Verfasst von: ah | Dezember 19, 2010

Berlin: Post-Gentrification-Protest in Prenzlauer Berg

Neue Protestwelle in Prenzlauer Berg: "Nein zur Zerstörung der Kastanienallee!"

Gentrification wird in den stadtpolitischen Auseinandersetzungen immer mal wieder als ‚Kampfbegriff“ beschrieben. Kein Wunder, geht es doch auch um einen von verschiedenen Interessen und Gruppen umkämpften Raum. Insbesondere die drohende Verdrängung von Bewohner/innen mit geringeren ökonomischen Ressourcen löst regelmäßig Mobilisierungen der Betroffenen aus. Die breitangelegten Wir-Bleiben-Alle-Mieterproteste Anfang der 1990er Jahre in Prenzlauer Berg dürften als Prototyp solcher Anti-Verdrängungs-Mobilisierungen gelten.

Doch mit der Aufwertung der Quartiere und dem Austausch der Bewohnerschaft verschieben sich nicht nur die Anforderungen der Bewohner/innen an ihre  Nachbarschaften, sondern die Konfliktstrukturen städtischer Proteste. Stadtteilbezogene Proteste – ihre Themen, ihre Artikulationsformen und nicht zuletzt die Zusammensetzung der Aktiven – können dabei als Indikator für die Veränderungsprozesse selbst gelten.

In den aktuellen Protesten gegen die bezirklichen Umbaupläne der Gehwege in de Kastanienallee wird dies exemplarisch deutlich. Das Bezirkamt argumentiert mit den erneuerungsbedürftigen Gehwegplatten und einer mehr als unbefriedigenden Verkehrssituation insbesondere für den Fahrradverkehr. Anwohner/innen und Gewerbetreibende sehen in den Umbauplänen vor allem eine Verkleinerung der Gehwegflächen, befürchten den Verlust der einzigartigen Atmosphäre der Straße und kritisieren die mangelnde Beteiligung an den Umbauplänen.

Mit  dem Slogan der Kastanie21 versuchen die Aktiven sich zumindest rhetorisch in die Nähe der Bahnhofsproteste in Stuttgart zu stellen. Die taz greift diese Selbstdarstellung ironisch auf und berichtet über den Bürgersteigaufstand in der Castingallee. Auch die Berliner Abendschau berichtet in einem Beitrag über die Proteste in Prenzlauer Berg: Streit in der Kastanienallee.

Vom Mietprotest zur Quality-of-Life-Mobilisation

Klassische Ansätze der Protestforschung analysieren Soziale Bewegungen nicht nur nach ihren politischen Gelegenheitsstrukturen, den Framing-Strategien sowie den der Bewegung zur Verfügung stehenden Ressourcen. Darüber hinaus können gerade Proteste in der Stadt auch als Spiegelung verschiedener Interessen in umkämpften Räumen gelten. Im Mittelpunkt eines solchen Ansatzes steht eine Kontextualisierung der Themen, Aktiven und der gewählten Protestformen. Die aktuellen Konflikte in und um die Kastanienallee  lassen sich im Vergleich zu früheren Mobilisierungen im Bezirk als inhaltliche, personelle und habituelle Verschiebungen skizzieren:

Thematische Verschiebungen: An die Stelle früherer Mobilisierungen um Mietsteigerungen, Modernisierungsverfahren und der Ausgestaltung von Sanierungssatzungen steht heute die Auseinandersetzung um die Umgestaltung der öffentlichen Straßenlandes. Abstrakter gesprochen haben sich die Konflikte von existentiellen und unmittelbaren Wohnfragen zu ästhetischen und funktionsbezogenen Auseinandersetzungen um das Wohnumfeld verschoben. An die Stelle von übergreifenden Forderungen (etwa nach Mietobergrenzen oder Fördergeldern) beziehen sich die aktuellen Proteste auf konkrete/einzelne Projekte (Marthashof, Kastanienallee, Mauerpark). Die überwiegend wohnungspolitischen Forderungen (Wir Bleiben Alle!, Keine Verdrängung!) ist der Verteidigung von lebensstilbezogenen Nachbarschaftsqualitäten (Angst um das Flair der Kastanienallee)  gewichen.

Personelle Verschiebungen: An dies Stelle der auf Massenmobilisierung setzenden Mieterproteste Anfang der 1990er Jahre und die institutionellen Bürgerbeiteiligung im Rahmen der (gewählten) Betroffenvertretungen werden die aktuellen Proteste vor allem von verschiedenen Initiativen getragen, deren Legitimität auf der öffentlichen Artikulation der jeweiligen Interessen basiert. Der Anteil von gewerblich mit den Themen der Mobilisierung verbundenen ist deutlich gestiegen. Waren beispielsweise in die Betroffenvertretungen der Sanierungsgebiete Gewerbetreibende und Hauseigentümer/innen eine seltene Ausnahme, dominieren Gewerbetreibende zumindest die öffentliche Wahrnehmbarkeit des Protestes gegen den Umbau der Kastanienallee. Die überwiegend akademische Zusammensetzung der Nachbarschaft prägt auch die neue Protestgeneration und hat das Laien-Professionellen-Gefälle in Beteiligungssituationen zugunsten der Bewohner/innen verschoben. Professionell mit Themen der Stadtentwicklung und Verkehrsplanung beschäftigt, artikulieren die Protestierende nicht nur abstrakte Ablehnung sondern legen fachlich hochwertige Alternativvorschläge vor.

Habituelle Verschiebungen: Die Organisation des Protestes kann sich anders als Mobilisierungen vor 15 Jahren auf moderne Netzwerkmedien stützen. Mehrere Webseiten, twitter-Hash-Tags und eine Facebook-Gruppe stehen für die neuen Mobilisierungsmedien.

Bürgerbeteiligung 2.0: Kastanienaktivist beteiligt sich übers Internet an der Diskussion im Bezirk (Bild: Prenzlberger Stimme)

Ein Vermittlungstreffen musste ausdrücklich in den Geschäfts-räumen der Grünen stattfinden, damit ein Aktivist mit verkehrspolitischer Expertise über eine Video-Schaltung via Internet an der Diskussion beteiligt werden konnte.

Auch wenn der am Protest beteiligte Dr. Motte die Anwohner/innen der Kastanienallee von den „neoliberalen Grünen wie Sklaven behandelt sieht“ und „Montagsdemos wie in der DDR“ vorschlägt, ist die  hegemoniale Selbstdarstellung des Protestes alles andere als  klassenkämpferisch. Protest formiert sich hier nicht von ‚unten gegen die da oben‘, sondern aus der (Neuen) Mitte der Gesellschaft. Die Verdrängungsprozesse der vergangenen Jahre werden nicht problematisiert, sondern geraten zum Ausgangspunkt des neuen Protestes.

Die Berliner Abendschau (0:17 – 0:37 min.) fasst treffend zusammen:

„K wie kreativ, kosmopolitisch kinderfreundlich und trotzdem irgendwie kuschlig – das ist die Kastanienallee“

Ebenfalls via Abendschau (1:11 – 1:27 min.) erklärt eine Münchener Journalismusvolontairin den Kiez zur zweiten Heimat:

„Das Feeling der Kastanienallee ist für mich einfach pures Lebensgefühl, pures Berlin und tolle Leute, süße Läden, nette Cafés. Ich fühl mich hier total wohl.“

Im Streit um die Kastanienallee geht es offensichtlich vor allem um dieses Lebensgefühl der aktuellen Bewohnerschaft – und für die Gewerbetreibenden auch um ihre Geschäftsgrundlage. Die im Zuge der Aufwertung der letzten Dekade entstandene Bewohner- und Gewerbestruktur soll in ihrem Kern konserviert werden. Wir haben es mit einem typischen Post-Gentrification-Protest zu tun: Die Pioniere und Gentrifier der vorherigen Aufwertungsphase schließen die Tore und verteidigen die von ihnen symbolisch und materiell angeeigneten Räume.


Antworten

  1. Die FAS hatte das Thema am letzten Sonntag auch aufgegriffen. Die Grünen Pankow haben den Text auf ihre Homepage gestellt: Tobias Rüther, „Unser Dorf soll nicht schöner werden“ (pdf)

  2. Die Überschätzung des eigenes Geistes hinsichtlich seiner Fähigkeit zur Vermeidung der Wahrnehmung von Wirkungen selbst geschaffener Ursachen ist nicht zu unterschätzen.

    Lieber Andrej, Danke aus dem Winsviertel für den Beitrag.

  3. […] Lest: Berlin: Post-Gentrification-Protest in Prenzlauer Berg « Gentrification Blog […]

  4. […] bereits das neueste Szeneentwicklungsgebiet geworden, während der Prenzlauer-Berg seltsame postgentrifizierte Konflikte um die mittlerweile Castingalle genannte Kastanienallee erlebt. Hier hat sich mit Kastanie21 ein […]

  5. […] oder KreativKastanie? das BIN-Berlin-Portal zur Rettung der Kastanienallee in Prenzlauer BergBerlin: Post-Gentrification-Protest in Prenzlauer Berg « Gentrification Blog bei Kastanie21 oder KreativKastanie? das BIN-Berlin-Portal zur Rettung der Kastanienallee in […]

  6. Aus Hamburger Sicht passt zu diesem Artikel:
    http://www.yuppiesgegengentrification.de/

  7. ich lese alles, was hier veröffentlicht wird. sehr oft nicke ich in meinem stillen kämmerlein dann vor mich hin. nicht selten bin ich dann recht bestürtzt, weil ich eigentlich das gefühl habe gar nichts zu verstehen. bis vor wenigen – ganz wenigen – monaten habe ich noch im prenzlauer berg gewohnt. ehrlich gesagt habe ich den tag herbei gesehnt, an dem mir der neue besitzer meines wirklich geliebten hauses endlich eine abfindung zahlen würde. fast mein ganzes leben lang habe ich hier im bezirk gewohnt. seit ein paar jahren erschien es mir aber einfach nicht mehr lebenswert hier zu wohnen. ich kann nicht genau sagen, was genau dieses gefühl hervorgerufen hat.
    vor wenigen tagen war ich nochmal im bezirk, bei meinem lieblingsthailänder,der ein vorzügliches mahl serviert. das allein wäre es schon wert gewesen. jedoch saßen am nachbartisch drei ältere herren, die sich angeregt über die situation in ihrem bezirk, in dem sie geboren sind – unterhielten. die drei herren, die locker meine großväter hätten sein können und ein ordentliches blatt auf den tisch legten, waren einhellig der meinung, dass ihr bezirk nun nicht mehr zu retten sei. auf der straße-selbst wenn man schwere dinge in der hand hätte, würde einem niemand mehr ausweichen. alles sei abgehoben – eben völlig unreal geworden.die alte heimat wäre mehr denn je von egoismus und geprotze geprägt.
    nur das wirklcih gute essen hielt mich davon ab, mich in die diskussion einzumischen. nicht etwa um zu widersprechen, sondern um meine sicht der dinge den bezirk betreffend einzubringen und letztlich um zu analysieren warum alles so geworden ist…
    ich finde es so traurig, wenn sich sogenannte zugezogene immer wieder darauf berufen wollen, dass es ihre anwesenheit erst möglich gemacht hat dieses und jenes haus zu sanieren, das sie den spielplatz (indirekt) finanziert hätten und das die altbewohner doch froh sein sollten, dass jetzt jemand bei ihnen einkauft.
    alles argumente, womit sich die finanzkräftigen auf die „gute seite“ stellen wollen. ethik und moral spielen auch in dieser debatte keine rolle. was mit der oma ist, die hier geboren wurde und die sich hier die sanierte wohnung nicht mehr leisten kann…egal! das die lebensqualität sinkt, weil man jede häuserlücke, die wir immer sonnenblick nannten geschlossen wird…egal! das die ganzen clubs zumachen, die kultur verschwindet,weil die bewohner der neubauten neben den clubs auf einmal merken, dass ein club laut sein kann…egal!
    das größte problem aber ist, dass ich mich oft selbst nicht mehr leiden kann. wenn ich -glücklicherweise nur noch selten – im prenzlauer berg unterwegs bin, dann muss ich mich ermahnen nicht ständig auf die kennzeichen der autos zu schauen. menschen, die an mir vorbeilaufen und dabei „westdeutsch“ sprechen lösen bei mir innerlich gleich übermäßig schlechte reaktionen aus. und das ist es, was mittlerweile den ganzen bezirk umgibt – eben was die drei männer in meinem lieblingsrestaurant meinten. die stimmung – ganz allgemein – ist nicht mehr das, was sie mal war. es liegt nicht an altbauten, die einschußlöcher haben, an abgefuckten dealern in einschlägigen straßen oder anderem. kein mensch vermisst das – kein alteingesessener. es geht allein um die tatsache, dass das was heute im prenzlauer berg existiert keine gewachsene struktur mehr ist. und wenn man das weiterdenkt, dann ist das auch völlig normal, solange wir uns in eben diesem system befinden, wo einfach geld über moral und ethik steht. ich habe also bin ich – und darf mir alles erlauben. im grunde ist doch die ganze gentrificationdebatte eine kapitalismusdebatte.
    ich sehe da nur wenige lösungsansätze; der allererste wäre, dass man primärgüter dem spekulationsmarkt entzieht. somit wären nahrung, wohnung, öffentliche verkehrsmittel und energieversorgung von der preistreiberei ausgenommen und die drei herren aus dem reataurant könnten dennoch entscheiden welchen TFT-fernseher sie nach hause schleppen. das gut daran wäre, dass ihnen auf der straße wieder platz gemacht würde.

  8. nach 12 jahre in prenzlauer berg bin ich auch vor kurzem raussaniert worden, und es geht mir dabei ähnlich wie „keinelatte“. ich wusste, dass es immer schlimmer wurde – in der ecke, wo ich war, war es aber nicht soooo schlimm, und so hip wird es an der b96a wohl auch nie, auf jeden fall nicht, solange der thälmann-denkmal gegenüber (im „danziger park“, hihi – altstalinisten, die im kz umgebracht wurden eignen sich wohl nicht, wenn es um die namensgebung von spekulantenobjekten geht) bleibt und die WIP/GESOBAG nicht an cerebus und co. verscherbelt wird… aber um die ecke im „kiez“, ugh.

    und das merke ich extrem, seitdem ich weg bin. wenn ich wieder mal im bezirk unterwegs bin, stelle ich fest, wie wahr die klischees sind. die yuppiemütter, die nicht daran denken, aus dem weg zu gehen, wenn eine alte oma mit stock mal durch den schnee nicht weiterkommt. ne, die leistungsfähige frauen gehen einfach weiter, wer nicht schnell gehen kann, wird aus dem weg geschoben. ähnlich ist es in den läden. wenn es irgendetwas nützliches gäbe, dienstleistungsbetriebe und so… tja, fehlanzeige.

    aber egal. auch wenn ich durchaus verstehen kann, dass die kastanienallee kein hauptverkehrsstraße werden sollte und auch, dass parkplätze grundsätzlich schlecht sind, und dass gehwege (bin fußgänger) besser sind: wenn ich plakate lese, wo es „GEGEN DIE ZERSTÖRUNG DER KASTANIENALLEE“ heißt, denke ich: hm, wenn man es so sieht, dann wäre ich dafür. gibt es keine angloamerikanische (wie es in DDF-deutsch hieß) bomber, die man dafür holen kann? ich wette, dass man dafür sogar einiges an geld sammeln könnte. als fußgänger komme ich eh nicht durch.

  9. „im grunde ist doch die ganze gentrificationdebatte eine kapitalismusdebatte.“ -> so sieht es mal aus.

  10. […] anderesartiger stadtnutzung zeichnet sich ab. diesmal: strandbar gegen baugruppe am spreeufer°°°kastanienalleeanwohnerInnen wollen keinen umbau der strasse°°°° in der neujahrsnacht wurden farbbeutel, brandsätze und […]


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