Verfasst von: ah | April 24, 2015

Berlin: Zwangsgeräumt für die Rendite

Seiten aus Deckblatt_ZR_StudieHeute haben wir ganz offiziell im Rahmen einer Pressekonferenz unsere Studie „Zwangsräumungen und die Krise des Hilfesystems“ (download) vorgestellt. Gemeinsam mit Laura Berner und Inga Jensen habe ich über ein Jahr das Zwangsräumungsgeschehen in Berlin und die Funktionsweisen der staatlichen Unterstützungsangebote für Personen in Wohnungsnotlagen untersucht.

Mit etwa 10.000 Räumungsklagen, bis zu 7.000 festgesetzten Räumungsterminen und völlig überfüllten Unterkünften sind Zwangsräumungen und Wohnungsnotlagen in den letzten Jahren in Berlin längst kein gesellschaftliches Randphänomen mehr und haben sich zum ständigen Begleiter der Aufwertungsdynamiken in der Stadt entwickelt. Angesichts der 85.000 Bedarfsgemeinschaften im SGB II und SGB XII, die schon jetzt Mieten über den Bemessungsgrenzen für die Kosten der Unterkunft zahlen, ist eine weitere Zunahme von Mietrückständen, Räumungsklagen und Wohnungsnotlagen zu erwarten.

Unsere Untersuchung zur Rolle von Institutionen und Behörden an den Zwangsräumungen haben ein erhebliches Maß an staatlicher Ko-Produktion von Zwangsräumungen aufgedeckt. Mit ihrer repressiven Anwendung der Hartz-IV-Gesetze in allen Fragen der Wohnkostenübernahme aber auch durch die Verschleppung der Bearbeitung von Anträgen zur Mietschuldenübenahme bis hin zu Fehlüberweisungen von Mieten tragen die Jobcenter die Verantwortung für einen großen Teil der Zwangsräumungen in der Stadt. Auch die landeseigenen Wohungsbaugesellschaften haben sich zu einer festen Größe des Berliner Räumungsgeschehens entwickelt. Fast 20 Prozent aller Räumungen in den letzten Jahren wurden von den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften erwirkt. Im Durchschnitt werden die Gerichtsvollzieher/innen 20 mal pro Woche im Auftrag der Wohnungsbaugesellschaften aktiv.

Neben einem umfassenden Scheitern der Hilfesystems haben wir auch einen engen Zusammenhang zwischen Mietentwicklung  und Zwangsräumungen bzw. erzwungenen Umzügen festgestellt:

Die Räumungsneigung steigt mit den Ertragserwartungen: Je höher die in Aussicht stehenden Neuvermietungsmieten sind, desto konsequenter nutzen Vernmieter/innen Mietrückstände und andere Kündigungsanlässe zur Räumung der Wohnungen. Insbesondere die klassischen Instrumente der sozialen Wohnhilfe wie etwa die Mietschuldenübernahme greifen dann nur noch in Ausnahmefällen, da die Gewinnerwartungen der Neuvermietung über den Nachzahlungen der Mietrückstände liegt.

Mit den steigenden Mieten verändern sich die Kündigungsanlässe: Galten lange Zeit Mietrückstände als der zentrale Grund für die Kündigung von Mietverhältnissen, zeigt sich insbesondere in den Aufwertungsgebieten Mitte, Kreuzberg-Friedrichshein, aber auch in Charlottenburg-Wilmersdorf eine veränderte Situation. Die große Differenz zwischen der Anzahl von Kündigungsklagen und den gestellten Anträgen auf eine Mietschuldenübernahme verweist auf einen höheren Anteil von sonstigen Kündigungsbegründungen und/oder eine veränderten Sozialstruktur der Haushalte in Wohnungsnotlage.

Zwangsräumungen haben sich zu einem Instrument der Ertragslückenschließung entwickelt:  Die aus der Gentrification-Forschung bekannte Ökonomie der Verdrängung (rent gap) kann auch im Bezug auf die Zwangsräumungen die veErtragslücken_Zwangsräumungenrstärkte Räumungsneigung von Vermieter/innen erklären. So gilt im Durchschnitt die immobilienwirtschaftliche Faustregel, dass der Prozess von Kündigung und tatsächlich durchgeführter Räumung mit Kosten in der Höhe von etwa 20 Monatsmieten verbunden ist. Für die Wohnungsmarktlage des Jahres 2007 hieß das: Eine Räumung hätte sich bei einer Neuvernmietung zu den durchschnittlich 1,34 höheren Mieterträgen erst nach 69 Monaten amortisiert. Entsprechend dankbar waren viele Eigentümer/innen über die bezirklichen Angebote einer Mietschuldenübernahme. Für das Jahr 2013 stellt sich die ökonomische Ausgangslage für die Entscheidung  pro oder kontra Räumung deutlich verändert dar. Ein durchschnittlicher Mietsprung von fast 3,00 Euro/qm reduziert die Amortisation der räumungsbedingten Einnahmeverluste auf 36 Monate. In den Aufwertungsgebieten mit Angebotsmieten jenseits der 10 Euro/qm lohnt sich eine Räumung sogar schon nach 21 Monaten. In unseren Gesprächen in den Bezirksämtern und mit Mitarbeiter/innen von Freien Trägern spiegelte sich diese ökonomische Rationalität der Zwangsräumung in den Berichten von Eigentümer/innen, die immer häufiger die Angebote für eine Mietschuldenübernahme ablehnen.

Neben aller Verantwortung der repressiven Sozialgesetzgebung und der überforderten Institutionen des Hilfesystems, zeigt unsere Studie deutlich, dass es (auch) die veränderten Ertragserwartungen  sind, die den Räumungsdruck in der Stadt verschärfen.

Pressespiegel zur Veröffentlichung der Studie:

Berliner Zeitung (17.04.2015): Berlin ist Hauptstadt der Räumungsklagen

Der Tagesspiegel (18.04.2015): Immer mehr Zwangsräumungen in Berlin

Berliner Kurier (20.04.2015): Ruckzuck raus! Berlin ist die Hauptstadt der Räumungsklagen

taz (20.04.2015): Forscher empfehlen Widerstand

rbb (23.04.2015): Studie: Jobcenter beschleunigen Gentrifizierung

Neues Deutschland (23.14.2015 ): Studie: Jobcenter verursachen die meisten Zwangsräumungen

Berliner Morgenpost (23.04.2015): Berlin ist die Hauptstadt der Zwangsräumungen

Der Tagesspiegel (24.04.2015): Kinder von Räumungen besonders betroffen

Neues Deutschland (24.04.2015): Denkzettel für Mietpreistreiber

taz (24.04.2015): Das Land räumt seine Mieter

junge Welt (25.04.2015): Rendite mit dem Rausschmiss


Antworten

  1. „In unseren Gesprächen in den Bezirksämtern und mit Mitarbeiter/innen von Freien Trägern spiegelte sich diese ökonomische Rationalität der Zwangsräumung in den Berichten von Eigentümer/innen, die immer häufiger die Angebote für eine Mietschuldenübernahme ablehnen.“

    Hierzu habe ich eine inhaltliche Frage: Soweit ich weiß können Räumungsklagen abgewendet werden, wenn die Mietrückstände 2 Monate nach Rechtshängigkeit der Klage ausgeglichen werden. Daher verstehe ich nicht warum Eigentümer die Mietschuldenrücknahme ablehnen können.

  2. Hallo Dirk,
    in der Praxis greift die von dir angesprochenen „Heilungsmöglichkeit“ einer Kündigungsklage leider aus verschiedenen Gründen nur selten: a) Verzögerung bei der Bearbeitung von Mietschuldenanträgen, b) Ablehnung von Mietschuldenanträgen, c) gleichzeitiges Aussprechen einer ‚ordentlichen ‚ Kündigung und d) die fehlende Verhandlungsbereitschaft von Vermieter/innen.

    a) Verzögerungen: Wenn Mieter/innen nicht selbst zahlen können und eine Mietschuldenübernahme beantragen müssen, kommt es oft zu Verzögerungen durch unklare Zuständigkeiten und Verzögerungen in der Bearbeitung. Wenn sich die Mieter/innen in solchen Situationen nach Eingang einer Klage nicht sofort beim richtigen Amt melden, haben sie eigentlich keine Chance auf eine rechtzeitige Abwendung der Räumung.

    b) Ablehnungen: Zumindest in Berlin werden fast die Hälfte aller Anträge auf Mietschuldenübernahme abgelehnt. Über die Gründe der Ablehnungen gibt es keine Statistik. Aus den Interviews wissen wir aber u.a. dass die Jobcenter dort, wo die MIeten über den Bemessungsgrenzen der KdU liegen, die Mietüberschuldennahme regelmäßig ablehnen.

    c) ‚ordentliche‘ Kündigung: Die von dir beschrieben Abwendung der Räumung greift nur bei den sogenannten fristlosen (außerordentlichen Kündigungen). Viele Vermieter/innen nutzen aber die Gelegenheit von Mietrückständen, um parallel eine ‚ordentliche‘ Kündigung auszusprechen. Wir interpretieren diese doppelte Absicherung der Kündigung als Zeichen für den gestiegenen Räumungswillen (würde es nur um die Rückzahlung der ausstehenden Miete gehen, würde ja die fristlose Kündigung reichen).

    d) Räumungswille: Auch nach Ablauf der zwei Monate Schonfrist wäre ein Ausgleich der der Rückzahlung durch einen Mietschuldenübernahme durch die Wohnhilfe oder das Jabcenter möglich, wenn die Vermieter/innen ihre Kündigung zurückziehen. In allen Bezirken wurde uns berichtet, dass in diesen Fällen die Bereitschaft, eine Mietschuldenübernahme zu akzeptieren deutrlich abgenommen hat. Das von dir hervorgehobenen Zitat bezieht auf eben solche Fälle.

    Soweit, beste Grüße,

    ah

  3. Dann mal vielen Dank für die ausführliche Antwort.

  4. eine kurze Verständnisfrage:
    auf S. 15 schreibt ihr:
    „Nicht jede Räumungsklage ist mit einer unmittelbaren Wohnungsräumung verbunden, weil viele Bewohner*innen bereits vor dem Vollstreckungstermin ihre Wohnungen verlassen …“
    Zwischen Klage und Vollstreckung liegt doch noch der Gerichtstermin, bei dem die Mieterin auch gewinnen kann. ?
    Oder soll Leserin den Satz so verstehen, dass quasi jeder Räumungsprozess wegen Mietrückständen zu Gunsten der Vermieterin ausgeht? Habt ihr darüber Informationen?

    • Liebe Clara,
      leider haben wir keine Daten über das Verhältnis von gerichtlich erfolgreichen und zurückgewiesenen Räumungsklagen. Das von uns beschreibenen Verhältnis zwischen Räumungsklagen und Vollsterckungsterminen (100:60) zeigt, dass in der deutlichen Mehrzahl der Räumungsklagen auch ein Räumungstitel ausgesprochen wird. Wenn die ebenfalls nicht zahlenmäßig bekannten Fälle des erzwungenen aber vorauseilenden Umzugs hinzugerechnet werden, wird der Anteil der gerichtlich verhinderten Räumungen noch geringer. Eine Analyse der Gerichtsverfahren – und Urteile wäre eine spannende Ergänzung zu unserer Studie.
      Soweit, beste Grüße, ah

  5. Danke für deine Antwort!

    Gleich ein weiterer Punkt:

    Ihr begründet das Verhalten von Jobcentern und Sozialen Wohnhilfen, das letztlich oft zum Wohnungsverlust führt (restriktive Anwendung von Angemessenheitskriterien, Ablehnung von Mietschuldenübernahmen) mit „Sparzwang“ oder dem „Druck“, die „Planmengen nicht zu stark zu überschreiten“. Dann aber begründet ihr auch, dass ein Wohnungsverlust für die Behörden meist teurer ist als der Wohnungserhalt (Unterbringungskosten, Anhebung des Mietniveaus durch häufige Mieter_innenwechsel). Gäbe es also das Motiv „Sparzwang“, dann müssten die Behörden, rein haushaltsökonomisch, so viele Wohnungen wie möglich erhalten. Tun sie aber nicht. Hattet ihr den Anspruch, Erklärungen für diesen Widerspruch zu finden / zu diskutieren? Im Grunde steht die Erklärung in der Überschrift dieses Blogbeitrags: Im Ergebnis orientiert sich das Behördenhandeln an der Renditeoptimierung der Immobilienwirtschaft und nicht daran, öffentliche Mittel sparsam einzusetzen. Nur, warum sprecht ihr dann selbst von „Sparzwang“ als Motiv? Und, (wie) hat sich diese Widersprüchlichkeit, dass Behördenmitarbeiter_innen offenbar mehr ausgeben als sie müssten und dies gleichzeitig mit einem „Sparzwang“ begründen, in euren Interviews gezeigt?

  6. Hallo,

    zu der Frage der obsiegenden Urteile bei Räumungsklagen wegen Zahlungsverzuges:

    Aus meiner Erfahrung (ca. 20 Jahre RA) laufen diese Klagen ganz überwiegend durch. Die Thematik mit der vorsorglichen fristgemäßen Kündigung – so dass auch die Nachzahlung nicht hilft – wurde schon angesprochen. Hier kommt es aber auf eine Würdigung im Einzelfall an (z.B. Dauer des Mietverhältnisses – bisheriges Zahlungsverhalten usw.) Es ist m.E. eine rechtliche nicht legitimierte Fehlentwicklung, wenn durch die vorsorglich fristgerechte Kündigung quasi die Heilungsmöglichkeit beschnitten wird. Das wirtschaftliche Interesse ist natürlich bei Verträgen zu Mieten unterhalb der Marktmiete weitaus größer, den „unrentablen“ Mietvertrag zu beenden. Der GdW hat vor kurzem ermittelt, dass die Mietrückstände – zumindest bei seinen Mietgliedern – deutlich zurückgehen. Damit sinkt auch das Risiko von Zwangsräumungen. Sozial schwächere dürften bei finanzieller Überforderung also eher andere Sachen als die Miete nicht bezahlen. Dadurch käme es aber dann zu einer „inneren Gentrifizierung“, da der Lebensstandard nicht mehr gehalten werden kann.

    HR – http://www.mietpreisbremse.de

  7. Hallo obwohl ich mich mit meinem Unternehmen mit Zwangsräumungen befasse, spreche ich mich für Zwangsräumungen für eine Rendite aus. Eine Zwangsräumung sollte nur dann vorgenommen werden, wenn man Mietnomaden, oder Messi Wohnungen hat. Die stellen ein Risiko für de Nachbarn da. Ich bin gegen Zwangsräumungen für eine Rendite, oder das sich jemand auf kosten Mieter bereichert.

  8. […] Zeiten wie diesen – täglich wird zwangsgeräumt, Mieter_innen sind Zumutungen und Schikanen der Vermieter_innen ausgesetzt, manche müssen sogar um […]


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