Verfasst von: ah | Dezember 27, 2008

Ein Schwabe macht noch keinen Sommer

Mit mehreren Monaten Verspätung haben pünktlich zu Weihnachten die Feuilletons einiger überregionalen Zeitungen das Thema des angeblichen „Schwabenhasses“ in Ostberlin aufgegriffen. Während es die bisher 8 Brandanschläge gegen Luxuswagen im Dezember in Friedrichshain-Kreuzberg (siehe Xhain.info) gerade einmal in den Polizeiticker schaffen und „Steine auf die Carloft-Baustelle“ nur auf den Lokalseiten der taz eine Kurzmeldung wert waren, werden zu monatealten Plakaten in Prenzlauer Berg gleich mehrere größere Artikel in überregionalen Zeitungen veröffentlicht. Verstehe einer die Sensationssucht der Medien… Hintergrund sind offensichtlich parodierende Plakatserien, in denen die Reisegewohnheiten zugereisten Neubewohner/innen von Prenzlauer Berg zu Weihnachten auf die Schippe genommen wurden. Bereits seit ein paar Jahren tauchten zu den Feiertagen solche und ähnliche Plakate auf: „Ostberlin wünscht dir eine gute Heimfahrt„.

Nachdem der Tagesspiegel („Klage auf Schwabenersatz„) vor einem Jahr die Plakatserie als „ein Scherz, über den nicht jeder Passant lachen kann“ bezeichnete, wurde im Sommer über Schwaben-raus!-Graffiti und Anti-Schwaben-Plakate berichtet. Das RBB-Magazin polylux versuchte mit einem Beitrag „Fuck Yuppies – Der Widerstand gegen die Gentrifizierung“ die Hintergründe der Anti-Schwaben-Stimmung auszuleuchten und auch verschiedenen Weblogs (Reifenwechsler | Stoppt Stuttgartisierung!) griffen das Thema auf.

Seit dem Sommer gab es wenig Neues zum Thema, bis nun die Süddeutsche („Schwaben raus!“) und die Frankfurter Rundschau den „Schwabenhass in der Hauptstadt“ erneut in die Schlagzeilen brachte. Auf der Erklärungssuche greifen beide Zeitungen auf die Meinung des Stadtsoziologen Hartmut Häußermann zurück. Nicht, ohne zu betonen, dass der selbst aus Waiblingen zugezogen sei…

In der Südeutschen Zeitung heisst es:

So kommt mit den Zuwanderern oft Geld und ein gesteigerter Lebensstandard in die Stadt, viele von ihnen sind klassische „Gentrifizierer“. Häußermann vermutet: „Womöglich potenzieren sich im klassischen Schwabenbild – sparsam, fleißig, ordentlich – alle Eigenschaften, die diese Prozesse beschleunigen.“ Dass gerade unter den jungen Menschen, die neu nach Berlin kommen, viele Baden-Württemberger sind, kann auch er sich vorstellen…

Auch in der Frankfurter Rundschau wird über das verkürzte „Feindbild Schwabe“ sinniert, statt nach den stadtpolitischen Hintergründen der darin zum Ausdruck kommenden kulturellen Dissonanz zu fragen:

Verdrängung der Bewohner durch Nobilisierung ganzer Viertel, diese Angst steht hinter der Ablehnung wohlsituierter Neuberliner. Die Schwaben dienen als Feindbild, weil schlichte Gemüter „Erklärungen suchen, die leicht verständlich, aber meistens falsch sind“, vermutet Hartmut Häußermann. Der aus Waiblingen stammende Professor für Stadtsoziologie an der Berliner Humboldt-Universität meint, eine Maßnahme gegen die Verdrängung der alten Berliner wäre, ihren Wohnraum günstig zu modernisieren.


Antworten

  1. Der Reifenwechslerblog wird in dem zitierten Artikel der Süddeutschen Zeitung („Schwaben raus!„) als „Hass-Blog von Jenz Steiner“ bezeichnet und als Quelle des angeblichen Schwabenhass ausgemacht.
    Das verwundert, beginnt doch der dafür herangezogene Blogeintrag mit den Worten „Nein! Ich habe kein Problem mit Schwaben. Habe ich wirklich nicht. Ich kenne sogar Leute aus der Ecke, die ich sehr schätze. Manche haben mich schon zum Rote-Grütze-Essen eingeladen…“.

    Auch der von Charlotte Frank wiedergegebene Beweis für Steiners Schwabenhass wirkt reichlich aus dem Zusammenhang gerissen.
    Zitat Süddeutsche: „Ein Blick in den Hass-Blog von Jenz Steiner klärt auf: „In Berlin hat sich das Wort ,Schwabe‘ für einen gewissen Schlag Menschen eingebürgert, der für Bohemian Bourgeois, für Schnösel, Yuppies, Agenturfuzzies und hippe Neureiche steht.“
    Im Blog von Jenz Steiner geht es an dieser Stelle wie folgt weiter: „Das ist nicht auf meinem Mist gwachsen. Der Begriff ist inzwischen vollkommen losgelöst von Menschen mit Wurzeln im Schwabenland. (…) Mittlerweile geht es mir sogar selbst auf die Nerven, wenn ich das Wort höre.“ Für einen echten ‚Hass-Blogger‘ klingt das reichlich harmlos. Aber differenzierte Ostberliner wären in der Süddeutschen sicher auch keinen Beitrag wert…

  2. hi !
    ich habe mich mit dem Thema 6 Jahre an der HUmboldt-Universität beschäftigt, da dort mehr und mehr Leute aus den neuen Bezirken registriert waren. Die Grundprobleme vieler Berliner grade mit den Schwaben sind meiner Erfahrung nach vor allem 2:
    a) die extreme Konzentration innerhalb der Gegend Prenzlauer Berg – Friedrichshain- Kreuzberg
    und vor allem
    b) die Art und Weise wie sich exponierte Exemplare verhalten. Kaum 1 Woche in Berlin wohnend erklären sie mir ( dessen Familie seit 1930 in der gleichen Wohnugn in der Senefelder 30 wohnte) ich müsse doch mal nach P-Berg weil sie würden sich da in „Ihrem“ Kiez auskennen und könnten mir alles zeigen. Das habe ich von keinem Sachsen, Thüringer oder Kieler erlebt.

    Daher ist das vor allem einer der Gründe seine freundliche Haltung ein wenig aufzugeben.
    Liebe Grüße und vielen Dank für diesen Blog sowie natürlich die Idee für meine 1,0 Examensarbeit.

  3. Ist das alles nicht etwas armselig? Für mich klingt das schon ziemlich stark nach Fremdenhass und Vorurteilen.

    Die Schwaben nehmen uns unsere Arbeitsplätze, unsere Wohnungen und unser Viertel weg. Schwaben raus!

  4. Auch wenn ich nur selten wegen einer Bekannten, die dort wohnt, im Prenzlauer Berg war: Ab jetzt werde ich den Bezirk meiden wie die Pest, denn dort stinkt es pervers nach piefigen, kleinbürgerlichen Vorurteilen.


Hinterlasse einen Kommentar

Kategorien