Verfasst von: ah | November 27, 2009

London: ‚Super-Gentrification‘ statt Social Mix

In der Frankfurter Rundschau von heute gibt es einen ausführlichen und sehr lesenwerten Artikel von Werner Girgert zu den aktuellen Aufwertungsdynamiken in London: „Leben in London: Angriff auf das Zentrum„. Als ‚Super-Gentrifcation‘ wird dabei die Verdrängung selbst gutverdienender Mittelschichtshaushalte durch „eine Gruppe von superreichen Globalisierungsgewinnern“ beschrieben. Das dichte Nebeneinander von Arm und Reich führe dabei jedoch nicht zu neuen Formen der Integration, sondern verstärke die sozialen Spaltungen durch die alltägliche Konfrontation der verschiedenen Lebensstile.

 

Im Zentrum des Artikel steht jedoch zunächst eine dichte Beschreibung des völlig überforderten Wohnungsmarktes und der Unfähigkeit der Stadtpolitik, den Bedarf an Sozialwohnungen auch nur annähernd zu decken.

50.000 bezahlbare Wohnungen zusätzlich will das konservative Stadtoberhaupt mit öffentlicher Unterstützung bis 2011 errichten. Ein Tropfen auf den heißen Stein, angesichts der 200000 Haushalte, die sich zurzeit in überbelegten Wohnungen drängen, weil das Angebot an Sozialwohnungen bei weitem nicht ausreicht. Ganz abgesehen von den 50000 Familien, die in Notunterkünften leben.

Zugleich räumt der Artikel mit den ja auch hierzulande beliebten Romantisierungen von den angeblichen Vorzügen einer sozialen Mischung auf:

Ob in Whitechapel oder Aldgate, in Bethnal Green, Hoxton oder Shoreditch: Arm und Reich leben jetzt im selben Viertel zwar oft nur einen Straßenzug voneinander entfernt, Berührungspunkte gibt es jedoch kaum. Dafür umso häufiger Spannungen. Statt vom sozialen Mix zu profitieren, sieht sich die angestammte Bevölkerung im East End mit dem urbanen Lebensstil ihrer neuen Nachbarn konfrontiert, einer Mischung aus digitaler Boheme und jungen Finanzjongleuren. Bio-Märkte, Coffee Shops und Designer-Läden haben die kleinen Lebensmittel- und Bekleidungsgeschäfte verdrängt, die das Lebensnotwendige zu erschwinglichen Preisen anboten. Auch wenn es um das Wohl des eigenen Nachwuchses geht, zeigen sich die gut situierten Zuzügler nicht sonderlich um Integration bemüht.

Eine Studie von Tim Butler und Loretta Lees wiedergebend, wird die aktuelle Phase der Aufwertung als „Super-Gentrification“ beschrieben:

Doch inzwischen verschont der aggressive Verdrängungsprozess auch die Bezieher deutlich höherer Einkommen nicht mehr, wie sich im etablierten Mittelschichtviertel Barnsbury nördlich der Londoner City zeigt. In den 1960er Jahren verdrängten zunächst Architekten, Ärzte, Universitätsdozenten und Medienleute die dort ansässigen Arbeiter. Später kamen Angestellte aus dem mittleren und gehobenen Management hinzu. Trotz ihrer Einkommen können sich die Vertreter dieser Berufsgruppen die Reihenhäuser aus viktorianischer Zeit heute nicht mehr leisten, wie Atkinsons Kollegen Tim Butler und Loretta Lees kürzlich in einer Studie zeigten. Eine neue Gruppe superreicher Globalisierungsgewinner mit Jahreseinkommen von 500000 Pfund und mehr, zusätzliche Bonuszahlungen nicht mitgerechnet, drängt seit Mitte der 90er Jahre all jene aus dem Markt, die nicht in der Lage oder willens sind, im Durchschnitt 700000 Pfund für ein Einfamilienhaus zu zahlen.

„Super-Gentrifizierung“ nennen die beiden Stadtforscher dieses Phänomen, weil es sich mit ihrem herkömmlichen Begriffsapparat nicht mehr beschreiben lässt.


Antworten

  1. Vermisse bei den Schlagworten noch „Leipzig“. Leipzig zählt neben London, Berlin u.a. zu den dynamischsten Wohnungsmärkten in Europa. Und fast nirgendwo in Deutschland liegen Armut und (bürgerlicher) Reichtum so nahe bei einander. Betroffene Viertel sind (derzeit) die Südvorstadt und Plagwitz. Das sorgt für sozialen Sprengstoff, den die Staatsgewalt versucht, um ihre Unfähigkeit zu kaschieren, mit drastischen Mitteln zu bekämpfen. Damit meine ich nicht einmal Polizeieinsätze, sondern Bürokratie der kommunalen Organisationen wie Energieversorger, ARGE (Sozialamt/Arbeitsagentur) etc. pp. mit denen Menschen gezielt in die „staatlich verwaltete und kontrollierte Armut“ getrieben werden. Die schlummernde Gefahr liegt auch bei den Immobilieninvestmentfonds, die den Reichen, beispielsweise über Luxemburg, Steuerersparnismodelle anbieten und in Leipzig reihenweise Häuser kaufen, die dann von ziemlich brutalen Hausverwaltungen (mit Anwälten) verwaltet werden. „Geldeintreiber mit allen Mitteln“ wäre die bessere Formulierung.

  2. Ich halte diese Einschätzung von Jürgen über den „sozialen Sprengstoff“ in Leipzig für etwas übertrieben. Leipzig ist zwar durch eine Vielzahl von Sanierungen im innerstädtischen Altbaubestand mit den damit verbundenen Mietpreissteigerungen geprägt, auch gibt es, wie eben in jeder anderen Stadt auch, soziale Gegensätze, aber als Mensch mit geringem Einkommen lässt es sich gerade in Leizpig noch ganz gut aushalten. Wohnungen sind bezahlbar, Studenten leben in tollen Altbauwohnungen mit Stuck und Parkett und auch das sonstige Preisniveau ist moderat. Kurz: Ich kenne keine schönere Stadt in Deutschland, welche bezahlbaren Wohnraum solch hoher Attraktivität auch für einkommensschwächere Gruppen bereithält.

  3. […] Stadtteile. Teile, die sich von Einkommens- und Kultur-Schichten her nicht mehr gut durchmischen. Das führt zur Bildung von Ghettos und harten Grenzen zwischen Stadtteilen, wie man es zuweilen […]


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