spiel gebracht. Und das zeigt, dass sie irgendwas an sich hatte, was sie zum Maßstab des Vergleichs qualifiziert. Über den Versuch, dieses etwas zu bestimmen, kann man getrost in Verzweiflung versinken, aber das ändert nichts daran, dass es irgendwie da war.
    Deiner Verwerfung von Punkt 4, der Absage an die Politik, kann ich zumindest für die Räumung nicht zustimmen. Die Kampagne um die L14 war ziemlich vielfältig und wurde von verschiedenen Akteuren mit höchst unterschiedlichen Positionen getragen, deren Beziehung zueinander man am wenigsten mit dem Wort freundschaftlich oder der Abwesenheit von Abgrenzungen beschreiben kann. Du hast völlig recht, dass die Gerichtsverhandlungen und runden Tische alles andere als revolutionär waren, und dass sich vieles in dem Moment geändert hat, wo es keine realistische Perspektive mehr gab, das Projekt zu retten. Ab dem Moment, wo die Bewohner_innen entschlossen hatte, nicht einfach die Schlüssel abzugeben sondern sich auf eine Räumung vorzubereiten, veränderte die Kampagne ihren Charakter fundamental. Ab dem Moment ging es auch nicht mehr um 1. (die Durchsetzung von Interessen). Dass sich dieser Aufschrei als Machtposition für spätere Verhandlungen anderer Projekte verwerten lässt, war sicher von einigen gewollt, von anderen nicht. Um das Ausbrechen aus gesellschaftlichen Rollen (3.) ging es aus meiner Perspektive eigentlich zu keiner Zeit. Durch den ganzen Symbolkram war die Erwartung der Gesellschaft und vor allem der Szene an die L14, aus der Rolle zu fallen. Ich würde die Entwicklung bis zur Räumung eher als ein hineinwachsen in die erwartete Rolle beschreiben.
    Ich stimme dir zu, dass wir keine ernsthaft revolutionäre Bewegung haben. Die Antwort darauf kann aber nicht sein, aufzuhören, danach zu suchen und darum zu streiten. Eine der für mich wichtigsten Erfahrungen der L14 Räumung war, dass in dem Moment, in dem es drauf ankam, der ganze Streit im Vorfeld nicht mehr so wichtig war und alle an einem Strang gezogen haben. Deine Frage, was wir machen, wenn wir die Bewegung für das große Ganze gerade nicht auf die Beine gestellt bekommen, ist ziemlich einfach: wir tun unser Bestes und streiten um den richtigen Weg. Deiner Abwertung der subjektiven Intentionen dabei würde ich nicht zustimmen. Reformisums anzustreben, weil ich davon überzeugt bin, dass dies der richtige Weg ist, oder weil ich nix anderes hinkriege ist ein himmelweiter Unterschied, der spätestens dann relevant wird, wenn sich tatsächlich plötzlich eine Möglichkeit ergibt, ein Stück weit darüber hinauszukommen.
    Die Teilhabe am System bei Kotti&Co sehe ich in der Strategie, Forderungen an die Politik zu stellen und ziemlich viel Energie darauf zu verwenden, dafür zu sorgen, von der Politik gehört zu werden. Es ist kein Fortschritt, über Forderungen diskutieren zu können. Dass können ich und du und jede_r andere an jedem Küchentisch oder Tresen dieser Stadt. Das Problem ist zu meinen, man müsste mit der Politik nur reden und ihnen sagen, was sie falsch machen, dann würden sie es schon einsehen und richtig machen. Wie die liebe Linkspartei ziemlich treffend formuliert haben, haben sie ja inzwischen total eingesehen, dass die Sache mit der Privatisierung der GSW ein Fehler war, aber da waren halt diese Sachzwänge, da konnte man halt nichts machen.
    Das Problem ist nicht die Selbstermächtigung der Community, sondern die Selbstermächtigung zum im schlechtesten Sinn politischen Akteur. Die Hoffnung auf Mitbestimmung ist eben nicht die Hoffnung auf ein ganz anderes Ganzes.
    Während wir jetzt meine Vorstellung von Reformismus und Revolution in einiger Länge diskutiert haben, bleibt immer noch die Frage, was dich veranlasst hat, dich vom Vorwurf des Reformismus zu distanzieren und wie deine revolutionäre Perspektive aussieht, falls du denn eine hast.

  6. […] 12.11. [Video] Mietproteste fordern konkrete Lösungen (Gentrification-Blog), […]

  7. Ich finde für eine Diskussion über Reform oder Revolution ist der poststrukturalistische Begriffsapparat teilweise hilfreich. Hier wird zwischen der Politik und dem Politischen unterschieden. Die Politik ist das Verwalten, das Einteilen, das Zählen, darunter ist somit auch die ökonomische Organisierung zu fassen. Das Politische ist das Aufbrechen der bestehenden Zählungen, es ist der Moment, wo Anteilslose einen Anteil fordern. Ein politisches Ereignis, ist ein Moment in der Geschichte, welcher bisherige Gewissheiten aus den Angeln hebt und neue Entwicklungen möglich macht, wie z.B. die französische Revolution. Das Politische ist somit immer gegen bestehende Herrschaftsformen gerichtet.
    Das Politische ist aber untrennbar mit der Politik verbunden, es ist ihre Gründung und gleichzeitig ist die Politik das Ende des Politischen. Es wird sicherlich nicht DIE Revolution geben, nach der alle Herrschaftsverhältnisse sich plötzlich in Luft auflösen, weil endlich mal genug Barrikaden gebrannt haben. Sondern es gibt politische Ereignisse, die eine Neuverhandlung gesellschaftlicher Strukturen ermöglichen,
    Jetzt ist es eine Interpretationsleistung politische Ereignisse zu erkennen und einzuordnen. Da ist der Kampf von Kotti und Co ein sehr interessantes Beispiel. Denn es geht hier klar um einen Anteil der Anteilslosen gegen rassitische und kapitalistische Strukturen. Gleichzeitig erinnert die Strategie manchmal an eine Anrufung der Politik, nach dem Motto „Übernehmen Sie, Herr Grothe“. Aus einem Kotti und Co-Text: „Das Land Berlin, muss die Verantwortung für ihre Bürger_innen übernehmen[…]“. Solch ein Satz verkennt, was es bedeutet, wenn der Staat Verantwortung übernimmt. Das ist dann nicht emanzipatorisch, sondern der Versuch von der Politik gehört und einsortiert zu werden. Die fehlende Beschäftigung mit strukturellen Ursachen der steigenden Mieten verstärt die problematischen Tendenzen. Deswegen kommt auch häufiger der Vorwurf der fehlenden Kontextualisierung, weil dann die gleiche Betroffenheit auch die gleichen Herrschaftsverhältnisse als Ursache zeigen könnte.
    Allerdings ist es eben überhaupt nicht gesagt, was Kotti und Co ist und was es nicht ist. Die Entscheidung dieser Frage liegt in der Zukunft. Die Konstituierung eines politischen Subjekts kann auch in der Organisierung einer Konferenz geschehen, solange die Distanz zum Staat nicht vernachlässigt wird. Allerdings ist die Aggressivität der kapitalistischen Stadt da sicherlich hilfreich, welche sozialdemokratische Reformen zurzeit weitgehend verhindert.
    Wenn der Kampf von Kotti und Co sich vor dem 1. April zusammen mit anderen stadtpolitischen Kämpfen verstärken wird und aus den gegebenen Rahmen der Appelle an die Verantwortung der Politiker*innen ausbrechen wird, könnte eventuell von einem politischen Ereignis gesprochen werden, auch wenn die Staatsmacht nicht grundlegend erschüttert ist und die Weltrevolution weiterhin nicht auf der Tagesordnung steht. Das Entscheidende ist dabei nicht nur, welches Bedürfnis nun besser verwirklicht ist als vorher, sondern ob bestimmte Verfahrensweisen der Politik delegitimiert und angreifbarer geworden sind und ob bestimmte Teile von herrschaftlich organisierten Strukturen transformiert wurden.
    Eine Politik zu machen, die auf politische Ereignisse zielt, ist dabei eine immerwährende Herausforderung. Eine radikale Einstellung mit einem Hineinwühlen in die gesellschaftliche Wirklichkeit zu verbinden um somit Situationen möglich zu machen, wo sich eine größere Gruppe von Menschen, gegen die Verhältnisse stellt, ist keine kleine Aufgabe.

    • Ich bin mir nicht sicher, ob deine Unterscheidung von Politik und dem Politischen wirklich weiter hilft, aber die Grenzen, das Problem mit Reformismus – Revolution zu greifen sind offensichtlich geworden, und zumimdest mir ist klarer geworden, dass es eher um verschiedene Arten von Reformismus geht, die verschiedene Perspektiven ermöglichen.
      Dafür hast du viel von dem Unbehagen, dass ich bei Kotti&Co öfters empfinden, mit der oft scheinbar fehlenden Distanz zum Staat und der auf mich oftmals sehr naiv wirkenden Anrufung der Politik ganz gut auf den Punkt gebracht.
      Die fehlende Kontextualisierung beschreibt das Problem vielleicht auch besser als das Fehlen des bösen „K-Wortes“, was sich auch in einzelnen Formulierungen ausdrückt, die zwar Solidarität mit anderen Mieter_innenkämpfen beschwören, aber das Problem als den sozialen Wohnungsbau so eng gefasst haben, dass er unverbunden zu den restlichen Verdrängungsmechanismen erscheint. Das ist zwar auf einer konkreten Ebene durchaus richtig, es ist aber trotzdem Ausdruck der selben übergreifenden Strukturen, die auch andere Verdrängungsprozesse verursachen. Und letzten Endes bleibt es halt Kapitalismus, ob man das Wort jetzt in den Mund nimmt oder nicht, und in der Perspektive sind noch ganz andere Bündnismöglichkeiten enthalten, die sich auch nicht nur auf Stadtpolitik beschränken. Die Auswirkungen der Finanz- oder Eurokrise (ich bin mir immer nicht sicher, wie man das Kind jetzt richtig nennt) auf Prozesse der Gentrifizierung sind in letzter Zeit an verschiedenen Stellen vermehrt diskutiert worden, nicht immer aus einer emanzipatorischen Perspektive. Trotzdem sehe ich diese Diskurse als Chance an, aus dem engen Fokus auf Stadtpolitik auszubrechen, und zwar anhand ganz konkreter und benennbarer Mechanismen.
      Gefährlich wird es, wenn man anfängt, die Agressivität des Staates als hilfreich zu betrachten, genauso, wie aus dem Schielen auf die Revolution ernsthaft keine konkreten Verbesserungen für ganz konkretes menschliches Leid zu wollen. Ich versteh total, was du meinst, und ich spekuliere auch darauf, dass sie schon merken werden, dass die Politik nicht ihr_e Freund_in ist, und sie ihre Strategie danach ausrichten werden. Aber die Aggressivität des Staates ist vor allem – Aggressivität, und letzten Endes Gewalt. Und die ist nicht hilfreich, sondern ein entscheidender Teil des Grundproblems. Und wie es aussieht, müssen wir damit leben, dass sie diese Lektion auf die harte Tour lernen.
      Ich wünsche mir so sehr eine Welt, in der das niemand mehr lernen muss…

  8. Hallo ach nöö,

    wie willst du mit einem gewissen Grad an Reformismus das gegebene System ändern, ist das nicht etwas blauäugig? Hierzu wäre eine Revolution (aus meiner Sicht) der einzig mögliche Weg im technischen Sinne(den wünsche ich mir persönlich aber nicht). Dazu folgende Gedanken:

    Immobilien bedeuten immer Besitz und Eigentum. Diese wichtige Trennung stellt sich wie folgt dar: der Eigentümer ist die Person oder Gesellschaft die im Grundbuch eingetragen ist, Besitzer ist der Mieter.

    Besitzer ist also derjenige, der das Gut nutzen kann, Eigentümer ist derjenige, dem es platt ausgedrückt „gehört“. Bei einem Leasing-KFZ ist z.B. rechtlich die Aufteilung auch so.

    Der Eigentümer ist dem Besitzer nicht nur im Falle der Immobilien höhergestellt. Seine Rechte werden grundsätzlich festgeschrieben. Hierbei ist insbesondere zu beachten, dass in der deutschen Rechtswissenschaft bezeichnete Eigentum das Herrschaftsrecht einer Person über eine Sache ausdrückt. Für das Privatrecht sind in § 903 Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) seine Eigenschaften bestimmt: Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.

    Das Recht auf Eigentum ist nach Artikel 17 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 ein Menschenrecht. Die Eigentumsgarantie ist nach Art. 14 des Grundgesetzes ein elementares Grundrecht und wird auch von Artikel 17 der EU-Grundrechtecharta geschützt. Weiterhin ist das Eigentum auch aktiv von der EMRK geschützt und einklagbar. Eine Rechtfertigung von der Konvention abzuweichen wird als schwierig angesehen, da das Eigentum als solches insgesamt geschützt ist und Vorschriften oder Gesetze, die die Garantie des Eigentums aushöhlen, es also nachhaltig schmälern, als unwirksam angesehen werden.

    Somit sind die Machtverhältnisse nicht nur welt- und europaweit, sondern auch im beschaulichen Berlin definiert. Jeglicher Eigriff finanzieller Art (direkte oder indirekte Enteignung) bei der Gesetzgebung der Miethöhe (Stickwort: 4€ nettokalt und damit basta) würde also sofort vom Budesverfassungsgericht kassiert werden. Einige kommen natürlich jetzt wieder mit dem häufig mißverstandenen Zitat aus dem Grundgesetz: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Das ist aber hinsichtlich der Präkariats-Situation von Innenstadtbewohnern ein wertloses Bla-Bla, denn kein Gericht in der Bundesrepublik würde hier für ärmere Bevölkerungsschichten zum Wohle des Wohnens in der Innenstadt auch nur ansatzweise auf (indirekte) Enteignungsideen kommen, hier ist das Eigentumsrecht höher angesiedelt.

    Wegen Art. 14 Abs. 2 GG ist der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eigentumsrelevanter Normen verpflichtet, einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen der grundsätzlich gewährleisteten Privatnützigkeit des Eigentums und der Sozialpflichtigkeit des Gebrauchs des Eigentums herzustellen. Die Sozialpflichtigkeit begründet jedoch keine individuelle Verpflichtung des einzelnen Eigentümers.

    Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Beschluss unter Federführung des damaligen Verfassungsrichters Paul Kirchhof auch den Zugriff auf das Eigentum über eine Vermögensteuer zumindest stark eingeschränkt, nach Meinung mancher beinahe ausgeschlossen: Vermögensteuer und weitere Steuern sollen einem obiter dictum des Bundesverfassungsgerichts zusammengenommen nicht mehr als 50 % der Erträge aus dem Vermögen ausmachen (sog. Halbteilungsgrundsatz im Steuerrecht). Das Gericht stützte sich dabei auf Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG, wonach der Gebrauch des Eigentums zugleich der Allgemeinheit nützen solle.

    Bei Einkommensteuer und Gewerbesteuer gibt es nach einer neueren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keine absolute Belastungsobergrenze in der Nähe einer hälftigen Teilung. Das Gericht bestätigte damit eine Entscheidung des Bundesfinanzhofes, der in seiner Entscheidung die Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes auf die Einkommensteuer abgelehnt und eine Besteuerung von etwa 60 % durch Einkommen- und Gewerbesteuer für verfassungsgemäß erachtet hatte.

    Fazit: Die privat gehaltenen Immobilien sind durch bekundetes Menschenrecht erst einmal geschützt. Obendrauf auch noch durch europäisches und nationales Recht. Somit kommt man an die Immobilien selbst nicht ran, es sei denn im Ausnahmefall mal Teilbreiche für nette Wanderwege um Seen oder wenn diese Autobahnen im Weg stehen. Dafür muß dann aber adäquate Entschädigung gezahlt werden. Bei den heutigen Immobilienpreisen für Bund und Länder nur in geringem Umfang finanzierbar, da drückt die eigene Schuldenlast zu stark. Im Allgemeinen ist mit dem Eigentumsrecht der Kapitalismus als Wirtschaftsform direkt festgelegt worden. Einzige Möglichkeit immobilientechnisch mehr Staatseinnahmen zu generieren um diese einem wie auch immer gearteten sozialen Wohnungsbau zuzuführen wäre nur über die Einkommenssteuer oder Gewerbesteuer möglich. Hier stößt aber der Staat auch sehr schnell an seine Grenzen. Jeder Eigentümer würde sein Haus erst einmal auf Teufel komm raus luxussanieren um den Aufwand steuerlich geltend zu machen.Oder in Aktien spekulieren, weil ich dann Verluste bei riskanten Wetten auch steuerlich gelten mache, besser als dem Staat was zu schenken, oder, oder, oder…da stehen 1000 Wege zur Verfügung. Da sieht der Staat dann keinen müden Euro und der Mietzins steigt weiter ob der guten Ausstattung der immobilie an. Gesellschaften können durch Zukauf von Sanierungsimmobilien und den dann entstehenden Kosten ihre Steuerlast dramatisch senken, auch hier zeigt man dem Staat die lange Nase und für die ärmeren Bevölkerungsschichten ist nichts gewonnen.

    Aus diesen Gegebenheiten, verbunden mit der Angst der Bevölkerung vor einer Umwälzung unseres Systems wird sich nicht viel ändern. Es sei denn, der Druck im Kessel wird so stark, dass es wirklich eine Revolution gibt, aber davon sind wir noch weit entfernt. Nur ca. 15% der Bevölkerung sind nach dem Nettoequivalenzeinkommen „arm“, nahezu nur aus dieser Schicht wird eine Revolution kommen. Der große Rest lebt in finanziell sicheren Umgebungen. Hartz 4 stellt (noch) die Leute ruhig, zu Essen und ein Dach (vielleicht auch am Stadtrand) sind vorhanden. Und solange sich hier %ual nicht viel ändert wird auch der Reformdruck nur untergeordnet sein. Blöde Situation für die Präkariats-Betroffenen

    Der Staat vertritt lediglich die Mehrheitsinteressen, also ist aus deiner Sichtweise die Bevölkerungsgruppe agressiv die ihre Interessen mehrheitlich durchsetzen können. Da denkt aber eine Mehrheit anders als du….

    Persönlich denke ich das erst mit dem Zusammenbruch unserer wundervollen EUDSSR ein Wandel stattfinden wird, wann das aber so weit ist und ob der wandel dann positiv ist wage ich zu bezweifeln. Ich denke eher das hier die Armuts-Schicht am meisten leiden wird, gerade wenn dann auch die Sozialleistungen immer weiter runtergefahren werden müssen oder wegfallen.

  9. Hallo MBE,
    danke für deine Antwort. Ich verstehe aber deine Position nicht so genau. Du meinst, dass es ohne grundlegende Umwälzung keine Lösung gibt, da du Eigentum als dem grundsätzlich entgegenstehend siehst und das verdammt gut geschützt ist. Eine Revolution willst du aber nicht wirklich, Reformen hälts du für unmöglich, dein Fazit: Da haben die Betroffenen halt Pech gehabt. Ich gehe mal davon aus, dass du nicht selber betroffen bist, denn dann wäre dir klar, dass das nur theoretisch eine akzeptable Antwort ist.
    Ich stimme dir zu, dass, angesichts der Verhältnisse und der noch vorhandenen grundlegenden sozialen Absicherung der armen Bevölkerungsschichten, die den sozialen Frieden sichern soll, ernsthaft an eine baldige Revolution zu glauben, na ja, irgendwie reichlich optimistisch bis weltfremd ist. Andererseits bleibt vor dem Hintergrund, dass man ohne halt nichts machen kann, die Alternative zu übertriebenem Optimismus halt die absolute Passivität.
    Ich stimme dir zu, dass wir in den nächsten Jahren einen Wandel miterleben werden und bereits mitten drin stecken. Ob dies ein Zusammenbruch der EU beinhaltet würde ich nicht wagen zu prognostizieren. Dass der Wandel, in dem mindestens die EU mitten drin steckt, besonders fatal in Griechenland, eine krasse Umverteilung von unten nach oben ist, halte ich für hinreichend belegt. Das, was in Berlin gerade mit der ärmeren Bevölkerung geschieht, ist dasselbe wie in Griechenland, nur noch in einer sehr abgefederten Form. Selbst erfolgreiche Reformen, die so etwas wie eine staatliche Abfederung dieser Prozesse erreichen, können diese Entwicklung, die sich nicht nur auf Stadtpolitik beschränken, nicht aufhalten.
    Die irgendwie reichlich pragmatische Lösung zwischen weltfremdem Optimismus und ohnmächtiger Passivität ist halt der Versuch, erstmal im Kleinen anhand konkreter Auswirkungen dem übermächtigen Riesen in den kleinen Zeh zu beißen. Das wäre z.B. die Reaktion auf die Räumung der Liebig 14. Oder daran zu glauben, dass man mit den Vertretern des Riesen auf Augenhöhe reden könnte, wenn man ein paar Monate auf dem Kotti gecampt hat und ein paar Demos gemacht hat. Das wäre die hier diskutierte Konferenz. Beides nicht wirklich effektiv, aber für mich immer noch besser, als die Ohnmacht zu akzeptieren.
    Deine theoretische Herleitung der Unmöglichkeit von Reformen im Sinne von Lösungen für konkrete, eingegrenzte Probleme ist ein wenig zu eng gedacht. Sicher bräuchte man einiges mehr an Bedrohung des öffentlichen Friedens als Kotti und L14 zusammen, um grundlegende Prizipien wie das Eigentum anzukratzen. Gerade aus den Erfahrungen der Kämpfe um Hausprojekte haben sich aber einige Modelle entwickelt, die Probleme zu lösen, ohne das Prinzip des Eigentums wirklich anzukratzen: zum Einen die Verhandlungen um Erstazobjekte für Bewohnerinnen oder Eigentümer (das wäre dann so etwas wie einvernehmliche Enteignung mit Ausgleich durch den Staat), zum anderen das Kaufen des Hauses durch Eigentümer, die explizit nicht Versuchen, aus dem Eigentum möglichst viel Profit zu ziehen, und zwar im Modell des Freiburger Mietshäusersyndikates, in dem die Bewohner_innen das Haus als kollektives Eigentum erwerben, oder der Kauf durch eine anthroposphische Stiftung, die den Bewohner_innen danach das Haus zu ziemlich fairen Bedingungen vermietet. In der Sprache von Flyern heißt das dann, das Haus der Verwertungslogik oder dem Immobilienmarkt zu entziehen. Die implizierte Perspektive dabei ist es, sich die Selbstbestimmung unter Wahrung des Eigentums zu kaufen, in der politisch weitreichendsten Variante des Mietshäuser-Syndikats als Kollektiveigentum, das vertraglich dagegen abgesichert ist, die Kollektivform wieder zu verlassen.
    Wenn ich das von Kotti & Co bzw. Andrej Holm ausgearbeitete Konzept richtig verstehe, ist es der Versuch, dieses Modell auf den sozialen Wohnunsbau zu übertragen, wobei der Staat die Rolle des Kollektivs einnimmt (bin mir hier nicht sicher, ob ich es richtig verstanden habe).
    Zumindest das Modell des Mietshäusersyndikats funktioniert, bin nicht auf dem neusten Stand, aber es sind über 20 Häuser in Deutschland, die sich erfolgreich selber gekauft haben.
    Reformen im Sinne konkreter, kleinteiliger und sehr begrenzter Lösungen sind unter Wahrung des Eigentums erwiesenermaßen möglich.
    Der zentrale Unterschied zwischen Mietshäusersyndikat und dem Modell von Kotti & Co ist die Rolle des Staates dabei.
    Du verstehst den Staat als Ausdruck der Interessen der Mehrheit. Dem kann ich nicht zustimmen. Du hast doch gerade ausgeführt, dass das Eigentum gesetzlich gut geschützt ist, und damit Kapitalismus als Wirtschaftsform festgeschrieben ist. Die Aufgabe des Staates ist es damit, die Interessen der Eigentümer zu schützen, und daran ändern auch die jeweiligen politischen Überzeugungen der Parteien nichts, die die Regierung bilden und durch Wahlen der Mehrheit beeinflusst werden können. Durch die grundlegenden Prizipien des Staates ist er die Vertretung der Interessen einer Minderheit von Eigentümer _innen gegen eine Mehrheit von Nicht-Eigentümer_innen im großen Stil. Die Macht der Wirtschaft und des Eigentums ist nicht demokratisch kontrolliert.
    Das macht auch den Staat und alle Parteien zu unmöglichen Bündnispartner_innen, wenn man in dem Kampf um kleine konkrete Verbesserungen die Perspektive bewahren will, dass sich daraus irgendwie eine weitergehende Perspektive entwickelt. Außerdem sind selbst die Regierungsparteien in Fragen des Eigentums und der Enteignung weitgehend machtlos, Eingriffe sind hier ausgesprochen weitreichend und, wie du schon richtig eingeschätzt hast, wird das freiwillig selbst für grundlegende Bedürfnisse der armen Bevölkerung nicht geschehen. An Dialog ohne massiven Druck im Hintergrund zu glauben ist meiner Meinung nach ziemlich unrealistisch. Distanz zum Staat und das Erkennen der herrschenden Gesellschaftsordnung als grundlegend gegen die Interessen der armen Bevölkerung gerichtet sind existentiell wichtig.
    Ich gebe Andrej Holm total recht darin, dass die Unterschiede zwischen dem von der „Szene“ praktizierten militanten Reformismus und seinem Modell des Reformismus durch Dialog zu einem großen Teil im radikalen Anstrich und zu einem kleineren Teil in tatsächlichen Unterschieden liegen. Diese Unterschiede sind aber nicht ganz unerheblich, gerade in dem grundlegend fehlendem Vertrauen in den Staat (trotz praktizierter Verhandlungen) und der daraus resultierenden Distanz sehe ich durchaus wichtige Unterschiede, um eine Entwicklung in Richtung mehr als Reformismus zu ermöglichen.
    Und wenn ich eins gelernt habe, dann, dass man bei dem Versuch, die Verhältnisse zum tanzen zu bringen, Geduld und einen langen Atem haben muss. Die Thematisierung von Verdrängung oder Gentrifizierung wurde mindestens über die letzten ca. 5 Jahren von verschiedenen Initiativen vorangetrieben, haben ein gesellschaftliches Bewusstsein für die Problematik geschaffen, dass vor dem Hintergrund der Verschärfung der Verhältnisse Proteste wie die von Kotti & Co mit ermöglicht hat. Der Kommentar von stf weist vollkommen berechtigt darauf hin, dass das Bewusstsein für die Geschichte der eigenen Kämpfe nicht einmal über den relativ kurzen Zeitraum von 5 Jahren erhalten bleibt, dabei ist diese Perspektive ziemlich wichtig, um die sehr langsam geschehenden Prozesse der Verbreiterung des Protests und Widerstands sehen zu können und daraus ein wenig Hoffnung zu schöpfen, dass es voran geht. Und ich habe oft genug erleben dürfen, dass meine Einschätzung von dem, was möglich ist, sich vor dem Hintergrund einer entstehenden Bewegungsdynamik und der Stabilität langjähriger fester Strukturen als entschieden zu pessimistisch erwiesen haben.
    Die Ohnmacht zu akzeptieren führt in die Depression und ist perspektivlos, Widerstand, so unausgereift er auch sein mag, ist alternativlos.

    • Hallo ach nöö,

      deine Punkte sehe ich auch und ich bin auch der Meinung das etwas getan werden muss. Jedoch stört mich am jetzigen Ansatz der „Protestbewegung“, dass es immer nur ein Schreien nach Hilfe durch den Staat ist (platt ausgedrückt heisst das: gib uns Geld) und die wenigsten tun auch wirklich etwas dagegen und investieren Zeit und Energie. Gerade in heutigen wirtschaftlichen Umfeld wird man damit meiner meinung nicht weit kommen. Um mal etwas konkreter zu werden (ich weiss, nur rummäkeln ist einfach, Lösungsvorschläge müssen gefunden werden) hier mal ein Ansatz von dem ich denke, dass er das kosten-Nutzenprinzip verursachergerecht zuordnen würde:

      Zum Abbremsen des Mietenanstiegs wäre meiner Meinung nach folgende Vorgehensweise denkbar. In Berlin gab es zur am 31.12.2011 ca. 318 260 Gebäude mit 1.903.231 Wohnungen mit einer Gesamtwohnfläche von 133.137.900,00 m² Dies kann man nachlesen bei:

      Klicke, um auf SB_F01-01-00_2011j01_BE.pdf zuzugreifen

      Der größte Teil davon sind Mietwohnungseinheiten. Nun stellt sich natürlich die Frage wie viele Wohneinheiten von Eigentümern selbst und wie viele von Mietern bewohnt werden. Die letzten Zahlen die man hierzu findet sind aus 2006 (zumindest hab ich keine neueren entdecken können), da die Unterschiede zur Oben genannten Statistik für 2011 jedoch nicht exorbitant groß sind nehme ich zur Veranschaulichung einmal folgende 2006er-Zahlen:

      Hauptmieterhaushalte gab es 2006 insgesamt 1.460.500

      Eigentümerhaushalte gab es 2006 insgesamt 241.300

      Die restlichen Differenzen zu den Zahlen aus 2011 ergeben sich durch Leerstand (2006 ins-gesamt 164.000 Einheiten und Neubauten zwischen 2006 und 2011.

      In Mietwohneinheiten ist die Wohnfläche geringer als in Eigentümerwohneinheiten. Wiederum für 2006 lag die Fläche der Eigentümerwohneinheiten bei 106,9 m² von Mietwohneinheiten bei 66,8 m². Alles kann nachgelesen werden bei:

      Klicke, um auf SB_F1-2_j04-06_BE.pdf zuzugreifen

      Somit ergibt sich folgende Rechnung, wenn man die 2006 m²-Zahlen mit den 2006 Hauptmieterhaushalten multipliziert:

      1.460.500 x 66,8 = 97.561.400 m² Wohnfläche wurden in 2006 von Mietern bewohnt.

      Mein Vorschlag wäre es eine zusätzliche geringe Abgabe auf die Miete von staatlicher Seite einzufordern. Ich gehe hierbei von einem Betrag von 10 Cent den Quadratmeter aus. Dies würde für eine 50 m²-Wohnung eine Mehrbelastung von 5€ im Monat bedeuten, bei einer 100 m²-Wohnung wären es 10€ die ein Mieter mehr zahlen müsste, das sollte vertretbar sein.

      Dies würde auf die gesamte von Mieter bewohnte Fläche folgendes bedeuten:

      97.561.400 m² x 0,1€ =9.756.140,00€

      die monatlich an den Senat abgeführt werden müssen. Im Gegenzug werden dem Staat weitergehende Vorkaufsrechte bei allen Grundstückstransaktionen für Wohngebäude gewährt (egal ob Mehrfamilien- oder Einfamilienhaus). Der Staat hat grundsätzlich ein Vorkaufsrecht für alle Wohngebäude zu einem gutachterlich bestimmten Verkaufs-/Marktwert der sich an den tatsächlich am Markt zu erzielenden Preisen orientiert. Sonst hätten wir eine Enteignungssituation.

      Zur Zeit liegt dieser bei einem Gründerzeit-Altbau mit 10-12 Wohneinheiten (nur Vorderhaus als Beispiel) bei ca. 1.500.000€. Dies bedeutet die Stadt Berlin kann monatlich ca. 6-7 Häuser mit ca. 70 Wohneinheiten käuflich erwerben. Im Jahr sind das dann schon ca. 80 Häuser mit 800 bis 900 Einheiten. Da keine weiteren Finanzierungskosten für die Immobilien anstehen können diese bei anfallenden Umzügen und damit verbundenem Leerstand günstiger vermietet werden.

      Ansonsten wird der Mietpreis ab dem Kauf durch die Stadt nicht weiter erhöht, sondern sogar ggf. gesenkt, je nach den sozialen Kriterien die man bei der Bewohnerschaft vorfindet. Denkbar wäre z. B. eine Begrenzung der Miete auf 40% des Haushaltsnettoeinkommens. Bei Neuvermietungen wird nach sozialer Auswahl entschieden und in den städtischen Wohnungen werden vorzugsweise schwächer gestellte Haushalte einquartiert, jedoch dürfen diese einen gewissen prozentualen Anteil an der Gesamtmieterstruktur des Hauses nicht überschreiten, um einer Präkariats-Clusterbildung keinen Vorschub zu leisten. Ferner werden die Mietspiegelberechnungsgrundlagen verändert. In den Mietspiegel werden nicht nur die Neuvermietungen, sondern auch die Altmieten der Vertragsabschlüsse der letzten 5 Jahre eingerechnet. Somit ist gewährleistet, dass weiterhin die Inflationsentwicklung im Mietsegment abgebildet wird, Überreizungen des Marktes aber abgemildert werden.

      Aus den Oben genannten Positionen ergeben sich folgende Effekte:

      • Der Mietspiegelanstieg wird begrenzt

      • Sozial schwächeren Haushalten wird wieder ein Zugang zu innerstädtischen Woh-nungen ermöglicht

      • Kontinuierliche Mieteinnahmen aus den Objekten sollten zu weiteren Immobilienan-käufen genutzt werden (abzüglich der Unterhalts- und Instandsetzungskosten)

      • Wir schaffen ein ständig wachsenden Bestand an kommunalen Wohnungen, die Ent-wicklung beschleunigt sich Jahr für Jahr (Kaskaden-Effekt)

      • Kurzfristige Spekulanten werden durch das Vorkaufsrecht vorsichtiger und es besteht die Chance das diese sich mehr und mehr vom Markt zurückziehen

      • Die Verwaltungsgesellschaft der Gebäude muss vom restlichen Haushalt der Stadt Berlin komplett getrennt werden mit der gesetzlichen Maßgabe das der Gebäudebe-stand nicht beliehen werden darf und immer schuldenfrei bleiben muss, um zukünftige Mietsteigerungen durch Zinsbelastungen zu vermeiden

      • Diese Gesellschaft muss so strukturiert sein, das keine Gewinne unter welchen Umständen auch immer an die Stadt abgeführt werden dürfen, sondern nur dem Neuerwerb von Immobilien und deren Instandhaltung dienen darf, der Staat ist nur indirekter Profiteur durch eventuell geringere Wohngeldzahlungen für Hartzer.

      • Das Volksvermögen wird insgesamt gesteigert
      Alle Eigentümer von Mietshäusern und Mietswohnungen müssen diese 10 Cent Abgabe direkt von den Mietern mit der Miete einziehen und monatlich an die Gesellschaft abführen. Die Daten können gemäß des Zensus spielend leicht ermittelt werden. Ausgenommen von der 10 Cent Abgabe sind lediglich eigenbewohnte Einheiten durch den Eigentümer. Auch für Leerstand muss die Abgabe gezahlt werden. Eigentümer die ihre Wohnung/Haus selbst bewohnen sind ausgenommen, da sie von dem System nicht profitieren und absehbar ist, dass die Immobilienpreise außer dem Inflationsanstieg nicht exorbitant steigen werden, wenn das System nach 1-2 Dekaden eine gewisse Größe erreicht hat.

      Für Mieter die nicht in den Häusern der neuen Gesellschaft wohnen ist dies zwar erst einmal eine Mehrbelastung, diese wird sich im Laufe der Jahre jedoch indirekt wieder auszahlen. Sozial schwache Haushalte werden dauerhaft direkt gefördert, für die Stadt sinken ggf. die Wohnkosten für Hartz4-Empfänger, wenn diese in solchen Gebäudeeinheiten untergebracht werden.

      Höchste Priorität muss aber auch pro Gebäude die soziale Durchmischung haben.

      Rechnet man ein Reinvestieren der Miete der Gesellschaft in neuen Gebäudebestand ein, so können nach 10 Jahren schon ca. 10.000 Wohnungen in sozial gefördertem Gebäudebestand entstehen mit exponentiellem Zuwachs in den nächsten Dekaden.

      Überlegenswert wäre es die Abgabe nur auf Ballungszentren zu beschränken wo ein nachweislicher Wohnungsmangel herrscht. Alternativ könnte man die Abgabe auch bundesweit erheben und dann nach statistischem Schlüssel den hauptbetroffenen Städten und Gemeinden zukommen lassen.

      Investitionsgesellschaften mit einem Wohnungsbestand über 250 Einheiten könnte man mit einer zusätzlichen Abgabe von 5 Cent pro m² belasten, der nicht auf die Miete umgelegt werden darf. Im Gegensatz zu den in der Vergangenheit gezahlten Fördermitteln würde so wirkliches Volkseigentum geschaffen werden, bezahlt und gefördert von denen die es auch selber nutzen.

      Mieter die späterhin selber Eigentum erwerben profitieren dann indirekt über nicht so stark ansteigende Immobilienpreise. Die zu erwerbenden Immobilien sollten stadtweit verteilt sein um in jedem Bezirk (mit wachsender Größe der Gesellschaft) gleichmäßig auf den Mietwohnungsmarkt einwirken zu können.

      Mit einem Konzept in diese Richtung würdest du keine direkten Enteignungen bewirken, was unsere Gesellschaft sonst eventuell zerstören kann. Die Zusatzbelastungen der Proiteuere einer solchen Vorgehensweise (Mieter) sind gering und Nutzen langfristig allen Nicht-Immobilienbesitzern (gruppenspezifisches Solidaritätsprinzip). Ich denke wenn man so etwas näher betrachten und analysieren würde wären auch längerfristige Umwälzungen des marktes möglich. Der Staat hat keine Zusatzkosten, die Mietergruppe fördert sich selber und eine planbare Anzahl an Wohneinheiten wird einer gesondeten kapitalunabhängigen Nutzung zugeführt. Die Abgabe der Mieter könnte bei statistischen Lohnsteigerungen jährlich angepasst werden, jedoch nicht wie bei einem Inflationsausgleich da die Löhne der Inflation hinterherhinken und die leute sowieso statistisch ärmer werden. Hier können nur die Nettolohnkennzahlen zu Grunde gelegt werden.

      Was für Vorschläge hättest du denn zur konkreten Verbesserung der Lage? Würde mich freuen von dir umsetzbare Möglichkeiten zu erfahren die auch rechnerisch tragbar wären. Bei vielen hier im Blog lese ich immer schöne „Träume“ die aber so weit an der realität vorbeigehen, dass es halt nur Träume bleiben werden….

      Grüße aus Hamburg!

      • @ach nöö noch 2 Sachen:

        Du sagst:“Durch die grundlegenden Prizipien des Staates ist er die Vertretung der Interessen einer Minderheit von Eigentümer _innen gegen eine Mehrheit von Nicht-Eigentümer_innen im großen Stil. Die Macht der Wirtschaft und des Eigentums ist nicht demokratisch kontrolliert.“

        Meiner Meinung nach ist sie das. Auch du willst im Kleinen über dein Auto, deine Stereoanlage und deine sonstigen materiellen Güter verfügen. Genauso will es der Immobilieneigentümer auch, halt nur mit größeren Werten. Da der Konsens der individuellen Verfügung über sein Eigentum herrscht, werden auch generell die großen Volksparteien gewählt. Nur eine Minterheit wünscht sich ein anderes Prinzip. Insofern gehe ich von einer Legitimation durch die Mehrheit aus.

        Die 2te Sach die du in einem deiner Posts weiter Oben angesprochen hast ist der Zusammenhang zwischen augenblicklicher Wirschaftskriese (Flucht ins Betongold) und Gentrifizierung. Ich würde sogar noch weiter gehen. Ich sage: unser augenblickliches FIAT-Money-System bedingt durch den wertverfall des Geldes automatisch in seiner exponentiellen Entwicklung eine Transferierung seines Gewinnversprechens (Geld ist nichts anderes) in Sachgüter. Kurz ausgedrückt: Alles was man zum Leben braucht wird teurer, alle Luxusgegenstände immer billiger (auf längere Laufzeit gesehen). Leider macht sich kaum jemand die Mühe das geldsystem an sich zu hinterfragen, die Bedeutung von Vertrauen in dieses System und die Auswirkungen was es für ärmere Bevölkerungsschichten rechnerisch bedeutet. Ich habe darüber einige Vorträge gehalten und die Leute waren immer wieder total ungläubig. Vom Wesen des Geldes, dem Debitismus etc. weiss kaum einer etwas. Die Menschen nehmen das als gottgegeben hin und sind zu faul sich darüber Gedanken zu machen. Dann kann man aber auch sagen, Leute schaltet euer Hirn ein, sonst habt ihr Pech gehabt……

      • zu erstens: du bist auf mein Argument nicht eingegangen. Auch die Linke könnte (mal vorrausgesetzt sie wollte das), vielleicht in Koalition mit der DKP, nicht einfach das Eigentum als grundlegendes Prinzip der Gesellschaft und damit den Kapitalismus als Wirtschaftsform auf paralmentarischem Weg abschaffen.
        Des weiteren besitze ich kein Auto und rechne auch nicht damit, irgendwann eins zu besitzen. Ich bin froh, wenn ich die Miete bezahlen kann und ich am Ende des Monats noch was zu Essen habe. Es würde meine Lebensqualität extrem steigern, wenn ich dir nicht zu meinen Standardgerichten auswendig aus dem Kopf sagen könnte, was die Zutaten gekostet haben.
        Wenn du dir die Rechnungen von Kotti & Co mal angeschaut hast, würdest du sehen, dass die Mehrmiete, die sie über dem Hartz 4 Regelsatz bezahlen, von ihrem Existenzminimum abgeht. In diesem Zusammenhang über Stereoanlagen und Autos zu reden ist zynisch, wir reden hier nicht über Luxus, den man sich verkneifen kann, sondern über existentiell notwendige Kosten.
        Und du machst eine ziemlich entscheidende Unterscheidung im Eigentum nicht: das zwischen existentiell notwendigen Eigentum und Dingen mit privater Bedeutung, die für die Gesellschaft keine Auswirkungen haben. Mein Besitz an meiner altersschwachen „Stereoanlage“ stellt für niemandem anders ein Problem dar (und ich bezweifel auch, dass sie irgendjemand haben will). Aber klar: Mein Bett, mein Kühlschrank, mein Schreibtisch, mein Computer und die hat mir niemand wegzunehmen, sonst gibts Ärger.
        Nehmen wir nun den ehemaligen Besitzer der Brunnenstr. 183. Der hat das Haus gekauft, mit Hilfe des Staates einen Haufen größtenteils mittelloser kleiner Punker_innen mit Gewalt auf die Straße gesetzt, uns allen was vorgelogen vonwegen eines Projekts zum Generationsübergreifendem Wohnen, dass er in dem Haus verwirklichen wollte. Nach der Räumung hat er das haus für 1 Millionen mehr verkauft als er es gekauft hat. Die „Wertsteigerung“ hat der Staat erledigt, und damit hat das die Allgemeinheit finanziert.
        Dieses „Recht auf Eigentum“ ist schon was sehr anderes als meine Stereoanlage und mein Kühlschrank, und auch als dein Auto. Krasser Einzelfall? Schon sehr speziell. Falls du es nicht schon weist, lies dir Andrejs Artikel darüber durch, wie der soziale Wohnungsbau hauptsächlich „sozial“ gegenüber den Eigentümer_innen war und jetzt neu, wieder werden soll, während er andererseits Menschen das existentiell notwendige zum Überleben wegnimmt und sie damit erpresst, nicht da wohnen zu können, wo sie wollen. Es gibt immer diese Kritik an entschlossenen Gentrifizierungsgegner_innen, sie würden sich anmaßen, entscheiden zu wollen, wer wo leben darf und suggerieren, dies wäre ohne sie eine Frage der freien Entscheidung. Blödsinn. Die Profitinteressen der Eigentümer_innen, unser Wirtschaftssystem und die Politik wollen bestimmen, wer wo leben darf.
        Wenn wir im Bereich der Wohnungspolitik oder der Gesellschaft insgesamt über Eigentum reden, reden wir nicht über Eigentum zum Privatgebrauch wie Schreibtische und Kühlschränke, sondern über Häuser, in denen der/die Eigentümer_in nicht selber wohnt. Das in der Argumentation durcheinanderzumischen ist mindestens fahrlässig irreführend.
        Und jetzt schauen wir noch nach Griechenland, wo die Profitinteressen von Leuten, die eh schon mehr als genung haben, nicht nur über das Recht auf genug zu Essen und ein Leben in Würde gestellt werden, sondern noch existentiellere Dinge wie die Gesundheitsversorgung nicht mehr gesichert sind, Menschen der Strom abgestellt wird, mit dem sie den Kühlschranke betreiben müssen, den sie brauchen, um überlebenswichtige Medikamente zu kühlen. Die Selbstmordrate ist seit Beginn der Krise extrem gestiegen, Kapitalismus und das Recht auf „Eigentum“ tötet hier ganz konkret Menschen. Nix Auto und Waschmaschine, Leben oder Tod.
        In diesem Zusammenhang erschreckt mich wirklich nicht die von dier prognostizierte Zerstörung der Gesellschaft im Falle der Enteignung, die auch nicht die Gesellschaft als Ganzes, sondern das Wirtschaftssystem zerstören würde. Mich erschreckt vielmehr die Fortführung des Wirtschaftssystem, das menschliche Existenzen zerstört, Profitinteressen über Menschenleben stellt.
        Zu deinem ersten Post: es ist wirklich nicht mein Job, konkrete realpolitische reformistische Lösungen auszuarbeiten, dafür fehlt mir zum einen das nötige Expert_innenwissen, zum anderen ist das, solange wir in diesem Gesellschaftssystem leben, der Job der Politiker_innen, die dafür bezahlt werden und auch Mittel zur Verfügung haben, qualifizierte Expert_innen zu beauftragen, die für politisch formulierte Ziele umsetzbare Lösungen ausarbeiten.
        Es fehlt nicht an konkret umsetzbaren Modellen, sondern am politischen Willen. Womit wir wieder beim eigentlichen Thema sind: der Konferenz von Kotti & Co. Die beruht, wie du, auf der Einschätzung, es würde an konkret umsetzbaren Lösungen fehlen. Was aus dieser Logik folgt, haben wir ja gerade erlebt: Die ausgearbeiteten Lösungen interessieren niemandem, der Staat kündigt stattdessen eine Neuauflage des alten Modells an, das sich bereits als katastrophal für die Mieter_innen und eine Goldgrube für die Eigentümer_innen erwiesen hat.
        Meine ganz realen, gar nicht revolutionären Vorschläge gehe eher da hin, Politiker_innen für die krasse Verantwortungslosigkeit, die sie in der Gegenwart und jetzt praktiziert haben, persönlich haftbar zu machen, für die Privatisierung der GSW inkl, dem Verschenken von den berühmten 23 Häusern (warum ist eigentlich Enteignung ein Reizthema, das verschenken öffentlichen Eigentums an private Investor_innen aber nicht?) und das katastrophale Modell des sozialen Wohnungsbaus, um nur zwei Beispiele aus dem wohnungspolitischen Kontext zu nennen. Und da ich von Knast nicht viel halte, würde ich sie mit ihrem gesamten privaten Vermögen für den entstandenen Schaden an der Allgemeinheit zu Verantwortung ziehen, was dann ein restliches Leben auf Hartz4 bedeuten würde, ohne die Perspektive, da jemals wieder rauszukommen. Mit den Inverstor_innen würde ich dasselbe machen. Könnte man sogar ne bestimmt ziemlich lustige Fernsehdoku draus machen, wie die Verantwortlichen mit den Konsequenzen ihres eigenen Handelns zurechtkommen. So nen kleiner mittelloser Auslandsaufenthalt für Frau Merkel in Griechenland wäre bestimmt auch nicht schlecht für die Quoten, wenn sich das Elend niemand mehr anschauen will und die geneigte Öffentlichkeit nach einer Steigerung verlangt.
        Nee, Spaß beiseite, das wäre auch keine Lösung (aber lustig).
        Das Fazit aus der ganzen Diskussion (und auch das Problem, aus dem sie entstanden ist): es braucht politischen Druck und ein Ende der Illusion, dass es irgendein politisches Interesse an einer tatsächlich verantwortungsbewussten und gerechten Lösung gibt, die das Problem nicht oberflächlich notdürftig kittet, um den sozialen Frieden zu bewahren, sondern tatsächlich löst. Es braucht eine Verschiebung der Machtverhältnisse.
        Das Kotti-Camp und die Lärmdemos sind dafür ein guter Anfang, aber bis jetzt offensichtlich nur genug für Lösungen, die sich zwar in den Medien als solche verkaufen lassen, aber erwiesenermaßen keine sind. Die uralte Mietstreikidee fände ich tatsächlich eine spannende Option. Wenn das auch nur 1000 Haushalte konsequent und solidarisch durchziehen würden, würde das erheblichen Druck aufbauen. Das würde dann wahrscheinlich im schlimmsten Fall dazu führen, dass nach 2 Monaten die Mietverträge gekündigt würden. Wenn die Mieter_innen dann nicht ausziehen, steht der Staat vor dem Problem, 1000 Zwangsräumungen durchzuführen. Gehen wir von einer (in Ansätzen bereits vorhandenen) solidarischen Bewegung aus, die die Mieter_innen bei den Räumungen unterstützt, können diese nur mit einem größeren Polizeiaufgebot durchgeführt werden. Gehen wir davon aus, dass so mehr als eine Räumung pro Tag nicht praktizierbar ist, würde das ca. 3 Jahre lang tägliche Räumungen bedeuten. Das wäre a) unglaublich teuer, denn Großeinsätze der Polizei sind nicht billig, b) würde es die Polizei an ihre Grenzen bringen und wäre wahrscheinlich schlicht und ergreifend nicht durchführbar, c) würde es den sozialen Frieden so nachhaltig bedrohen, dass es politisch nicht durchsetzbar wäre. Die Räumung der Mainzer Str. hat damals gereicht, den Senat zu sprengen, und das waren nicht mal annähernd so viele Häuser.
        Um hier nicht in Revolutionsromantik zu verfallen: das Ganze wäre tatsächlich kein Kindergeburtstag, meistens hat der Staat auf Besetzungswellen (die einen ähnlichen Angriff auf die Rechte der Eigentümer_innen darstellen) mit massivem Einsatz von staatlicher Gewalt reagiert, gefolgt von einem Befriedungsangebot. In dieser Situation könnten wir dann auch mit einer der Realität angemessenen Machtbasis über konkrete Lösungen diskutieren. Oder einen Versuch in Richtung Revolution starten. Ohne den Politischen Willen sind Diskussionen über konkrete Lösungen eher ein intellektuelle Kopfgymnastik als politisch sinnvolle Schritte. Du meinst, das ist undemokratisch und unserer Gesellschaft fremd? Im Bereich der Arbeitskämpfe sind solche Machtfragen durch Streik mit inzwischen institutionell geregelten Spielregeln etablierter Teil der Gesellschaft. Löhne werden auch durch gesellschaftliche Machtkämpfe und nicht nur nach Angebot und Nachfrage geregelt.

      • @tabul A. Razsa: Sie ist ein er und eine Privatperson….

        Sie sollten sich mal besser mit dem Eigentumsbegriff und seinen Auswirkungen auf die Gesellschaft auseinandersetzen und zwar so, dass sie die einschlägigen Urteile auch nachvollziehen um zu begreifen wie unser augenblicklicher Rechtsstaat „tickt“.

        Ganz eindeutig wird die kapitalistische Wirtschaftsform durch den Eigentumsbegriff definiert. Wie sollte denn bitte sonst Kapitalismus ohne bestehendes Eigentumsrecht funktionieren/existieren? Und das ist wiederum ein Hauptpfeiler unseres Rechtssystems

        Selbst wenn man sich beschränkende Gesetzgebungen zum Eigentum anschaut wie z.B. Art. 16 GG:

        „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend.“

        …ist das nicht so einfach wie Otto-Normalverbraucher das denkt. Diverse Grundsatzurteile haben gezeigt, dass z. B. obriger Artikel nur gilt, wenn aufgrund des Verbotes eines Einzelfallgesetzes eine Sozialisierung von ganzen produzierenden Wirtschaftszweigen nach Bundes- oder auch nach Landesrecht beispielsweise in wirtschaftlichen Notsituationen möglich ist. Hier ist nix mit: Wir brauchen billige Harz 4-Wohnungen, also nehmen wir das den Immobilienbesitzern mal weg. Da ist das Eigentum höherrangiger. So einfach ist gerade das GG nicht gestrickt, hier interpretieren alle möglichen Leute ihr Verständnis des Textes hinein ohne die dahinterstehenden Urteile und den „Geist des Gesetzes“ zu kennen.

        Enteignungen sind nur auf Basis (hauptsächlich) von:

        Baugesetzbuch (BauGB)
        Bundesfernstraßengesetz (FStrG)
        Landesstraßengesetze
        Luftverkehrsgesetz (LuftVG)
        Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG)
        Energiewirtschaftsgesetz (EnWG)
        Bundeswasserstraßengesetz (WaStrG)
        Landeswassergesetze

        möglich.

        Übrigens sind Umwälzungen in den Klassenverhältnissen unlöslich mit Veränderungen im Eigentum verbunden.

        Oder kennen Sie ein Gegenbeispiel?

        Ist Ihnen aufgefallen, dass der ganze Kapitalismus mit einer Schandtat begonnen hat? Im alten Rom rebellierten die Bauern gegen ihre Feudalherren und teilten das Land unter sich auf, jeder bekam sein eigenes Stück. Roma Quadrata. Da sprang Remus lachend über die Mauer des Romulus und lachte: Das hat’s noch nie gegeben, das gehört doch uns allen. Worauf Romulus ihn erschlagen hat.

        Dabei setzte Romulus nur ein heute selbstverständliches Recht um. Er sagte: My home is my castle, und ich darf’s verteidigen. Unsere Methoden der Durchsetzung sind etwas feiner geworden. Das Grundgesetz etwa, in dem steht „Das Recht auf Eigentum ist unverletzlich“, oder das bürgerliche Gesetzbuch und das Strafgesetzbuch. Mit dem Roma Quadrata passierte zweierlei. Erstens: Privateigentum. Und zweitens: Übertragbarkeit. Man durfte es tauschen (gegen sinnlose Metallscheiben, die man dann wieder gegen sinnvolle Dinge tauschen konnte). Das ist die Grundlage des Kapitalismus. …..

    • ach nöö, laß Dich doch nicht von dieser MBE für dumm verkaufen. Der Schutz des Eigentums beinhaltet mitnichten, daß man mit seinem Eigentum tun kann, was man will. Und kein mir bekanntes Gesetz schreibt den Kapitalismus als Wirtschaftsform fest. So hätte es die MBE nur gern.

      • Du hast schon recht, ich bin gerade zu faul, mein GG rauszusuchen, aber ich meine mich daran zu erinnern, dass darin staatliche Enteignungen als Option explizit nicht ausgeschlossen werden.
        Recht hat sie (?) aber damit, dass Eigentum ein ziemlich zentraler Knackpunkt ist, und das für die „große“ Politik gesetzliche Reglungen nicht ganz so bindend sind wie für jede_n Schwarzfahrer_in (siehe z.B. die Reihe von „Pannen“ des Verfassungsschutzes, die keinerlei ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen, obwohl sie die freiheitliche demokratische Grundordnung schwerwiegend gefährden, während notorische Schwarzfahrer_innen durchaus für ihr Handeln, das viel geringere gesetzliche Reglungen verletzt, im Knast landen können). Eigentum ist halt nicht nur von Gesetzen geschützt, sondern auch von Macht- und Profitinteressen. Und die sind in unserer Gesellschaft, Gesetze hin oder her, wichtiger als grundlegende Bedürfnisse wie das nach Mobilität.

      • @ ach nöö:

        Recht hat sie (?)

        Aufgrund von Inhalt und Form der bisherigen Kommentare gehe ich davon aus, daß „MBE“ eine Firma ist.


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