Verfasst von: ah | März 30, 2012

Berlin: Zukunft, Stadt, Guggenheimatlos

Die Debatte um die Ansiedlungspläne des BMW-Guggenheim-Labs in Kreuzberg, die angeblichen Gewaltdrohungen und die realen Proteste bestimmen weiterhin die stadtpolitischen Debatten in Berlin.  Mittlerweile stößt nach Zeitungsmeldungen auch der Rückzug in den eher als spießig geltenden Prenzlauer Berg auf Widerspruch bei den dortigen Anwohner/innen. Im Tagesspiegel heißt es: „Guggenheim-Lab: Widerstand auch in Prenzlauer Berg„.  Auch die Prenzlauer Berg Nachrichten („Der Präventivschlag vom Pfefferberg„) sticheln gegen  das Lab und bezeichnen es als „eine Art Diskussionsforum in Form einer Kunstausstellung“ und zitieren genüsslich aus einem Protestschreiben verschiedener Hausgemeinschaften und Stadtteilgruppen aus Prenzlauer Berg:

Beim ersten Mal, als die Stiftung ankündigte, zum Pfefferberg zu kommen, hätten das manche Anwohner „gar nicht mitbekommen“, nun aber wisse man Bescheid und sei auch einhelliger Meinung: „Hier will das keiner.“ Kreuzberg habe Vorbildcharakter, heißt es auf der Internetseite des Vereins. „Immerhin gibt es jetzt einige Handreichungen,wie man Investoren verschrecken kann.“

Was immer von der Idee des BMW-Guggenheim-Labs gehalten wird, eines hat die Ankündigung der Zwischenstation in Berlin geschafft: eine stadtpolitische Debatten zu forcieren. Nach den ersten emotionalen Schlagzeilen („Linksextremisten vertreiben Guggenheim aus Kreuzberg„) hat sich bei vielen Medien mittlerweile eine tatsächlich neugierige Haltung des Verstehen-Wollens durchgesetzt.

Die Morgenpost hat Sigmar Gude ausführlich interviewt („Was Gentrifizierung für Kreuzberg bedeuten kann„) und bei 3sat gab es eine informative Reportage: „Kiez gegen Guggenheim„:

Die Berliner Zeitung („Es gibt viele Gründe für den Protest„) und auch die Jungle World („BMW steht für die Stadt von gestern„) haben mich zum Thema befragt und im Freitag gibt es einen kurzen Kommentar von mir („Protest und Diskurs: Kreuzberg will kein Guggenheim-Lab„).

Beitrag im Freitag, 29.02.2012

Protest und Diskurs: Kreuzberg will kein Guggenheim-Lab 

von Andrej Holm

Berliner CDU- und SPD-Politiker stellen den Protest der Kreuzberger gegen das BMW-Guggenheim-Lab in die Ecke der Provokation und Intoleranz. Das greift aber zu kurz

Das BMW-Guggenheim-Lab – ein mehrwöchiges Event zur Erkundung städtischer Trends – hat sich nach Protesten von Anwohnern aus Kreuzberg zurückgezogen. Ein Großteil der Medien und die Regierung zeigen sich bestürzt und sehen mindestens den Standort (Henkel, CDU) und die Weltoffenheit (Wowereit, SPD) Berlins gefährdet. Doch den Protest in die Ecke der Provokation und Intoleranz zu stellen, greift zu kurz.

Seit der Stararchitekt Frank Gehry in den 1990er Jahren in Bilbao eines der weltweit spektakulärsten Funktions­gebäude für die Dependance des New Yorker Museums errichten ließ, ist der „Guggenheim-Effekt“ zum geflügelten Wort geworden. Die baskische Metropole erhielt ein neues Wahrzeichen, verwandelte sich in eine wichtige Destination der internationalen Tourismusströme und erlebte eine umfassende gentrification der umliegenden Nachbarschaften. Die aktuellen Tendenzen der Stadtentwicklung wurden wie in einem Brennglas sichtbar: Eventisierung der Stadtpolitik, gewünschte Aufwertungsimpulse von Großprojekten und Rückkehr privater Initiative.

Auch wenn in Kreuzberg von der dreimonatigen Zwischennutzung einer Brache keine Effekte wie in Bilbao zu erwarten waren, steht das Lab doch im Zeichen der aktuellen Veränderungen im Stadtteil. Die mittlerweile internationale Attraktivität für Touristen, Wissens­nomaden und Investoren lässt seit ein paar Jahren die Mieten kräftig steigen, und spätestens seit den Plänen für das Investitionsprojekt namens MediaSpree ist klar, dass die lokale Gestaltungskraft eines traditionell selbstbewussten Kreuzberger Protestmilieus zunehmend unter die Räder von überlokalen Dynamiken, Inwertsetzungsinteressen und Entscheidungen gerät. Zugleich ist Kreuzberg immer noch der Stadtteil Berlins mit den geringsten Einkommen.

Guggenheim-Effekt umgekehrt

In dieses umkämpfte Terrain platzte das BMW-Guggenheim-Lab und ließ kaum einen Fettnapf aus. Der Standort: das künftige Baufeld einer umstrittenen Luxuswohnanlage. Das Format: der Expertendiskurs. Die Beteiligten: eine private Stiftung und ein Automobil­konzern. Die zu erwartenden Effekte: internationale Aufmerksamkeit und ein Imagegewinn für Kreuzberg. Die Proteste gegen das Lab waren kein Ausdruck der Intoleranz, sondern sind vielmehr ein Akt der Selbstachtung gegen die Verdrängung.

Zudem gelang es den als „standtortgefährdende Chaoten“ (Innensenator Henkel, CDU) Gescholtenen ganz nebenbei, das eigentliche Ziel des hoch­dotierten Expertendiskurses imLab zu erfüllen. Deutlicher als jede Podiumsdiskussion und jede Pecha-Kucha-Präsentation es vermocht hätten, erkundet der Streit um die Ansiedlung des Labs die Tiefen der aktuellen Konflikte des Städtischen. Kreuzberg steht dabei für das Gegenteil des Guggenheim-Effektes: Repolitisierung der stadtpolitischen Debatten, Stärkung der Bewohnerstrukturen und Proteste gegen Verwertungsinvestitionen und Selbstermächtigung der Nachbarschafts­initiativen.

Vielleicht wird dereinst der „Kreuzberg-Effekt“ zum Synonym für den Aufbruch der Nachbarschaften gegen eine unternehmerische Stadtpolitik – die Berliner Regierung könnte sich dann wenigstens über ein bisschen Weltruhm freuen.


Antworten

  1. […] II, Süddeutsche II, Tagesspiegel II, Kommentar, Andrej Holm, Andrej Holm II. (sorry just […]

  2. der zuschlag geht an: pankow. genauer gesagt: im berliner ortsteil prenzlauer berg wird das guggenheim-lab in kooperation mit bmw nun doch realisiert. so berichtet die tageszeitung http://www.taz.de/Kulturprojekt-bleibt-in-Berlin/!90870/. es bleiben dennoch die bereits für den standort kreuzberg aufgeworfenen fragen nach konkreten bedrohungszenarien durch gewaltbereite autonome. inwieweit es den initiatoren und dem berliner senat gelingen wird, eine stadtpolitische eskalation zu verhindern und dem gedanken eines laboratoriums um die zukunft unserer städte gerecht zu werden, wird sich erst vor ort und das drei wochen später als ursprünglich geplant erweisen. es steht jedoch zu fürchten, dass sich ab heute das gelände des pfefferberges, auf dem ich selbst gerne partygast zur nacht bin, in ein polizeilich überwachtes sicherheitsgelände mit besonderer gefährungslage verwandeln wird. schade für die party.

  3. >[…]und bei 3sat gab es eine informative Reportage: “Kiez gegen Guggenheim“:

    Lieber Andrej,

    besonders informativ fand ich die Reportage nicht, habe mich danach eher gefragt ob die Macher besonders perfide vorgegangen sind oder die Situation unabsichtlich einfach nur auf den Punkt gebracht haben.

    Einen revolutionären Hintergrund sehe ich nur bedingt, wenn es vermeintlich vor allem darum geht seinen Hund frei laufen und ihn nach Lust und Laune auf die Wiese scheißen zu lassen.

    Das autonome Geschwurbel aus dem Off – einschließlich sorgenvoll dreinblickender Redakteurin(?) – war inhaltlich dann auch nicht besser und ich muss bei solchen Sprechblasen immer an dieses wunderschöne Interview mit Justus Wertmüller denken:

    Der anschließend befragte nette kreative Berliner(?) wollte ja einfach nur gefragt werden, auch wenn seine Meinung vermutlich eh schon vorher feststand…

    Das gute an dem Beitrag war, dass er mich noch mal an dieses sehr interessante Interview mit Roger Behrens erinnert hat, und das es sicher wert ist noch einmal nachgehört zu werden:

    http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=32417

    Viele Grüße vom kleinen b ins dicke b,

    @ndreas

    • Boah, da ist aber jemand der Abgrenzung bedürftig, holla!
      Na, wenn’s hilft – andere versuchen derweil politisch was in Bewegung zu bringen.

    • Ja, lustig wie jemand sich über die Schubladen der Anderen aufregt und diese dabei vielfach potenziert.

  4. Ich lese ja gern, was du auf deinem Blog schreibst und fand sehr treffend, was du über das Lab für den Freitag geschrieben hast. Allerdings erscheint mir im Gegensatz dazu deine gegenüber der Jungle World geäußerte Einschätzung, die Dossier-Veranstaltung im Abgeordnetenhaus stelle eine Repolitisierung der Stadtpolitik gerade dadurch dar, dass die Politiker den Betroffenen und Mietaktivisten mal zuhören mussten, überhaupt nicht. Das halte ich für naiv und die politisch-ökonomischen Verhältmisse grob fahrlässig verschleiernd. Zudem hat die Veranstaltung ja gerade gezeigt, dass die Politiker praktisch nichts zu bieten hatten außer brav zuzuhören. (Und die Oppositionspolitiker/innen froh waren um die Gelegenheit, sich mittels hohler Phrasen anzubiedern, wie die Vertreterin der Grünen am besten gezeigt hat.)

    Doch präsent sind die Probleme der Mieter/innen ja seit ein paar Jahren, unübersehbar in den medialen Räumen der Stadtöffentlichkeit, wenn man nur ein bisschen bereit ist zuzuhören. Die praktische parlamentarische Stadtpolitik hat dies jedoch nicht im Mindesten erschüttert, es geht im Wesentlichen alles weiter wie gehabt.

    Wenn die Dossier-Veranstaltung etwas gezeigt hat, dann dass sich die institutionalisierte Politik nur ändert, wenn außerparlamentarisch noch viel mehr Druck, durch Veränderung des öffentlichen Klimas, hergestellt wird. Dieser Druck entsteht aber nicht durch Bitten oder Erklärungsversuchen gegenüber den politisch Verantwortlichen, ganz gewiss nicht. Sondern wird dann erreicht, wenn die politisch Verantwortlichen befürchten müssen, dass ihnen die Kontrolle der stadtpolitischen Situation, z.B. gegenüber Ansätzen der Selbstermächtigung, entgleitet.

  5. […] in diesem speziellen Fall angebracht war, darüber lässt sich streiten. Immerhin gab es eine angeregte Debatte und das Projekt wurde verschoben, sowohl zeitlich als auch […]


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