Verfasst von: ah | Mai 26, 2011

Berlin: Innenstadt als Hartz IV freie Zone

Erst kürzlich habe ich hier ein modifiziertes Verkehrsschild mit einen Warnhinweis zur Verdrängungsgefahr in Prenzlauer Berg vorstellen können. Per Mail wurde ich nun auf ein ähnliches Motiv in Friedrichshain aufmerksam gemacht.

Aufkleber gegen Verdrängung, Samariterstraße (Berlin Friedrichshain), 2011

Der Hartz-IV-freier Innenstadtring ist dabei nicht nur eine polemische Zuspitzung,  sondern spiegelt die Struktur der aktuellen Mietangebote in Berlin wider.

Eine Auswertung von Wohnungsangeboten bei ImmoScout24 ergab für das Segment von Ein- und Zweiraumwohnungen, dass unter den 1.321Angeboten innerhalb des S-Bahnrings nur für 183 Wohnungen die Mieten unterhalb der Bemessungsgrenzen für die im SGB II festgelegten ‚Kosten der Unterkunft‘ lagen. Der Großteil dieser Wohnungen (119) wurde in Wedding, Tiergarten und Neukölln angeboten – im gesamten Rest der Innenstadt stehen fast 800 Wohnungsangeboten nur 64 ‚angemessene‘ Wohnungen gegenüber.

Unter Berücksichtigung von Konkurrenzsituationen mit anderen Haushalten, die auf preiswerte Wohungen angewiesen sind (Studierende, Niedrigverdiener/innen etc.) bleibt die Hartz-IV-freie Innestadt leider nicht auf die Polemik von Protestaufklebern beschränkt. Spitzenreiter der Exklusion ist übrigens neben den ‚üblichen Verdächtigen‘ Prenzlauer Berg (7 von 191 Wohnungsangeboten) und Alt-Mitte (2 von 120 Wohnungsangeboten) Alt-Treptow (0 von 15 Wohnungsangeboten).


Antworten

  1. […] Veröffentlicht in Uncategorized | Tags: Berlin, Hartz IV, Miete, Mitte, Neukölln, Prenzlauer Berg, Treptow, Wedding « Debatte: Recht auf die Stadt    quelle https://gentrificationblog.wordpress.com/2011/05/26/berlin-innestadt-als-hartz-iv-freie-zone/ […]

  2. Also bei einer Quote von fast 14% den Gesamtmarkt als „Frei“ von Hartzer-Wohnungen zu bezeichnen ist zynisch und vermessen. Es mag ja sein, dass diese Menschen unfähig sind ihre Lebenssituation zu ändern, aber das gibt ihnen noch nicht den Anspruch darauf alle Wünsche durch die Allgemeinheit erfüllt zu bekommen. Es soll hier Niemand hungern aber ein Leben in Würde ist auch ausserhalb der Innenstädte möglich.

    Was die Konkurrenzsituation zu Studenten und Auszubildenden angeht, so ist es auch nicht vermessen wenn diejenigen Menschen die früh aufstehen (ja, entgegen weitverbreiteten Vorurteilen stehen Auszubildende und Studenten Wochentags früh auf) den Vorzug der räumlichen Nähe zu den Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplätzen bekommen sollten. Ist das etwa ungerecht? Oder sollten die Azubis und Studis morgens noch eine Stunde früher aufstehen um mit der S-Bahn stadteinwärts zu fahren, vorbei an all den Harzerwohnungen mit den zugezogenen Gardinen? Dann könnten sie abends auch Nachtzug nach Hause nehmen nachdem sie im Nebenjob als Kellner die Harzer bewirtet haben….

    Entschuldige die Polemik, aber als jemand der selber jeden Tag über eineinhalb Stunden mit dem ÖPNV Pendelt ist mir diese Harzer-wollen-an-der-Uferpromenade-wohnen Anspruchsmentalität zuwider. Ich sehe wie die soziale Zusammensetzung der Menschen auf dem Bahnhofsvorplatz Montags um 6:30 Uhr, ich sehe sie um 16:00 und ich sehe sie um 21:00 Uhr. Es ist erstaunlich wie sich dieses Bild so im Laufe des Tages ändert. Die oft erwähnte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben fängt dabei für einige Menschen scheinbar erst in den Mittagsstunden an.

    viele Grüße,

    Andreas

    • Hallo Andreas,

      deine Polemik hier ist wirklich fehl am Platz. Denn du scheinst die Realität vollkommen auszublenden. Erstens vergisst du das man schon nach einem Jahr in die Hartz 4 Falle fallen kann und somit kann es auch einem gut Ausgebildeten passieren das er aus der Innenstadt wegziehen muss und somit sein Soziales Umfeld verliert. Oder ein Auszubildender der nicht übernommen wird, eine studierte Mutter die ihren Job für Mann und Kinder zurückgestellt hat die nun vor der Scheidung steht und wegen fehlender Berufserfahrung keine Stelle bekommt. Ich könnte noch weitere tausende Beispiele für Hartz 4 Empfänger beschreiben die keinesfalls Faul sind. Und ich weiß ja nicht ob du jemals Hartz 4 bekommen hast aber soweit ich weiß können sich die wenigsten mit Hartz Kneipenbesuche leisten.

      Eine Frage habe ich an dich. Führst du regelmäßige Befragungen auf dem Bahnhof? Da du ja scheinbar zu wissen weißt wer von ihnen Hartzer ist oder wer ein Arbeitnehmer ist. Ich gebe dir den Rat nicht von Äußerlichkeiten darauf zu schließen den auch einem Golo Mann konnte es schon mal passieren aus einem Hotel geworfen zu werden weil man ihn für einen Obdachlosen gehalten zu werden. Ein Albert Einstein war dafür bekannt das er seine Kleidung solange trug bis sie von seinem Körper viel. Meines erachten nach alles sehr fleißige Menschen.

      Also alles in allem Innenstadt für Alle !!!!

      • Hallo Anna,

        natürlich führe ich keine „regelmäßigen Befragungen auf dem Bahnhof“ durch – die normale, individuelle Realitätswahrnehmung reicht da schon um eine berechtigte Meinung zu bilden. Es ist aber unterhaltsam wenn Leute wie Du, die das „für Alle“ mit drei Ausrufezeichen versehen um den Anspruch der Gleichheit der Menschen zu unterstreichen, stets allen andersdenkenden Mitmenschen die Realitätswahrnehmung und die daraus abgeleitete gleichberechtigte Meinung absprechen wollen.

        Das Problem ist nicht, dass es keine Menschen gäbe so wie Du sie beschrieben hast – und das habe ich auch nie geleugnet. Das Problem ist dass es auch solche gibt wie ich sie beschrieben habe – und das kannst Du nicht leugnen.

        Grüße,

        Andreas

    • Da ist sie wieder, die Mähr vom Faulen Hartz IV Empfänger („Zugezogene Gardienen“).

      Bild-Macht is schon geil.

    • Alles klar und bezahlen soll dass Luxus-lotter-leben der geschundene Steuerzahler, der mittelstandbauch. Übrigens, nicht alle Pendler, die nach Berlin einpendeln bedienen in Cafés hartzer.

  3. […] Berlin: Innenstadt als Hartz IV freie Zone « Gentrification Blog von ah Der Hartz-IV-freier Innenstadtring ist dabei nicht nur eine polemische Zuspitzung, sondern spiegelt die Struktur der aktuellen Mietangebote in Berlin wider. Eine Auswertung von Wohnungsangeboten bei ImmoScout24 ergab für das Segment von … […]

  4. Bemerkenswert dabei ist auch, dass das Problem weder ein rot-roter Senat noch ein grüner Bürgermeister in Friedrichshain-Kreuzberg lösen können bzw. wollen. Deutlicher kann man kaum darlegen, dass die Politik gegen das Kapital keine Chance hat.

  5. Es fehlt nicht an Handlungsmöglichkeiten, das Problem anzugehen. Es fehlt aber an politischem Willen. Ich will hier nicht auf diese Möglichkeiten angehen, man kann das auch auf den Seiten z.B. der Berliner Mietergemeinschaft nachlesen.
    Viele Leute finden es aber völlig in Ordnung, wenn ALG-2-Bezieher wegziehen müssen.
    Das Problem ist nur: Auch sie selbst werden kräftig zur Kasse gebeten nd kriegen als Gegenleistung nix.
    Die neoliberale Wohnungspolitik führt zum Ergebnis, dass alleine die Interessen der Vermieter bedient werden. Das muss sich radikal ändern. Wohnen ist nämlich ein Menschenrecht.

  6. ts,
    es fehlt an politischem Willen, mag sein. Ich meinte, dass in aktuell denkbaren politischen Konstellationen selbst die vermeintlich mietergünstigste nicht dagegen hält. Insofern frage ich mich schon, ob die „Handlungsmöglichkeiten“ nicht eher theoretische sind, da jede Regierung von Kapitalinteressen abhängig ist.

    Die Ellenbogengesellschaft begibt sich hier in die Praxis. Allerdings haben diese „Leute“ etwas von dem Trend: Sie müssen künftig ALG-2-Beziehern nicht mehr auf der Straße begegnen. Das ist vielleicht der Hauptgrund für das Stillschweigen.

  7. Weder Politik noch Gesellschaft scheint klar zu sein inwieweit sich Gettos als soziale Sprengfallen für unseren Staat auswirken können. Eine gesunde Durchmischung der urbanen Lebenswelt von Freizeit, Arbeit und Wohnen für kleine, mittlere und hohe Einkommen müsste das Ziel jeder vernünftigen Stadtpolitik sein.

    Leider fehlt es an Konzepten… und wie oben stehende Postings klar machen, an der Bereitschaft!

  8. Die Aufwertung im Wedding geht weiter… An der Ecke Osloer Str. /Prinzenallee kann man jetzt luxussaniert zu Prenzlauer Berg-Preisen wohnen. http://www.prinzenallee22.de

  9. Veranstaltest du eigentlich beim Kongress auch einen Vortrag?

  10. […] läuft seit Jahren so, daneben werden massenweise Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt. Das inoffizielle Ziel ist eine Hartz-IV-freie Innenstadt. Das Prekariat soll sich bitte in den Problemvierteln am Rand sammeln, so wie man das von Paris, […]

  11. da ja nun doch viele gern innerhalb des s-bahn-ringes wohnen möchten – wie sollte denn sinnvollerweise ausgewählt werden, wer jetzt in der innenstadt wohnen darf und wer (horribile dictu) nach hohenschönhausen muss – oder gar nach spandau? per los? landsmannschaft? casting vor einem kommitee? rotation alle zwei jahre?

  12. Zum Thema auch ein Interview mit Franz Schulz, Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg im Magazin „Friedrichshain“:

    „Wenn man nicht eingreift, werden wir in 10 oder 15 Jahren in der Innenstadt keine geringverdienenden Mieter mehr haben.“

    mehr unter:

    http://www.friedrichshain-magazin.de/

  13. Näher betrachtet, fällt auf dass in Wohnungsanzeigen der Wohnumfeld öfters mit einem Lobgesang an den Künstler, den Kreativen und an der lokalen Kneipenszene ergänzt werden. Alles was ein Kiez ausmacht, wurde von den Bewohnern, und zwar von allen, erarbeitet. Diese Leistungen in Anspruch zu nehmen, und dann gerade die Schaffenden aus ihrem Zuhause, wo ihre Kinder zu Schule gehen, wo Netzwerke geschaffen wurden, usw., zu verdrängen, ist ein Form des Schmarotzertums.

  14. So ist es, Wired. Positiv gewendet bezeichnet man sowas als „schöpferische Zerstörung“. Fragt sich nur, wer schöpft und wer zerstört wird.

    • Das ist ja die besondere Crux – die Aufwertung zerstört ja auch das, womit geworben wird, und was zunächst alle so toll finden!
      An Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Kreuzberg, Neukölln war so toll, dass so viel möglich war, Improvisation, billige Mieten, selbst ne Kneipe eröffnen, usw.usf. Auch der ramponierte Charme (gegen dessen Beseitigung nun die 1. Aufwerter in der Kastanienallee aufbegehren…)
      Das verschwindet durch die Aufwertung.
      Ein Beispiel:
      Ungelüftete Bionade-Wohnviertel, wie es nun manche Teile von Prenzlauer Berg sind, findet doch niemand mehr wirklich attraktiv. Da passiert nichts mehr.

  15. Ja. Ich habe das mal versucht, am Beispiel der Stadt Düsseldorf darzustellen:

    Über das parasitäre Wesen des postindustriellen Kapitalismus am Beispiel der Stadt Düsseldorf

  16. Wenn eine kleinere Wohnung innerhalb des S-Bahnrings so viel kostet wie eine größere außerhalb, muss man nicht einmal sein Kiez verlassen. Einfach schrumpfen. Oder man nimmt sich Untermieter in seine Wohnung, macht eine WG draus. Zwei Familien können sich eine große Wohnung teilen. Schlafburschen gab es auch einmal. Die Frage ist nicht, ob Wohnraum bezahlbar ist, sondern wieviel davon in Anspruch genommen wird. Für eine bessere Schulbildung und die für die Zukunft wichtigen Netzwerke ist Enge ein möglicher Preis.

  17. Überall auf der Welt freut man sich, wenn Stadtquartiere aufgewertet werden. Man lockt Investoren sogar gezielt an, damit das erreicht wird. Nur in Deutschland sieht man darin ein Problem. Ich freue mich über Gentrifizierung! Und das, obwohl ich selbst nicht zu den wohlhabenden Menschen in diesem Land gehöre!!

    Es ist doch völlig normal, dass beliebte Wohngebiete in Innenstadtlage viele Wohninteressenten anziehen. Dass dann die Preise steigen ist ebenfalls völlig normal. Das ist das Spiel von Angebot und Nachfrage. Wem das nicht gefällt, kann sich auch darüber beklagen, dass der Regen von oben nach unten fällt und nicht umgekehrt.

    Das ganze Gentrification-Geheul ist doch mehr als lächerlich! Und dafür zahlen wir auch noch Steuern!

    • Lieber Thomas D.,
      vielen Dank für deinen Kommentar. Ich will dir deine Meinung zu städtischen Aufwertungsprozessen nicht madig machen, glaube aber, dass deine Argumentation nicht wirklich stichhaltig ist. Du kannst gerne hier im Blog ein wenig durch die Beiträge der letzten Monate und Jahre stöbern und wirst feststellen, dass Gentrification-Kritik wirklich kein deutsches Sonderthema ist. Du kannst dich trotzdem drüber freuen, wenn du magst.

      Deine Annahme, irgendein komplexer gesellschaftlicher Prozess, wie z. B. die Stadtentwicklung würde sich einfach so, quasi natürlich (wie der Regen) entwickeln, unterschätzt die vielfältigen politischen und ökonomischen Interessen, die die Stadtentwicklung bestimmen. Das ‚Spiel von Angebot und Nachfrage‘ ist ein normativer Idealtypus zur Erklärung von marktvermittelten Verteilungsmechanismen – und selbst die liberalsten Wirtschaftswissenschaftler/innen beziehen in ihre Trendanalysen darüber hinausgehende Rahmenbedingungen mit ein (weil sie nämlich am besten wissen, das Angebot und Nachfrage nur selten funktioniert). Hier zwei Atrgumente, warum Mietsteigerungen nicht nur aus der Nachfrage erklärt werden können (wenn du ein wenig nachdenkst, fallen dir sicher noch mehr ein):
      – Mietsteigerungen in Deutschland unterliegen z.B. verschiedenen mietrechtlichen Bestimmungen,
      – Investitionen in den Wohnungsbau werden nur selten von der Nachfrage entschieden, sondern von Steuerabschreibungsmöglichkeiten, Bauauflagen, Zinssätzen
      Dies nur, um ein paar Aspekte der Stadtentwicklung anzureißen, die nichts mit dem angeblich so normalen Spiel von ‚Angebot und Nachfrage‘ zu tun haben.

      Dein Argument mit den Steuern habe ich nicht verstanden? Meine Steuern jedenfalls finanzieren eher die Gentrification als das ‚Gentrification-Geheul‘ – z.B. über die Steuerabbschreibungen für Immobilienbesitz, oder die Programme der Sozialen Stadt, die die Ergebnisse der Gentrifcation in den Endstationen der Verdrängung an anderen Orten Stadt bewältigen sollen. Die verdeckten Subventionen der Immobilienwirtschaft durch Steueranreize wäre in der Tat ein spannendes Thema – aber mit der Normalität von Angebot und Nachfrage hätte auch das nur wenig zu tun…

      AH

  18. […] und https://gentrificationblog.wordpress.com/2011/05/26/berlin-innestadt-als-hartz-iv-freie-Zone/ […]


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