Verfasst von: ah | Februar 2, 2012

Berlin: Liebig 14, Schokoladen und die Neuordnung der Innenstadt

Pünktlich zum Jahrestag der Räumung des Hausprojektes in der Liebigstraße 14 poppt die Diskussion um subkulturelle Freiräume in neuer Schärfe auf. Nicht nur die angekündigten Mahnwachen und Demonstrationen zum Jahrestag der Räumung der Liebig 14 sondern auch das für den 22. Februar angekündigte Ende des Schokoladens in Berlin Mitte lässt die Hauptstadtmedien eine „Eskalation der Gewalt“ vermuten.

Der Tagesspiegel weiss, „Linke Gruppen wollen weiter protestieren„, der Berliner Kurier sieht einen „Kiez in Angst vor dem linken Terror„, in der Morgenpost ist zu lesen, die  „Polizei rechnet mit weiteren Krawallen“ und selbst die taz hält „Scharmützel für nicht ausgeschlossen„. Glaubt man dem Tagesspiegel wird nur der eisige Winter Berlin vor den Ausschreitungen retten: „Liebig 14: Der Polizei kommt die eisige Kälte recht„:

Ein Ermittler zeigt sich trotz der zu erwartenden Ausschreitungen relativ gelassen: Bei nächtlichen Temperaturen von minus 12 Grad und um die minus acht Grad tagsüber „vergeht auch hartgesottenen Linksradikalen die Lust an der Randale“.

Wenn Journalist/innen von Gewalt schreiben, scheinen sich regelmäßig die Hirnbereiche für kritische Nachfragen zu deaktivieren. Statt Hintergrundrecherche und Ursachenanalyse beschränken sich die meisten Beiträge auf einen Mix aus Empörung und polizeilichen Einschätzungen. Das ist schade, denn gerade Beispiele wie die Liebigstraße 14 oder die Kündigung des Schokoladens bieten ausreichend Anlass für einen Blick auf die aktuellen Konfliktlinien in den Innenstadtbezirken.

In den medialen Gewaltprojektionen wird eine ja auch real vorhandene Unterstützung für die Projekte unterstellt, die weit über das einzelne Haus oder den einzelnen Veranstaltungsort hinaus geht. Dieser offensichtlich hohe Symbolgehalt der vollzogenen (Liebigstr. 14) bzw. angekündigten (Schokoladen) Räumung weist dabei auf einen übergeordneten Konflikt, der nichts weniger beinhaltet als die Aufkündigung einer 20 Jahre aufrechterhaltenden Duldung subkultureller Freiräume in der Berliner Innenstadt.

Die Aufkündigung des Legalisierungskompromisses

Ein Blick zurück führt uns in die Zeit der letzten großen Häuserkämpfe in Berlin Anfang der 1990er Jahre. Mehr als 130 Häuser wurden damals vor allem in Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain besetzt. Nach einer zweitägigen Straßenschlacht um die Räumung  der Mainzer Straße hatten die Regierung und Hausbesetzer/innen zwei Ziele: Die einen wollten endlich wieder Ruhe in der Stadt haben, die anderen in ihren Häusern bleiben. Herausgekommen ist ein politischer Kompromiss, der in Form von Verträgen für die Besetzten Häuser Gestalt annahm. Die an Runden Tischen in den Bezirken ausgehandelten Rahmen- und Nutzungsverträge erfüllten die Befriedungswünsche der Regierung ebenso wie die Legalisierungshoffnungen vieler Hausbesetzer/innen. Kurzum, ein status quo wurde erhandelt, der der damaligen Kräftebalance entsprach. Bis auf wenige Ausnahmen wurde dieses politisch erstrittenen Stillhalteabkommen über Jahre hinweg von beiden Seiten eingehalten.

Die jüngsten Räumungen (Brunnenstraße 183, Liebigstraße 14) und Kündigungen stehen für die einseitige Aufkündigung des Post-Mainzer-Häuserfriedens in Berlin. In allen Fällen waren es neue Eigentümer die nach z.T. mehrfachen Verkäufen der Häuser, die Anfang der 1990er Jahre geschlossenen Verträge einer juristischen Prüfung unterzogen und – welch Wunder – in den hastig von Laien an Runden Tischen ausgehandelten Verträgen Lücken fanden, die sie fortan für ihre Verwertungsinteressen zu nutzen suchten. Wenn aber 20 Jahre nach dem Ende des Häuserkampfes die Befriedungsverträge aufgekündigt werden, braucht es eigentlich keine große Phantasie, den daraus erwachsenen Unmut zu erklären.

Das Ende der Subkultur und die Neuordnung der Innenstadt

Die Aufkündigung der Befriedungsstrategien trifft die ehemals besetzten Häuser zu einem Zeitpunkt, an dem die künftige Entwicklung der Innenstadtquartiere selbst zu einem umkämpften Thema geworden ist. Clubschließungen, peinliche Lärmklagen und steigende Mieten weisen gleichermaßen in die Richtung, dass die Zeit der Subkultur und Freiräume in den innerstädtischen Wohnquartieren abgelaufen ist. Die Kündigung des Schokoladens oder auch der auslaufende Vertrag der KvU stehen symptomatisch für die mit der Immobilienverwertung einhergehende Verbürgerlichung der Nachbarschaften. Punkmusik, bunte Fassaden und improvisierte Kunst sind zwar gut fürs Image der Stadtteile, stehen aber letztendlich dem Verkauf von teuren Eigentumswohnungen, exklusiven Geschäftsnutzungen und einem florierenden Tourismusgewerbe im Wege. Die hier zur Rede stehenden Räumungen sind Teil einer umfassenden Neujustierung des Berliner Stadtentwicklungsmodells. Nach 20 imageprägenden Jahren Spielwiese für Subkultur, bunte Fassaden und Experimentierräume für unkonventionelle Lebensmodelle reklamieren die Eigentümer, Investoren und beruflich Erfolgreichen die Innenstadt für sich zurück. Als sei es ein Naturgesetz, dass allein das ökonomische Vermögen darüber entscheidet, was in den Zentren der Städte geschieht.

Wenn Markus Hesselmann in seinem unmöglich ernst gemeinten Kommentar im Tagesspiegel schreibt

Eine dynamische Szene braucht keinen Artenschutz und keinen Kampf gegen „Gentrification“. Sie sucht sich neue Freiräume.

dann verkennt er großzügig, dass es eben diese (auch neuen) Freiräume sind, die in weiten Teilen der Innenstadt rapide schwinden. Was er hier forsch von der Szene fordert, war ja der Modus der letzten Dekade. Die Umzüge von Clubs und Strandbars, die Neueröffnung von neuen Veranstaltungsorten und die Schwerpunktverlagerung von ‚hippen‘ Wohnorten folgte über Jahre hinweg der fatalen Logik von Zwischennutzungen und lässt sich wie eine Schleimspur der Aufwertung durch die Stadt verfolgen. Doch der Kreis hat sich geschlossen: Die Szene ist über Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain zurück nach Kreuzberg und sogar Neukölln einmal durch die Innenstadt gezogen. Die Wanderungslogik des Einen-Kiez-Weiter-Ziehens beisst sich in den eigenen Schwanz und es ist kein Wunder, dass es nun auch ums Bleiben-Wollen geht. Der unvermeidliche Hinweis auf die vielen anderen Gebiete der Stadt – vielleicht gibt es ja in Lichtenberg, Wedding oder Tegel freiraumgeeignete Flächen und Orte – kann mit der selben Berechtigung auch an die Beukerts, Immowerts, Friedrichs und all die anderen Investoren adressiert werden.

Wie so oft in städtischen Konflikten geht es um nichts weniger als die simple Fragen, wem denn die Stadt gehört und in welcher Stadt wir leben wollen? Die unterschiedlichen Interessen und Ansprüche an der Innenstadt prallen aktuell mit großer Heftigkeit aufeinander und werden ausgefochten. Die Liebig 14 oder der Schokoladen sind dabei weder Grund noch Zentrum dieser Auseinandersetzung – aber symbolisch aufgeladene Austragungsorte. Kurzum: Es geht um mehr und es wäre schade, wenn dies in der Aufregung um „Krawalle“, „Scharmützel“ und „linken Terror“ auf der Strecke bliebe.


Antworten

  1. […] Stadtsoziologe Andrej Holm über Liebig14, anstehende Räumung des Schokoladen und die Neuordnung der Innenstadt […]

  2. Ich finde es ja bemerkenswert, dass du so ruhig über den Kommentar von Hesselmann im Tagesspiegel referieren kannst. Er ist in der Tat unmöglich ernst gemeint, aber der Tagesspiegel hält es offenbar nicht für rufschädigend, solch einen Blödsinn zu drucken. Auch das ist bemerkenswert.

  3. Journalismus im Dienste des Marketing

    Markus Hesselmann vom Tagesspiegel hat seinen Kommentar offensichtlich so verfasst, um dem zeitgleich neu eingeführten Newsletter beim Tagesspiegel entsprechende Aufmerksamkeit zu verschaffen. Ebenso wurde nämlich in seinem Namen am 1.2. eine begleitende Werbe-Rundmail zumindest an alle Nutzer verschickt, die beim Tagesspiegel für die Kommentarfunktion angemeldet sind. Hier die Werbe-Mail im Auszug:

    „Willkommen zum neuen Tagesspiegel-Newsletter

    Lieber Leser,

    welche Themen diskutiert die Tagesspiegel-Redaktion? Worüber wollen wir informieren, was wollen wir analysieren, was kommentieren? Welche Debatten wollen wir anregen? Mit unserem neuen Newsletter können Sie jeden Nachmittag einen Blick hinter die Kulissen werfen. Meine Kolleginnen und Kollegen präsentieren Ihnen ab sofort täglich unsere persönlich ausgewählten Leseempfehlungen.
    (…)
    Mit dem Newsletter-Service von Tagesspiegel.de bestimmen Sie in Zukunft selbst, zu welchen Themengebieten Sie sich informieren und von uns anregen lassen wollen.
    (…)
    Heute ist es vor allem die Liebigstraße 14 und deren Räumung vor einem Jahr, die den Tagesspiegel beschäftigt – bis hin zu meinem Leitartikel der gedruckten Ausgabe vom Donnerstag, den Sie schon heute Abend ab 19 Uhr in unserer iPad- und iPhone-App lesen können. In unserer Konferenz haben wir uns mit dem Begriff „Gentrifizierung“ befasst – ein Wort, das meist mit Blick auf Verdrängung alteingesessener Kiezbewohner verwendet wird, aber doch auch dafür steht, dass sich eine Metropole weiterentwickelt und immer neu erfindet.
    (…)
    Viel Spaß,
    Markus Hesselmann
    Redaktionsleiter Tagesspiegel.de“

  4. Großartiger Text! Danke. Danke. Danke.

  5. […] Pünktlich zum Jahrestag der Räumung des Hausprojektes in der Liebigstraße 14 poppt die Diskussion um subkulturelle Freiräume in neuer Schärfe auf. Nicht nur die angekündigten Mahnwachen und Demonstrationen zum Jahrestag der Räumung der Liebig 14 sondern auch das für den 22. Februar angekündigte Ende des Schokoladens in Berlin Mitte lässt die Hauptstadtmedien eine „Eskalation der Gewalt“ vermuten. Quelle: Gentrification.Blog […]

  6. Was noch nicht benannt wird, aber auch die bürgerliche Presse nicht kalt lassen würde wäre eben ein Hinweis darauf ( am besten aus einer Organisation, AKS Gewerkschaft oder dem Paritätischen):

    nicht nur wird der bestehende Konsenz bezüglich der subkulturellen Freiräume durch die aktuellen Entwicklungen für obsolet erklärt, auch
    das bisher stets geschaffene aufgeklärt-demokraitsche Selbstverständnis,
    das Berlin eine „soziale Stadt “ sei wird immmer deutlicher zu einer Schimäre und das nicht ohne tiefgreifenden Schaden zu bewirken.

    Nämlich wird seit über einem Jahrzehnt immer auf eine Sozialpolitik verwiesen, die Behinderten einen Platz im Gemeinwesen bietet und somit das dunkle Eebe des NS der Azusgrenzung dieser sozial schwachen Gruppe
    durch eine Integration in ihre Sozialräume ersetzen will.

    heutzutage allerdings werden lange diskursiv gepflegte Worte zu neoliberaler Propaganda, die nurmehr dem Profit und der Funktiona-lisierung aller Menschen im Sinne der Profitsteigerung ( also = sozialstaatlich : der Einsparung von bisherigen sozialen Rechten)diehnt.

    Zunehmend werden die sozial Schwachen „Behinderten“ – also alle die nicht mithalten können daran gehindert in ihren teuer werdenden Kiezen wohnen zu bleiben, oder aber sie können dort nicht hinziehen, wenn sie es wünschen. Wenn das früher eben Neukölln, Wedding und Kreuzberg nicht so sehr betraff, so ist das Heute nicht mehr so. Diese Kieze machen sich chic und Menschen werden verdrängt, auch wenn die Politik noch so tut, als wenn das nicht zu beachten wäre. Gleichzeitig verstärken die Sparpolitiker ihre ideologischen Angriffe auf diese Personen, die ihnen in Wirklichkeit nicht am Herzen liegen, (nur als Stimmvieh gelegentlich)
    indem die Floskel vom sozialen Wohnraum nun benutzt wird, um aufsuchende soziale Hilfen einzusparen. Das es sich wiederspricht, dass leute verdrängt werden, sie ihre sozialen Hilfen aber aufgrund der propagandistischen Floskel vom „Sozialraum“ verlieren weist darauf hin, dass ganz offen eine Getthoisierungspolitik auf den Programmen der
    neoliberalen Sparszwangpolitiker steht. Diesen Skandal haben die
    HäuserbesetzerInnen noch gar nicht erkannt…..denn die Betroffenen schreien in der Regel nicht laut, sondern leiden leise.

    Ruth L.

  7. […] soll er das nicht auch bei denen hinkriegen? Einen guten, aufklärenden Artikel gibts zum Beispiel hier, auf dem […]

  8. […]Einen guten, aufklärenden Artikel gibts zum Beispiel hier, auf dem Gentrification-Blog.[…]
    http://geigerzaehler.blogsport.de/2012/02/07/dies-und-das-vi/

  9. „Punkmusik, bunte Fassaden und improvisierte Kunst sind zwar gut fürs Image der Stadtteile, stehen aber letztendlich dem Verkauf von teuren Eigentumswohnungen, exklusiven Geschäftsnutzungen und einem florierenden Tourismusgewerbe im Wege.“ …stimmt schon, aber gerade das florierende Tourismusbusiness wird wesentlich zurückgehen. Berlin mit mittlerweile um die 30.000 Betten mehr als New York im Vergleich (Jan/2012) wird die tollen schicken Hotels gar nich mehr füllen können ( ma gucken was denn aus denen wird, wie das erste Interconti am Anhalter Bhf. ´n Asylheim, Krankenhäuser, Armenhäuser…). In fast jedem Reiseführer über Berlin findet man genau die hier erwähnten Berliner Kulturbrutstätten, genauso wie´s Tacheles, Clubs & Kneipen. Doch es ist ruhig geworden in unsern Altbaublocks und Citykiezen. Der M10 Partytrain am Wochenende abends/nachts von Warschauer über Eberswalder bis Nordbahnhof is auch ruhiger geworden in den letzten Monaten (juter BerlinIndikator find ich!), die Oburger ist seitdems Tacheles geräumt wurde abends noch vor Mitternacht wie ausgestorben und die Stühle stehn überall oben und die Bars bleiben zum Teil leer. Selbst die Mädels spaziern eher direkt am Hackeschen wo noch ´n paar Lichter brennen und müssen och mehr Ausschau halten…
    Auf der Suche nach den legendären Spots vom legendären alten Berlin werden die Touris enttäuscht, is nischt mehr los bei uns, die Strassen sind ruhig und die Bürgersteige werden hochgeklappt 🙂 Danke an dieser Stelle für 20 schöne zwischengenutzte Jahre Berlins!
    Baulandqualitäten von Freiflächen warn und sind halt wichtiger als soziokulturelle Schmuddelflecke für Stadt und Unternehmer- Besitz wird mit staatlicher Polizeipower geschützt und bewacht.
    Die Karawane zieht weiter? Stimmt schon, alles vergänglich und eh nur cool/spektakulär wenns nur temporär is, zwischengenutzt wird. Bleibt ja au noch ´n bisschen was über auf der Monopoly-Berlin-Karte. Der Chef da vom Kosp meinte ´ma die einzige Chance sei, dass die sanierte Mitte öde und langweilig wird und wieder in ´nen Dornröschenschlaf fällt, der bunte Fassadenlack irgendwann abblättert, Businessflagshipstores- und offices wieder weiterziehn, Leerstand einzieht, Mieten runtergehn, Läden leerstehn usw. Aber denn? wär ja wieder ´n marodes Viertel zum Auswringen da und der ganze bulls*** geht von vorne los? Hm naja keine Ahnung, wiederholt sich ja vieles auf unserer Welt. Die Sanierungskarawane bin ich hier in Mitte, bei der Oburger um die Ecke erst ma los, Problem is halt- dass nix mehr übrig is und och fast keener mehr um die Ecke wohnt.. Das neue erklärte Sanierungsgebiet für die nächsten 20 Jahre samt Milliönchen€Pumpe, Bauzukunft is ja die alte West City da in Charlottenburg-viel Spass!

    Ich wär ma für ´ne Bürgerinitiative zur Aberkenung des Namens Kollwitzstrasse-verdient se nich, umbenannt kann ´se werden in was ´se will, intressiert eh keinen mehr. Die Helga-Hahnemann-Straße beim Tacheles um die Ecke is Sinnbild für´s gebliebene alte Berlin und dessen Würdigung – nich ernst, olle Helga hätt sich bestimmt aufgeregt-´n Schlammtrampelpfad neben ´nem Parkplatz…

  10. „Die unterschiedlichen Interessen und Ansprüche an der Innenstadt prallen aktuell mit großer Heftigkeit aufeinander und werden ausgefochten.“

    Aber wird denn wirklich „gefochten“? Mir scheint nachdem Gentrifcation letztes Jahr Wahlkampfthema in Berlin war, ist kaum was passiert. Das sich eine starke Lobby gebildet hätte, um Mieterinteressen und eine entsprechende Stadtenwicklung zu unterstützen sehe ich bisher nicht.


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