Verfasst von: ah | Mai 26, 2013

Filmtip: „Betongold. Wie die Finanzkrise in mein Wohnzimmer kam“

„Betongold. Wie die Finanzkrise in mein Wohnzimmer kam“ (Film von Katrin Rothe)

Gestern gab es ja als Alternative zum Champions-League-Finale in der Volksbühne nicht nur den Tag des Mieters (der zumindest bei der Podiumsdiskussion am Abend recht eindeutig ein Tag der Mieterinnen war), sondern auch die Prämiere von Katrin Rothes neuen Film: „Betongold. Wie die Finanzkrise in mein Wohnzimmer kam“.

Für alle, die diese Gelegenheit verpasst haben, gibt es eine zweite Chance:

Arte, Donnerstag (30.05.) 23:30 Uhr: „Betongold. Wie die Finanzkrise in mein Wohnzimmer kam

In der Ankündigung des Fernsehsenders heisst es:

Vor sechs Jahren wurde die globale Finanzkrise durch amerikanische Immobilienkrediten ausgelöst. Jetzt droht die nächste Immobilienblase (…) Der Dokumentarfilm erzählt emotional und berührend die Geschichte einer Hausgemeinschaft, die plötzlich in den Strudel des Immobilienhypes gerät. Mit ihrer Kamera hält die Ich-Erzählerin den monatelangen Kampf der Mieter gegen Einschüchterungen und Schikanen fest.

Was sich zunächst anlässt wie das Selbstporträt einer räumungsbedrohten Mieterin, entwickelt sich zu einer eindrucksvollen Dokumentation des Geschäftsmodells der Umwandlung in Eigentumswohnungen und der Strategien der Entmietung.

Das Geschäft mit der Entmietung

Die Ausgangslage in der Bergstraße 62 ist relativ schlicht: mit Eigentumswohnungen lässt sich viel Geld verdienen – was im Wege steht, sind allein die Mieter/innen. Die müssen raus – wollen aber nicht.

Der Film dokumentiert die gesamte Spannbreite des Verdrängungsarsenals der Immobilienbranche: von der Modernisierungsankündigung mit fast 200 prozentiger Mietsteigerung, über Abmahnungen wegen angeblich verpasster oder verweigerter Wohnungsbesichtigungen von Kaufinteressierten, Bauarbeiten an der Grenze des Baurechts, Psychoterror durch nächtliche Anrufe, dubiose Geldangebote von unbekannten Dritten, das Einschalten einer Firma, die auf die „Konfliktlösung bei der Entmietung von Objekten“ spezialisiert ist (siehe Beitrag im MieterEcho, 354) bis hin zu einem Brand in der Wohnung eines ebenfalls störrischen Mieters in einem anderen Haus des Firmengeflechts… All das wird völlig zu Recht als Einschüchterung wahrgenommen, auch wenn keine gerichtsfesten Beweise für Nötigungen, Drohungen oder die Brandstiftung vorliegen.

Doch Katrin Rothe gibt mit ihrem Film nicht nur einen Einblick in die gnadenlose Welt der Entmietung, sondern zeigt auch auf, wie dünn das Eis der Entmietungsbranche ist. Das selbstbewusste Bestehen auf Zeugen bei Wohnungsbesichtigung (in einem Fall ist sogar die ganze Hausgemeinschaft in der Wohnung) lässt die Souveränität von Eigentümer und Maklerin dahinschmelzen, auch die Anwesenheit der Anwältin hat offenbar einen unmittelbar mäßigenden Einfluss auf die Drohgebärden des Eigentümers und eine aus Handelsregisterauszügen zusammengestellte Liste des Firmengeflechts stösst beim Eigentümer auf wenig Gegenliebe.

bergstrasse62

Erst Verdrängen und dann auch noch den Mund verbieten: Stillgelegte Webseite zur Entmietung der Bergstraße 62 in Berlin-Mitte

Transparenz ist offensichtlich nicht gewünscht. Ein Nachbar der Hausgemeinschaft wurde vermutlich im Rahmen einer außergerichtlichen Einigung sogar dazu verpflichtet, die Webseiten mit den Informationen zu Eigentümer und Hausverwaltungen stillzulegen. Auch gegenüber der Filmemacherin wird versucht, eine Schweigeverpflichtung über die Vorgänge im Haus aufzuerlegen.

Zumindest Letzteres war eher erfolglos, wie am Donnerstag Abend bei Arte zu sehen sein wird.


Antworten

  1. Die Europäische Austeritätspolitik und der Fiskalpakt festigt die Finanznot der deutschen kommunalen Haushalte und hat zu einem Abbau des deutschen Sozialstaates mit seinen Umverteilungsmechanismen geführt. Unser Wohlstand und der Erfolg der Politik wird immer noch am BIP, das heißt der industriellen Produktion und den davon nachgefragten Dienstleistungen, gemessen.
    Irgendwie wird unsere Bundesregierung schlecht beraten von alten Ökonomensäcken, die nicht mitbekommen haben, dass wir in einer Wissensgesellschaft leben und in BERLIN wird gar nichts produziert. Wie wäre es, sich den eigentlichen Aufgaben zuzuwenden Reichtum besteuern für die soziale Gerechtigkeit, gemeinwohlorientierten Städtebau und ökologische Nachhaltigkeit!!!?? Sozialwissenschaftliche Expertise muss auf jeden Fall einbezogen werden!! Der Stadt wird FDP-Denken von Vorgestern aufgezwungen, obwohl ich dachte, in Berlin würde nie jemand FDP wählen!!
    http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/133/1713300.pdf (Wer soll bei über 1000 Seiten überhaupt noch Politik verstehen.)
    Hier einige Sätze, wie sich Volkswirte Nachhaltigkeit vorstellen:
    „Aus der Besorgnis über den Zustand der Umwelt einen „freiwilligen oder gar erzwungenen Verzicht auf Wachstum“ abzuleiten, steht jedoch grundsätzlich im Widerspruch zur dezentralen Organisation der Marktwirtschaft und zum Erfinder- und Unternehmergeist (Lebt in Berlin ein Unternehmer geist?) in einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft. Wachstum entsteht letztlich aus dem Streben nach Neuem und Besserem, seien es neue Produkte, effizientere Herstellungsverfahren oder bessere betriebliche Organisationsformen. Diese Suche generiert Ideen, neues Wissen und neue technische Fertigkeiten in Wirtschaft und Gesellschaft, die es erlauben, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr oder bessere Güter oder Dienstleistungen produzieren können. Diese Zunahme der Produktivität ist der Kern des Wachstums.
    „Die gern geführte Diskussion über die „richtige“ Höhe des Wachstums geht daher am Kern der Sache vorbei. Vielmehr sind neue Ideen und Produktionsverfahren – und damit Wachstum – dringend notwendig zur Lösung der ökonomischen, ökologischen und sozialen Herausforderungen.“
    Die volkswirtschaftliche Wachstumstheorie begreift die (reale) Wertschöpfung in einer Volkswirtschaft als einen Prozess des Zusammenwirkens von Produktionsfaktoren zum Zweck der Herstellung von Gütern, und zwar bei dem jeweils gegebenen Stand des technischen Wissens. Für hoch entwickelte Industrieländer lautet die Antwort: Es ist auf lange Sicht allein die Innovationskraft der Wirtschaft und Gesellschaft, also deren Fähigkeit, neue Produkt- und Verfahrensideen zu entwickeln, die sich dann in neuen Waren und Dienstleistungen sowie neuen Produktionstechniken niederschlagen.“ (S.51)
    Wesentlich komplizierter ist die Frage der Nachhaltigkeit, wenn es um ganze Volkswirtschaften oder gar die Weltwirtschaft geht. (Städte müssen sozial und ökologisch nachhaltig entwickelt werden (ich dachte immer, ökonomisch entsteht von selbst und passt sich den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen an) Denn dort wächst (oder schrumpft) ein Kapitalstock (hääähh), der sich viel stärker als der Wald in seiner Struktur verändert: Erst das neue technische Wissen sorgt für Investitionen in Sach- und Humankapital, die dann zu neuem Wohlstand und Wachstum führen. (Wo ist Bildung, Wissenschaft und Wissen, Kultur… etc. Warum sind alle kulturellen Angebote prekär? Zeitungen, Medien, Information? Gemeinwohl? Lebensqualität? Kinderbetreuung? Familienpolitik?…Umverteilung auf sinnvolle Projekte für den sozialen Zusammenhalt!!!) Der Kapitalstock besteht deshalb nicht einfach nur aus natürlichen Ressourcen, sondern aus der Gesamtheit dessen, was Wirtschaft und Gesellschaft an entstandenem Wissen zur Verfügung haben. Die Geschichte lehrt, dass es in dieser Hinsicht oft zu fundamentalen Veränderungen kommt, die selbst im Nachhinein nur sehr schwer mit Kriterien der Nachhaltigkeit zu bewerten sind. Das Grundproblem des Konzepts des nachhaltigen Wachstums liegt dabei auf der Hand: Die Nachhaltigkeit selbst ist abhängig vom „Zeithorizont“, unter dem man sie betrachtet, und es gibt deswegen selbst im Nachhinein keine eindeutigen Kriterien dafür, zu entscheiden, ob ein Weg nachhaltig war oder nicht. Will man das Konzept des nachhaltigen Wachstums praktisch umsetzen, so muss man allerdings – explizit oder implizit – einen bestimmten Zeithorizont unterstellen. Tut man dies, so lassen sich auf pragmatische Art bestimmte Indikatoren auswählen, die im Lichte von Erfahrungswerten helfen, eine Entwicklung als „übersteigert“ und „nicht haltbar“ zu klassifizieren.

  2. Zur „Repolitisierung der Wohnungsfrage“, hilft sehr gut David Harveys Rebellische Städte, das muss man mal breiter medial diskutieren, damit die Konservativen Ökonomen auch wieder linke Strömungen in ihrem vermeintlichen „Pragmatismus“ zulassen, bevor Berlin zerstört wird!!

    • Wie Recht Du hast, Sophie!

  3. […] Heute, Donnerstag 30.05.2013, 23:30 Uhr, arte … und eine Rezension dazu finden Sie hier … […]

  4. Wie blöd muss man sein, bei einem Angebot von 50000.- ( in Worten fünfzigtausend Euro) noch jammern und nachdenken. Unglaublich……in jedem anderen Land würde man per Tritt aus der Wohnung fliegen. Wenn ein Mensch die absolute Wohnraumsicherheit will, dann muß er sich eine Eigentumswohnung kaufen.

  5. Man kann es nicht oft genug sagen: Es gibt kein Lebensrecht auf Wohnen in der Innenstadt. Dieser Staat erkennt EIGENTUM als privates Gut an und der EIGENTÜMER kann mit seinen Dingen machen, was er möchte – und das ist auch gut so. Mal ganz davon abgesehen: Der Eigentümer musste 50 Tausend Euro bezahlen, damit er wieder über sein Eigentum verfügen konnte. Kathrin Rothe hat den Rachen nicht gekriegt und beklagt sich trotzdem. Man stelle sich mal vor, Frau Rothe hätte einem Bekannten ein Auto geliehen (GELIEHEN = NICHTS ANDERES IST MIETE) und dann würde der Bekannte sagen: „Nee, Pech gehabt, bekommst Dein Auto erst wieder wenn Du mir Geld gibst“.

    • Marc, das ist ein ziemlich schlechter Vergleich. In einem Auto wohnt und lebt niemand. In einem Haus „wohnen und leben Menschen“, wie K. Rothe im Film sagt. Außerdem wohnt und lebt man nicht nur in der Wohnung wie in einer Schachtel, die man überall hin mitnehmen kann, sondern zur Wohnung gehört auch die Umgebung und die Beziehungen in der Nähe. Das müsste in die Abfindungszahlung alles mit reingerechnet werden, nur es gibt eben Dinge, die sich nicht in Geld umrechnen lassen. Daher müssten Wohnungen komplett vom Markt entkoppelt werden. Eine Wohnung ist keine Ware wie jede andere und erst recht kein Auto!

  6. Madrid: Geld und Polizei für die Aufwertung

  7. „Wir bleiben alle“? Man sollte sich auch des kleinen Details bewusst sein, dass während der dokumentierten Solidaradressen schon Mieter Verhandlungen über die höchstmögliche finanzielle „Entschädigung“ geführt haben. Ohne Skrupel.

  8. […] Siehe auch Filmtip beim Gentrification Blog […]

  9. Einfach mal wieder ein Versuch einer unbegabten Regisseuren ihren Bekanntheitsgrad mit nem Tränendrüsenreizthema zu erhöhen.
    Man das nervt so langsam diese B Klasse von Leuten die sich ins Gespräch bringen wollen, meist nutzen die dann auch noch irgendwelche Anwohnerinitiativen um sich puschen zu lassen Ätzend!!!!

  10. Programmhinweis:
    Sonntag, 6.10. 2013 West.Art Talk, 11:00Uhr bis 12:25 „Zwischen Luxusgetto und Armutsviertel“ Klassenkampf in unseren Städten?
    Dienstag 8.10.2013 um 21:00Uhr RBB, danach auf rbb online.

    noch ein Tipp, lesenswert: Tagesspiegel 5.10.1013 Die Journalistin Verena Hasel hat nachrecherchiert, meinen ehemaligen Vermieter um Stellungnahme gebeten, Anwälte gesprochen und zahlreiche andere Betroffene ausfindig gemacht: Hasenheide 16, Gleimstraße 52 und ein ganz neues Haus in Charlottenburg. Überall Methode: Entmietung.

  11. Film ansehen in voller Länge
    http://www.realeyz.tv/de/betongold.html

  12. Hat dies auf eschff rebloggt und kommentierte:
    Mundtot machen! Das kenne ich aus eigener Erfahrung!
    Klappt aber nicht!
    Noch lebe ich und halte auch nicht ein, über Amtspflichtverstöße zu berichten, immer dann wenn es um Gewissenlosigkeit im Amt geht!


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