Verfasst von: ah | November 20, 2009

Baugruppen: Privatisierung der besonderen Art

Am 1.12.2009 wird die Edition LE MONDE diplomatique No. 6 erscheinen. Titel der Ausgabe: „Ausverkauft. Wie das Gemeinwohl zur Privatsache wird„. Neben vielen anderen spannenden und guten Beiträgen gibt es auch ein kleines Interview zum Thema der Baugruppen:

Baugruppen: eine Privatisierung der besonderen Art
Konrad Litschko • Ein Gespräch mit dem Soziologen Andrej Holm über die Aufwertung von Stadtteilen in Berlin

Bestellt werden kann die Edition LE MONDE diplomatique No. 6 für einen Preis von 8,50 Euro: hier

Für alle die einen kleinen Vorgeschmack auf das Interview bekommen wollen, hier ein kleiner Ausschnitt:

Baugruppen: eine Privatisierung der besonderen Art
Konrad Litschko • Ein Gespräch mit dem Soziologen Andrej Holm über die Aufwertung von Stadtteilen in Berlin (Ausschnitt. vollständiges Gespräch in Edition LE MONDE diplomatique No. 6)

Herr Holm, Berlin erlebt gerade einen Privatisierungstrend besonderer Art: Immer mehr Bürger schließen sich zu Baugruppen zusammen, um gemeinsam mit Gleichgesinnten als Bauherren Eigentumswohnungen in der Innenstadt zu errichten. Überrascht Sie das?
Andrej Holm: Nein, tut es nicht. Baugruppen passen genau in einen Trend, der sich in der Berliner Stadtentwicklung seit Längerem durchsetzt: eine Tendenz zur Privatisierung und Individualisierung. Baugruppen wollen eine eigene Idee des Wohnens verwirklichen, die ihnen viel Gestaltungsfreiheit lässt. Dabei wählen sie eine Form der Eigentumsbildung, die all denen verschlossen bleibt, die nicht das Grundkapital zum Einstieg mitbringen.

Individualisierung? Baugruppen setzen doch gerade auf Gemeinschaft. Von Anfang an wird zusammen geplant und später in enger Nachbarschaft Tür an Tür gelebt.
Das stimmt, aber nur aus einer internen Perspektive. Viele Baugruppen integrieren auch ganz bewusst Gemeinschaftsräume in ihre Hausprojekte. Das ändert aber nichts daran, dass in Baugruppen privat und in einem exklusiven Kreis von Mittelschichtlern gebaut wird. Zudem gibt es auch Baugruppen, die sich lediglich als Zweckgemeinschaft zusammentun, um preiswerter an Eigentumswohnungen zu kommen, die ihnen sonst finanziell verschlossen blieben.

Seit wann gibt es in Berlin diesen Trend zur Baugruppe?
Sehr vereinzelt seit etwa 10 bis 15 Jahren. Merklich verstärkt hat sich das Auftreten der Baugruppen aber in den vergangenen fünf Jahren. Heute existieren in der Stadt rund 100 solcher Baugruppenprojekte, die ihre Häuser schon verwirklicht haben oder sich noch konstituieren.

Wo kommen diese Baugruppen plötzlich alle her?
Parallel zum Trend der Baugruppen gibt es in Berlin seit fünf, sechs Jahren einen Trend der steigenden Mieten in der Innenstadt. Die Spanne zwischen dem Mieten einer Wohnung für 11 Euro pro Quadratmeter und einem Eigentumserwerb wird immer kleiner. Lange Zeit galt Berlin als eine Stadt ausgesprochen billiger Mieten, aufgrund der langen Desinvestitionsphasen durch die Teilung der Stadt. Wer früher kollektive Lebensformen suchte, fand Spielräume in Genossenschaften oder ehemals besetzten Häusern. Mit den permanenten Mietsteigerungen der vergangenen Jahre gibt es nun aber einen Wandel, der den Drang zum Eigentum, und damit auch zur Baugruppe, verstärkt.

Aber könnten die Leute nicht auf den umständlichen Kollektivismus der Baugruppen verzichten und einfach selbst Eigentum erwerben?
Das eigenständige Bauen bietet sich an, weil bis heute viele innerstädtische Brachen frei sind, die nicht von professionellen, immobilienwirtschaftlichen Akteuren oder der öffentlichen Hand genutzt werden. In dieses Vakuum stoßen Baugruppen. Wenn man sich anguckt, wo diese sich ansiedeln, konzentriert sich das auf die Innenstadtbezirke Mitte, Kreuzberg, Friedrichshain und Prenzlauer Berg.

Welche Klientel versammelt sich in Baugruppen?
In der Regel mehr oder weniger gut verdienende Mittelklasse-Haushalte, die innerstädtisch wohnen wollen. Von den Altersgruppen, Lebensstilen und kulturellen Auffassungen sind diese Gruppen durchaus gemischt. Viele Baugruppen haben auch einen großen Anteil von Familien. Letztlich müssen aber alle, die mitmachen wollen, ein gewisses Maß an Vermögen und geregeltem Einkommen nachweisen, um für die auch für Baugruppenmodelle notwendige Kredite zu bekommen.

Viele Baugruppen bezeichnen sich selbst als „neuen sozialen Wohnungsbau“. Gegner nennen sie das „freundliche Gesicht der Gentrifizierung“. Wer hat Recht?
Baugruppen als sozialer Wohnungsbau? Das könnte man so sehen, in einem zynischen Sinn. Wenn man nämlich vom Alltagsbegriff des sozialen Wohnungsbaus abstrahiert und schaut, was dieses politische Programm tatsächlich gewesen ist: ein Programm, das vor allem die Mittelschichten und deren Eigentumswohnungen gefördert hat. Die Armen blieben derweil in ihren unsanierten Altbauten, weil die Mieten in den subventionierten Häusern viel zu hoch waren. Somit haben wir mit den Baugruppen tatsächlich wieder die alte Klientel des sozialen Wohnungsbaus.

Aber trifft die Baugruppen auch der Vorwurf, dass sie die Gentrifizierung anheizten?
Das ist so eindeutig nicht zu sagen, da 100 Baugruppen in Berlin mit seinen 3,4 Millionen Einwohnern eine geringe Größe bleiben. Ein nachweisbarer Einfluss auf Verdrängungsprozesse ist so noch nicht gegeben. Aber die Baugruppen stehen eben für einen neoliberalen Aufwertungstrend in der Berliner Stadtentwicklung: Eigentumsbildung und Exklusion von ökonomisch Benachteiligten aus der Innenstadt. Daneben schaffen viele Baugruppen eine anspruchsvolle Architektur, die eine Sogwirkung auf potentielle Investoren haben kann.

Baugruppen also als Pioniere der Aufwertung?
Nicht unbedingt, denn Baugruppen gehen dorthin, wo sie eine Infrastruktur vorfinden, die sie anspricht: Cafés, Bioläden, Spielplätze. Die Aufwertung hat also meist schon vorher angesetzt. Die Baugruppen lösen Aufwertungstendenzen nicht aus, sorgen aber sicherlich eher für eine Verstärkung, als für eine Abschwächung dieses Prozesses. Auch ihre sozialstrukturelle Situation als mehr oder weniger etablierten Mittelschichtshaushalte und ihr Investitionsverhalten weist sie nicht als Pioniere aus, die mit einer hohen Risikobereitschaft bisher unerschlossene Räume erobern.

(…)

Das vollständige Interview ist in der Edition LE MONDE diplomatique No. 6 nachzulesen.


Antworten

  1. […] „Baugruppen: Privatisierung der besonderen Art“ (20.11.2009) (Interview in der Edition LE MONDE diplomatique No. 6: „Ausverkauft. Wie das Gemeinwohl zur Privatsache wird“) […]


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