Verfasst von: ah | November 23, 2010

Stuttgart: Hochpreiswohnen am Tiefbahnhof

potentielle Bebauungsflächen Stuttgart 21 (Bild: stuttgart.de)

Die Stuttgarter Schlichtungsrunden zwischen den S21-Befürworter/innen und den Gegner/innen scheinen zwar wenig zu einer Schlichtung des Konfliktes beizutragen, bieten dafür aber den einen oder anderen Schlagabtausch der Argumente. Am Freitag kamen die künftigen Bebauungspläne zur Sprache. Die Schlagworte vom „hochwertigen Wohnen“ auf einem „europäischen Stadtgrundriss an der Parkkante“ lassen nicht Gutes vermuten und auch die in der Diskussion gehandelten Grundstückpreise (also noch ohne Bebauung) verweisen auf ein eher hochpreisiges Wohnungsmarktsegment.

Der immobilienwirtschaftliche Aufwertungsdruck ist dabei hausgemacht. Denn die Stadt erwarb die bebaubaren und nicht bebaubaren Grundstücke des Bahnhofsprojektes von der Deutschen Bahn im Jahre 2000 für einen Preis 474 Mio. Euro ohne sich die mindestens 20jährige Übergangszeit bis zur tatsächlichen Verfügbarkeit der Flächen verzinsen zu lassen.

Prof. Jürgen Baumüller, weltweit anerkannter Stadtklimatologe, stellte sein immobilienwirtschaftliches Basiswissen unter Beweis und rechnete die fiktiven Zins- und Zinseszinskosten für diese verdeckte Subvention der Deutschen Bahn aus. Auf mittlerweile 1,5 Mrd Euro seien die Kosten des Grundstückkaufs (berechnet auf der Basis verlorener Zinseinnahmen) angestiegen. Bezogen auf die voraussichtlich 50 ha zu bebauender Fläche wären das also 3.000 Euro/qm. Die lokalpolitische Unterstützung für den Tiefbahnhof wird wohl durch hochpreisige Wohnungen finanziert werden müssen… Heiner Geissler nutzte seine Moderationsfunktion, um zu fragen, ob die Abwicklung von Geschäften die absehbar keine Einnahmen und keinen Nutzen generieren überhaupt erlaubt seien. Geklärt werden konnten diese verwaltungs- und kommunalrechtlichen Fragen in der Schlichtungsrunde leider nicht.

Für alle, die ein wenig Zeit haben und sich von der schwäbischen Mundart der Beteiligten nicht abschrecken lassen, gibt es bei coloRadio aus Dresden einen wirklich informativen Ausschnitt der Freitagssitzung.

Den Versprecher des Tages leistet sich der für das Bauressort zuständige Bürgermeister Hahn, der allen Anwesenden versichern wollte, dass auch die Stadtregierung ein ehrliches  Interesse an

„einer maßlosen Bebauung der Parkkante“

habe. Die Geistesgegenwart des Bügermeister im Zusammenahng des knapp verpassten ‚maßvoll‚ eine Freud’schen  Fehleistung in Spiel zu bringen, spricht für ein erstaunliches Maß an Selbstironie oder eine gehörige Portion Dummheit.

S21-Gegner/innen appellieren an die Sparsamkeit – um Geld für den sozialen Wohnungsbau zu mobilisieren

Am vergangenen Freitag stand unter anderem das Thema der Stadtentwicklung in den widerstreitenden Bahnhofskonzepten auf dem Programm der Schlichtungsrunde. In den präsentierten Vorstellungen, was letztendlich auf dem Bahngelände gebaut werden sollte, unterschieden sich die Parteien nicht wirklich: Funktionsmischung, soziale Mischung, familienfreundliche Wohnungen und ganz viel Bürgerbeteiligung standen auf beiden Seiten auf dem Programm.

Einziges Problem der S21-Immobilien-Verwertungs-Koalition: Die mangelnde Glaubwürdigkeit. Die bereits realisierten Projekte auf dem soganannten A1-Areal sind trotz einer umfangreichen Bürgerbeteiligung weder Funktions- noch Sozialgemischt und auch nicht familienfreundlich. Dazu kommt das leidige Problem mit den Grundstückskosten: Bei Preisen von deutlich über 2.000 Euro/qm werden sich nicht wirklich viele preiswerte Wohnungen errichten lassen.

Von den Freunden des Kopfbahnhofs kam der nette Vorschlag, die Bahn zu dem vertraglich wohl möglichen Rückkauf der vor 10 Jahren erworbenen Flächen zu verpflichten und mit den Einnahmen (Rückkaufsumme plus 5,5 Zinzen p.a.) auf den Bebauungsflächen des Kopf-Bahnhof-Konzeptes mit einer sozial und ökologisch vernünftigen Stadtentwicklung zu beginnen. Klingt toll. wäre billiger und könnte sofort beginnen…


Antworten

  1. Man sollte aber auch die Frage beantworten, für welchen Preis die Stadt Stuttgart das Gelände weiterzuverkaufen gedenkt. Wenn der Verkaufspreis deutlich über dem Kaufpreis liegen wird, relativieren sich die Angaben des weltweit anerkannten Stadtklimatologen, bei dem ich mich überdies frage, ob sein immobilienwirtschaftliches Basiswissen etwas zur Sache beiträgt. Wie kommt diese Rechnung zustande? Und warum fragt man keinen wirklichen Fachmann?

    • Hallo genova68,
      aber genau dass ist ja der Kernpunkt der Debatte gewesen: Die Stadt ist durch den Deal mit der Deutschen Bahn gezwungen, die Grundstücke nun sehr teuer zu verkaufen. Gerade dadurch reduzieren sich doch die Spielräume für eine soziale oder funktionale Mischung auf dem Gelände.

      Ich wollte mich keineswegs abschätzig über die immobilienwirtschaftliche Kompetenz von Prof. Baumüller auslassen (die ich auch nicht wirklich einschätzen kann). Wenn Du Zeit hast, dir die Schlichtungsrunde zum Thema anzuhören (Link siehe Beitrag), dann wirst du auch noch andere Expert/innen zum Thema hören. Prof. Baumüller hat die Immobilienproblematik des Grundstückskaufs einfach für mich am verständlichsten formuliert (und im Gegensatz zu vielen Halbexpert/innen wurde ihm von der ‚Gegenseite‘ auch nicht widersprochen). Die Evidenz seiner Rechnung kannst du mit einem Zinssatz von 5,5 Prozent selbst überprüfen. Die angesprochenen 1,5 Mrd. sind irgendwann im Lauf des 22 Jahres erreicht – also ungefähr 2022, zu einem Zeitpunkt zudem mit einem tatsächlichen Baubeginn auf den Flächen gerechnet werden kann. Durch den frühzeitigen Flächenverkauf an die Stadt konnte die Bahn also ca. 1 Mrd. Euro zu Lasten der städtischen Haushaltsbilanz einsparen.

  2. …Die lokalpolitische Unterstützung für den Tiefbahnhof wird wohl durch hochpreisige Wohnungen finanziert werden müssen… Heiner Geissler nutzte seine Moderationsfunktion, um zu fragen, ob die Abwicklung von Geschäften die absehbar keine Einnahmen und keinen Nutzen generieren überhaupt erlaubt seien. Geklärt werden konnten diese verwaltungs- und kommunalrechtlichen Fragen in der Schlichtungsrunde leider nicht.

    bei den Schlichtungen am Freitag sagte der Mensch aus der Stuttgarter Verwaltung Sätze wie:

    „Der Gemeinderat ist dabei nicht zwingend den Marktkalkulationen ausgesetzt…“

    „Die Kommune ist prinzipiell frei, politisch diesen Wert dieser Flächen zu bestimmen. Sie muss nicht wie ein Unternehmen denken, sie kann als öffentliche Körperschaft, als Körperschaft des öffentlichen Rechts denken und es wird sie niemand zwingen, diese Fläche frei und nach Abwägung aller Belange festzusetzen und zu bestimmen und damit auch den Wert zu bestimmen.“

    „Ich hab jetzt schon mehrfach gesagt, dass die Stadt nicht beabsichtigt diese Kaufpreise 1:1 weiterzugeben. Das steuernde Element bei der Entwicklung soll sein, die Qualität, die wir an diesen Stellen erreichen. Das hab ich glaub ich heute Morgen deutlich gesagt und dass das die Grundlage sein soll für die Entwicklung. Da nimmt man auch in Kauf, dass man sein Geld nicht völlig zurückbekommt.“

    Sehr interessant, da habe ich doch gerade vor ein paar Tagen in Freiburg von den zuständigen Herren aus dem Liegenschaftsamt, Meier und Gramich was ganz anderes vernommen. Hier heißt das:
    „… das Tafelsilber kann natürlich nicht verschleudert werden, es muss qualifiziert verkauft werden…
    „Die Gemeindeordnung regelt die Vergabe von Grundstücken. In den Vergaberegeln steht, dass die Kommune die Grundstücke nur zum vollen Wert abgeben darf, sie darf sie also nicht verschleudern. Außerdem gibt es seit einigen Jahren Vorgaben der EU, die die Vergabe nicht einfacher gemacht haben.“
    „Der „volle Wert“ eines Grundstücks ist der Verkehrswert, der vom Gutachterausschuß festgelegt wird.“

  3. Hi, ah,

    ich wollte gar nicht wirklich widersprechen. Aber ich glaube dennoch, dass der Verkaufspreis der Stadt bekannt sein muss, um die getätigten Aussagen treffen zu können. Beim Sachverhalt an sich stimme ich dir natürlich zu.

    Außerdem fiel mir auf, dass die Stadt nun machen kann, was sie will, sie liegt falsch: Entweder baut sie sozial und belastet damit den Steuersäckel, oder sie holt das finanzielle Maximum aus den Grundstücken heraus und verhält sich dann unsozial. Es ist ein schönes Beispiel dafür, dass beim neoliberalisierten Handeln jeder Bereich für sich betriebswirtschaftlich ein Plus macht und volkswirtschaftlich dennoch ein Minus herauskommt. Aber auch das ist nichts Neues.


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