Verfasst von: ah | Juli 7, 2008

Zu schlecht für die Aufwertung?

Fast möchte man von einem kleinen Boom sprechen: Gentrification ist im Laufe des letzten Jahres als Begriff in der deutschsprachigen Öffentlichkeit bekannt geworden. Karin Baumert hat sich in weiser Voraussicht schon im vergangenen Sommer beim BKA für diesen Popularitätsschub bedankt und festgestellt: „Gentrifizierung ist Terror“.

Doch nicht nur, dass nun alle Welt zu wissen scheint, was es mit der Gentrification auf sich hat, der Begriff wird auch noch fast inflationär gebraucht. War es lange Zeit selbst bei eindeutiger Sach- und Faktenlage umstritten, die Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse beim Namen zu nennen, wird heutzutage gefühlt jede Neueröffnung einer Galerie oder In-Location und jeder Eigentümerwechsel mit einer Gentrifcationanalyse verbunden. Insbesondere in bisher eher als Problemviertel gehandelten Nachbarschaften wie Hamburg Wilhelmsburg oder Berlin Neukölln wirkt dies für viele überraschend. Doch was ist dran an der Aufwertung in bisher abgehängten Stadtlagen?

Das Beispiel Neukölln, oder besser gesagt des nördlichen an Kreuzberg anschließenden Teils des Bezirkes, zeigt, dass sich selbst in früher verrufenen Gebieten Aufwertungstendenzen durchsetzen können.

Ralf Schönball beschrieb die Entwicklungen schon im vergangen Herbst im Tagsespiegel:

Nordneukölln blüht auf. Kneipen und Galerien öffnen in der Friedel- und der Braunschweiger Straße, und das „Freie Neukölln“ in der Pannierstraße wird von Mittzwanzigern überrannt. Dabei galt bisher: Wer es sich leisten kann, zieht da weg, sogar besserverdienende Migranten. Jene, die übrig blieben, prägten das Bild. Wegen der Fortzüge sanken die Mieten, und das war eine Voraussetzung für den Umschwung: „Am Anfang ziehen oft Studenten in solche Quartiere, weil sie sich teure Lagen nicht leisten können, aber nahedran sein wollen“, sagt Politikwissenschaftler Volker Eick. Nordneukölln grenzt an die beliebten Quartiere von Kreuzberg und Friedrichshain. Und Kiezmanager schaffen Freiräume: Sie überzeugen Hauseigentümer, den Zugezogenen leere Gewerbeflächen für wenig Geld zu überlassen. Diese öffnen Kneipen, Cafés, Galerien. Auf die Kneipen folgen Boutiquen, Design- und Feinkostläden. Dann steigen Preise und Umsätze, aber auch die Mieten der Läden. Bald wird es schick, im Kiez zu leben, aber nicht jeder kann es sich leisten – so wie in Prenzlauer Berg heute. In Neukölln beginnt gerade erst diese Entwicklung, die rund um die historische Stadtmitte herum wie der Zeiger auf einer Uhr verläuft: vom Norden (Prenzlauer Berg) über den Osten (Friedrichshain) nach Süden (Neukölln).

Andere Beobachtungen scheinen diese Thesen zu stützen. Seit die zitty, das selbsternannte Hauptstadtmagazin, in ihrer Märzausgabe mit dem Titel „Neukölln rockt. Mit der zitty unterwegs in Berlins derzeit spannendstem Bezirk“ erschien, dürfte der Bezirk die Imagephase als angesagter Geheimtip hinter sich gelassen haben.

Ein klassischer Fall von symbolischer Aufwertung und trotzdem – so formulieren es viele – glauben wir nicht an einer weitergehende Aufwertung. Zu viele arme Schlucker, zu viele Jugendbanden, zu viele türkische Teestuben… So in etwa die Argumentationsschleife. Doch ist eine sozial schlechte Lage, eine schlechtes Image und eine defizitäre Gewerbestruktur tatsächlich eine Aufwertungsbarriere?

Von den wohnungswirtschaftlichen Erklärungen der Gentrification ausgehend – eher nicht. Dort wird viel von den berühmten rent gaps gesprochen, also Ertragslücken, die den Aufwertungsprozess erklären sollen. Dabei wird zwischen den aktuell realisierten Einnahmen der Grundstücke und den potentiell möglichen Einnahmen bei einer höherwertigen Nutzung unterschieden. Gentrification geschieht demnach dort, wo die Lücke zwischen den aktuellen und potentiellen Erträgen groß genug ist, um eine Investition mit Gewinnen zu amortisieren. Zum einen ist also die Aufwertung abhängig von den künftig erwarteten Miet- bzw. Kaufpreisen der Wohnungen. Zum anderen aber – und genau hier kommen Gebiete wie Neukölln ins Spiel – wird die Ertragslücke auch von der derzeitigen Mietstruktur bestimmt. Aus diesem Grunde ist es eigentlich gar nicht verwunderlich, dass Gentrificationprozesse klassischer Weise in heruntergekommen, vernachlässigten und vor allem preiswerten Quartieren beobachtet werden.

Die Frage, ob Stadtteile zu schlecht für solche Aufwertungsprozesse sein können, wurde in einem Interview für das MieterEcho auch an Neil Smith (dem derzeit wohl profiliertesten internationalen Gentrificationforscher) gestellt.

Frage MieterEcho: In Nord-Neukölln wird ein vermehrter Zuzug studentischer Haushalte, eine Intensivierung von Immobilienverkäufen und ein Preisanstieg bei der Neuvermietung beobachtet. In Diskussionen zu den aktuellen Entwicklungen in Nord-Neukölln werden jedoch Gentrifizierungswarnungen teilweise mit dem Argument abgeblockt, dass die soziale Struktur, der Nachbarschaftscharakter und das schlechte Image der Gegend den Lebensentwürfen von Pionieren und Besserverdienenden entgegenstehen. Kennen Sie Beispiele, in denen die Sozialstruktur einer Nachbarschaft „zu schlecht“ für einen Gentrifizierungsprozess war?

Neil Smith: Ob Universitätsviertel oder andere Quartiere, Studenten sind Teil des Prozesses, Gebiete „zu knacken“, deren Kolonisierung etablierte Akademiker scheuen. Die Frage, ob ein bestimmtes Quartier gentrifiziert wird oder nicht, hängt einerseits von der Größe der „Ertragslücke“ und den Besonderheiten der dortigen Politik ab, andererseits aber auch von den Gegebenheiten vor Ort. Ist die „Ertragslücke“ erst mal groß genug, dann ist – so glaube ich – kein Quartier „zu schlecht“ für die Gentrifizierung. Andererseits gibt es keine Garantie, dass eine bestimmte Gegend tatsächlich gentrifiziert wird. Man betrachte Harlem in New York City: Während der 60er und 70er Jahre war Harlem ein internationales Symbol des Niedergangs der Stadt, eine „üble Gegend“. Dies war nicht zuletzt ein Resultat des Rassismus, denn Harlem war in den 80er Jahren zu 97% von Afro-Amerikanern bewohnt. Vor über 20 Jahren führte ich ein Interview mit einem afro-amerikanischen Bürokraten, dessen Aufgabe im Versuch bestand, Harlem zu gentrifizieren. Er sagte: „Wenn Harlem gentrifiziert werden soll, muss der Weiße Mann sich wirklich in den Griff bekommen“. Heute wird Harlem intensiv gentrifiziert. Afro-amerikanische Akademiker, Studenten, Anwälte, Schwule, weiße Yuppies ziehen dorthin – und die Grundstückspreise explodieren. Die Columbia-Universität plant ein Riesenprojekt in dem Gebiet. Wenn also selbst Harlem gentrifiziert werden kann, so ist – denke ich – kein Gebiet sicher. Seht euch nur die frühen Anzeichen der Gentrifizierung an den Rändern von Dharavi an, dem größten Slum Mumbais (bis 1995: Bombay, die Red.), der gegenwärtig abgerissen wird.

Allerdings werden Gebiete auf unterschiedliche Weise gentrifiziert. Einige Strategien haben verhängnisvolle Folgen, insbesondere wenn der Staat oder große Institutionen beteiligt sind, während andere Strategien langsamere Gentrifizierungen nach sich ziehen. Einige wirken hochgradig exklusiv und ausschließend, während andere Quartiere unter Umständen länger stärker gemischte Szene-Kieze bleiben. Diese verschiedenen Schicksale der Gebiete hängen von vielen Faktoren ab wie der Eigentümerstruktur und staatlichen Regulationsmechanismen, von der Klassenstruktur und dem Klassenzusammenhalt, von der Bewohneropposition und unternehmerischen Initiativen. Was alle diese verschiedenen Erfahrungen verbindet, ist die Veränderung in der Klassenstruktur und das mehr oder minder große Maß an Vertreibung (ob direkt oder indirekt), das darauf folgt.

Dem fällt es mir schwer etwas hinzuzufügen…


Antworten

  1. Hallo Herr Holm,

    am besten gleich als öffentlichen Kommentar –

    Ich beglückwünsche Sie zum neuen gentrificationblog und wünsche, dass ihm schnell viel Lebendigkeit eingehaucht wird (die Anzeichen sehen gut aus) und rege Aktivität bevorsteht. Ich selbst beschäftige mich seit einigen Monaten in erster Linie aus persönlichem/r Interesse/Betroffenheit mehr und mehr mit dem Thema. Insbesondere dadurch ausgelöst, dass ich vor kurzem von Wien über München nach Berlin zog und an der Spree Gentrifizierungsprozesse (und hier natürlich insbesondere im Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Teilen Kreuzbergs) nochmals viel deutlicher ersichtlich sind, als es in Wien der Fall ist (wenngleich dies meines Erachtens nur eine verzögerte Entwicklung ist, die etwa in der Leopoldstadt (2. Bezirk) oder Neubau (7. Bezirk) auch durchaus schon beträchtlich fortgeschritten ist) – nach wie vor allerdings kein Vergleich zu München.

    Fasziniert hat mich in meiner bisherigen Beschäftigung die Arbeit von Tanja Marquardt „Käthes neue Kleider“ in der sie Gentrifizierungsprozesse am Berliner Kollwitzplatz auch aus lebensweltlicher Sicht Betroffener untersucht und damit der von Ihnen angeführten Forderung Tom Slaters nach verstärkter Analyse sozialer Auswirkungen auf benachteiligte Bevölkerungsgruppen in den Aufwertungsgebieten, nachkommt. Als gesellschaftlich verantwortlich denkend/handelnd wollender Mensch ist es mir ein Anliegen, mehr über diese Thematik zu wissen. Nicht zuletzt deshalb, da ich persönlich (als Neuankömmling und Wohnungsbezieher in Berlin) für mich noch keinen plausiblen Weg gefunden habe, mit der komplexen Problematik umzugehen – sprich nicht selbst als gentrifizierender Jungakademiker aufzutreten/genutzt zu werden. In gedanklich ohnmächtigen Momenten habe ich in Anlehnung an Watzlawick fast den Eindruck, dass man mittelfristig kaum „nicht nicht zur Gentrifizierung beitragen kann“. Dennoch erscheint mir diese Haltung zu einfach – es bedarf also mehr Kenntnisse über die zu Grunde liegenden Mechanismen. So freue ich mich über ihr Blog und werde es in weiterer Auseinandersetzung in jedem Falle passiv und ggf. auch aktiv mitverfolgen/gestalten.

    Schöne Grüße!
    TH

  2. „Nicht zuletzt deshalb, da ich persönlich (als Neuankömmling und Wohnungsbezieher in Berlin) für mich noch keinen plausiblen Weg gefunden habe, mit der komplexen Problematik umzugehen – sprich nicht selbst als gentrifizierender Jungakademiker aufzutreten/genutzt zu werden.“

    Ich bin kein Soziologe, eher im Gegenteil, möchte mir aber trotzdem folgende völlig unwissenschaftliche Bemerkung zu Ihrem Problem erlauben:

    Es hängt m. E. vor allem von Ihrer persönlichen Einstellung und Ihren persönlichen Wertmaßstäben ab, also von Ihrer Lebens- und Denkweise, ob Sie als „gentrifizierender Jungakademiker“ auftreten oder einfach nur als Jungakademiker.

  3. Ich denke es gibt durchaus vor dieser Entwicklung sichere Stadtteile. Und zwar die in den 50ern autogerecht „wiederaufgebauten“ (=mit anderen Mitteln weiter zerstörten).
    Weitläufige, offene Häuserzeilen mit reinen Wohnhäusern, keine Ladenzeilen, keine alten Fabriken im Hof, in denen sich irgendetwas entwickeln könnte .. dies ist meiner Ansicht nach der ständig übersehene, aber wichtigste Faktor hierzulande: die künstliche Verknappung urbaner Stadtviertel durch die flächendeckende Zerstörung und den völlig verfehlten „Wiederaufbau“.

    Würden Architekten und Stadtplaner endlich von der „Greisenmoderne“ der 1920er abkommen, wären die wenigen verbliebenen Altbauviertel kein so kostbares Gut. Das Gerede von den gewachsenen Vierteln ist reine Täuschung – zur Gründerzeit wurde im Grunde genommen das gesamte städtische Deutschland in kurzer Zeit neu aus dem Boden gestampft, und Leben kehrte dort sofort ein.
    Aber in Deutschland muss die ideologisch motivierte Linie offensichtlich weiter verfolgt werden.

  4. genau, der von nj angemahnte historische blick ist sehr notwendig. bin soziologe und historiker und wundere mich immer wieder, wie geschichtsvergessen und damit ohne blick dafür, wie etwas geworden ist, analysiert wird.

  5. […] Harlem bald reich und weiss? Die Aufwertungstendenzen im ehemals als Schwarzenghetto stigmatisierten Harlem in New York werden seit einem guten Jahrzehnt beobachtet und strafen all jene Lügen, die davon ausgingen, dass in wirklich heruntergewirtschafteten Vierteln keine Gentrification stattfinden könne (siehe auch hier). […]

  6. […] So unwahrscheinlich eine Gentrificationdynamik in Moabit auch sein mag, so typisch sind die Diskussionsmuster zum Thema. Gentrification wird dabei immer als Übertreibung dargestellt, als etwas, was es vielleicht gibt, aber sicher nicht hier bei uns… Und auch die Hoffnung auf ein “bisschen Gentrifcation” sind nicht neu. Aufwertung und “urbanes Flair” werden seit eh und je als Lösung für angebliche soziale Brennpunkte empfohlen. Nur, wem ein mehr an Mittelklasse in solchen Gebieten wirklich nützt, dass konnte bisher noch nicht wirklich gut beschrieben werden. Ernst zunehmen sind die Sorgen von Susanne Torka allemal, denn es gibt kein “zu schlecht für die Aufwertung“. […]

  7. Hallo !

    Ich interessiere mich für konkrete Zahlen zum Ausmaß des Bewohneraustauschs in einem bestimmten Zeitraum.
    Hintergrund: Man scheint sich jetzt den Wedding vornehmen zu wollen…
    Danke
    Matthias

    • Hallo Matthias, deine Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, da es ja keine Verdrängungsstatistiken gibt. Indizien die für einen sozial selektiven Bewohneraustausch sprechen könnten, wenn sie in Kombination festgestellt werden sind u.a. eine hohe Mobilitätsrate (ohne Fort- und Zuzüge kann es keinen Austausch der Bevölkerung geben – Ende der 1990er Jahre lag etwa die Mobilitätsrate [=100*Summe der Fort- und Züge/Gesamtbevölkerung des Gebietes] bei etwa 30 Prozent. Wichtige HInweise gibt auch die Wohndauer der Gebietsbevölkerung (hoher Anteil von Haushalten mit geringer Wohndauer sprechen meist für einen Austausch der Bewohnerschaft) Im Sanierungsgebiet Kollwitzplatz beispielsweise lebten 2008 nur etwa 20 Prozent der BewohnerInnen seit mehr als 15 Jahren im Gebiet – ein Hinweis auf den weitgehenden Auszug der Altbewohnerschaft zu Beginn der Sanierungsaktivitäten.
      Und nicht zuletzt ist es wichtig, sich die soziostrukturelle Veränderungen der Bewohnerschaft anzuschauen (Einkommen, Haushaltsstrukturen, Bildungsabschlüsse, Alterszusammensetzung etc.). Auch hier wieder ein Beispiel aus Prenzlauer Berg: zwischen 1990 und 1998 haben sich sowohl die Anteile der Bewohner/innen mit Hochschulabschlüssen als auch die mit dem Abitur als höchsten allgemeinbildenden Schulabschluss in etwa verdoppelt – ein bildungsstruktureller Statussprung‘, der nicht aus internen Dynamiken des Bildungserwerbs erklärt werden konnte und deshalb auf den Austausch von bildungsferneren Haushalten durch Bessergebildete zurückgeführt werden musste.
      Das Problem vieler sozialstatistischer Daten: Veränderungen einzelner Indikatoren können immer auch andere Ursachen haben und müssen nicht zwangsläufig auf Verdrängungsprozesse verweisen. Deshalb gibt es auch keinen eindeutigen statistischen Indikator für Gentrification-prozesse

  8. […] Zu schlecht für die Aufwertung? (Juli 2008) […]


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